Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 18.2.9
Beda
Liebe Brüder und Schwestern!
Die Lehre und der Ruf seiner Schriften verschafften ihm
Freundschaften zu vielen der wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit, die ihn
dazu ermutigten, in seiner Arbeit fortzufahren, aus der so viele Menschen
Nutzen zogen. Auch als er krank wurde, fuhr er mit seiner Arbeit fort und
bewahrte sich immer eine innere Freude, die im Gebet und im Lobgesang zum
Ausdruck kam. Er schloss sein wichtigstes Werk, die „Historia ecclesiastica
gentis Anglorum“ mit folgendem Gebet: „Ich bitte dich, o guter Jesus, der du
mir in deiner Güte erlaubt hast, die süßen Worte deiner Weisheit aufzunehmen,
gewähre mir, in deiner Huld, eines Tages zu dir, der Quelle aller Weisheit, zu
gelangen, und immer vor deinem Angesicht zu bleiben“. Der Tod ereilte ihn am
26. Mai 735: es war der Himmelfahrtstag.
Die Heilige Schrift ist die ständige Quelle der theologischen
Reflexionen Bedas. Nach einer gründlichen und kritischen Untersuchung des
Textes (es ist uns eine Kopie des monumentalen „Codex Amiatinus“ der Vulgata
überliefert, an dem Beda arbeitete), kommentiert und liest er die Bibel in
christologischer Weise, das heißt, er verbindet zwei Dinge: auf der einen Seite
hört er genau hin, was der Text sagt, will er wirklich den Text selbst hören
und verstehen; auf der anderen Seite ist er überzeugt, dass der Schlüssel, um
die Heilige Schrift als das einzige Wort Gottes zu verstehen, Christus ist, und
mit Christus, in seinem Licht, versteht man, dass das Alte und das Neue
Testament wie „eine“ Heilige Schrift sind. Die Ereignisse des Alten und des
Neuen Testaments gehören zusammen, sie sind ein Weg zu Christus, auch wenn sie
in verschiedenen Zeichen und Institutionen zum Ausdruck kommen (es handelt sich
um das, was er als „concordia sacramentorum“ bezeichnet). So sind das
Bundeszelt, das Moses in der Wüste errichtete, sowie der erste und der zweite
Tempel von Jerusalem Bilder der Kirche, des neuen Tempels, der mit lebendigen
Steinen, die durch die Liebe des Heiligen Geistes festgefügt werden, auf Christus
und seinen Aposteln erbaut wurde. Und wie zum Bau eines antiken Tempels auch
die Heiden dadurch beitrugen, dass sie kostbares Material und die technische
Erfahrung ihrer Baumeister zur Verfügung stellten, so trugen zum Bau der Kirche
nicht nur die Apostel und die Meister bei, die jüdischer, griechischer und
römischer Herkunft waren, sondern auch die der neuen Völker, unter denen Beda
gerne die irischen Kelten und die Angelsachsen aufführt.
Der heilige Beda sieht die Universalität der Kirche wachsen, die
nicht auf eine bestimmte Kultur beschränkt ist, sondern sich aus allen Kulturen
der Welt zusammensetzt, die sich Christus öffnen und in Ihm ihren Zielpunkt
finden müssen.
Ein anderes Thema, mit dem Beda sich gerne beschäftigte, war die
Kirchengeschichte. Nachdem er sich für die Zeit, die in der Apostelgeschichte
beschrieben wird, interessiert hatte, befasste er sich mit der Zeit der
Kirchenväter und der Konzilien, davon überzeugt, dass das Wirken des Heiligen
Geistes in der Geschichte andauert. In der „Chronica Maiora“ entwirft Beda
einen Zeitplan, der die Grundlage für den allgemeinen Kalender „ab incarnatione
Domini“ wird. Bis dahin hatte man die Zeit von der Gründung der Stadt Roms an
berechnet. Beda, der erkannte, dass der wahre Bezugspunkt, das Zentrum der
Geschichte, die Geburt Christi war, hat uns diesen Kalender geschenkt, der die
Geschichte von der Menschwerdung des Herrn ausgehend liest. Er führt die ersten
sechs ökumenischen Konzilien und ihre Entwicklungen auf, stellt getreu die
christologische, die mariologische und soteriologische Lehre dar und zeigt die
monophysitische und monothelistische, die ikonoklastische und die
neopelagianische Irrlehre auf. Schließlich verfasst er mit dokumentarischer
Genauigkeit und literarischem Geschick die bereits erwähnte „Kirchengeschichte
des englischen Volkes“, aufgrund derer er als „Vater der englischen
Geschichtsschreibung“ angesehen wird. Die wesentlichen Züge der Kirche, die
Beda gerne herausstellt, sind folgende:
a) die Katholizität als Treue zur Tradition und gleichzeitige
Offenheit gegenüber den historischen Entwicklungen sowie als Suche nach der
Einheit in der Vielheit, in der Verschiedenheit der Geschichte und der
Kulturen, entsprechend den Weisungen, die Papst Gregor der Große dem Apostel
Englands, Augustinus von Canterbury, erteilt hatte;
b) die Apostolizität und die Romverbundenheit: Diesbezüglich hält
er es für besonders wichtig, alle Kirchen der irischen Kelten und der Pikten
davon zu überzeugen, gemeinsam nach dem römischen Kalender das Osterfest zu
feiern. Die von ihm wissenschaftlich durchgeführte Berechnung (De temporum
ratione), um das genaue Datum des Osterfestes und somit den gesamten Zyklus des
liturgischen Jahres zu bestimmen, ist der Bezugstext für die gesamte
katholische Kirche geworden.
Beda war auch ein berühmter Lehrer der liturgischen Theologie. In
den Predigten über die Evangelien an den Sonn- und Feiertagen entwickelt er
eine wirkliche Mystagogie und leitet die Gläubigen dazu an, freudig die
Geheimnisse des Glaubens zu feiern und sie konsequent in ihrem Leben
nachzuahmen, in Erwartung ihres vollen Sichtbarwerdens bei der Wiederkunft
Christi, wenn wir mit unserem verherrlichten Leib in einer Gabenprozession zur
ewigen Liturgie Gottes im Himmel zugelassen werden. Beda folgt dem „Realismus“
der Katechesen von Kyrill, Ambrosius und Augustinus und lehrt, dass die
Sakramente der christlichen Initiation den Gläubigen „nicht nur zum Christen,
sondern zu Christus“ machen. Jedesmal, wenn eine gläubige Seele das Wort Gottes
liebevoll aufnimmt und bewahrt, empfängt sie – in der Nachahmung Marias –
Christus von Neuem und bringt ihn von Neuem hervor.
Und jedesmal, wenn eine Gruppe von Neugetauften die österlichen Sakramente
empfängt, „erzeugt“ die Kirche sich selbst oder, um es noch kühner zu formulieren,
wird sie „Mutter Gottes“, indem sie durch das Wirken des Heiligen Geistes an
der Hervorbringung ihrer Kinder teilhat.
Dank seiner Art und Weise, Theologie zu betreiben, indem er die
Bibel, die Liturgie und die Geschichte miteinander verknüpft, hat Beda eine
aktuelle Botschaft für die verschiedenen „Lebensstände“: a) den Gelehrten
(doctores ac doctrices) ruft er zwei wesentliche Aufgaben in Erinnerung: die
Wunder des Wortes Gottes zu erforschen, um sie den Gläubigen in ansprechender
Form vorzulegen; die dogmatischen Wahrheiten so darzustellen, dass häretische
Verwicklungen vermieden werden und sich dabei an die „katholische Einfachheit“
zu halten, in der Haltung der Bescheidenen und Demütigen, denen Gott gerne die
Geheimnisse des Himmelreichs offenbart; b) die Hirten ihrerseits müssen der
Verkündigung den Vorrang einräumen, nicht nur durch die verbale oder
hagiographische Sprache, sondern auch durch Bilder, Prozessionen und
Wallfahrten. Ihnen empfiehlt Beda, sich der gesprochenen Sprache zu bedienen, so
wie er selbst, wenn er in northumbrischer Sprache das „Vater unser“ und das
„Glaubensbekenntnis“ erklärt und bis zum letzten Tag seines Lebens an einem
Kommentar zum Johannesevangelium in der Volkssprache arbeitet; c) den geweihten
Personen, die sich dem Stundengebet widmen, in der Freude der brüderlichen
Gemeinschaft leben und durch Askese und Kontemplation im geistlichen Leben
voranschreiten, empfiehlt Beda, für das Apostolat Sorge zu tragen – niemand
darf das Evangelium als ihm allein gehörig betrachten, sondern man muss es auch
als ein Geschenk für die anderen empfinden – sowohl durch die Zusammenarbeit
mit den Bischöfen bei verschiedenen pastoralen Aktivitäten zugunsten der jungen
christlichen Gemeinden, als auch durch die Bereitschaft zur Evangelisierungsmission
bei den Heiden, die außerhalb des eigenen Landes leben, als „peregrini pro
amore Dei“.
Aus dieser Perspektive stellt Beda in seinem Kommentar zum
Hohenlied die Synagoge und die Kirche gemeinsam als Mitarbeiter bei der
Verbreitung des Wortes Gottes dar. Der Bräutigam Christus möchte eine emsige
Kirche, „gebräunt von den Mühen der Evangelisierung“ – hier haben wir einen
deutlichen Hinweis auf das Wort aus dem Hohenlied (1,5), in dem die Braut sagt:
„Nigra sum sed formosa“ (Braun bin ich, doch schön) –, darum bemüht, andere
Äcker oder Weinberge urbar zu machen und unter den neuen Völkern „keine
provisorische Hütte, sondern einen festen Wohnsitz“ zu errichten, also das
Evangelium in das soziale Geflecht und in die kulturellen Einrichtungen
einzufügen.
Aus dieser Perspektive heraus ermuntert der heilige Gelehrte die
gläubigen Laien, sich eifrig um die Unterweisung im Glauben zu bemühen, und
jene „unersättlichen Scharen im Evangelium“ nachzuahmen, „die den Aposteln
nicht einmal die Zeit ließen, einen Bissen zu sich zu nehmen“. Er bringt ihnen
bei, kontinuierlich zu beten, indem sie „im Leben das nachahmen, was sie in der
Liturgie feiern“ und alles Handeln als geistliches Opfer in der Einheit mit
Christus anbieten. Den Eltern erklärt er, dass sie auch in ihrem kleinen
häuslichen Bereich „das Priesteramt des Hirten und des Führers“ ausüben können,
indem sie die Kinder christlich erziehen, und er erklärt, er kenne viele
Gläubige (Männer und Frauen, verheiratet oder unverheiratet), „die zu einer
untadeligen Führung imstande sind und die, wenn sie auf die richtige Weise
begleitet werden, täglich die Eucharistie empfangen könnten“ (Epist. ad
Ecgberctum, ed. Plummer, S. 419).
Der Ruf der Heiligkeit und der Klugheit, dessen Beda sich schon zu
Lebzeiten erfreute, brachte ihm den Titel „Venerabilis“ (der Verehrungswürdige)
ein. So bezeichnet ihn auch Papst Sergius I., als er 701 seinem Abt schreibt
und ihn bittet, ihn vorübergehend zur Beratung von Fragen allgemeinen
Interesses nach Rom zu schicken. Nach seinem Tod fanden seine Schriften in
seiner Heimat und auf dem europäischen Kontinent weite Verbreitung. Der große
Missionar Deutschlands, der heilige Bischof Bonifatius (gest. 754), bat den
Erzbischof von York und den Abt von Wearmouth mehrfach, ihm Abschriften einiger
seiner Werke zu senden, so dass auch er und seine Gefährten sich des
geistlichen Lichts erfreuen konnten, das von ihnen ausstrahlte.
Ein Jahrhundert später ging Notker der Stammler, der Abt von Sankt
Gallen (gest. 912), auf den außerordentlichen Einfluss Bedas ein und verglich
ihn mit einer neuen Sonne, die Gott nicht im Osten,
sondern im Westen habe aufgehen lassen, um die Welt zu erleuchten. Von der
rhetorischen Emphase einmal abgesehen, ist es doch eine Tatsache, dass Beda mit
seinen Werken wesentlich zum Aufbau eines christlichen Europas beigetragen hat,
in dem verschiedene Bevölkerungen und Kulturen sich miteinander vermischt und
dem Kontinent einen einheitlichen, am christlichen Glauben inspirierten
Ausdruck verliehen haben. Beten wir darum, dass es auch heute Gestalten vom
Format eines Beda gibt, die für die Einheit des ganzen Kontinents sorgen; beten
wir, dass wir alle bereit sind, unsere gemeinsamen Wurzeln wiederzuentdecken,
um ein zutiefst humanes und wirklich christliches Europa zu gestalten.