Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am
20.9.2008
Symbolische
Begegnung mit dem französischen Volk
Mein Besuch begann in Paris, wo ich symbolisch dem ganzen französischen
Volk begegnet bin und somit dieser geliebten Nation meine Hochachtung erweisen
konnte, in welcher die Kirche schon vom zweiten Jahrhundert an eine bedeutende
kulturstiftende Rolle gespielt hat. Es ist interessant, dass gerade in diesem
Umfeld das Bedürfnis nach einer gesunden Unterscheidung zwischen dem politischen
und dem religiösen Bereich entstanden ist, dem berühmten Ausspruch Christi
entsprechend: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott
gehört“ (Mk 12, 17). Wenn auf die römischen Münzen das Bildnis des Kaisers
geprägt war und sie ihm aus diesem Grund gegeben werden sollten, so ist jedoch
in das Herz des Menschen der Schöpfer eingeprägt, der einzige Herr unseres
Lebens. Wahre Laizität bedeutet daher nicht, auf die geistliche Dimension zu
verzichten, sondern anzuerkennen, dass gerade diese Dimension, dank der Gebote
der schöpferischen Weisheit, welche das menschliche Bewusstsein anzunehmen und
umzusetzen weiß, auf grundlegende Weise unsere Freiheit und die Autonomie der
irdischen Wirklichkeiten garantiert,
In dieser Perspektive sind meine ausführlichen Überlegungen zum Thema
„Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der europäischen
Kultur zu sehen, die ich beim Treffen mit Vertretern aus dem Bereich der Kultur
an einem Ort entwickelt habe, der aufgrund seiner symbolischen Bedeutung
ausgewählt worden war. Es handelt sich um das „Collège des Bernardins“, das der
verstorbene Kardinal Jean-Marie Lustiger als Zentrum des kulturellen Dialogs
etablieren wollte, ein Gebäude aus dem zwölften Jahrhundert, das von
Zisterziensern erbaut wurde und in dem junge Menschen studiert haben. Es ist
daher gerade die Präsenz dieser monastischen Theologie, die auch unsere
abendländische Kultur hat entstehen lassen.
Ausgangspunkt meiner Rede war eine Betrachtung über das Mönchtum, dessen
Ziel die Suche nach Gott, „quaerere Deum“ war. In einer Zeit, in der sich die
antike Zivilisation in einer tiefen Krise befand, orientierten sich die Mönche
am Licht des Glaubens und wählten den Königsweg: den Weg, auf das Wort Gottes
zu hören. Sie waren daher große Kenner der Heiligen Schrift, und die Klöster
wurden Schulen der Weisheit und Schulen „dominici servitii“, „Schulen des
göttlichen Dienstes", wie der heilige Benedikt sie nannte. Die Suche nach
Gott brachte die Mönche also auf ganz natürliche Weise zu einer Kultur des
Wortes. „Quaerere Deum“, Gott suchen - sie suchten ihn auf den Spuren seines
Wortes und mussten daher dieses Wort immer besser kennen lernen. Sie mussten in
das Geheimnis der Sprache eindringen, sie in ihrer Struktur verstehen. Für die
Suche nach Gott, der sich uns in der Heiligen Schrift offenbart hat, gewannen
daher die weltlichen Wissenschaften an Bedeutung, die darauf ausgerichtet sind,
die Geheimnisse der Sprachen zu ergründen. In den Klöstern entwickelte sich
folglich jene „eruditio“, welche die Bildung der Kultur ermöglich sollte.
Gerade aus diesem Grund bleibt das „quaerere Deum“, die Suche nach Gott, das
Unterwegssein zu Gott, heute wie damals der Königsweg und das Fundament jeder
wahren Kultur.
Die Architektur ist der künstlerische Ausdruck dieser Suche nach Gott,
und die Kathedrale Nôtre-Dame in Paris stellt dafür zweifellos ein Beispiel von
universalem Wert dar. Im Inneren dieses wundervollen Gotteshauses, wo ich der
Feier der Marianischen Vesper vorstehen durfte, habe ich die Priester, die
Diakone, die Ordensleute und die Seminaristen, die aus allen Teilen Frankreichs
gekommen waren, dazu aufgefordert, dem ehrfurchtsvollen Hören auf das göttliche
Wort den Vorrang einzuräumen und dabei die Jungfrau Maria als erhabenes Vorbild
anzusehen.
Auf dem Vorplatz von Nôtre-Dame habe ich dann die Jugendlichen begrüßt,
die begeistert und in großer Zahl gekommen waren. Ihnen habe ich zu Beginn
einer langen Gebetsnacht zwei Schätze des christlichen Glaubens dargelegt: den
Heiligen Geist und das Kreuz. Der Geist öffnet den menschlichen Verstand für
Horizonte, die ihn übersteigen und lässt ihn die Schönheit und die Wahrheit der
Liebe Gottes verstehen, die gerade durch das Kreuz offenbart worden ist. Eine
Liebe, von der uns nichts jemals trennen kann und die erfahren wird, indem man
das eigene Leben dem Vorbild Christi folgend hingibt.
Lourdes ist
ein Ort der Umkehr und des Gebetes
Dann ein kurzer Aufenthalt im „Institut de France“, dem Sitz der fünf
nationalen Akademien: da ich Mitglied einer der Akademien bin, habe ich mich
gefreut, hier meine Kollegen zu treffen. Mein Besuch fand schließlich seinen
Höhepunkt in der Eucharistiefeier auf der „Esplanade des Invalides“. An die
Worte des Apostels Paulus an die Korinther erinnernd, habe ich die Gläubigen in
Paris und in ganz Frankreich aufgefordert, den lebendigen Gott zu suchen, der
uns sein wahres Antlitz in Jesus gezeigt hat, welcher in der Eucharistie
gegenwärtig ist und uns dazu drängt, unsere Brüder zu lieben, so wie er uns
geliebt hat.
Dann habe ich mich nach Lourdes begeben, wo ich mich Tausenden von
Gläubigen auf dem „Jubiläumsweg“ anschließen konnte, der den Orten im Leben der
heiligen Bernadette folgt: die Pfarrkirche mit dem Taufbecken, in dem sie
getauft wurde; das „Cachot“, wo sie als Kind in großer Armut gelebt hat; die
Grotte von Massabielle, wo die Jungfrau Maria ihr ganze achtzehn Mal erschienen
ist. Abends habe ich an der traditionellen Lichterprozession teilgenommen,
einer wunderbaren Kundgebung des Glaubens an Gott und der Verehrung seiner und
unserer Mutter. Lourdes ist wirklich ein Ort des Lichts, des Gebets, der
Hoffnung und der Umkehr, gegründet auf dem Felsen der Liebe Gottes, die ihre
höchste Offenbarung im glorreichen Kreuz Christi gefunden hat.
Durch einen glücklichen Zufall hat die Liturgie am vergangenen Sonntag
der Erhöhung des Heiligen Kreuzes gedacht, des Zeichens der Hoffnung
schlechthin, da es das höchste Zeugnis der Liebe darstellt. In Lourdes lernen
die Pilger in der Schule Marias, der ersten und vollkommenen Schülerin des
Gekreuzigten, das Kreuz ihres eigenen Lebens im Licht des glorreichen Kreuzes
Christi zu sehen. Als Maria der Bernadette in der Grotte von Massabielle
erschienen ist, war ihre erste Geste das Kreuzzeichen, ruhig und schweigsam.
Es gibt keine
wahre Liebe ohne Leiden
Und Bernadette tat es ihr nach, indem sie ihrerseits das Kreuzzeichen
machte, wenn auch mit zitternder Hand. Und so hat die Muttergottes eine erste
Einführung in das Wesen des Christentums erteilt: das Kreuzzeichen ist die
Summe unseres Glaubens, und wenn wir es aufmerksam machen, dann treten wir in
das volle Geheimnis unseres Heils ein. In dieser Geste der Muttergottes liegt
die ganze Botschaft von Lourdes! Gott hat uns so sehr geliebt, dass er sich
selbst für uns hingegeben hat: das ist die Botschaft des Kreuzes, Geheimnis des
Todes und der Herrlichkeit. Das Kreuz erinnert uns daran, dass es keine wahre
Liebe ohne Leiden gibt, es gibt kein Geschenk des Lebens ohne Schmerzen. Viele
lernen diese Wahrheit in Lourdes, das eine Schule des Glaubens und der Hoffnung
ist, da es auch eine Schule der Liebe und des Dienstes für die Brüder ist. In
diesem Umfeld des Glaubens und des Gebets hat die wichtige Begegnung mit dem
französischen Episkopat stattgefunden: es war ein Augenblick intensiver
spiritueller Gemeinschaft, in dem wir der Jungrau Maria die gemeinsamen
pastoralen Erwartungen und Sorgen anvertraut haben.
Die folgende Station war dann die eucharistische Prozession mit Tausenden
von Gläubigen, unter denen sich, wie immer, zahlreiche Kranke befanden. Vor dem
Allerheiligsten Sakrament ist unsere geistige Gemeinschaft mit Maria noch
intensiver und tiefer geworden, da Sie unseren Augen und unserem Herzen erlaubt, ihren göttlichen Sohn in der heiligen Eucharistie
zu betrachten. Das Schweigen dieser Tausenden von Menschen vor dem Herrn war
bewegend; es war kein leeres Schweigen, sondern es war erfüllt vom Gebet und
vom Bewusstsein der Gegenwart des Herrn, der uns so sehr geliebt hat, dass er
für uns das Kreuz auf sich genommen hat. Montag der 15. September, an dem die
Liturgie der Schmerzen Mariens gedenkt, war schließlich in besonderer Weise den
Kranken geweiht. Nach einem kurzen Besuch in der Kapelle des Krankenhauses, wo
Bernadette die erste heilige Kommunion empfangen hat, habe ich auf dem Vorplatz
der Rosenkranzbasilika der Feier der Heiligen Messe vorgestanden, während der
ich die Krankensalbung gespendet habe. Mit den Kranken und mit allen, die sich
um sie kümmern, wollte ich über die Tränen meditieren, die Maria unter dem Kreuz
vergossen hat, sowie über ihr Lächeln, das den Ostermorgen erleuchtet.
Liebe Brüder und Schwestern, danken wir gemeinsam dem Herrn für die
Apostolische Reise, die so reich an spirituellen Gaben war. Wir wollen Ihn
besonders lobpreisen, weil Maria, indem sie der heiligen Bernadette erschienen
ist, in der Welt einen bevorzugten Ort aufgetan hat, um der göttlichen Liebe zu
begegnen, die heilt und erlöst. In Lourdes lädt die Heilige Jungfrau alle ein,
die Erde als Ort unserer Pilgerfahrt zur ewigen Heimat im Himmel zu verstehen.
In Wirklichkeit sind wir alle Pilger, wir bedürfen der Mutter, die uns führt;
und in Lourdes lädt ihr Lächeln uns dazu ein, voller Vertrauen voranzugehen, in
dem Bewusstsein, dass Gott gut ist, dass Gott die Liebe ist.