DAS SATOR-QUADRAT
B. INHALTLICHE AUSSAGEN
A. Strukturelle
Gesichtspunkte
C. Die Zahlenwerte des Quadrats
|
|
1. Üblicherweise liest man das SATOR-Quadrat von oben nach unten, in seiner ursprünglichen Anordnung aber von unten nach oben auf folgende Weise:
SATOR AREPO TENET
OPERAS ROTAS
Der Sämann Arepo
hält durch seine Mühe die Räder.
Der wörtliche Sinn ist wenig verständlich. Was tut ein Sämann? Er bestellt ein Feld, damit es Wachstum für das menschliche Leben hervorbringt. Er greift lenkend und ordnend in die Natur ein. Daß er durch seine Mühe die Räder hält, ist hohe Metaphorik, die sich auf einen Sämann oder Bauersmann nicht so recht anwenden läßt.
2. Das Wort SATOR ist genügend belegt in der Bedeutung des Schöpfergottes. Ovid verwendet in seinen Metamorphosen I, 89 das Verb SERERE für erschaffen:
Aurea prima sata est aetas...
Als erstes wurde das
goldene Zeitalter erschaffen.
Gott wird also mit
einem Sämann verglichen. Er erschafft den Kosmos nach einem sinnvollen und
vorausschauenden Plan. Wie der Sämann erwartet er ein gutes Ergebnis.
Der
Schöpfergott Arepo hält durch seine Mühe die Räder ist eine
verständliche Metaphorik. Gott überläßt die Welt nicht sich selbst, sondern
sorgt für sie. Die Gestirne und Planeten mögen ihr Gesetz in sich tragen, aber
der Schöpfergott gab ihnen ihr Gesetz und setzte ihre kreisenden Bahnen in
Gang. Wenn er die Räder hält, dann in dem Sinn, daß er die Übersicht und die Kontrolle
über das gesamte Räderwerk behält.
3.
Die Welt ist nicht erforschbar und lenkbar ohne
festgelegte Richtungen. Sobald sich ein Kreis oder Kugel dreht, können wir
nicht mehr bestimmen, wo ein bestimmter Punkt vorher gewesen ist. Die
Kreisbahnen des Kosmos müssen also – auf einer ideellen Ebene – Fixpunkte der
Orientierung erkennen lassen. In dieser Hinsicht ist die Kreisbahn der auf- und
untergehenden Sonne ein Schlüsselsymbol der kosmischen Ordnung und des
menschlichen Denkens. Denn der zweite Teil ihrer Bahn geht für das menschliche
Auge und seinen Geist ins Unbekannte. Gleichzeitig ist es Nacht und alle
Geschöpfe ruhen aus, um mit frischen Kräften einen neuen Tag zu begrüßen. So
erfüllt sich in der unsichtbaren Umkehr und Rückkehr der Sonnenbahn die Gesamtheit
ihres lebensspendenden Sinnes.
Die Wahrnehmung von Gegensätzen gehört zu den wichtigsten
Erkenntnisprinzipien: Zwei Gegenpole bilden eine
Ganzheit.
4.
Ein Wort kann neben seiner vertrauten
Begrifflichkeit eine eher verborgene Bedeutung haben. Die geheime Bedeutung zu
entdecken heißt, einen tieferen Sinn zu enthüllen. Liest man das Wort SATOR, enthüllt es einen
tieferen Sinn, wenn man es von rückwärts als ROTAS liest. Das Aussprechen dieses Wortes wird zu
einer persönlichen Begegnung, wenn wir ROTAS als 2.Ps.Sg. von ROTARE – drehen verstehen: Schöpfergott, du drehst, du sorgst
für die Welt. Diese Sorge ist umfassend, so wie das Wort SATOR und ROTAS zweimal das Quadrat umläuft.
Die Leseweise ROTAS SATOR benutzt den Buchstaben S zweimal. Verwendet man das S nur einmal, erhält man ROTA
SATOR. Das Wort ROTA ist dann die
Imperativform Drehe, Schöpfer. Diese
Kurzform kann erweitert werden zu ROTA SATOR ROTAS
– Drehe, Schöpfer, die Räder.
5.
Wir sind gewohnt, die Begrifflichkeit eines Wortes
unmittelbar zu erfassen und stoßen vielleicht erst in einer bewußten Bemühung
auf eine tiefere Bedeutungsschicht. Bei dem Wort AREPO ist es umgekehrt. Wir
können mit dem Wort nichts anfangen, es begegnet uns in verrätselter Form. Bei
diesem Wort gilt es, mit einer zusätzlichen Bemühung auf Vertrautes zu stoßen.
Wir müssen nämlich die ersten drei Zeilen im Zickzack (bustrophedon – wie der
Ochse pflügt) lesen:
SATOR OPERA TENET
Der Schöpfer erhält
seine Werke.
Der Satz bedeutet,
Gott hat die Welt erschaffen, er hält ihre Existenz aufrecht, er bekennt sich
zu seinem Schöpfungswerk. Wer aber ist dieser Schöpfergott? Der denkende und
göttlichem Wirken geöffnete Mensch erkennt den Schöpfer aus seinen Werken. Er
setzt den Schöpfer so sehr mit seiner Schöpfung gleich, daß er die Umkehrung AREPO als CHIFFRE
für den unbekannten Gott benutzt.
Wenn wir AREPO als eine lateinische Wortform ansehen
wollen, müßten wir übersetzen ich krieche weg – eine etwas merkwürdige
Vorstellung. Das Verb ā-rēpere – wegkriechen ist, im Unterschied zu ad-rēpere, ar-rēpere – herankriechen, nicht belegt und könnte daher ein
Tabuwort sein. Die gewaltige Macht des Schöpfergottes erschreckt den Menschen (TER-RET) und läßt ihn seine Geringheit erkennen.
Der unbekannte Gott ist auch der unnahbare Gott, vor dem der Mensch in
gebührendem Abstand zurückweicht. Dem Menschen bleibt nur demütige
Unterwerfung. Es ist dies eine Seite
der Gottesverehrung, die man Gottesfurcht nennt. Demgegenüber erlaubt der
innere Quadratrahmen die Leseweise ĒRĒPE –
Krieche heraus! – eine ermutigende
Aufforderung.
Das Erschrecken vor
Gottes Größe erinnert an zwei Stellen der Bibel: Als Mose sich dem brennenden
Dornbusch nähert, ruft Gott ihm zu: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe
ab; denn der Ort, wo du stehtst, ist heiliger Boden. Da verhüllt Mose sein
Gesicht, denn er fürchtet sich, Gott anzuschauen (Ex 3,5-6). Im Neuen Testament
fällt Petrus nach einem wunderbaren Fischfang Jesus zu Füßen und sagt: Herr,
geh weg von mir; ich bin ein Sünder (Lk 5,8).
Verbindet man die 2.
Person ROTAS – du drehst mit der 1. Person AREPO, könnte man zu der Auffassung gelangen, daß
Gott als dem wahren Handelnden in allem der Vorrang gebührt. Er ist der, der
auch im Menschen handelt. Der Mensch
soll sich also hüten, eigenmächtig zu handeln.
Soll also das Wort AREPO als Name des unbekannten Gottes gelten, dann
in der Weise, daß er keinen Namen hat, sondern seine Bezeichnung darin findet,
wie er dem Ichbewußtsein des Menschen erfahrbar wird.
Die Betrachtung des
Wortes AREPO zeigt exemplarisch, daß
Bedeutungen mehrschichtig sein können und nicht immer auf eine einzige
festlegbar sind.
6.
Die 5 Buchstaben des mittleren Wortes TENET können als
Durchmesserelemente eines Kreises verstanden werden. Da jedes Radialmaß durch
zwei Punkte begrenzt ist, lassen sich zwei Mittelpunkte rechtfertigen:
Überträgt man dieses
Prinzip auf die 5 Buchstabenzeilen des Quadrats, ist das Wort TENET doppelt zu lesen:
SATOR OPERA
TENET
TENET OPERA
ROTAS
Der Schöpfer erhält
seine Werke;
er hält durch seine
Mühe die Räder.
Der zweite Satz
setzt die Sinnaussage des ersten Satzes fort. Gottes Werke existieren nicht
einzeln für sich, sondern bilden einen bewegten Organismus. Eigentlich ist
Gottes Sorge für seine Werke schon im ersten TENET
ausgedrückt. Die Besonderheit der beiden Sätze liegt in der unterschiedlichen
grammatischen Form von OPERA. Im ersten Satz
ist opera Akk.Pl.
von opus – das
Werk, im zweiten Abl.Sg. von opera – die Mühe. Dem unbekannten Gott werden also zwei
Eigenschaften zugesprochen: die Erschaffung der Welt und seine Sorge für sie.
Gott begleitet seine Werke mit immerwährender Lenkung wie auch ein Rad keinen
Anfang und kein Ende hat.
Wenn OPERA zwei verschiedene Bedeutungen hat, kann man
vom ersten Wort her jeweils vier Zeilen lesen:
SATOR OPERA TENET
OPERA
Der Schöpfer erhält
seine Werke mit seiner Sorge
Gematrische Zahlenverhältnisse erweisen die vier Wörter als eine
Texteinheit.
7.
OPERA kann auch als ein
Imperativ von OPERARE – wirken betrachtet werden, obwohl dieses Verb nur als
passivisches Deponens belegt ist. Diese Überlegung erhält Plausibilität durch
eine Buchstabenumstellung zu PAREO – ich gehorche. Daß diese Bedeutung bekannt war, zeigt OVID in einem Vers der Metamorphosen, für den er die
Zahlensumme 303 des SATOR-Quadrats festlegte: Im
14. Buch kommt Aeneas zur Sybille von Cumae, die ihm die Bedingung nennt, um in
die Unterwelt zu gelangen. Danach heißt es in Vers 115:
PARUIT AENEAS ET FORMIDABILIS ORCI
vidit opes
Es
gehorchte Äneas und des furchtbaren Orkus
Schätze
sah er
Wenn man OPERA mit SATOR
verbindet, ergibt sich so die Anrede und Bitte, Schöpfer,
wirke – Ich gehorche. Das rechte Wirken des Menschen wird so in
Übereinstimmung mit göttlichem Willen und Wirken verstanden, worin er seine
Rechtfertigung erfährt. Die Autonomie der Selbstbestimmung hat in dieser
Vorstellung keinen Platz.
8.
Das TENET-Kreuz hat eine sprechende Bedeutung, da es wie
ein Gerüst wirkt, das alles zusammenhält und miteinander verbindet. Die Wirkung
wird unterstützt durch den tragenden Querbalken des T, die ordnenden Arme des
E
(Anfang, Mitte, Ende) und natürlich durch die Wortbedeutung des ET – und.
Wenn die Rückwärtslesung von SATOR eine personale Du-Beziehung zwischen Mensch
und Gott erlaubt, dann kann der Leser des TENET-Kreuzes
für sich das Vertrauen entnehmen TENET ET TE
– er (er)hält auch dich:
|
Der Mensch, der sich
seinem Innersten zuwendet, erfährt Gottes erhaltende Kraft als dauerhafte
Gegenwart.
Es sollte vielleicht
auch der Wortbestandteil NET erwähnt werden.
9.
Das SATOR-Quadrat ist in jeder Sammlung von Palindromen
enthalten. Als Palindrom gilt gemeinhin eine Buchstaben- oder Zahlenfolge, die
vorwärts und rückwärts gleich zu lesen ist. Ein Palindrom ist wesentlich von
seinem Mittelpunkt her zu definieren, wie ich es in einem gesonderten Eintrag getan habe. Dementsprechend ist das SQ vom Mittelpunkt N her und S-förmig nach beiden Richtungen zum Anfang zu
lesen, hier nach oben und unten:
R |
O |
T |
A |
S |
O |
P |
E |
R |
A |
T |
E |
N |
E |
T |
A |
R |
E |
P |
O |
S |
A |
T |
O |
R |
NET OPERA SATOR – Es
webt die Werke der Schöpfer.
Diese Leseweise ist
ein wichtiger Grund dafür, daß das oberste Wort ROTAS
und nicht SATOR heißt.
NET kommt von nere – spinnen, weben. TE NET könnte also in dem Sinne verstanden werden,
er hat dich mit großer Kunstfertigkeit hervorgebracht und webt sorgsam (OPERA) dein Schicksal. Dieses Bild wird auch in Psalm 139,13 verwendet: Denn
du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
10. Dem
äußeren Quadratrahmen von zweimaligem SATOR ROTAS entspricht ein innerer:
RE(P)PER. Sowohl RE – zurück als auch PER – hindurch (örtlich und zeitlich) gibt die unaufhörliche
Dauer der Kreisbewegung der kosmischen Ordnung wieder. Die Buchstabenfolge REPER ist in sich ein
Palindrom und ist Bestandteil von reperire – finden und von repere – kriechen. Vielleicht ist mit dem inneren quadratischen
Kranz der mühsame (repere) Weg des Menschen gemeint, die Wahrheit zu erkennen (reperire) und zu einem Einklang
mit der göttlichen Ordnung und zum Schöpfer selbst zu gelangen.
11. Wenn man
die drei Wörter AREPO ROTAS TENET nebeneinander stellt, kann man an den
Endbuchstaben die drei grammtischen Personen im Singular erkennen. Sie haben
dieselbe Zahlensumme wie ROTA – das Rad (14+18+19 = 51). Die drei Buchstaben können selbst ein Wort
bilden: STO –
ich habe Bestand. Diese
Aussage kann dreifach verstanden werden:
·
Sie kann sich auf die drei göttlichen Personen beziehen, die in
ihrer Einheit in der ersten Person Singular sprechen.
·
Sie kann sich auf das SATOR-Quadrat
selbst beziehen und bedeutet einerseits, daß die Ordnung der Schöpfung
dauerhaften Bestand haben wird, und andererseits, daß das Buchstabenquadrat
selbst die Zeiten überdauern wird.
·
Schließlich kann STO
bedeuten, daß der Mensch, der in die Geheimnisse des SATOR-Quadrats
eingeweiht ist, in diesem und im jenseitigen Leben nicht dem Verfall
preisgegeben ist.
Erstellt: August 2001
Änderungen: 2006, 2016, 2020