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Fernsehinterview
in Castelgandolfo mit vier deutschen Journalisten
Erstmals in seinem Pontifikat
stellte sich Papst Benedikt XVI. in einem Fernsehinterview den Fragen deutscher
Journalisten. Gerhard Fuchs, Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, Thomas
Bellut, ZDF-Programmchef, Pater Eberhard von Gemmingen SJ, Leiter der deutschen
Sektion bei Radio Vatikan und Christoph Lanz, Direktor von Deutsche-Welle-TV
sprachen mit dem Heiligen Vater in Castelgandolfo.
Heiliger Vater, im September besuchen Sie Deutschland,
genauer gesagt, natürlich Bayern. "Der Papst hat Sehnsucht nach seiner Heimat",
haben ihre Mitarbeiter während der Vorbereitung berichtet. Welche Themen wollen
Sie besonders ansprechen, und gehört der Begriff "Heimat" auch zu den Werten,
die Sie den Menschen besonders nahebringen wollen?
Ja,
das auf jeden Fall. Der Grund des Besuchs war eigentlich eben doch wirklich
der, dass ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte, wo ich groß
geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen
Menschen danken wollte. Und dann natürlich auch eine Botschaft ausrichten, die
über das eigene Land hinausgeht, wie es meinem Auftrag entspricht. Die Themen
habe ich mir ganz schlicht von den liturgischen Daten vorgeben lassen. Das
Grundthema ist eigentlich, dass wir Gott wieder entdecken müssen und nicht
irgendeinen Gott, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz, denn wenn
wir Jesus Christus sehen, sehen wir Gott. Dass wir von daher dann die Wege zueinander
finden müssen in der Familie, zwischen den Generationen; und dann zwischen den
Kulturen, den Völkern, und die Wege der Versöhnung und des friedlichen
Miteinanders in dieser Welt. Die Wege, die nach vorn führen, finden wir nicht,
wenn wir nicht sozusagen Licht von oben haben. Ich habe also keine ganz
spezifischen Themen ausgewählt, sondern die Liturgie leitet mich, die
Grundbotschaft des Glaubens zu sagen, die natürlich in der Aktualität von heute
verortet ist, in der wir vor allen Dingen nach der Zusammenarbeit der Völker,
nach den Möglichkeiten der Versöhnung und des Friedens fragen.
Als Papst sind Sie ja zuständig für die gesamte Kirche in
der ganzen Welt. Aber ihr Besuch in Deutschland lenkt natürlich auch den Blick
auf die Situation der Katholiken in Deutschland. Alle Beobachter sind sich
einig: die Stimmung ist gut, nicht zuletzt durch ihre Wahl. Aber die alten
Probleme, die sind natürlich geblieben, zum Beispiel nur einige Schlagworte:
Immer weniger Kirchgänger, immer weniger Taufen, überhaupt immer weniger
Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Wie sieht Ihre Beschreibung der
aktuellen Lage der katholischen Kirche in Deutschland aus?
Nun,
ich würde zunächst sagen, Deutschland gehört zum Westen, wenn auch mit seiner
ganz spezifischen Färbung und Tönung. Und in der Welt des Westens erleben wir
ja heute eine neue Welle einer drastischen Aufklärung oder Laizität, wie immer
Sie das nennen wollen. Glaube ist schwierig geworden, weil die Welt, die wir
antreffen, ganz von uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr
direkt vorkommt. Ihr trinkt nicht aus der Quelle, sondern aus dem, was uns
schon abgefüllt entgegenkommt. Die Menschen haben die Welt sich selber
rekonstruiert, und Ihn dahinter noch zu finden, ist schwierig geworden. Das ist
also nicht spezifisch für Deutschland, sondern etwas, was sich in der ganzen
Welt, vor allen Dingen in der westlichen Welt zeigt. Andererseits wird der
Westen jetzt stark berührt von anderen Kulturen, in denen das originär
Religiöse sehr stark ist, die auch erschrecken über die Kälte Gott gegenüber,
die sie im Westen vorfinden. Und diese Präsenz des Heiligen in anderen
Kulturen, wenn auch in vielfältigen Verschattungen, rührt dann auch wieder an
die westliche Welt, rührt uns an, die wir im Kreuzungspunkt so vieler Kulturen
stehen. Und auch aus dem Eigenen des Menschen im Westen und in Deutschland
steigt immer wieder die Frage nach etwas Größerem auf. Wir sehen das in der
Jugend, bei der doch ein Suchen nach Mehr da ist, dass irgendwo das Phänomen
Religion, wie man sagt, wiederkehrt, auch wenn die Suchbewegungen oft eher
unbestimmt sind. Aber die Kirche ist damit wieder da, der Glaube bietet sich
als Antwort an. Und ich denke, dass eben gerade dieser Besuch, wie schon vorher
Köln, eine Gelegenheit ist, dass man sieht, dass es schön ist zu glauben, dass
die Freude einer großen, universalen Gemeinschaft etwas Tragendes hat, dass
dahinter etwas steht und dass so mit neuen Suchbewegungen auch neue Aufbrüche
zum Glauben da sind, die uns zueinander führen und die dann auch der
Gesellschaft im Ganzen dienen.
Heiliger Vater, vor einem Jahr genau waren Sie in Köln
bei der Jugend; und da haben Sie, glaube ich, auch mitbekommen, dass die Jugend
wahnsinnig aufnahmebereit ist, dass Sie persönlich sehr gut angekommen sind.
Haben Sie bei dieser Reise vielleicht auch eine spezielle Botschaft an die
jungen Leute?
Ich
würde zunächst einmal sagen: Die Botschaft ist: Ich freu' mich, dass es junge
Menschen gibt, die beieinander sein wollen, die im Glauben beieinander sein
wollen, und die eben etwas Gutes tun wollen. Denn die Bereitschaft zum Guten
ist in der Jugend sehr stark. Die vielen Volontariate! Die Suche, in den Nöten
dieser Welt selbst auch etwas auszurichten, ist etwas Großes. Darin zu
ermutigen, wäre ein erster Impuls: Macht weiter! Sucht nach Gelegenheiten,
Gutes zu tun! Die Welt braucht solchen Willen, braucht solchen Einsatz. Und
dann würde ich sagen, ein spezielles Wort wäre vielleicht: Der Mut zu
endgültigen Entscheidungen! Es ist viel Großmut in der Jugend da, aber das
Risiko, sich ein Leben lang zu binden, sei's in der Ehe, sei's im Priestertum,
das wird gescheut. Die Welt ist in dramatischer Bewegung. Ständig. Kann ich
jetzt schon über das ganze Leben mit seinen unabsehbaren künftigen Ereignissen
verfügen? Binde ich da nicht meine Freiheit selber und nehme etwas von meiner
Beweglichkeit weg? Den Mut zu wecken, endgültige Entscheidungen zu wagen, die
in Wirklichkeit erst Wachstum und Vorwärtsbewegung, das Große im Leben
ermöglichen, die nicht die Freiheit zerstören, sondern ihr erst die richtige
Richtung im Raum geben: das zu riskieren – diesen Sprung sozusagen ins
Endgültige – und damit das Leben erst richtig ganz anzunehmen, das würde ich
schon gern weitergeben.
Heiliger Vater, eine Frage zur außenpolitischen Situation.
Die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten ist in den vergangenen Wochen wieder
erheblich geringer geworden. Welche Möglichkeiten sehen Sie für den Heiligen
Stuhl hier in Anbetracht der aktuellen Situation? Wie können Sie die Situation,
die Entwicklung im Nahen Osten positiv beeinflussen?
Wir
haben natürlich keine politischen Möglichkeiten, und wir wollen auch keine
politische Macht. Aber wir wollen an die Christen und an alle, die sich dem
Wort des Heiligen Stuhls irgendwie verbunden oder von ihm angesprochen wissen,
appellieren, dass dort überall die Kräfte mobilisiert werden, die erkennen:
Krieg ist für alle die schlechteste Lösung. Er bringt für niemanden etwas, auch
für die scheinbaren Sieger nichts – wir wissen es in Europa von den beiden
Weltkriegen her sehr genau –, sondern das, was alle brauchen, ist der Friede.
Und es gibt ja eine starke christliche Gemeinschaft im Libanon, es gibt unter
den Arabern Christen, es gibt in Israel Christen, und Christen der ganzen Welt
sorgen sich um diese uns allen teuren Länder. Die moralischen Kräfte, die da
bereit sind, um einsichtig zu machen, dass die einzige Lösung ist: "Wir müssen
miteinander leben", die wollen wir mobilisieren. Die Politiker müssen dann die
Wege finden, wie das möglichst schnell und vor allen Dingen dauerhaft geschehen
kann.
Als Bischof von Rom sind Sie Nachfolger des Heiligen
Petrus. Wie könnte denn das Petrusamt heute zeitgemäß aussehen. Und sehen Sie
einen Spannungsbogen auch zwischen einerseits dem Primat des Papstes und
andererseits der Vorstellung von der Kollegialität der Bischöfe?
Ein
Spannungsbogen ist es natürlich, und soll es auch sein. Vielheit und Einheit
müssen immer wieder zueinander finden, und dieses Zueinander muss in den
wechselnden Weltsituationen auch immer neu eingespielt werden. Ja, heute haben
wir eine neue Polyphonie der Kulturen, in der nicht mehr Europa allein
determiniert, sondern die Christengemeinden der verschiedenen Kontinente ihr
eigenes Gewicht, ihre eigene Farbe annehmen. Dieses Zusammenspiel müssen wir
immer wieder neu lernen. Wir haben dafür verschiedene Instrumente entwickelt.
Die so genannten Ad-Limina-Besuche, die es immer gab, werden jetzt viel mehr
genutzt, um wirklich mit allen Instanzen des Heiligen Stuhls und eben auch mit
mir zu reden. Ich spreche mit jedem einzelnen Bischof persönlich. Ich habe
inzwischen mit fast allen Bischöfen Afrikas und vielen aus Asien sprechen
können. Jetzt wird Mitteleuropa, Deutschland, Schweiz dran sein, und in solchen
Begegnungen, wo dann eben wirklich Zentrum und Peripherie einander treffen und
freimütig austauschen, wächst dann das richtige Ineinander in diesem
Spannungsbogen. Dann haben wir weitere Instrumente: die Synode, das
Konsistorium, das ich jetzt regelmäßig halten werde und entwickeln möchte, wo
man ohne große Tagesordnung anstehende Probleme miteinander bespricht und nach
Lösungen sucht. Wir wissen einerseits, dass der Papst kein absoluter Monarch
ist, sondern sozusagen das Ganze verkörpern muss in dem gemeinsamen Hinhören
auf Christus. "Der Katholizismus ist nicht eine Ansammlung von Verboten,
sondern eine positive Option" Aber das Bewusstsein dafür, dass es sozusagen
eine vereinigende Instanz braucht, die auch Unabhängigkeit von den politischen
Kräften verschafft und die dafür sorgt, dass sich Christianismen nicht zu sehr
mit Nationalitäten identifizieren: diese Einsicht, dass es eine solche
übergreifende Instanz braucht, die im Zusammenspiel des Ganzen Einheit schafft
und andererseits die Vielheit aufnimmt, annimmt und fördert, die ist sehr
stark. Insofern gibt es in dem Sinn, glaube ich, wirklich auch eine innere
Zustimmung zum Petrusamt in dem Willen, es so weiterzuentwickeln, dass es dem
Willen des Herrn und den Anforderungen der Zeit entspricht.
Deutschland als Land der Reformation ist natürlich in
besonderer Weise vom Miteinander der Konfessionen geprägt. Das ökumenische
Miteinander ist natürlich ein sensibles Gebilde, das immer mal wieder in
Schwierigkeiten geraten kann. Welche Möglichkeiten sehen Sie, gerade das
Verhältnis zur evangelischen Kirche zu verbessern, oder welche Schwierigkeiten
sehen Sie auch auf diesem Weg?
Vielleicht
ist es wichtig, zunächst einmal zu sagen, dass die evangelische Kirche ja sehr
vielgestaltig ist. In Deutschland haben wir, wenn ich recht weiß, drei größere
Gemeinschaften: Lutheraner, Reformierte, Preußische Union. Dazu bilden sich im
Großmaß jetzt auch Freikirchen und innerhalb der klassischen Kirchen Bewegungen
wie die "Bekennende Kirche" und so weiter. Es ist also auch ein vielstimmiges
Gefüge, mit dem wir in Respekt vor den vielen Stimmen und in der Suche nach der
Einheit in Dialog treten und in Zusammenarbeit kommen müssen. Das erste ist,
dass wir alle miteinander in dieser Gesellschaft uns darum mühen sollten, die
großen ethischen Richtlinien deutlich zu machen – selber zu finden und zu
verwirklichen – und so der Gesellschaft den ethischen Zusammenhalt zu geben,
ohne den sie eben nicht die Absicht der Politik-Gerechtigkeit für alle, ein
gutes Miteinanderleben, den Frieden – verwirklichen kann. Und da geschieht ja
schon sehr viel, dass wir in dieser Weise angesichts der großen moralischen
Herausforderungen wirklich miteinander verbunden sind aus dem gemeinsamen
christlichen Grund heraus. Und dass wir dann natürlich als nächstes Gott
bezeugen in einer Welt, die sich schwer tut, ihn zu finden, wie wir gesagt
haben, dass wir den Gott mit dem menschlichen Antlitz Jesu Christi sichtbar
machen und den Menschen so den Zugang zu den Quellen geben, ohne die die Moral
verkümmert und ihre Maßstäbe verliert, und auch die Freude geben, dass wir nicht
isoliert sind in der Welt. So erst entsteht die Freude an der Größe des
Menschen, dass er nicht ein missglücktes Evolutionsprodukt, sondern Bild Gottes
ist. In diesen beiden Ebenen die großen ethischen Maßstäbe – und von innen her
und auf sie hin die Gegenwart Gottes, eines konkreten Gottes – zu zeigen. Und
wenn wir das tun, und danach vor allem auch alle einzelnen Gruppierungen den
Glauben nicht partikularistisch, sondern immer aus seinen tiefsten Gründen her
zu leben versuchen, dann werden wir vielleicht trotzdem nicht so schnell zu
äußeren Einheiten kommen, aber dann werden wir zu einer inneren Einheit reifen,
die, so Gott will, eines Tages dann auch äußere Formen von Einheit bringt.
Thema Familie: Vor etwa einem Monat waren Sie in Valencia
beim Familienkongress. Und wer gut hingehört hat – und wir von Radio Vatikan
versuchen, das zu tun –, hat gemerkt, dass Sie nie das Wort Homo-Ehe
angesprochen haben, nie von Abtreibung, nie von Verhütung gesprochen haben. Aufmerksame
Beobachter sagen sich: Interessant! Offenbar ist seine Intention, den Glauben
zu verkünden und nicht als Moralapostel durch die Welt zu reisen. Können Sie
das kommentieren?
Ja
natürlich. Zuerst muss man sagen: Ich hatte ganze zwei mal zwanzig Minuten
Zeit. Und wenn man nur so viel Zeit zur Verfügung hat, kann man nicht gleich
mit dem Neinsagen daherkommen. Man muss ja erst wissen, was wir überhaupt
wollen, nicht wahr. Und das Christentum, der Katholizismus ist nicht eine
Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Und die wieder sehen ist
ganz wichtig, weil die fast ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist. Man hat so
viel gehört, was man nicht darf, dass man jetzt hingegen sagen muss: Wir haben
aber eine positive Idee, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, dass
sozusagen es die Skala Sexualität, Eros, Agape, die Dimensionen der Liebe gibt
und dass auf die Weise dann zunächst Ehe als beglücktes Ineinander von Mann und
Frau und dann als Familie wächst. Dass Kontinuität der Generationen geschieht,
in der die Versöhnung der Generationen erfolgt und in der dann auch die
Kulturen sich begegnen können. Zunächst einmal also herausstellen, was wir
wollen, ist einfach wichtig. Dann kann man auch sehen, warum wir irgendetwas
nicht wollen. Und ich glaube, man muss ja sehen, dass es nicht eine katholische
Erfindung ist, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, damit die
Menschheit weiterlebt – das wissen eigentlich alle Kulturen. Was die Abtreibung
angeht, gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot "Du sollst nicht
töten!" Und das sollten wir eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und
müssen immer wieder betonen: Der Mensch fängt im Mutterschoß an und bleibt
Mensch bis zu seinem letzten Atemzug. Daher muss er immer als Mensch
respektiert werden. Aber das wird einsichtig, wenn zuvor das Positive gesagt
ist.
Heiliger Vater, meine Frage schließt in gewisser Weise an
die von Pater von Gemmingen an. Weltweit erhoffen sich Gläubige Antworten auf
die global drängenden Probleme von der katholischen Kirche. Stichwort hier AIDS
und Überbevölkerung: Warum stellt die katholische Kirche die Moral so heraus
und über die Lösungsansätze für dieses Schicksalsproblem der Menschen,
beispielsweise im afrikanischen Kontinent.
Ja
nun, das ist die Frage: Stellen wir wirklich die Moral so heraus? Ich würde
sagen – so hat es sich mir auch im Gespräch mit den afrikanischen Bischöfen
immer mehr kristallisiert: Das grundlegende Stichwort, wenn wir in diesen
Sachen vorankommen wollen, heißt Erziehung, Edukation, Bildung. Fortschritt
kann nur Fortschritt sein, wenn er dem Menschen dient und wenn der Mensch
selber wächst: wenn in ihm nicht nur das technische Können wächst, sondern auch
seine moralische Potenz. Und ich denke, das eigentliche Problem unserer
historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden
Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserem moralischen Vermögen,
das nicht mitgewachsen ist. Und deswegen ist die Bildung des Menschen das
eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem, und das ist auch unser Weg. Und
zwar hat diese Bildung, kurz gesagt, zwei Dimensionen: Zunächst einmal müssen
wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-how, wie man so schön
sagt. Und dafür hat Europa, Amerika, in den letzten Jahrzehnten viel getan, und
das ist etwas Wichtiges. Aber wenn man nur Know-how weitergibt, nur beibringt,
wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel
anwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass am Schluss Krieg
herauskommt und AIDSEpidemien. Sondern wir brauchen zwei Dimensionen, es muss
die Bildung des Herzens, wenn ich's so sagen darf, mit dazukommen, durch die
der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen
lernt. "Dann möchte ich ins Heilige Land gehen und es hoffentlich in Frieden
betreten können" Und das ist es, was wir zu tun versuchen. Wir haben in ganz
Afrika und auch in vielen Ländern Asiens ein großes Netz von Schulen aller
Stufen, wo zunächst Lernen möglich ist, wo wirklich Kenntnis erworben werden
kann, berufliche Befähigung erworben wird und dadurch Unabhängigkeit und
Freiheit möglich wird. Aber wir versuchen in diesen Schulen eben nicht nur
Know-how weiterzugeben, sondern auch die Menschen zu formen, so dass sie den
Willen zur Versöhnung haben und dass sie wissen: Wir müssen aufbauen und nicht
zerstören; dass sie Maßstäbe haben, wie sie miteinander leben können. In Afrika
ist zum großen Teil das Miteinander von Moslems und Christen ganz vorbildlich. Bischöfe
haben gemeinsame Komitees mit den Moslems, wie in Konflikten Frieden gestiftet
werden kann. Und dieses doppelte Netz der Schulen, des Lernens und des
menschlichen Bildens ist wichtig. Es wird dann ergänzt durch ein Netz von
Krankenhäusern und von Pflegestationen, die bis in die letzten Dörfer
hineinreichen. Und vielerorts ist ja nach all den Zerstörungen der Kriege die
Kirche die letzte intakte Macht geblieben – nicht Macht: Realität, wo geheilt
wird, wo auch AIDS geheilt wird, und andererseits Erziehung vermittelt wird,
die hilft, richtig miteinander umzugehen. Insofern, glaube ich, sollte das Bild
korrigiert werden, dass wir nur mit lauter "Nein" um uns herumwerfen. Es
geschieht gerade in Afrika sehr viel, damit die verschiedenen Dimensionen der
Bildung sich ergänzen können und damit die Überwindung der Gewalt und die
Überwindung auch dieser Epidemien – es kommt ja auch Malaria und Tuberkulose
dazu – möglich wird.
Heiliger Vater, von Europa aus hat sich das Christentum
in alle Welt verbreitet. Nun sagen viele, die sich mit der Sache beschäftigen,
die Zukunft der Kirche liegt auf anderen Kontinenten. Trifft das zu? Und anders
gefragt: Welche Zukunft hat es in Europa, in dem Christentum eher zur
Privatsache einer Minderheit verkümmert?
Ich würde es zunächst ein bisschen
nuancieren. Entstanden ist das Christentum ja im vorderen Orient, wie wir
wissen. Und lange Zeit hat es dort auch seinen Schwerpunkt gehabt und sich viel
weiter nach Asien ausgedehnt, als uns heute nach der Veränderung durch den
Islam bewusst ist. Allerdings hat es dann eben dadurch seine Achse erheblich
nach dem Westen und nach Europa verschoben, und Europa – darauf sind wir auch
stolz und freuen uns – hat das Christentum in seiner großen auch
intellektuellen und kulturellen Gestalt weiter ausgebildet. Aber ich glaube, es
ist schon wichtig, an die Christen im Orient zu erinnern, denn im Moment
besteht die Gefahr, dass die Christen, die dort immer noch eine wichtige
Minderheit sind, auswandern. Und dass gerade diese Ursprungsorte des
Christentums leer werden von Christen, was eine große Gefahr ist. Wir müssen
denen sehr helfen, dort bleiben zu können. Aber nun zu ihrer Frage: Europa war
dann ohne Zweifel Zentrum des Christentums und der missionarischen Bewegung. Heute
treten die andern Kontinente, die anderen Kulturen mit gleichem Gewicht in das Konzert
der Weltgeschichte ein. Und insofern wird die Kirche vielstimmiger, und das ist
auch gut so, dass die eigenen Temperamente, die eigenen Begabungen Afrikas,
Asiens und Amerikas, besonders auch Lateinamerikas erscheinen können. Alle
natürlich immer auch betroffen nicht nur von dem Wort des Christentums, sondern
von der säkularen Botschaft dieser Welt, die die Zerreißprobe, die wir in uns
selber hatten, auch in diese Kontinente hineinträgt. Alle Bischöfe aus den
andern Erdteilen sagen, wir brauchen weiterhin Europa, auch wenn Europa nun
einem größeren Ganzen zugehört. Wir haben weiter eine Verantwortung dafür. Unsere
Erfahrungen, die theologische Wissenschaft, die hier gebildet wurde, alles, was
wir an liturgischer Erfahrung, an Brauchtum, auch an ökumenischer Erfahrung
gesammelt haben: all das ist auch für die anderen Kontinente wichtig. Insofern
ist bedeutsam, dass wir jetzt nicht kapitulieren und sagen: "Naja, wir sind nur
noch eine Minderheit, schauen wir mal, dass wir wenigstens in der Zahl beieinanderbleiben",
sondern weiterhin dynamisch bleiben und in Austausch treten. Dann werden Kräfte
von dort auch zu uns kommen. Es gibt ja heute indische und afrikanische
Priester in Europa, ebenso in Kanada, wo viele afrikanische Priester arbeiten,
interessanterweise. Es gibt dieses gegenseitige Geben und Nehmen. Aber wenn wir
auch in Zukunft mehr Empfangende werden, sollten wir immer auch Gebende bleiben
und dazu den Mut und die Dynamik entwickeln.
Es ist teilweise schon angesprochen worden, Heiliger
Vater: Moderne Gesellschaften orientieren sich in wichtigen Entscheidungen zu
Politik und Wissenschaft nicht an den christlichen Werten, und wenn die Kirche
bemerkt wird – das wissen wir aus Umfragen –, dann oft als warnende Stimme oder
gar als bremsende Stimme. Müsste die Kirche nicht aus dieser defensiven Rolle
heraus und positiver in die Zukunft blicken und auch positiver gestalten?
Ja,
ich würde sagen, das ist auf jeden Fall ein Auftrag an uns, dass wir deutlicher
machen, was wir denn positiv wollen. Dass wir es vor allen Dingen im
Miteinander der Kulturen und der Religionen zur Geltung bringen. Denn der
afrikanische Kontinent, die afrikanische Seele, auch die asiatische Seele ist
erschreckt, bei uns eine kalte Rationalität zu sehen. Wichtig ist zu zeigen,
dass es nicht nur dieses gibt. Und umgekehrt, für unsere laizistische Welt ist
es wichtig zu sehen, dass für den Dialog mit den anderen Welten gerade auch der
christliche Glaube nicht ein Hindernis, sondern eine Brücke ist. Man darf nicht
meinen, die rein rationale Kultur, die hätte es aufgrund ihrer Toleranz
leichter, mit den anderen Religionen zu Rande zu kommen. Ihr fehlt weitgehend
das religiöse Organ und gerade damit eigentlich der Bezugspunkt, auf den hin
die anderen ansprechen und angesprochen werden wollen. Insofern müssen wir
zeigen, können wir zeigen, dass gerade für die neue Interkulturalität, in der
wir leben, die pure, von Gott losgelöste Rationalität nicht genügt, sondern
eine weite Rationalität nötig ist, die Gott in der Einheit mit der Vernunft
sieht, und dass unser christlicher Glaube, der sich in Europa entwickelt hat,
auch ein Mittel ist, um Vernunft und Kultur zueinander zu bringen und in einer
verständnisvollen Einheit auch des Handelns miteinander zu halten. In dem Sinn
haben wir, glaube ich, einen großen Auftrag, dass wir zeigen: Dieses Wort, das
wir haben, gehört nicht in die Mottenkiste der Geschichte, sondern es ist jetzt
gerade notwendig. Heiliger Vater, Stichwort Papstreisen. Sie sind ja im
Vatikan, vielleicht zu Ihrem eigenen Leidwesen, ein bisschen weit weg von den
Menschen und von der Welt abgeschlossen, auch hier wunderbar in Castel
Gandolfo. Aber Sie werden auf der anderen Seite bald achtzig Jahre alt. Meinen
Sie, Sie können mit Gottes Hilfe noch viele Reisen machen? Haben Sie eine Ahnung,
welche möchten Sie machen? Ins Heilige Land? Brasilien? Wissen Sie schon? Nun,
ganz so einsam bin ich nicht. Natürlich gibt es sozusagen die Burg, die den
Zutritt schwierig macht, aber es gibt eine päpstliche Familie, jeden Tag viele
Besuche, vor allen Dingen, wenn ich in Rom bin. Die Bischöfe kommen, andere
Menschen kommen, Staatsbesuche, die aber auch persönlich und nicht nur
politisch mit mir reden wollen. Insofern ist es doch eine Vielfalt von
Begegnungen, die mir Gott sei Dank immer geschenkt wird. Und das ist ja auch
wichtig, nicht wahr, dass der Sitz des Petrusnachfolgers ein Ort der
Begegnungen ist. Seit Johannes XXIII. hat sich eingependelt, dass nun auch die
Gegenbewegung da ist, dass Päpste Besuche machen. Ich muss sagen, ich fühle
mich nicht sehr stark, um noch viele große Reisen anzuzetteln, aber wo sie eine
Botschaft ausrichten können, wo sie wirklich einem Wunsch entsprechen, da
möchte ich in den Dosierungen, die mir möglich sind, hingehen. Es ist
vorgesehen: Nächstes Jahr trifft sich in Brasilien die CELAM, die Vereinigung
der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen; und dort dabei zu sein ist,
glaube ich, ein wichtiger Vorgang in dem ganzen Drama, das Südamerika
einerseits erlebt, und in der ganzen Kraft der Hoffnung, die dort auch wirksam
ist. Dann möchte ich ins Heilige Land gehen und hoffentlich es in Frieden
betreten können. Und im Übrigen wird man sehen, was die Vorsehung an mich
heranträgt.
Darf ich noch mal nachhaken. Die Österreicher sprechen ja
auch deutsch und erwarten Sie in Mariazell.
Ja,
das ist vereinbart. Das habe ich einfach so ein bisschen leichtsinnig
versprochen. Es hat mir so gut gefallen dort, dass ich gesagt habe, ja: Zur
Magna Mater Austriae komme ich wieder. Und das war natürlich sofort eine
Zusage, die ich auch einhalten werde und gern einhalte.
Und darf ich noch nachhaken: Ich bewundere Sie jeden
Mittwoch, wenn Sie die Generalaudienz halten. 50000 Leute kommen da. Das ist ja
mühsam, wahnsinnig mühsam. Hält man das durch?
Ja,
der liebe Gott wird mir schon die Kraft geben dann. Und wenn man sieht, dass
Zustimmung kommt, ermutigt das natürlich auch. Heiliger Vater, Sie haben gerade
gesagt: Leichtsinnigerweise haben Sie das zugesagt. Heißt das, Sie lassen sich
trotz dieses Amtes, trotz dieser vielen protokollarischen Dinge, ihre
Spontaneität auch nicht nehmen? Ich versuche es jedenfalls. Denn soviel auch
fixiert ist, ein bisschen möchte ich doch auch das Eigene behalten, zu
verwirklichen versuchen.
Heiliger Vater, die Frauen in der katholischen Kirche
sind sehr aktiv in vielen Funktionen. Müssten sie nicht deutlich sichtbarer
tätig sein, also auch in höheren Positionen in der Kirche?
Ja,
darüber wird natürlich sehr nachgedacht. Sie wissen, dass wir uns durch den
Glauben, durch die Konstitution des Apostelkollegiums bestimmt und nicht dazu
ermächtigt fühlen, Frauen die Priesterweihe zu erteilen. Aber man sollte auch
nicht meinen, in der Kirche ist nur jemand etwas, der ein Priester ist. Es gibt
eben ganz viele Aufträge und Funktionen in der Kirchengeschichte. Von den Schwestern
der Kirchenväter angefangen bis ins Mittelalter, wo große Frauen eine sehr
bestimmende Rolle ausgeübt haben. Und in die Neuzeit herein: Denken wir an
Hildegard von Bingen, die kraftvoll protestiert hat gegen Bischöfe und Papst. Und
Katharina von Siena und Birgitta von Schweden. So in die Neuzeit herein müssen
die Frauen und müssen wir ja auch immer wieder mit ihnen zusammen den richtigen
Platz für sie suchen. Es ist jetzt so, dass sie in den Kongregationen sehr
gegenwärtig sind. Und es gibt ein juristisches Problem: Jurisdiktion, also die
Möglichkeit rechtlich bindender Entscheidungen, ist nach dem Kirchenrecht an
Weihe gebunden. Insofern gibt es dann da auch wieder Grenzen. Aber ich glaube,
die Frauen selber werden mit ihrem Schwung und ihrer Kraft, mit ihrem
Übergewicht sozusagen, mit ihrer "geistlichen Potenz" sich ihren Platz zu
verschaffen wissen. Und wir sollten versuchen, auf Gott zu hören, dass wir den
auch nicht behindern, sondern uns freuen, dass das Weibliche in der Kirche, wie
es sich gehört – von der Muttergottes und von Maria Magdalena an – seine
kraftvolle Stelle erhält.
Heiliger Vater, man spricht in letzter Zeit von einer
neuen Faszination des Katholischen. Wie steht es denn um die Lebenskraft und um
die Zukunftsfähigkeit dieser doch eigentlich uralten Institution?
Ja,
ich würde sagen: Es hat schon der ganze Pontifikat von Johannes Paul II. die
Menschen aufhorchen lassen und sie versammelt. Was bei seinem Tod vor sich
gegangen ist, bleibt geschichtlich also etwas ganz Einzigartiges, wie da
Hunderttausende diszipliniert sich auf dem Petersplatz drängen, stundenlang
dastehen und eigentlich umfallen müssten in dieser Situation und doch
durchhalten und von innen her bewegt sind. Und wir haben es wieder erlebt bei
meiner Amtsübernahme und in Köln. Das ist schon etwas sehr Schönes, dass das
Gemeinschaftserlebnis dann zugleich ein Glaubenserlebnis wird; dass man
Gemeinschaft nicht nur irgendwo erfährt, sondern dass sie gerade dort, wo Orte
des Glaubens sind, lebendig wird und auch dem Katholischen seine Leuchtkraft
gibt. Natürlich muss es dann im Alltag durchgehalten werden. Die beiden Dinge
müssen miteinander gehen. Einerseits die großen Augenblicke, wo man sieht, es
ist schön, dabei zu sein, Gott ist da, und wir sind eine große versöhnte
Gemeinschaft über die Grenzen hinweg. Wir haben der Menschheit etwas zu geben,
und uns wird von Gott, von der Kirche etwas gegeben. Und dann muss man daraus
natürlich den Schwung schöpfen, die eben auch mühsamen Wanderungen durch den
Alltag zu bestehen und von solchen Lichtpunkten her auf sie hin zu leben und
damit auch andere in die Weggemeinschaft einzuladen. Aber ich möchte die
Gelegenheit doch benützen, um zu sagen: Ich bin ja ganz beschämt über all das,
was an Vorbereitungen für meinen Besuch geschehen ist, was Menschen da alles
tun, nicht wahr. Mein Haus ist angestrichen worden, eine Berufsschule hat den
Zaun gemacht. Der evangelische Religionslehrer hat mitgewirkt an meinem Zaun. Und
das ist ja jetzt nur eine Kleinigkeit, aber ein Zeichen für ganz Vieles, was
getan wird. Das finde ich so großartig, und ich beziehe es nicht auf mich,
sondern es ist einfach ein Wille, dieser Gemeinschaft im Glauben zuzugehören
und alle miteinander zu dienen. Diese Solidarität zu zeigen und dabei uns vom
Herrn her inspirieren zu lassen: das ist für mich etwas Bewegendes, und dafür
möchte ich auch ganz herzlich danken.
Heiliger Vater, Sie sprachen gerade das
Gemeinschaftserlebnis an. Sie kommen nun zum zweiten Mal nach ihrer Wahl zu
einem Besuch nach Deutschland. Die Stimmung bei dem Weltjugendtag – oder ganz
anders gelagert bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – ist irgendwie
ausgewechselt. Man hat den Eindruck, die Deutschen sind weltoffener geworden,
toleranter geworden, freudiger geworden. Was wünschen Sie sich von uns
Deutschen noch?
Nun,
ich würde sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs eine innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der
deutschen Mentalität da, die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden
ist. Wir sind einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und
natürlich auch von ihrer Mentalität mit berührt. Und es kommen eben auch Seiten
des deutschen Charakters zum Vorschein, die man ihm früher nicht zugetraut hat.
Und vielleicht sind wir auch ein bisschen zu sehr als immer ganz diszipliniert
und zurückhaltend hingestellt worden. Das war schon in uns da. Ich finde es
sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt, wenn alle sehen: Die Deutschen
sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie sind auch
spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr Schönes. Und was soll ich
wünschen: Dass diese Tugenden weiterentwickelt werden, und dass sie vom
christlichen Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.
Heiliger Vater, Ihr Vorgänger hat eine wahnsinnige Menge
an Christen selig und heilig gesprochen. Manche Leute sagen, es ist sogar ein
bisschen zuviel. Frage: Selig- und Heiligsprechungen bringen ja der Kirche
eigentlich nur etwas, wenn diese Leute auch wirklich als Vorbilder wahrgenommen
werden. Kann man da was tun – und Deutschland produziert ja relativ wenig
Selige und Heilige im Vergleich zu anderen Ländern –, damit dieser pastorale
Ansatz: "Wir brauchen Selig- und Heiligsprechungen" wirklich auch was bringt? Kann
man da was machen?
Also
ich hatte ja anfangs auch ein bisschen die Meinung, dass uns die große Menge
der Seligsprechungen fast erdrückt und dass man vielleicht mehr auswählen
sollte – Gestalten, die dann deutlich ins Bewusstsein treten. Inzwischen hab'
ich ja die Seligsprechungen dezentralisiert, um jeweils am Ort – denn sie
gehören zu bestimmten Orten – diese Gestalten sichtbar zu machen. Vielleicht
interessiert ein Heiliger aus Guatemala uns in Deutschland nicht so und
umgekehrt einer aus Altötting interessiert vielleicht nicht so in Los Angeles. "Meine
Grundvision ist gewachsen, aber in allen wesentlichen Dingen doch identisch
geblieben" Also insofern, glaube ich, ist auch diese Dezentralität, der ja die
Kollegialität der Bischöfe – ihre kollegialen Strukturen – entspricht, etwas,
was gerade an diesem Punkt angebracht ist. Dass die Länder ihre Gestalten haben
und dass sie dort zu ihrer Wirkung kommen. Ich habe auch gesehen, dass diese
Seligsprechungen dort ungeheuer viele Menschen ansprechen und die Leute sehen:
"Ja, das ist ja einer von uns!" und dann auf ihn zugehen und von ihm her
inspiriert werden. Er gehört zu denen, und wir freuen uns, dass es dort so
viele gibt. Und wenn wir allmählich durch die Weltgesellschaft auch mit denen
bekannter werden, ist das schön. Aber zunächst mal ist es wichtig, dass es eben
auch da die Vielfalt gibt. Und in dem Sinn ist es dann wichtig, dass wir in
Deutschland auch unsere eigenen Gestalten sehen lernen und uns daran freuen
dürfen. Daneben stehen dann die Heiligsprechungen mit großen Gestalten, die
alle der ganzen Kirche zugedacht sind. Ich würde sagen, die einzelnen
Bischofskonferenzen sollten auswählen, sollen sehen, wer passt zu uns, wer sagt
uns etwas, und sollten dann diese nicht so vielen Gestalten wirklich einprägsam
sichtbar machen über die Katechese, die Predigt; vielleicht kann man auch Filme
über solche Gestalten lancieren – ich könnte mir schöne Filme vorstellen. Ich
kenne natürlich nur die Kirchenväter. Einen Film über Augustinus, über Gregor
von Nazianz und seine ganz eigenartige Gestalt (weil er immer wieder
davongelaufen ist, weil es ihm zuviel wurde und so) zu bringen und zu zeigen:
Es gibt ja nicht nur unsere verflixten Situationen, die uns jetzt im Film
beschäftigen, es gibt wunderbare Gestalten der Geschichte, die nicht langweilig
sind, sondern Gegenwart haben. Also jedenfalls versuchen, die Leute nicht mit
allzu viel zu überschütten, aber für viele solche Gestalten sichtbar zu machen,
die gegenwärtig sind und die uns inspirieren.
Geschichten, in denen womöglich auch Humor enthalten ist?
1989 wurde Ihnen in München der Karl Valentin-Orden überreicht. Welche Rolle
spielen eigentlich Humor und die Leichtigkeit des Seins im Leben eines Papstes?
(Papst
lacht) Ich bin nicht ein Mensch, dem dauernd viele Witze einfallen. Aber
sozusagen das Lustige im Leben zu sehen, und die fröhliche Seite daran und
alles nicht ganz so tragisch zu nehmen, das ist mir schon sehr wichtig, und ich
würde sagen: für mein Amt auch notwendig. Irgendein Schriftsteller hatte
gesagt, die Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen. Und wir könnten
auch ein bisschen mehr fliegen, sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so
schwergewichtig nehmen würden.
Wenn man ein solches Amt hat wie Sie, Heiliger Vater,
wird man natürlich viel von außen beobachtet. Dritte sprechen über Sie. Und mir
ist aufgefallen bei der Lektüre, dass viele Beobachter sagen, der Papst
Benedikt ist im Vergleich zu Kardinal Ratzinger eine andere Persönlichkeit. Wie
ist denn Ihre eigene Sicht auf Sie, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?
Ich
bin ja schon mehrmals zerteilt worden in den frühen Professor und den mittleren
Professor – in den frühen Kardinal und in den späten. Jetzt kommt noch eine
Teilung dazu. Natürlich prägen die Umstände und die Situation und auch die
Menschen, weil man hier verschiedene Verantwortungen hat. Aber sagen wir: Mein
Grundnaturell und auch meine Grundvision ist gewachsen, aber in allen
wesentlichen Dingen doch identisch geblieben. Ich freue mich, wenn jetzt auch
Seiten wahrgenommen werden, die vorher nicht so wahrgenommen worden sind.
Und darf man so sagen, Sie genießen Ihr Amt, es ist keine
Last?
Das
wäre ein bisschen zuviel, weil es doch mühsam ist. Aber ich versuche
jedenfalls, die Freude daran zu finden.
Auch im Namen meiner Kollegen darf ich mich für dieses
Gespräch, für diese Weltpremiere, sehr herzlich bedanken. Wir freuen uns auf
Ihren Besuch in Deutschland, in Bayern.