Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 21.10.09
Bernhard von Clairvaux
Liebe Brüder und Schwestern!
In denselben Jahren, vor
1130, nahm Bernhard zu vielen Menschen, sowohl wichtigen Persönlichkeiten als
auch Menschen aus bescheideneren gesellschaftlichen Verhältnissen, eine
umfangreiche Korrespondenz auf. Neben den vielen Briefen aus jener Zeit muss
man die zahlreichen Predigten erwähnen, sowie auch die Sentenzen und Traktate.
Ebenfalls auf diese Zeit geht die große Freundschaft Bernhards mit Wilhelm, dem
Abt von Saint-Thierry und mit Wilhelm von Champeaux zurück, die zu den
wichtigsten Gestalten des zwölften Jahrhunderts zählen. Von 1130 an begann er
sich mit den nicht wenigen und schwerwiegenden Fragen des Heiligen Stuhls und
der Kirche zu beschäftigen. Aus diesem Grund musste er sein Kloster – und
manchmal Frankreich – immer häufiger verlassen. Er gründete auch einige
Frauenklöster und führte einen lebhaften Briefwechsel mit Petrus Venerabilis,
dem Abt von Cluny, über den ich am vergangenen Mittwoch gesprochen habe. Seine
polemischen Schriften richteten sich vor allem gegen Abaelard, einen großen
Denker, der vor allem durch die Einführung der dialektisch-philosophischen
Methode in den Aufbau des theologischen Denkens eine neue Weise, Theologie zu
betreiben, begonnen hatte.
Eine weitere Front, an der
Bernhard kämpfte, war die Häresie der Katharer, die die Materie und den
menschlichen Leib gering achteten und folglich auch den Schöpfer. Er fühlte
sich hingegen verpflichtet, die Verteidigung der Juden zu übernehmen, und das
immer häufigere Auftreten des Antisemitismus zu verurteilen. Aufgrund dieses
Aspekts seines apostolischen Wirkens sprach Ephraim, der Rabbi von Bonn, Bernhard
einige Jahrzehnte später bewegt seine Anerkennung aus. Im selben Zeitraum
schrieb der heilige Abt seine bekanntesten Werke, wie die berühmten „Predigten
über das Hohelied“. In seinen letzten Lebensjahren – er starb im Jahr 1153 –
musste Bernhard seine Reisen einschränken, ohne sie jedoch gänzlich zu
unterbrechen. Er nutzte dies, um die endgültige Durchsicht der Gesamtheit
seiner Briefe, Predigten und Traktate vorzunehmen.
Ein besonderes Buch
verdient es, hier erwähnt zu werden, das er gerade in diesem Zeitraum, im Jahr
1145 beendete, als einer seiner Schüler, Bernardo Pignatelli, zum Papst gewählt
wurde und den Namen Eugen III. annahm. Bei dieser Gelegenheit schrieb Bernhard
in seiner Eigenschaft als geistlicher Vater diesem seinem geistlichen Sohn die
Schrift „De Consideratione“, die Lehren enthält, wie man sich als guter Papst
verhalten soll. In diesem Buch, das für die Päpste aller Zeiten eine
lohnenswerte Lektüre bleibt, erklärt Bernhard nicht nur, wie man ein guter
Papst sein kann, sondern er bringt auch eine tiefe Einsicht über das Geheimnis
der Kirche und das Geheimnis Christi zum Ausdruck, das am Ende auf die
Betrachtung des Geheimnisses des einen und dreifaltigen Gottes hinausläuft:
„Die Suche nach diesem Gott, der noch nicht genug gesucht ist, müsste noch
weitergeführt werden“, schreibt der heilige Abt, „doch vielleicht kann man ihn
durch das Gebet besser suchen und leichter finden als durch die Erörterung.
Beenden wir also hier das Buch, nicht aber die Suche“ (XIV, 32: PL 182, 808),
das Unterwegssein zu Gott.
Ich möchte hier jetzt nur
über zwei zentrale Aspekte der reichen Lehre Bernhards reden: sie betreffen
Jesus Christus und die allerseligste Jungfrau Maria, seine Mutter. Sein Bemühen
um die enge und vitale Teilhabe des Christen an der Liebe Gottes in Jesus
Christus bringt für die Theologie als Wissenschaft keinen neuen Aufschluss.
Doch entschlossener denn je gestaltet der Abt von Clairvaux den Theologen nach
dem kontemplativen und mystischen Menschen. Nur Jesus – beharrt Bernhard
angesichts der komplexen dialektischen Argumentationen seiner Zeit – nur Jesus
ist „Honig für den Mund, Gesang für die Ohren, Jubel im Herzen (mel in ore, in
aure melos, in corde iubilum)“. Gerade hieraus ergibt sich der ihm von der
Tradition zugewiesene Titel „Doctor mellifluus“: sein Lob Jesu Christi „fließt
wie Honig“. In den zermürbenden Kämpfen zwischen Nominalisten und Realisten –
zwei philosophischen Strömungen der Epoche – wiederholt der Abt von Clairvaux
unermüdlich, dass nur ein Name zählt: Jesus von Nazareth. „Trocken ist jede
Speise für die Seele“, gesteht er, „wenn sie nicht mit diesem Öl beträufelt
wird; schal, wenn sie nicht mit diesem Salz gewürzt wird. Was Du schreibst,
schmeckt nach nichts für mich, wenn ich dort nicht ,Jesus‘
lese.“ Und er schließt mit den Worten: „Wenn du argumentierst oder redest,
schmeckt es für mich nach nichts, wenn ich den Namen Jesus darin nicht
erklingen höre“ (Sermones in Cantica Canticorum XV, 6: PL 183, 847). Für
Bernhard besteht die wahre Erkenntnis Gottes in der tiefen persönlichen
Erfahrung Jesu Christi und seiner Liebe. Und das, liebe Brüder und Schwestern,
gilt für jeden Christen: Der Glaube ist vor allem persönliche, enge Begegnung
mit Jesus, er ist die Erfahrung seiner Nähe, seiner Freundschaft, seiner Liebe.
Und nur so lernt man ihn immer besser kennen, so lernt man ihn zu lieben und
ihm zu folgen. Möge das jedem von uns widerfahren!
In einer anderen berühmten
„Predigt zum Sonntag in der Oktav von Mariä Himmelfahrt“ beschreibt der heilige
Abt mit leidenschaftlichen Worten die enge Teilhabe Marias am Erlösungsopfer
des Sohnes. „O heilige Mutter“ – ruft er aus – „ein Schwert hat deine Seele
durchbohrt!... Der Schmerz hat deine Seele auf so
heftige Weise durchbohrt, dass wir dich zu Recht mehr als eine Märtyrerin
nennen können, da in dir die Teilhabe an der Passion deines Sohnes die
körperlichen Leiden des Martyriums an Stärke weit übertroffen hat“ (14: PL 183,
437–438). Für Bernhard steht zweifelsfrei fest: „per Mariam ad Iesum“, durch
Maria werden wir zu Jesus geführt. Er bezeugt klar die Unterordnung Marias
unter Jesus, nach den Grundlagen der traditionellen Mariologie. Doch der
Hauptteil der Predigt belegt auch den bevorzugten Platz der Jungfrau Maria in
der Heilsökonomie, in Folge der ganz besonderen Teilhabe der Mutter (compassio)
am Opfer des Sohnes. Nicht ohne Grund legt Dante Alighieri anderthalb
Jahrhunderte nach dem Tod Bernhards im letzten Gesang der „Göttlichen Komödie“
dem „Doctor mellifluus“ das erhabene Gebet an Maria in den Mund: „Jungfrau und
Mutter, Tochter deines Sohnes, bescheidenstes und höchstes der Geschöpfe, im
ewigen Plan bestimmt und auserwählt...“ (Paradies, Dreiunddreißigster Gesang).
Diese Betrachtungen, die
charakteristisch sind für jemanden, der in Jesus und Maria verliebt ist wie der
heilige Bernhard, provozieren auch heute noch auf eine heilsame Weise nicht nur
die Theologen, sondern alle Gläubigen. Manchmal wird der Anspruch erhoben, die
grundlegenden Fragen über Gott, über den Menschen und über die Welt allein mit
der Kraft der Vernunft zu lösen. Der heilige Bernhard hingegen, der auf dem
festen Grund der Bibel und der Kirchenväter steht, ruft uns in Erinnerung, dass
ohne einen tiefen Glauben an Gott, der durch das Gebet und die Kontemplation
gestärkt wird, sowie eine enge Beziehung zum Herrn unsere Überlegungen über die
göttlichen Geheimnisse Gefahr laufen, eine rein denkerische Übung zu werden und
ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Die Theologie verweist auf die „Wissenschaft
der Heiligen“, auf ihr intuitives Erfassen der Geheimnisse des lebendigen
Gottes sowie auf ihre Weisheit, ein Geschenk des Heiligen Geistes, die ein
Bezugspunkt des theologischen Denkens werden. Gemeinsam mit Bernhard von
Clairvaux müssen auch wir erkennen, dass der Mensch Gott durch das „Gebet“
besser sucht und leichter findet, als durch die „Erörterung“. Die reinste
Gestalt des Theologen und jedes Verkündigers bleibt schließlich die des
Apostels Johannes, der sein Haupt an das Herz des Meisters gelegt hat.
Ich möchte diese
Überlegungen über den heiligen Bernhard mit den Anrufungen an Maria
beschließen, die wir in einer seiner schönen Predigten lesen. „Bei Gefahren,
Sorgen, Ungewissheiten“ – so sagt er – „denk an Maria, rufe zu Maria. Sie sei
stets auf deinen Lippen und stets in deinem Herzen; und damit du die Hilfe
ihres Gebets erhalten kannst, vergiss niemals das Vorbild ihres Lebens. Wenn du
ihr folgst, kannst du nicht fehlen; wenn du sie bittest, kannst du nicht
verzweifeln; wenn du an sie denkst, kannst du nicht irren. Wenn sie dich
stützt, fällst du nicht; wenn sie dich beschützt, brauchst du nichts zu
fürchten; wenn sie dich führt, ermüdest du nicht; wenn sie dir wohlgesonnen
ist, wirst du ans Ziel gelangen...“ (Hom. II super „Missus est“, 17: PL 183,
70–71).