Papst Benedikt XVI.

Predigt vor dem Pariser Invalidendom am 13.9.2008

BENEDIKT XVI.: Mit scheint es heute offenkundig zu sein, daß die Laizität an sich nicht im Gegensatz zum Glauben steht. Ich würde sogar sagen, sie ist eine Frucht des Glaubens, weil der christliche Glaube von Anfang an eine universale Religion war, das heißt nicht mit einem Staat identifizierbar, eine Religion, die in allen Staaten gegenwärtig und zugleich verschieden von jedem Staat war. Für die Christen war immer klar, daß Religion und Glauben nicht in den Bereich der Politik gehören, sondern zu einem anderen Bereich des menschlichen Lebens… Die Politik, der Staat sind keine Religion, sondern eine weltliche Realität mit einem spezifischen Auftrag. Die beiden Realitäten müssen füreinander offen sein. In diesem Sinn würde ich sagen, daß es heute für die Franzosen – und nicht nur für die Franzosen, sondern für uns Christen in der säkularisierten Welt von heute – wichtig ist, mit Freude die Freiheit unseres Glaubens zu leben, die Schönheit des Glaubens zu leben und in der Welt von heute sichtbar zu machen, daß es schön ist, Gott zu kennen, Gott, der in Jesus Christus ein menschliches Antlitz hat… Das heißt also zu zeigen, daß es möglich ist, heute gläubig zu sein, und auch die Notwendigkeit zu zeigen, daß es in der heutigen Gesellschaft Menschen gibt, die Gott kennen und die deshalb gemäß den Werten, die er uns gegeben hat, leben können. So können sie zur Vergegenwärtigung dieser Werte beitragen, die für den Aufbau und das Überleben unserer Staaten und unserer Gesellschaften grundlegend sind.

Jesus Christus versammelt uns an diesem wunderbaren Ort im Herzen von Paris an dem Tag, an dem die universale Kirche den heiligen Johannes Chrysostomus, einen ihrer größten Kirchenlehrer, feiert, der mit seinem Lebenszeugnis und seiner Lehre den Christen wirksam den Weg aufgezeigt hat, dem sie folgen sollen. Mit Freude grüße ich die Autoritäten, die mich in dieser edlen Stadt empfangen haben, ganz besonders Kardinal André Vingt-Trois, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er an mich gerichtet hat. Ich grüße auch alle Bischöfe, die Priester und die Diakone, die mich bei der Feier des Opfers Christi umgeben. Ich danke allen Persönlichkeiten, insbesondere dem Herrn Premier-Minister, die heute morgen hier zugegen sind; ich versichere ihnen mein inständiges Gebet für die Erfüllung ihres hohen Auftrags im Dienst an ihren Mitbürgern.

Der erste Brief des heiligen Paulus an die Korinther lässt uns im Paulusjahr, das wir am vergangenen 28. Juni eröffnet haben, entdecken, wie weit die vom Apostel erteilten Ratschläge auch heute aktuell sind. „Meidet den Götzendienst“ (1 Kor 10,14), schreibt er an eine Gemeinde, die vom Heidentum sehr geprägt ist und gespalten ist zwischen dem Festhalten an der Neuheit des Evangeliums und der Befolgung der von den Vorfahren ererbten alten Praktiken. Die Götzen meiden, das hieß damals, damit aufzuhören, die Gottheiten des Olymp zu verehren, damit aufzuhören, ihnen blutige Opfer darzubringen. Die Götzen meiden bedeutete, sich in die Schule der Propheten des Alten Testaments zu begeben, die den Hang des menschlichen Geistes, sich falsche Darstellungen von Gott zu schmieden, anklagten. Wie der Psalm 115 in Bezug auf die Götzenbilder sagt, sind diese „nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand. Sie haben einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht, eine Nase und riechen nicht“ (Vv. 4 –6). Abgesehen vom Volk Israel, das die Offenbarung des einen Gottes empfangen hatte, stand die Welt der Antike unter der Knechtschaft des Götzenkultes. Die Fehler des Heidentums, die in Korinth sehr verbreitet waren, mussten angeklagt werden, denn sie stellten eine mächtige Entfremdung dar und brachten den Menschen von seiner wahren Bestimmung ab. Sie hinderten ihn daran zu erkennen, dass Christus der einzige Erlöser ist, der einzige, der dem Menschen den Weg zu Gott zeigen kann.

Dieser Aufruf, die Götzen zu meiden, bleibt auch heute aktuell. Hat sich die gegenwärtige Welt nicht ihre eigenen Götzen geschaffen? Hat sie etwa nicht, vielleicht auch unbewusst, die Heiden des Altertums nachgeahmt, indem sie den Menschen von seinem wahren Ziel abbrachte, von der Glückseligkeit, ewig mit Gott zu leben? Dies ist eine Frage, die jeder Mensch, der sich selbst gegenüber ehrlich ist, sich stellen muss. Was ist wichtig in meinem Leben? Was setze ich an die erste Stelle? Das Wort „idole“ (französisch für „Götze“) kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Bild“, „Figur“, „Darstellung“, aber auch „Gespenst“, „Phantom“, „vergängliche Erscheinung“. Der Götze ist eine Täuschung, denn er bringt seinen Betrachter von der Wirklichkeit ab, um ihn ins Reich des Scheins zu verbannen. Aber ist dies nicht eine Versuchung, die unserer Epoche eigen ist, die die einzige ist, auf die wir wirksam einwirken können? Die Versuchung, eine Vergangenheit, die nicht mehr ist, zu vergötzen und dabei deren Mängel zu vergessen; die Versuchung, eine Zukunft, die noch nicht existiert, zu vergötzen und dabei zu glauben, dass der Mensch mit seinen Kräften allein das Reich ewiger Glückseligkeit auf der Erde schaffen kann! Der heilige Paulus erklärt den Kolossern, dass die unersättliche Begierde ein Götzendienst ist (vgl. Kol 3,5) und erinnert seinen Schüler Timotheus daran, dass die Geldgier die Wurzel aller Übel ist. Weil sie sich ihr hingegeben haben, führt er weiter aus, „sind nicht wenige vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet“ (1 Tim 6,10). Haben etwa nicht das Geld, die Gier nach Besitz, nach Macht und sogar nach Wissen den Menschen von seinem wahren Ziel abgebracht?

Liebe Brüder und Schwestern, die Frage, die uns die Liturgie dieses Tages stellt, findet ihre Antwort in genau dieser Liturgie, die wir von unseren Vätern im Glauben, insbesondere vom heiligen Paulus selbst (vgl. 1 Kor 11,23), ererbt haben. In seinem Kommentar zu diesem Text hebt der heilige Johannes Chrysostomus hervor, dass der heilige Paulus den Götzendienst streng als „schwere Schuld“, als „Ärgernis“, als wahre „Pest“ verurteilt (Homilie 24 über den Ersten Korintherbrief, 1). Er fügt unmittelbar hinzu, dass diese radikale Verurteilung des Götzendienstes in keinem Fall eine Verurteilung der Person des Götzendieners ist. Niemals dürfen wir bei unseren Urteilen die Sünde, die unannehmbar ist, mit dem Sünder verwechseln, dessen Gewissenslage wir nicht beurteilen können und der auf jeden Fall immer zu Bekehrung und Vergebung fähig ist. Der heilige Paulus appelliert dabei an die Vernunft seiner Leser, an die Vernunft jedes Menschen, die ein starkes Zeugnis der Gegenwart des Schöpfers im Geschöpf ist: „Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage“ (1 Kor 10,15). Niemals verlangt Gott, dessen bevollmächtigter Zeuge der Apostel hier ist, vom Menschen, seine Vernunft zu opfern! Niemals tritt die Vernunft in einen wirklichen Gegensatz zum Glauben! Der eine Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – hat unsere Vernunft erschaffen und schenkt uns den Glauben, indem er unserer Vernunft anbietet, diesen als wertvolle Gabe zu empfangen. Der Götzenkult ist es, der den Menschen von dieser Perspektive abbringt, und die Vernunft selbst kann sich Götzen schmieden. Bitten wir daher Gott, der uns sieht und hört, dass er uns helfe, uns von allen Götzen zu reinigen, um zur Wahrheit unseres Seins, um zur Wahrheit seines unendlichen Seins zu gelangen.

Wie gelangen wir zu Gott? Wie gelangen wir dazu, Ihn zu finden oder wiederzufinden, den der Mensch im Innersten seiner selbst sucht, obschon er ihn so oft vergisst? Der heilige Paulus bittet uns, nicht nur unsere Vernunft zu gebrauchen, sondern vor allem unseren Glauben, um ihn zu entdecken. Nun, was sagt uns der Glaube? Das Brot, das wir brechen, ist Teilhabe am Leib Christi; der Kelch der Danksagung, über den wir den Segen sprechen, ist Teilhabe am Blut Christi. Eine außergewöhnliche Offenbarung, die von Christus stammt und uns von den Aposteln und der ganzen Kirche seit fast zweitausend Jahren überliefert wird: Christus hat am Abend des Gründonnerstags das Sakrament der Eucharistie eingesetzt. Er wollte, dass jedes Mal, wenn ein Priester die Worte der Wandlung über Brot und Wein wiederholt, sein Opfer in unblutiger Weise neu dargebracht wird. Millionenfach hat sich seit zwanzig Jahrhunderten der auferstandene Herr in der armseligsten Kapelle wie in der großartigsten Basilika oder Kathedrale seinem Volk geschenkt und wurde dabei, nach einem bekannten Wort des heiligen Augustinus, „uns innerer als unser Innerstes“ (vgl. Bekenntnisse III, 6,11).

Brüder und Schwestern, umgeben wir das Sakrament des Leibes und des Blutes des Herrn, das Allerheiligste Sakrament der wirklichen Gegenwart des Herrn für seine Kirche und für die gesamte Menschheit mit größter Verehrung. Vernachlässigen wir nichts, um ihm unsere Ehrfurcht und unsere Liebe zu zeigen! Schenken wir ihm die größten Ehrerbietungen. Lassen wir durch unsere Worte, unsere Stille und unsere Gesten niemals zu, dass in uns und um uns herum der Glaube an den auferstandenen Christus, der in der Eucharistie gegenwärtig ist, getrübt wird. Wie sagt es wiederum der heilige Johannes Chrysostomus großartig: „Wenn wir den Kelch opfern und genießen, erinnern wir uns an die unaussprechlichen Wohltaten Gottes und an alle Gaben, mit denen er uns erfreut, und danken Gott, dass er das Menschengeschlecht vom Irrtum befreit hat; dass er diejenigen, die ihm entfremdet waren, wieder an sich gezogen hat; dass er diejenigen, die hoffnungslos und ohne Gott in dieser Welt lebten, zu einem Volk von Brüdern und zu Miterben des Sohnes Gottes gemacht hat“ (Homilie 24 über den Ersten Korintherbrief, 1). In der Tat, fährt er fort, „ist das Blut im Kelch dasselbe, das aus seiner Seite geflossen ist, und das trinken wir“ (ebd.). Es ist nicht nur Teilnahme und Teilen, es ist „Einswerden“, sagt der Kirchenvater, dessen Name „Goldmund“ bedeutet.

Die heilige Messe ist ein Opfer der Danksagung, sie ist das Opfer der Danksagung schlechthin, das uns erlaubt, unsere Danksagung mit der des Erlösers, des ewigen Sohnes des Vaters, zu vereinen. Die Messe an sich lädt uns auch ein, die Götzen zu meiden, denn – wie der heilige Paulus mit Nachdruck sagt – „ihr könnt nicht Gäste sein am Tisch des Herrn und am Tisch der Dämonen“ (1 Kor 10,21). Die Messe lädt uns ein zu unterscheiden, was in uns dem Geist Gottes gehorcht und was in uns weiter dem Geist des Bösen Gehör schenkt. In der Messe wollen wir niemand anderem gehören als Christus und mit Dankbarkeit – mit „Danksagung“ – den Ruf des Psalmisten wieder aufnehmen: „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ (Ps 116,12). Ja, wie danke ich dem Herrn für das Leben, das Er mir geschenkt, Er, der „mein Leben dem Tod entrissen hat“ (Ps 116,8), um mich endgültig mit seinem Leben zu vereinen? Die Antwort auf die Frage des Psalmisten findet sich im Psalm selbst, denn das Wort Gottes antwortet selbst barmherzig auf die Fragen, die es stellt. Wie können wir dem Herrn all das vergelten, was er uns Gutes tut, wenn nicht dadurch, dass wir uns an seine Worte selbst halten: „Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn“ (Ps 116,13)?

Ist nicht etwa den Kelch des Heils erheben und den Namen des Herrn anrufen genau das beste Mittel, um die „Götzen zu meiden“, wie es der heilige Paulus von uns fordert? Jedes Mal, wenn eine Messe gefeiert wird, jedes Mal, wenn Christus in seiner Kirche sakramental gegenwärtig wird, vollzieht sich das Werk unseres Heils. Die Eucharistie feiern bedeutet daher anzuerkennen, dass Gott allein imstande ist, uns die Glückseligkeit in Fülle zu schenken, uns die wahren Werte zu lehren, die ewigen Werte, die keinen Untergang kennen. Gott ist gegenwärtig auf dem Altar, aber Er ist auch gegenwärtig auf dem Altar unseres Herzens, wenn wir ihn bei der Kommunion im Sakrament der Eucharistie empfangen. Er allein lehrt uns, die Götzen zu meiden, die Trugbilder des Denkens.

Nun, liebe Brüder und Schwestern, wer kann den Kelch des Heils erheben und den Namen des Herrn anrufen im Namen des ganzen Volkes Gottes, wenn nicht der Priester, der zu diesem Zweck vom Bischof geweiht worden ist? Gestattet mir hier, liebe Einwohner der Stadt und der Region Paris, aber auch Ihr alle, die Ihr aus ganz Frankreich und aus den Nachbarländern gekommen seid, einen Aufruf zu machen voller Vertrauen auf den Glauben und die Großzügigkeit der Jugendlichen, die sich die Frage über die Ordens- oder Priesterberufung stellen: Habt keine Furcht! Habt keine Furcht, Euer Leben Christus zu schenken! Nichts wird je den Dienst der Priester im Leben der Kirche ersetzen. Nichts wird je eine Messe für das Heil der Welt ersetzen! Liebe junge und weniger junge Leute, die Ihr mich hört, lasst den Anruf Christi nicht unbeantwortet. In seiner Abhandlung über das Priestertum hat der heilige Johannes Chrysostomus gezeigt, wie langsam die Antwort des Menschen erfolgen kann, und doch ist dieser Mensch ein lebendiges Beispiel für das Wirken Gottes im Inneren einer menschlichen Freiheit, die sich von seiner Gnade formen lässt.

Schließlich sehen wir, wenn wir die Worte aufgreifen, die Christus uns in seinem Evangelium hinterlassen hat, dass Er selbst uns gelehrt hat, den Götzendienst zu meiden, indem er uns eingeladen hat, unser Haus „auf Fels“ zu bauen (Lk 6, 48). Wer ist dieser Fels, wenn nicht Christus selber? Unsere Gedanken, unsere Worte und unser Tun erlangen ihre wahre Dimension nur, wenn wir sie auf die Botschaft des Evangeliums beziehen: „Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund“ (Lk 6,45). Bemühen wir uns beim Sprechen um das Wohl unseres Gesprächspartners? Bemühen wir uns beim Denken, unsere Gedanken mit dem Denken Gottes in Einklang zu bringen? Bemühen wir uns beim Handeln, die Liebe zu verbreiten, die uns Leben schenkt? So wie es wiederum der heilige Johannes Chrysostomus sagt: „Wenn wir aber alle am selben Brot teilhaben und wenn wir alle eins werden, warum erweisen wir uns dann nicht auch alle dieselbe Liebe und warum werden wir nicht auch darin eins? O Mensch, Christus hat dich gesucht, der du so weit von ihm getrennt warst, um mit dir eins zu werden; und du willst nicht mit deinem Bruder eins werden?“ (Homilie 24 über den Ersten Korintherbrief, 2).

Die Hoffnung wird immer stärker sein! Die Kirche, erbaut auf dem Felsen Christi, besitzt die Verheißungen des ewigen Lebens, nicht weil ihre Mitglieder heiliger sind als die anderen Menschen, sondern weil Christus Petrus diese Verheißung gegeben hat: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18). In dieser unvergänglichen Hoffnung auf die ewige Gegenwart Gottes in einer jeden unserer Seelen, in dieser Freude zu wissen, dass Christus bei uns ist bis zum Ende der Welt, in dieser Kraft, die der Heilige Geist all denen schenkt, die sich willig von ihm ergreifen lassen, vertraue ich euch, liebe Christen von Paris und Frankreich, dem mächtigen und barmherzigen Wirken des Gottes der Liebe an, der für uns am Kreuz gestorben und am Ostermorgen siegreich auferstanden ist. Allen Menschen guten Willens, die mich hören, sage ich nochmals mit dem heiligen Paulus: Meidet den Götzendienst, hört nicht auf, Gutes zu tun!

Gott, unser Vater, ziehe Euch an sich und lasse über Euch den Glanz seiner Herrlichkeit strahlen! Der einzige Sohn Gottes, unser Meister und unser Bruder, offenbare Euch die Schönheit seines auferstandenen Antlitzes! Der Heilige Geist erfülle Euch mit seinen Gaben und gebe Euch die Freude, den Frieden und das Licht der Heiligsten Dreifaltigkeit zu erkennen, jetzt und in alle Ewigkeit! Amen.

 

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