Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 16.2.11
Johannes von Kreuz
Liebe Brüder und Schwestern!
Johannes vom Kreuz wurde 1542 in dem kleinen Ort Fontiveros in der
Nähe von Ávila in Altkastilien als Sohn von Gonzalo de Yepes und Catalina
Alvarez geboren. Seine Familie war sehr arm, da der aus dem Adel Toledos
stammende Vater von zu Hause verstoßen und enterbt worden war, weil er
Catalina, eine einfache Seidenweberin geheiratet hatte. Johannes, der schon
früh den Vater verlor, zog im Alter von neun Jahren mit seiner Mutter und
seinem Bruder Francisco nach Medina del Campo in der Nähe von Valladolid, einem
Zentrum für Handel und Kultur. Hier besuchte er das „Colegio de los Doctrinos“,
wo er auch einige einfache Dienste für die Schwestern der Klosterkirche des
Konventes zur Heiligen Magdalena verrichtete. In der Folge wurde er dank seiner
menschlichen Eigenschaften und seiner schulischen Ergebnisse zunächst als
Krankenpfleger im Hospital de la Conception und dann in das soeben in Medina
del Campo gegründete Jesuitenkolleg aufgenommen: Hier trat Johannes als
Achtzehnjähriger ein und studierte drei Jahre lang Humanwissenschaften,
Rhetorik und klassische Sprachen. Am Ende seiner Ausbildung war er sich über
seine Berufung im Klaren: das Ordensleben – und unter den vielen Orden, die es
in Messina gab, fühlte er sich zum Karmel berufen.
Im Sommer 1563 begann er sein Noviziat bei den Karmeliten der
Stadt und nahm den Ordensnamen Mathias an. Im folgenden Jahr wurde er an die
angesehene Universität von Salamanca geschickt, wo er drei Jahre die Artes
liberales und Philosophie studierte. 1567 wurde er zum Priester geweiht und
kehrte nach Medina del Campo zurück, um seine erste Messe im vertrauten Kreise
seiner Familie zu feiern. Gerade hier kam es zur ersten Begegnung von Johannes
und Theresia von Jesus. Sie war für beide entscheidend: Theresia legte ihm
ihren Plan für die Reform des Karmel – auch des männlichen Zweigs – dar und
schlug Johannes vor, sich ihm „zur größeren Ehre Gottes“ anzuschließen; der
junge Priester war begeistert von der Idee Theresias und wurde ein großer
Förderer dieses Vorhabens. Mit gemeinsamen Idealen und Vorstellungen arbeiteten
die beiden einige Monate zusammen, um so bald wie möglich das erste Haus der
Unbeschuhten Karmeliten einzuweihen: Die Eröffnung erfolgte am 28. Dezember
1568 in Duruelo, einem abseits gelegenen Ort in der Provinz Ávila. Gemeinsam
mit Johannes bildeten drei weitere Gefährten diese erste reformierte männliche
Ordensgemeinschaft. Als die vier ihr Ordensgelübde nach der „Regula primitiva“
erneuerten, nahmen sie einen neuen Namen an: Johannes nannte sich damals „vom
Kreuz“, wie man ihn von da an auf der ganzen Welt kennen sollte. Ende 1572
wurde er auf Bitten der heiligen Theresia Beichtvater und Vikar des Klosters
der Menschwerdung in Ávila, in dem die Heilige Priorin war. Es waren Jahre
enger Zusammenarbeit und geistlicher Freundschaft, die beide bereicherten. Auf
jene Zeit gehen auch die wichtigsten Werke Theresias und die ersten Schriften
von Johannes zurück. Das Festhalten an einer Reform des Karmel war nicht
einfach und verursachte Johannes auch schweres Leid. Die traumatischste Episode
war im Jahr 1577 seine Entführung und seine Gefangensetzung im Kloster der
Karmeliten von Toledo, die nach einer falschen Anschuldigung erfolgte. Der
Heilige blieb monatelang im Gefängnis und war physischen Entbehrungen und
moralischen Zwängen ausgesetzt. Hier verfasste er zusammen mit weiteren
Dichtungen den berühmten „Geistlichen Gesang“. Endlich gelang es ihm in der
Nacht vom 16. auf den 17. August 1578 auf abenteuerliche Weise zu fliehen und
im Kloster der Unbeschuhten Karmeliten der Stadt Zuflucht zu finden. Die
heilige Theresia und die reformierten Gefährten feierten seine Befreiung mit
größter Freude und nach einer kurzen Zeit, in der er wieder zu Kräften kam,
wurde Johannes nach Andalusien gesandt, wo er zehn Jahre in verschiedenen
Klöstern verbrachte, vor allem in Granada. Er übernahm immer wichtigere
Aufgaben im Orden, bis er schließlich Provinzialvikar wurde, und
vervollständigte die Abfassung seiner geistlichen Traktate. Er kehrte dann als
Mitglied der Leitung der teresianischen Ordensfamilie, die sich nunmehr voller
rechtlicher Autonomie erfreute, in seine Heimat zurück. Er wohnte im Karmel von
Segovia, und bekleidete das Amt des Oberen dieser Gemeinschaft. 1591 wurde er
jeder Verantwortung enthoben und zur neuen Ordensprovinz Mexikos gesandt.
Während er sich mit anderen zehn Gefährten auf die lange Reise vorbereitete,
zog er sich in ein abgelegenes Kloster in der Nähe von Jaén zurück, wo er
schwer erkrankte. Johannes ertrug größtes Leid mit beispielhafter Ruhe und
Geduld. Er starb in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 1591, während seine
Mitbrüder die Matutin beteten. Er verabschiedete sich von ihnen mit den Worten:
„Heute werde ich das Brevier im Himmel beten“. Seine sterblichen Überreste
wurden nach Segovia überführt. Er wurde 1674 von Clemens X. selig- und 1726 von
Benedikt XIII. heiliggesprochen.
Johannes gilt als einer der bedeutendsten Dichter der spanischen
Literatur. Seine vier wichtigsten Werke sind: „Aufstieg auf den Berg Karmel“, „Dunkle
Nacht“, „Geistlicher Gesang“ und „Lebendige Flamme der Liebe“.
Im „Geistlichen Gesang“ stellt Johannes den Weg der seelischen
Läuterung, also den allmählichen freudigen Besitz Gottes dar, bis es der Seele
gelingt zu spüren, dass sie Gott mit derselben Liebe liebt, mit der sie von Ihm
geliebt wird. Die „Lebendige Flamme der Liebe“ fährt in dieser Richtung fort
und beschreibt genauer den Zustand der verwandelnden Vereinigung mit Gott. Der
von Johannes verwendete Vergleich ist immer das Feuer: Wie das Feuer – je
stärker es glüht und je mehr Holz es verzehrt, umso heißer wird es, bis es
schließlich zur Flamme wird – so ist auch der Heilige Geist, der während der
Nacht die Seele läutert und „reinigt“, sie mit der Zeit erleuchtet und sie
erwärmt, als wäre sie ein Feuer. Das Leben der Seele ist ein stetes Fest des
Heiligen Geistes, der die Herrlichkeit der Vereinigung mit Gott in der Ewigkeit
erahnen lässt.
Der „Aufstieg auf den Berg Karmel“ stellt den geistlichen Weg vom
Gesichtspunkt der allmählichen Läuterung der Seele aus dar, die notwendig ist,
um den Gipfel der christlichen Vollkommenheit zu erreichen, die durch den
Gipfel des Berges Karmel symbolisiert wird. Diese Reinigung wird wie ein Weg
dargestellt, den der Mensch antritt, indem er mit dem göttlichen Handeln
zusammenwirkt, um die Seele von jeder Gewogenheit und jeder Zuneigung zu
befreien, die dem Willen Gottes entgegenstehen. Die Reinigung, die vollkommen
sein muss, um zur liebenden Vereinigung mit Gott zu gelangen, beginnt mit der
Reinigung des sinnlichen Lebens und wird fortgeführt in der Reinigung, die man
durch die drei theologischen Tugenden erreicht: Glaube, Liebe und Hoffnung,
welche die Absicht, das Gedächtnis und den Willen reinigen. Die „Dunkle Nacht“
beschreibt den „passiven“ Aspekt, beziehungsweise das Eingreifen Gottes in
diesen Prozess der seelischen „Reinigung“. Denn das menschliche Bemühen allein
vermag es nicht, bis zu den tiefen Wurzeln der schlechten Neigungen und
Gewohnheiten der Person vorzudringen; es kann diese nur abmildern, aber nicht
völlig ausreißen. Um das zu tun, bedarf es des besonderen Wirkens Gottes, der
den Geist vollkommen reinigt und ihn für die liebende Vereinigung mit sich
bereit macht. Der heilige Johannes bezeichnet diese Reinigung gerade deshalb
als „passiv“, weil sie, wenngleich sie von der Seele angenommen wird, durch das
geheimnisvolle Wirken des Heiligen Geistes erfolgt, der als brennende Flamme
jede Unreinheit verzehrt. In diesem Zustand wird die Seele allen möglichen
Prüfungen unterzogen, als ob sie sich in einer dunklen Nacht befinde.
Diese Angaben über die wichtigsten Werke des Heiligen helfen uns,
uns den wesentlichen Punkten seiner umfassenden, tiefen mystischen Lehre zu
nähern, die das Ziel verfolgt, einen sicheren Weg zu beschreiben, um zur
Heiligkeit zu gelangen, zum Stand der Vollkommenheit, zu dem Gott uns alle
beruft. Johannes vom Kreuz zufolge ist alles, was existiert und von Gott
geschaffen ist, gut. Durch die Geschöpfe können wir dann zur Erkenntnis Dessen
gelangen, der in ihnen eine Spur von sich hinterlassen hat. Der Glaube ist
jedenfalls die einzige Quelle, die dem Menschen gegeben ist, um Gott zu
erkennen, so wie Er in sich selbst ist, als den einen und dreifaltigen Gott.
Alles, was Gott dem Menschen mitteilen wollte, hat er durch Jesus Christus,
sein fleischgewordenes Wort, gesagt. Jesus Christus ist der einzige und
endgültige Weg zum Vater (vgl. Joh 14, 6). Alles Geschaffene ist nichts im
Vergleich zu Gott und nichts ist außerhalb Seiner von Wert: Um zur vollkommenen
Liebe Gottes zu gelangen, muss sich folglich jede andere Liebe in Christus der
göttlichen Liebe anpassen. Hieraus ergibt sich, dass der heilige Johannes vom
Kreuz auf die Notwendigkeit der Reinigung und des inneren Leerwerdens drängt,
um sich Gott anzupassen, der das einzige Ziel der Vollkommenheit ist. Diese
„Reinigung“ bedeutet nicht einfach den Verzicht auf Dinge oder ihren Gebrauch;
was die Seele rein und frei macht ist vielmehr das Ausmerzen jeder ungeordneten
Abhängigkeit von den Dingen. Alles wird auf Gott als Mittelpunkt und Ziel des
Lebens hingeordnet. Der lange und mühsame Reinigungsprozess erfordert sicher
die persönliche Anstrengung, doch der wahre Protagonist ist Gott; alles, was
der Mensch tun kann, ist sich „bereit zu machen“, sich dem göttlichen Handeln
zu öffnen und ihm keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Indem der Mensch die
theologischen Tugenden lebt, erhebt er sich und gibt seinem Bemühen einen Wert.
Glaube, Liebe und Hoffnung wachsen gleichzeitig mit dem Werk der Reinigung und
der zunehmenden Vereinigung mit Gott, bis sie sich in Ihm verwandeln. Wenn man
dieses Ziel erreicht, taucht die Seele in das Leben der Dreifaltigkeit ein,
sodass der heilige Johannes behauptet, sie gelange dahin, Gott mit derselben
Liebe zu lieben, mit der Er sie liebt, da Er sie im Heiligen Geist liebt. Daher
erklärt der „Doctor Mysticus“, es gebe keine wahre liebende Vereinigung mit
Gott, wenn sie nicht in der trinitarischen Vereinigung gipfele.
In diesem höchsten Zustand erkennt die heilige Seele alles in Gott und muss
nicht mehr den Umweg über die Geschöpfe machen, um zu Ihm zu gelangen. Die
Seele fühlt sich nunmehr von der göttlichen Liebe durchströmt und erfreut sich
ganz in ihr.
Liebe Brüder und Schwestern, am Schluss bleibt die Frage: Hat
dieser Heilige mit seiner tiefen Mystik, mit diesem steilen Weg zum Gipfel der
Vollkommenheit, auch uns, den normalen Christen unter den heutigen
Lebensumständen etwas zu sagen, oder ist er nur für wenige Auserwählte ein
Beispiel, ein Vorbild, die wirklich diesen Weg der Reinigung, des mystischen
Aufstiegs antreten? Um eine Antwort zu finden, müssen wir vor allem
berücksichtigen, dass das Leben des heiligen Johannes vom Kreuz kein „Schweben
auf mystischen Wolken“, sondern vielmehr ausgesprochen hart, sowie sehr
praktisch und konkret war, sowohl als Reformer des Ordens, wo er auf soviel
Widerstand stieß, als auch als Provinzoberer oder im Gefängnis seiner
Mitbrüder, wo er unglaublichen Schmähungen und physischer Misshandlung
ausgesetzt war. Es war ein hartes Leben, doch gerade in den Monaten, die er im
Gefängnis verbrachte, hat er eines seiner schönsten Bücher geschrieben. Und so
können wir verstehen, dass der Weg mit Christus, das Gehen mit Christus, dass
dieser Weg kein zusätzliches Gewicht zu der schon ausreichend großen Bürde
unseres Lebens bedeutet, dass dieser Weg die Bürde nicht noch schwerer macht,
sondern dass er etwas vollkommen anderes ist, ein Licht, eine Kraft, die uns
hilft, diese Bürde zu tragen. Wenn ein Mensch eine große Liebe in sich trägt,
dann verleiht diese Liebe ihm gewissermaßen Flügel, und er erträgt alle
Schwierigkeiten des Lebens leichter, weil er dieses große Licht in sich trägt;
das ist der Glaube: von Gott geliebt werden und sich von Gott in Christus Jesus
lieben lassen. Dieses „sich lieben lassen“ ist das Licht, das uns hilft, unsere
tägliche Last zu tragen. Und die Heiligkeit ist nicht unser – äußerst schweres
– Werk, sondern gerade diese „Öffnung“: das Öffnen der Fenster unserer Seele,
damit das Licht Gottes hineinleuchten kann; Gott nicht vergessen, da gerade in
der Öffnung für Sein Licht Kraft gefunden wird, die Freude der Erlösten
gefunden wird. Bitten wir den Herrn, dass er uns helfe, diese Heiligkeit zu
finden, uns von Gott lieben zu lassen, wozu wir alle berufen sind und was die
wahre Erlösung darstellt. Danke