Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 14.3.12
Gebet in der Apostelgeschichte: Das
Vorbild Marias
Liebe Brüder und Schwestern!
Die Anfänge des Weges der Kirche werden vor allem durch das Wirken des
Heiligen Geistes, der die Apostel zu Zeugen des Auferstandenen bis hin zum
Vergießen des Blutes verwandelt, und von der raschen Verbreitung des Wortes
Gottes nach Osten und nach Westen hin bestimmt. Bevor sich jedoch die
Verkündigung des Evangeliums verbreitet, berichtet Lukas über das Ereignis der
Himmelfahrt des Auferstandenen (vgl. Apg 1, 6–9). Der Herr vertraut den Jüngern
das Programm ihres der Evangelisierung geweihten Daseins an und sagt: „Ihr
werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird;
und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien
und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8). In Jerusalem sind die Apostel, die
durch den Verrat Judas Iskariots nur noch elf sind, im Haus versammelt, um zu
beten, und gerade im Gebet erwarten sie die vom auferstandenen Christus
verheißene Gabe, den Heiligen Geist.
Im Zusammenhang mit dieser Erwartung zwischen Himmelfahrt und Pfingsten
erwähnt der heilige Lukas zum letzten Mal Maria, die Mutter Jesu, und ihre
Familienangehörigen (V. 14). Maria hat er den Anfang seines Evangelium
gewidmet, von der Verkündigung des Engels bis zur Geburt und Kindheit des
menschgewordenen Gottessohnes. Mit Maria beginnt das irdische Leben Jesu und
mit Maria beginnen auch die ersten Schritte der Kirche; beide Momente werden
durch das Hören auf Gott, durch die Sammlung bestimmt. Heute jedoch möchte ich
mich mit der betenden Gegenwart der Jungfrau Maria in der Gruppe der Jünger
befassen, die die erste, im Entstehen begriffene Kirche darstellen. Maria hat
auf diskrete Weise den ganzen Weg ihres Sohnes während seines öffentlichen
Wirkens bis unter das Kreuz begleitet, und nun begleitet sie mit stillem Gebet
den Weg der Kirche.
Bei der Verkündigung im Haus von Nazareth empfängt Maria den Engel
Gottes, achtet auf seine Worte, nimmt sie an und antwortet auf den göttlichen
Plan, indem sie ihre vollkommene Bereitschaft zeigt: „Ich bin die Magd des
Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38).
Gerade aufgrund ihrer inneren Haltung des Hörens vermag Maria ihre
Geschichte zu lesen und demütig zu erkennen, dass es der Herr ist, der wirkt.
Beim Besuch ihrer Verwandten Elisabeth bricht Sie in ein Gebet des Lobpreises
und der Freude aus, der Verherrlichung der göttlichen Gnade, die ihr Herz und
ihr Leben erfüllt hat, indem sie sie zur Mutter des Herrn gemacht hat (vgl. Lk
1, 46–55). Preis, Dank, Freude: im Lobgesang des Magnifikat blickt Maria nicht
nur auf das, was Gott in ihr gewirkt hat, sondern auch auf das, was er in der
Geschichte vollbracht hat und weiterhin vollbringt. Der heilige Ambrosius lädt
in einem berühmten Kommentar zum Magnifikat dazu ein, in eben diesem Geist zu
beten und schreibt: „In jeder [Seele] sei Marias Seele, dass sie ,groß mache
den Herrn‘, in jeder sei der Geist Marias, dass er ,frohlocke in Gott!‘“
(Expositio Evangelii secundum Lucam II, 2, 26: PL 15, 1561).
Auch im Abendmahlssaal in Jerusalem, im „Obergemach, wo die Jünger Jesu
nun ständig blieben“ (vgl. Apg 1, 13), in einem Klima des Hörens und des
Gebets, ist Sie zugegen, bevor die Türen aufgerissen werden und die Jünger
beginnen, Christus, den Herrn, allen Völkern zu verkünden und zu lehren, alles
zu befolgen, was Er geboten hatte (vgl. Mt 28, 19–20). Die Abschnitte auf dem
Weg Marias, vom Haus in Nazareth zu dem in Jerusalem, über das Kreuz, wo der
Sohn ihr den Apostel Johannes anvertraut, zeichnen sich durch das Vermögen aus,
eine stete Haltung der Sammlung beizubehalten, um vor Gott in der Stille ihres
Herzens über jedes Ereignis nachzudenken (vgl. Lk, 2, 19–51) und im Nachdenken
vor Gott auch den Willen Gottes zu verstehen und fähig zu werden, ihn innerlich
anzunehmen. Die Gegenwart der Mutter Gottes bei den Elfen – nach der
Himmelfahrt – ist also nicht eine einfache historische Randbemerkung über etwas
Vergangenes, sondern ihr kommt eine äußerst wichtige Bedeutung zu, da Sie mit
ihnen das Kostbarste teilt, das es gibt: das lebendige Andenken an Jesus im
Gebet; Sie teilt diese Sendung Jesu: das Andenken an Jesus bewahren und so
Seine Gegenwart bewahren.
Der letzte Hinweis auf Maria in den beiden Schriften des heiligen Lukas
ist an einem Samstag angesiedelt: der Tag der Ruhe Gottes nach der Schöpfung,
der Tag der Stille nach dem Tod Jesu und der Erwartung seiner Auferstehung. In
dieser Episode ist die Tradition der Mariensamstage verwurzelt. Zwischen der
Himmelfahrt des Auferstandenen und dem ersten Pfingstfest der Christen
versammeln sich die Apostel und die Kirche mit Maria, um mit Ihr die Gabe des
Heiligen Geistes zu erwarten, ohne die man nicht zu Zeugen werden kann. Sie,
die diese Gabe schon empfangen hat, um das fleischgewordene Wort zu gebären,
teilt mit der ganzen Kirche die Erwartung eben dieser Gabe, damit im Herzen
jedes Gläubigen „Christus Gestalt annimmt“ (vgl. Gal 4, 19). Wenn es ohne
Pfingsten keine Kirche gibt, so gibt es ohne die Mutter Jesu auch kein
Pfingsten, da Sie auf einzigartige Weise das gelebt hat, was die Kirche jeden
Tag unter dem Wirken des Heiligen Geistes erfährt.
Der heilige Chromatius von Aquileia kommentiert den Hinweis aus der
Apostelgeschichte auf folgende Weise: „Es versammelt sich also die Kirche im
Obergemach, gemeinsam mit Maria, der Mutter Jesu, und gemeinsam mit seinen
Brüdern. Man kann also nicht von Kirche sprechen, wenn Maria, die Mutter des
Herrn, nicht zugegen ist... Die Kirche Christi ist dort, wo die Menschwerdung
Christi aus der Jungfrau verkündet wird, und wo die Apostel verkünden, die
Brüder des Herrn sind, dort hört man das Evangelium (Sermo 30,1: SC 164, 135).
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in besonderer Weise diese Verbindung
hervorheben wollen, die im gemeinsamen Beten Marias mit den Aposteln am selben
Ort in der Erwartung des Heiligen Geistes sichtbar wird. Die dogmatische
Konstitution Lumen gentium erklärt: „Da es aber Gott gefiel, das Sakrament des
menschlichen Heils nicht eher feierlich zu verkünden, als bis er den
verheißenen Heiligen Geist ausgegossen hatte, sehen wir die Apostel vor dem
Pfingsttag ,einmütig in Gebet verharren mit den Frauen und Maria, der Mutter
Jesu, und seinen Brüdern‘ (Apg 1, 14) und Maria mit ihren Gebeten die Gabe des
Geistes erflehen, der sie schon bei der Verkündigung überschattet hatte“ (Nr.
59). Der bevorzugte Platz Marias ist die Kirche, wo sie „als überragendes und
völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch als ihr Typus und klarstes
Urbild im Glauben und in der Liebe“ (ebd., Nr. 53) erkannt wird.
Die Mutter Jesu in der Kirche zu verehren bedeutet also, von Ihr zu
lernen, betende Gemeinschaft zu sein: Das ist eines der wesentlichen Merkmale
in der ersten Beschreibung der christlichen Gemeinschaft, die in der
Apostelgeschichte dargestellt wird (vgl. 2, 42). Häufig wird das Gebet von
einer schwierigen Situation diktiert, von persönlichen Problemen, die dazu
führen, sich an den Herrn zu wenden, um Licht, Trost und Hilfe zu finden. Maria
lädt dazu ein, die Dimensionen des Betens zu öffnen, sich nicht nur in der Not
und nicht nur für sich selbst an Gott zu wenden, sondern einmütig, beharrlich,
treu, mit „einem Herz und einer Seele“ (vgl. Apg 4, 32).
Liebe Freunde, das menschliche Leben macht verschiedene, häufig
schwierige und anstrengende Phasen durch, die unaufschiebbare Entscheidungen,
Verzicht und Opfer erfordern. Die Mutter Jesu ist vom Herrn in entscheidende
Momente der Heilsgeschichte gestellt worden und hat immer mit vollkommener
Bereitschaft zu antworten vermocht, Frucht einer tiefen Verbindung zu Gott, die
im unermüdlichen und innigen Gebet gereift ist. Zwischen dem Freitag des
Leidens und dem Sonntag der Auferstehung ist Ihr der Lieblingsjünger und mit
ihm die ganze Gemeinschaft der Jünger anvertraut worden (vgl. Joh 19, 26).
Zwischen der Himmelfahrt und Pfingsten findet Sie sich mit und in der Kirche im
Gebet (vgl. Apg 1, 14). Als Mutter Gottes und Mutter der Kirche übt Maria diese
ihre Mutterschaft bis ans Ende der Zeiten aus. Vertrauen wir ihr jeden
Abschnitt unseres persönlichen und kirchlichen Lebens an, nicht zuletzt den
unseres Todes. Maria lehre uns die Notwendigkeit des Gebets und zeige uns, wie
wir nur über eine ständige, innige, von Liebe erfüllte Verbindung zu ihrem Sohn
mutig aus „unserem Haus“, aus uns selbst heraustreten können, um die Grenzen
der Welt zu erreichen und überall Jesus, den Herrn, den Erlöser der Welt, zu
verkünden. Danke.