Papst Benedikt XVI. Generalaudienz am 30.12.9

Petrus Lombardus

Liebe Brüder und Schwestern!

In dieser letzten Audienz des Jahres möchte ich über Petrus Lombardus sprechen: einen Theologen, der im zwölften Jahrhundert lebte und sich großer Berühmtheit erfreute, da eines seiner Werke mit dem Titel „Sentenzen“ viele Jahrhunderte lang als Handbuch der Theologie verwendet wurde.

Wer also war Petrus Lombardus? Auch wenn nur wenige Angaben über sein Leben vorliegen, können wir dennoch die wesentlichen Linien seiner Biographie nachzeichnen. Er wurde zwischen dem elften und dem zwölften Jahrhundert in der Nähe von Novara in Norditalien geboren, in einem Gebiet, das ehemals den Langobarden gehört hatte: eben aus diesem Grund wurde ihm der Beiname „Lombardus“ gegeben. Er gehörte zu einer Familie, die in einfachen Verhältnissen lebte, wie wir aus dem Empfehlungsschreiben schließen können, das Bernhard von Clairvaux an Gilduin, den Oberen der Abtei Sankt Viktor in Paris, schrieb, um diesen darum zu bitten, Petrus, der sich aus Studiengründen in jene Stadt begeben wollte, kostenlos zu beherbergen. Auch im Mittelalter war es nicht nur den Adeligen und Reichen vorbehalten, zu studieren, um wichtige Aufgaben im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben einzunehmen, sondern Menschen aus einfachen Verhältnissen hatten ebenfalls diese Möglichkeit, wie etwa Gregor VII., der Papst, der Kaiser Heinrich IV. die Stirn bot, oder Maurice de Sully, der Erzbischof von Paris, der Notre-Dame erbauen ließ und Sohn eines armen Bauern war.

Petrus Lombardus begann sein Studium in Bologna, begab sich dann nach Reims und schließlich nach Paris. Von 1140 an lehrte er in der angesehenen Schule von Notre-Dame. Als Theologe geachtet und geschätzt, wurde er acht Jahr später von Papst Eugen III. beauftragt, die Lehre Gilberts von Poitiers zu prüfen, die zahlreiche Diskussionen hervorgerufen hatte, da sie als nicht ganz rechtgläubig angesehen wurde. Nach seiner Priesterweihe wurde er 1159 zum Bischof von Paris ernannt – ein Jahr vor seinem Tod, der im Jahr 1160 erfolgte.

Dieser synthetische Blick und die klare, geordnete, schematische und stets konsequente Darstellung erklären den außergewöhnlichen Erfolg der „Sentenzen“

Wie alle theologischen Lehrmeister seiner Zeit schrieb auch Petrus Reden und Texte mit Kommentaren zur Heiligen Schrift. Sein Hauptwerk bilden jedoch die vier Bücher der „Sentenzen“. Es handelt sich um einen Text, der aus der Lehre hervorgegangen sowie auf diese ausgerichtet ist. Nach der zu jener Zeit verwendeten theologischen Methode, musste man vor allem die Gedanken der Kirchenväter und anderer als maßgeblich geltender Verfasser kennen, studieren und kommentieren. Petrus stellte daher eine äußerst umfangreiche Dokumentation zusammen, die vor allem die Lehre der großen lateinischen Kirchenväter – besonders des heiligen Augustinus – enthielt und für den Beitrag der Theologen seiner eigenen Zeit offen war. Er benutzte unter anderem auch ein enzyklopädisches Werk der griechischen Theologie, das seit kurzem im Westen bekannt geworden war: die „Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens“, die Johannes von Damaskus verfasst hatte.

Das große Verdienst des Petrus Lombardus besteht darin, das ganze Material, das er gesammelt und sorgfältig ausgewählt hatte, in einer systematischen und wohlgestalteten Übersicht geordnet zu haben. Tatsächlich besteht eine der Charakteristiken der Theologie darin, das Glaubensgut auf einheitliche und geordnete Weise zu gliedern. Er teilte daher die Sentenzen, also die patristischen Quellen über die verschiedenen Fragen, in vier Bücher auf. Das erste Buch behandelt Gott und das trinitarische Geheimnis; das zweite das Werk der Schöpfung, die Sünde und die Gnade; das dritte das Geheimnis der Menschwerdung und des Erlösungswerks, mit einer ausführlichen Darstellung der Tugenden. Das vierte Buch ist den Sakramenten und den letzten Dingen („novissima“), den Dingen des Ewigen Lebens gewidmet.

Die Gesamtschau, die daraus entsteht, umfasst fast alle Wahrheiten des katholischen Glaubens. Dieser synthetische Blick und die klare, geordnete, schematische und stets konsequente Darstellung erklären den außergewöhnlichen Erfolg der „Sentenzen“ des Petrus Lombardus. Sie ermöglichten den Studenten ein zuverlässiges Lernen und boten den Lehrern, die sich ihrer bedienten, viel Platz zur Vertiefung. Ein franziskanischer Theologe, Alexander von Hales, der eine Generation nach Petrus lebte, führte eine weitere Unterteilung in dessen „Sentenzen“ ein, die deren Konsultation und Studium einfacher machten. Auch die bedeutendsten Theologen des dreizehnten Jahrhunderts, Albertus Magnus, Bonaventura und Thomas von Aquin, begannen ihre akademische Laufbahn damit, dass sie die vier Bücher der „Sentenzen“ des Petrus Lombardus kommentierten und mit ihren Gedanken bereicherten. Der Text des Lombardus war bis zum sechzehnten Jahrhundert in allen Schulen der Theologie in Gebrauch.

Ich möchte hervorheben, dass die organische Darstellung des Glaubens eine unverzichtbare Erfordernis ist. Auf diese Weise erleuchten die einzelnen Glaubenswahrheiten einander, und in ihrer einheitlichen Gesamtschau erscheint die Harmonie des göttlichen Heilsplans und die Zentralität des Christusgeheimnisses. Ich lade alle Theologen und Priester dazu ein, sich – dem Beispiel des Petrus Lombardus folgend – gegen die heutigen Gefahren der Fragmentierung oder der Entwertung einzelner Wahrheiten immer die Gesamtschau der christlichen Lehre vor Augen zu halten. Der Katechismus der Katholischen Kirche sowie auch das Kompendium des Katechismus bieten uns eben dieses vollständige Bild der christlichen Offenbarung, die glaubend und dankbar angenommen werden muss.

Ich möchte daher auch die einzelnen Gläubigen und die christlichen Gemeinschaften dazu ermutigen, von diesen Hilfsmitteln Gebrauch zu machen, um die Inhalte unseres Glaubens kennenzulernen und zu vertiefen. So wird er uns wie eine wunderbare Sinfonie erscheinen, die von Gott und von seiner Liebe spricht und auf unsere feste Zustimmung und unsere tatkräftige Antwort drängt.

Um sich eine Vorstellung von dem Interesse zu machen, das die Lektüre der „Sentenzen“ des Petrus Lombardus auch heute noch hervorrufen kann, möchte ich zwei Beispiele nennen. Petrus lässt sich von einem Kommentar des heiligen Augustinus zum Buch der Genesis anregen und fragt sich nach dem Grund, warum die Erschaffung der Frau aus der Rippe und nicht aus dem Kopf oder aus den Füßen Adams erfolgt. Und er erklärt: „Hier wurde nicht eine Herrin und auch keine Sklavin des Mannes, sondern eine Gefährtin geformt“ (Sentenzen 3, 18, 3). Dann fügt er, immer noch auf der Grundlage der patristischen Lehre hinzu: „In diesem Handeln wird das Geheimnis Christi und der Kirche dargestellt. So wie die Frau aus der Rippe Adams geformt wurde, während dieser schlief, so ist die Kirche aus den Sakramenten entstanden, die aus der Seite Christi zu strömen begannen, der am Kreuz schlief, also aus dem Blut und aus dem Wasser, mit dem wir von der Strafe erlöst und von der Schuld geläutert werden“ (Sentenzen 3, 18, 4). Das sind bedeutende Gedanken, die auch heute, nachdem die Theologie und die christliche Ehespiritualität die Analogie der bräutlichen Beziehung zwischen Christus und seiner Kirche stark vertieft haben, noch Gültigkeit besitzen.

In einem anderen Abschnitt seines Hauptwerks stellt sich Petrus Lombardus bei der Behandlung der Verdienste Christi die Frage: „Aus welchem Grund also wollte er [Christus] leiden und sterben, wenn seine Tugenden bereits ausreichten, ihm alle Verdienste einzubringen?“ Die Antwort ist eindringlich und klar: „Für dich – nicht für sich selbst!“. Dann fährt er mit einer weiteren Frage und einer weiteren Antwort fort, die die Diskussionen wiederzugeben scheinen, die während der Stunden der theologischen Lehrmeister des Mittelalters geführt wurden: „Und in welchem Sinn hat er für mich gelitten und ist er für mich gestorben? Damit seine Leiden und sein Tod Vorbild und Grund für dich seien. Ein Vorbild an Tugend und Demut sowie Grund der Herrlichkeit und der Freiheit; Vorbild des bis zum Tode gehorsamen Gottes und Grund deiner Befreiung und deiner Seligkeit“ (Sentenzen 3, 18, 5).

„Die späteren Theologen haben von dieser Sicht nicht mehr abgelassen und auch die Unterscheidung zwischen materiellem und formalem Element  beibehalten“

Unter den wichtigsten Beiträgen, die Petrus Lombardus für die Geschichte der Theologie geleistet hat, möchte ich an seine Abhandlung über die Sakramente erinnern, die er, so möchte ich sagen, definitiv bestimmt hat: „Im eigentlichen Sinne wird das als Sakrament bezeichnet, was Zeichen der Gnade Gottes und sichtbare Form der unsichtbaren Gnade ist, sodass es das Bild der Gnade trägt und deren Ursache ist“ (4, 1, 4). Mit dieser Begriffsbestimmung erfasst Petrus Lombardus das Wesen der Sakramente: sie sind Ursache der Gnade, sie haben die Fähigkeit, das göttliche Leben wirklich mitzuteilen. Die späteren Theologen haben von dieser Sicht nicht mehr abgelassen und auch die Unterscheidung zwischen materiellem und formalem Element beibehalten, die vom „Magister sententiarum“ eingeführt worden war, wie Petrus Lombardus genannt wurde.

Das materielle Element ist die spürbare und sichtbare Wirklichkeit, das formale Element bilden die vom geweihten Diener gesprochenen Worte. Beide sind wesentlich für eine vollständige und gültige Feier der Sakramente: die Materie, die Wirklichkeit, mit der uns der Herr sichtbar berührt, und das Wort, das die geistliche Bedeutung verleiht. In der Taufe etwa ist das materielle Element das Wasser, das über das Haupt des Kindes gegossen wird, und das formale Element bilden die Worte: „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Petrus Lombardus erklärte im übrigen, dass nur die Sakramente die göttliche Gnade auf objektive Weise vermitteln und dass es ihrer sieben sind: die Taufe, die Firmung, die Eucharistie, die Buße, die Krankensalbung, die Weihe und die Ehe“ (vgl. Sentenzen, 4, 2, 1).

Liebe Brüder und Schwestern, es ist wichtig zu erkennen, wie wertvoll und unerlässlich für jeden Christen das sakramentale Leben ist, in dem der Herr uns durch diese Materie in der Gemeinschaft der Kirche berührt und verwandelt. Wie es im Katechismus der Katholischen Kirche heißt, sind die Sakramente „,Kräfte..., die vom stets lebendigen und lebensspendenden Leibe Christi ausgehen, und Taten des Heiligen Geistes“ (vgl. Nr. 1116). In diesem Priesterjahr, das wir feiern, fordere ich die Priester und vor allem die Seelsorger dazu auf, selbst als erste ein intensives sakramentales Leben zu führen, um den Gläubigen eine Hilfe zu sein. Möge die Feier der Sakramente von Würde und Anstand geprägt sein und möge sie die persönliche Sammlung und die gemeinschaftliche Teilnahme, das Gefühl für die Gegenwart Gottes und den missionarischen Eifer fördern. Die Sakramente sind der große Schatz der Kirche und jedem von uns fällt die Aufgabe zu, sie mit geistlicher Frucht zu feiern. In ihnen berührt ein immer wieder erstaunliches Ereignis unser Leben: Christus kommt uns durch die sichtbaren Zeichen entgegen, reinigt uns, verwandelt uns und lässt uns an seiner göttlichen Freundschaft teilhaben.

Liebe Freunde, wir sind am Ende dieses Jahres angelangt und stehen kurz vor dem Neuen Jahr. Ich wünsche Euch, dass die Freundschaft unseres Herrn Jesus Christus Euch an jedem Tag des nun beginnenden Jahres begleiten möge. Möge diese Freundschaft Christi uns Licht und Führung sein und uns helfen, Menschen des Friedens, Seines Friedens zu sein. Euch allen ein gutes Neues Jahr!

 

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