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Papst Benedikt XVI.
Ansprache an die
französischen Bischöfe in Lourdes
am 15.9.2008
liebe Brüder im Bischofsamt!
Zum ersten Mal seit Beginn meines Pontifikats habe ich die Freude, Euch
allen gemeinsam zu begegnen. Herzlich grüße ich Euren Vorsitzenden, Kardinal
André Vingt-Trois, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er in Eurem
Namen an mich gerichtet hat. Gern begrüße ich auch die stellvertretenden
Vorsitzenden sowie den Generalsekretär und seine Mitarbeiter. Von Herzen grüße
ich jeden Einzelnen von Euch, meine Mitbrüder im Bischofsamt, die Ihr aus ganz
Frankreich und den Überseegebieten hierhergekommen seid. Meine Gedanken gehen
auch an den Erzbischof von Cambrai, François Garnier, der heute in Valenciennes
das 1000-Jahr-Jubiläum von "Notre-Dame du Saint-Cordon" feiert.
Ich freue mich, heute abend in diesem Sitzungssaal "Sainte-Bernadette" bei
Euch zu sein, wo Ihr auch sonst gemeinsam betet und wo Eure Versammlungen
stattfinden. Es ist ein Ort, an dem Ihr Euren Hoffnungen und Sorgen Ausdruck
verleiht, und ein Schauplatz Eurer Beratungen und Eures gemeinsamen
Nachdenkens. Dieser Saal liegt an einem privilegierten Ort in der Nähe der
Grotte und der der Muttergottes geweihten Basiliken. Gewiss erlauben Euch die
Ad-limina-Besuche, dem Nachfolger Petri regelmäßig in Rom zu begegnen, aber der
Augenblick, den wir nun hier erleben, ist uns als eine Gnade gegeben, damit wir
die engen Bande verstärken, die uns in der Teilhabe am selben Priestertum
verbinden, das unmittelbar aus dem Priestertum Christi, des Erlösers,
hervorgegangen ist. Ich ermutige Euch, Eure Arbeit in Einheit und Vertrauen
fortzusetzen, in voller Gemeinschaft mit Petrus, der gekommen ist, Euren
Glauben zu stärken. Zahlreich sind gegenwärtig Eure Sorgen! Ich weiß, dass es
Euch am Herzen liegt, im kürzlich durch die Neuordnung der Kirchenprovinzen
festgelegten Rahmen mit ganzem Einsatz tätig zu werden, und ich freue mich sehr
darüber. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um gemeinsam mit Euch über einige
Themen nachzudenken, die, wie ich weiß, im Zentrum Eurer Aufmerksamkeit stehen.
Die Kirche – die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche – hat
Euch durch die Taufe geboren. Sie hat Euch in ihren Dienst berufen; Ihr habt
ihr Euer Leben geschenkt, zunächst als Diakone und Priester, dann als Bischöfe.
Ich bringe Euch meine tiefe Wertschätzung zum Ausdruck für diese Hingabe Eurer
Person: ungeachtet der Größe der Aufgabe, die deren Ehre unterstreicht – honor,
onus! –, erfüllt Ihr gegenüber der Euch anvertrauten Herde treu und demütig
Eure dreifache Aufgabe des Lehrens, Leitens und Heiligens, im Licht der
Konstitution Lumen gentium (Nr. 25–28) und des Dekrets Christus Dominus. Als
Nachfolger der Apostel stellt Ihr Christus an der Spitze der Euch anvertrauten
Diözesen dar, und Ihr bemüht Euch, in ihnen das vom heiligen Paulus
vorgezeichnete Bild des Bischofs zu verwirklichen; auf diesem Weg müsst Ihr
stets wachsen, damit Ihr immer mehr "das Gute liebt, gastfreundlich, besonnen,
gerecht, fromm und beherrscht seid, euch an das wahre Wort der Lehre haltet, in
Übereinstimmung mit der gesunden Lehre" (vgl. Tit 1,8–9).
Das christliche Volk soll Euch mit Zuneigung und Respekt begegnen. Von
Anfang an hat die christliche Tradition diesen Punkt betont: "Denn alle, die
Gott und Jesus Christus angehören, stehen auf Seiten des Bischofs", schrieb der
heilige Ignatius von Antiochien (An die Philadelphier 3,2). Und er fügte hinzu:
"Jeden nämlich, den der Herr des Hauses schickt zur Verwaltung seines Hauses,
den müssen wir so aufnehmen wie den Sendenden selbst" (An die Epheser 6,1).
Eure vor allem geistliche Sendung besteht also darin, die notwendigen Bedingungen
dafür zu schaffen, dass die Gläubigen "mit einer Stimme durch Jesus Christus
dem Vater lobsingen" (ebd., 4,2) können und auf diese Weise ihr Leben zu einer
Opfergabe für Gott machen.
Ihr seid zu Recht überzeugt davon, dass die Katechese von grundlegender
Bedeutung ist, um in jedem Getauften den "Geschmack an Gott" und das
Verständnis für den Sinn des Lebens wachsen zu lassen. Die zwei wichtigsten
Mittel, die Euch zur Verfügung stehen, der Katechismus der Katholischen Kirche
und der Katechismus der Bischöfe Frankreichs, sind wertvolle Hilfen. Sie bieten
eine harmonische Synthese des katholischen Glaubens und erlauben, das
Evangelium in einer wirklichen Treue zu seinem Reichtum zu verkünden. Katechese
ist nicht zuerst eine Sache der Methode, sondern des Inhalts, wie der Name
selbst besagt: Es handelt sich um ein organisches Erfassen (kat-echein) der
Gesamtheit der christlichen Offenbarung, die dem Verstand und dem Herz das Wort
dessen vorzulegen vermag, der sein Leben für uns hingegeben hat. So lässt die Katechese
im Herzen jedes Menschen immer den einen, unablässig erneuerten Ruf erklingen:
"Folge mir nach!" (Mt 9,9). Eine sorgfältige Vorbereitung der Katecheten wird
eine unverkürzte Weitergabe des Glaubens ermöglichen, nach dem Vorbild des
heiligen Paulus, dem größten Katecheten aller Zeiten, auf den wir während
dieses 2000-Jahr-Jubiläums seiner Geburt mit besonderer Bewunderung blicken.
Mitten in den Sorgen des Apostolats mahnte er: "Es wird eine Zeit kommen, in
der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen
immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln, und man wird der Wahrheit
nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden" (2 Tim 4,3–4). Im
Bewusstsein des großen Realismus seiner Vorhersagen bemüht Ihr Euch, mit Demut
und Beharrlichkeit seinen Empfehlungen zu entsprechen: "Verkünde das Wort,
tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht in unermüdlicher und
geduldiger Belehrung" (2 Tim 4,2).
Um diese Aufgabe wirksam zu erfüllen, braucht Ihr Mitarbeiter. Aus diesem
Grund verdienen es die Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben, mehr
denn je ermutigt zu werden. Ich bin über die Initiativen unterrichtet, die voll
Glauben in diesem Bereich unternommen werden, und es liegt mir am Herzen, all
denen meine Unterstützung zuzusagen, die keine Angst haben, so wie Christus
junge oder weniger junge Menschen einzuladen, sich in den Dienst des Meisters
zu stellen, der da ist und sie ruft (vgl. Joh 11,28). Ich möchte von Herzen
allen Familien, Pfarrgemeinden, christlichen Gemeinschaften und kirchlichen
Bewegungen danken, die der gute Boden sind, der die gute Frucht (vgl. Mt 13,8)
der Berufungen bringt, und sie ermutigen. In diesem Zusammenhang möchte ich
meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen für die unzähligen Gebete der wahren
Jünger Christi und seiner Kirche, darunter Priester, Ordensmänner und -frauen,
alte Menschen und Kranke, auch Gefangene, die durch Jahrzehnte hindurch ihre
Gebete zu Gott haben aufsteigen lassen, um das Gebot Jesu zu erfüllen: "Bittet
also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden" (Mt 9,38). Der
Bischof und die Gemeinschaften der Gläubigen müssen, insoweit es sie betrifft,
die Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben fördern und annehmen und
sich auf die vom Heiligen Geist geschenkte Gnade stützen, um die notwendige
Unterscheidung hinsichtlich ihrer Berufung vorzunehmen. Ja, liebe Mitbrüder im
Bischofsamt, hört nicht auf, zum Priestertum oder zum geweihten Leben
einzuladen, genauso wie Petrus auf Geheiß des Meisters seine Netze auswarf,
obwohl er die ganze Nacht gearbeitet hatte, ohne etwas zu fangen (vgl. Lk 5,5).
Man wird nicht oft genug wiederholen können, dass das Priestertum für die
Kirche unentbehrlich ist, im Interesse der Laien selbst. Die Priester sind ein Geschenk
Gottes an die Kirche. In dem, was die ihnen eigene Sendung betrifft, können die
Priester ihre Aufgaben nicht den Gläubigen übertragen. Liebe Brüder im
Bischofsamt, ich lade Euch ein, weiterhin fürsorglich Euren Priestern zu
helfen, in einer tiefen inneren Einheit mit Christus zu leben. Ihr geistliches
Leben ist das Fundament ihres Apostolats. Daher werdet Ihr sie behutsam zum
täglichen Gebet ermahnen und zu einer würdigen Feier der Sakramente, vor allem
der Eucharistie und des Sakramentes der Versöhnung, wie es der heilige Franz
von Sales bei seinen Priestern tat. Jeder Priester soll sich darüber freuen
können, der Kirche zu dienen. Hört nicht auf, mit dem heiligen Pfarrer von Ars,
einem Sohn Eures Landes und Patron aller Pfarrer der ganzen Welt, zu
wiederholen, dass ein Mensch nichts Größeres tun kann, als den Gläubigen den
Leib und das Blut Jesu zu reichen und die Sünden zu vergeben. Wendet Eure
Aufmerksamkeit ihrer menschlichen, intellektuellen und spirituellen Bildung zu
sowie auch ihrem materiellen Unterhalt. Bemüht Euch trotz der Last Eurer
Tätigkeiten, Euch regelmäßig mit ihnen zu treffen und sie als Brüder und
Freunde zu empfangen (vgl. Lumen Gentium 28, Christus Dominus 16). Die Priester
brauchen Euer Wohlwollen, Eure Ermutigung und Eure Fürsorge. Seid ihnen nahe
und widmet den Priestern, die in Schwierigkeiten, die krank oder betagt sind,
Eure besondere Aufmerksamkeit (Christus Dominus 16). Vergesst nicht, dass sie,
wie es das Zweite Vatikanische Konzil unter Verwendung der wundervollen Formulierung
des heiligen Ignatius von Antiochien in seinem Brief an die Magnesier sagt,
"der geistliche Kranz des Bischofs" (vgl. Lumen Gentium 41) sind.
Der liturgische Gottesdienst ist der höchste Ausdruck des priesterlichen
und bischöflichen Lebens wie auch der katechetischen Unterweisung. Eure Aufgabe
der Heiligung der Gläubigen, liebe Brüder, ist unerlässlich für das Wachstum
der Kirche. Im Motu Proprio Summorum Pontificum wurde ich dazu geführt, die
Bedingungen für die Ausübung dieser Aufgabe zu präzisieren im Hinblick auf die
Möglichkeit der Benutzung sowohl des Messbuchs des seligen Johannes XXIII.
(1962) als auch des Messbuchs Papst Pauls VI. (1970). Einige Früchte dieser
neuen Anordnungen haben sich schon gezeigt, und ich hoffe, dass die
unerlässliche Beruhigung der Gemüter Gott sei Dank voranschreitet. Ich kann die
Schwierigkeiten ermessen, denen Ihr begegnet, aber ich zweifle nicht daran,
dass Ihr in absehbarer Zeit zu für alle befriedigenden Lösungen gelangen könnt,
damit das nahtlose Gewand Christi nicht weiter zerrissen wird. Niemand ist in
der Kirche überflüssig. Jeder, ohne Ausnahme, muss sich in ihr "zu Hause" und
niemals abgewiesen fühlen. Gott, der alle Menschen liebt und nicht will, dass
einer von ihnen verloren geht, vertraut uns diese Sendung an und macht uns zu
den Hirten seiner Schafe. Wir können ihm nur danken für die Ehre und das
Vertrauen, das er uns entgegenbringt. Bemühen wir uns daher, stets Diener der
Einheit zu sein!
Welche anderen Bereiche erfordern besondere Aufmerksamkeit? Die Antworten
können je nach Diözese unterschiedlich ausfallen, aber es gibt sicher ein
Problem, das überall von besonderer Dringlichkeit ist: die Situation der
Familie. Wir wissen, dass Ehepaare und Familien heute wahrhaften Stürmen
entgegentreten. Die Worte des Evangelisten hinsichtlich des Bootes im Sturm auf
dem See können auch auf die Familie übertragen werden: "Die Wellen schlugen in
das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann" (Mk 4,37). Die Faktoren,
die diese Krise hervorgerufen haben, sind wohlbekannt, und deshalb werde ich
mich nicht damit aufhalten, sie aufzuzählen. Seit mehreren Jahrzehnten haben in
verschiedenen Ländern Gesetze die Natur der Familie als Urzelle der
Gesellschaft relativiert. Oft versuchen die Gesetze eher, sich den Lebensgewohnheiten
und Forderungen von Einzelpersonen oder Sondergruppen anzupassen, als das
Gemeinwohl der Gesellschaft zu fördern. Die dauerhafte Bindung eines Mannes und
einer Frau – hingeordnet auf den Aufbau eines irdischen Glücks dank der Geburt
von Kindern, die ein Geschenk Gottes sind – ist nach Ansicht einiger nicht mehr
das Vorbild, auf das sich das Eheversprechen bezieht. Indessen lehrt die
Erfahrung, dass die Familie das feste Fundament ist, auf dem die gesamte
Gesellschaft ruht. Darüber hinaus weiß der Christ, dass die Familie auch die
Keimzelle der Kirche ist. Je mehr die Familie vom Geist und von den Werten des
Evangeliums durchdrungen ist, desto mehr wird die Kirche selbst dadurch
bereichert und besser auf ihre Berufung antworten. Überdies kenne und ermutige
ich sehr die von Euch unternommenen Anstrengungen, Eure Unterstützung den
verschiedenen Vereinigungen zukommen zu lassen, die mit ihrer Tätigkeit den
Familien beistehen. Zu Recht haltet Ihr – auch um den Preis, gegen den Strom zu
schwimmen – an den Prinzipien fest, die die Stärke und die Größe des
Ehesakramentes ausmachen. Die Kirche will der ihr von ihrem Gründer, unserem
Meister und Herrn Jesus Christus, anvertrauten Sendung unverbrüchlich treu
bleiben. Sie hört nicht auf, mit Ihm zu wiederholen: "Was aber Gott verbunden
hat, das darf der Mensch nicht trennen!" (Mt 19,6). Die Kirche hat sich diese
Sendung nicht selbst gegeben: sie hat sie empfangen. Sicher kann niemand das
Vorhandensein manchmal sehr schmerzlicher Prüfungen leugnen, die einige Familien
durchmachen. Diese Familien in Schwierigkeiten müssen begleitet werden, es muss
ihnen geholfen werden, die Größe der Ehe zu verstehen, und sie müssen ermutigt
werden, den Willen Gottes und die Gebote des Lebens, die er uns gegeben hat,
nicht zu relativieren. Besonders schmerzlich ist das Problem der
wiederverheirateten Geschiedenen. Die Kirche, die sich dem Willen Christi nicht
widersetzen kann, hält unverbrüchlich an dem Prinzip der Unauflöslichkeit der
Ehe fest, bringt aber zugleich große Zuneigung denjenigen Männern und Frauen
entgegen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gelingt, es zu befolgen.
Deshalb können Initiativen, die die Segnung von illegitimen Verbindungen
anstreben, nicht zugelassen werden. Das Apostolische Schreiben Familiaris consortio
hat den Weg gewiesen, der uns durch eine Denkweise, die die Wahrheit und die
Liebe achtet, eröffnet wird.
Ich weiß sehr wohl, liebe Brüder, dass die Jugendlichen im Zentrum Eurer
Sorgen stehen. Ihr widmet ihnen viel Zeit, und Ihr tut dies zu Recht. So bin
ich, wie Ihr sehen konntet, vielen von ihnen im Rahmen des Weltjugendtages in
Sydney begegnet. Ich habe ihre Begeisterung und ihre Fähigkeit, sich dem Gebet
zu widmen, geschätzt. Obwohl sie in einer Welt leben, die sie hofiert und ihren
niedrigen Instinkten schmeichelt, und sie auch selbst die große Last eines
schwer anzunehmenden Erbes tragen, bewahren die Jugendlichen eine Frische des
Geistes, die meine Bewunderung hervorgerufen hat. Ich habe an ihr
Verantwortungsbewusstsein appelliert und sie eingeladen, sich stets auf die
Berufung zu stützen, die Gott ihnen am Tag ihrer Taufe geschenkt hat. "Unsere
Stärke liegt in dem, was Christus von uns will", hat Kardinal Jean-Marie
Lustiger gesagt. Während seiner ersten Reise nach Frankreich hat mein verehrter
Vorgänger eine Ansprache an die Jugendlichen Eures Landes gerichtet, die nichts
von ihrer Aktualität verloren hat und die damals mit unvergesslicher
Begeisterung aufgenommen wurde. "Der moralische Permissivismus macht die
Menschen nicht glücklich", rief er im Parc-des-Princes unter stürmischem
Beifall aus. Der gesunde Menschenverstand, der die natürliche Reaktion seiner
Zuhörerschaft bewirkt hat, ist nicht tot. Ich bete zum Heiligen Geist, dass er
zu den Herzen aller Gläubigen spricht und überhaupt zu allen Euren Landsleuten,
damit er ihnen den Geschmack an einem nach den Kriterien eines wahren Glücks
geführten Lebens schenke oder wieder schenke.
Im Elysee-Palast habe ich vorgestern die Besonderheit der französischen
Situation erwähnt, die der Heilige Stuhl respektieren möchte. Denn ich bin
überzeugt, dass die Nationen nie akzeptieren dürfen, dass das, was ihre eigene
Identität ausmacht, verschwindet. Die Tatsache, dass die verschiedenen
Mitglieder einer Familie denselben Vater und dieselbe Mutter haben, bedeutet
nicht, dass sie sich nicht voneinander unterscheiden: in Wirklichkeit sind es
Personen mit einer je eigenen Individualität. Das gleiche gilt für die Länder,
die darüber wachen müssen, ihre eigene Kultur zu bewahren und zu entwickeln,
ohne sie je von anderen vereinnahmen oder in einer farblosen Einförmigkeit
untergehen zu lassen. "Die Nation ist in der Tat", um mit den Worten von Papst
Johannes Paul II. zu sprechen, "die große Gemeinschaft der Menschen, die geeint
sind durch verschiedene Bande, aber vor allem gerade durch die Kultur. Die
Nation besteht ,durch' die Kultur und ,für' die
Kultur. Sie ist deshalb die große Erzieherin der Menschen zu dem, was sie ,mehr sein' könnten in der Gemeinschaft" (Ansprache vor
der UNESCO, 2. Juni 1980, 14). In dieser Hinsicht wird die Hervorhebung der
christlichen Wurzeln Frankreichs jedem Bewohner dieses Landes erlauben, besser
zu verstehen, woher er kommt und wohin er geht. Folglich muss im Rahmen der
bestehenden Institutionen und unter voller Achtung der geltenden Gesetze ein
neuer Weg gefunden werden, um im Alltag die grundlegenden Werte, auf denen die
Identität der Nation aufgebaut ist, auszulegen und zu leben. Euer Präsident hat
auf diese Möglichkeit hingewiesen. Die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen
für das alte Misstrauen oder sogar für Feindseligkeit verschwinden allmählich.
Die Kirche beansprucht für sich nicht die Stelle des Staates. Sie will sich
nicht an die Stelle des Staates setzen. Sie ist eine auf Überzeugungen
gegründete Gemeinschaft, die sich für das Ganze verantwortlich weiß und sich
nicht auf sich selbst beschränken kann. Sie spricht mit Freiheit und tritt mit
derselben Freiheit in den Dialog ein in dem Wunsch, den Aufbau der allgemeinen
Freiheit zu erreichen. Dank einer gesunden Zusammenarbeit zwischen den
politisch Verantwortlichen und der Kirche – durchgeführt im Bewusstsein und in
der Achtung der Unabhängigkeit und Autonomie im jeweils eigenen Bereich – wird
dem Menschen ein Dienst erwiesen, der auf seine volle persönliche und
gesellschaftliche Entfaltung abzielt. Zahlreiche Punkte – je nach Notwendigkeit
werden diesen weitere folgen – sind in der "Einrichtung für den Dialog zwischen
Kirche und Staat" schon geprüft worden und haben eine Lösung gefunden. Zu
diesem Gremium gehört kraft seiner Mission und im Namen des Heiligen Stuhls der
Apostolische Nuntius, der dazu gerufen ist, das Leben der Kirche und ihre
Situation in der Gesellschaft aktiv zu begleiten.
Wie Ihr wisst, haben meine Vorgänger – der selige Johannes XXIII.,
ehemaliger Nuntius in Paris, und Papst Paul VI. – Sekretariate eingerichtet,
die dann 1988 zum "Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen" und
zum "Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog" geworden sind. Bald kamen
die "Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum" und die
"Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Islam" hinzu. Diese
Einrichtungen sind in gewisser Weise eine institutionelle, vom Konzil
ausgehende Anerkennung zahlreicher früherer Initiativen und Aktivitäten.
Ähnliche Kommissionen und Räte gibt es im übrigen auch in Eurer
Bischofskonferenz und in Euren Diözesen. Deren Vorhandensein und deren
Tätigkeit zeigen den Wunsch der Kirche, auf diesem Weg voranzuschreiten und den
bilateralen Dialog zu entfalten. Die kürzlich stattgefundene Vollversammlung
des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog hat unterstrichen, dass ein
echter Dialog als grundlegende Bedingungen eine gute Ausbildung derer
erfordert, die ihn fördern, und eine klare Unterscheidungsgabe, um allmählich im
Entdecken der Wahrheit voranzuschreiten. Der Zweck des ökumenischen sowie des
interreligiösen Dialogs, die sich sicherlich ihrer Natur und ihrer jeweiligen
Zielsetzung nach voneinander unterscheiden, ist die Suche und die Vertiefung
der Wahrheit. Es handelt sich um eine edle und für jeden gläubigen Menschen
verpflichtende Aufgabe, weil Christus selbst die Wahrheit ist. Das Bauen von
Brücken zwischen den großen christlichen kirchlichen Traditionen und der Dialog
mit anderen religiösen Traditionen erfordern ein reales Bemühen um
gegenseitiges Kennenlernen, denn die Unkenntnis zerstört mehr als sie aufbaut.
Darüber hinaus ist es allein die Wahrheit, die erlaubt, das Doppelgebot der
Liebe, das uns unser Erlöser hinterlassen hat, in echter Weise zu leben. Sicher
ist es notwendig, die verschiedenen unternommenen Initiativen aufmerksam zu
verfolgen und diejenigen zu erkennen, die die gegenseitige Kenntnis und Achtung
sowie den Dialog fördern, und andere, die in eine Sackgasse führen, zu
vermeiden. Der gute Wille allein reicht nicht aus. Ich bin überzeugt, dass es
zunächst des Zuhörens bedarf, um dann zur theologischen Diskussion überzugehen
und schließlich zur Bezeugung und Verkündigung des Glaubens selbst zu gelangen
(vgl. Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung, 3. Dezember
2007, 12). Der Heilige Geist schenke Euch die Gabe der Unterscheidung, die
jeden Hirten auszeichnen muss. Der heilige Paulus rät: "Prüft alles, und
behaltet das Gute!" (1 Thess 5,21). Die globalisierte, plurikulturelle und
plurireligiöse Gesellschaft, in der wir leben, ist eine Gelegenheit, die der
Herr uns schenkt, um die Wahrheit zu verkünden und die Liebe zu üben, um ohne
Unterschied jeden Menschen zu erreichen, auch jenseits der Grenzen der
sichtbaren Kirche.
Im Jahr vor meiner Wahl auf den Stuhl Petri hatte ich die Freude, Euer
Land zu besuchen, um den Feiern zum Gedenken an den 60. Jahrestag der Landung
der alliierten Truppen in der Normandie vorzustehen. Selten habe ich so wie
damals die treue Verbundenheit der Söhne und Töchter Frankreichs mit dem Land
ihrer Vorfahren gespürt. Frankreich feierte damals seine zeitliche Befreiung am
Ende eines grausamen Krieges, der zahlreiche Opfer gefordert hatte. Jetzt ist
es vor allem notwendig, für eine spirituelle Befreiung tätig zu sein. Der
Mensch hat es immer nötig, befreit zu werden von seinen Ängsten und Sünden. Der
Mensch muss unaufhörlich lernen oder wieder lernen, dass Gott nicht sein Feind
ist, sondern sein gütiger Schöpfer. Der Mensch braucht das Wissen, dass sein
Leben einen Sinn hat und dass er am Ende seines irdischen Daseins erwartet
wird, um auf ewig an der Herrlichkeit Christi im Himmel teilzuhaben. Eure
Sendung besteht darin, den Eurer Sorge anvertrauten Teil des Gottesvolkes zur
Erkenntnis dieses herrlichen Zieles zu führen. Nehmt hier den Ausdruck meiner
Bewunderung und Dankbarkeit entgegen für alles, was Ihr in dieser Richtung
unternehmt. Seid meines täglichen Gebetes für jeden von Euch versichert. Ihr
dürft ebenso sicher sein, dass ich den Herrn und seine Mutter unablässig bitte,
Euch auf Eurem Weg zu führen.
Mit Freude und innerer Bewegung vertraue ich Euch, liebe Brüder im
Bischofsamt, Unserer Lieben Frau von Lourdes und der heiligen Bernadette an.
Die Macht Gottes hat sich immer in der Schwachheit gezeigt. Der Heilige Geist
hat immer das reingewaschen, was befleckt war, getränkt, was dürre war,
gelenkt, was in die Irre ging. Christus, unser Erlöser, der aus uns Werkzeuge
der Mitteilung seiner Liebe zu den Menschen machen wollte, wird niemals
aufhören, Euch im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe wachsen zu lassen,
um Euch die Freude zu schenken, eine zunehmende Zahl von Männern und Frauen
unserer Zeit zu ihm zu führen. Indem ich Euch der Kraft des Erlösers
anvertraue, erteile ich Euch allen von ganzem Herzen und mit großer Zuneigung
den Apostolischen Segen.