Jesus begegnet dem römischen Soldat Publius Quintilianus
Kap.148: 1. Lehrjahr, Herbst
Südlich
von Nazareth erstreckt sich von Ost nach West die Esdralonebene. Dort befinden
sich ausgedehnte Besitzungen des einflußreichen Pharisäers Doras, der seine Arbeiter
unmenschlich behandelt. Jonas ist einer der Hirten, die die Botschaft der Engel
bei der Geburt Jesu empfingen. Jesus findet ihn schwerkrank und kauft ihn von
Doras los. Petrus und Andreas tragen ihn auf einer Bahre. Nach der folgenden
Episode erreichen sie Nazareth, wo Jonas im Bett Josephs stirbt.
Gegen Abend werden sie endlich von
einem römischen Militärwagen eingeholt.
«Im
Namen Gottes, haltet an!» sagt Jesus und hält den Arm hoch. Die beiden Soldaten
halten an. Aus dem Verdeck, das übergezogen worden ist, weil es zu regnen
beginnt, schaut ein pompös dekorierter Soldat heraus.
«Was
willst du?» fragt er Jesus.
«Ich
habe hier einen sterbenden Freund. Ich bitte für ihn um einen Platz auf dem
Wagen.»
«Ich
dürfte eigentlich nicht... aber steig ein! Wir sind schließlich keine Hunde.»
Die
Bahre wird hineingehoben.
«Ist
dies dein Freund? Wer bist du?»
«Der
Rabbi Jesus von Nazareth.»
«Du?
... Oh!» Der Soldat schaut ihn neugierig an. «Wenn du es wirklich bist ... dann
kommt alle herein, so viel Platz haben wir. Doch laßt euch nicht sehen. Die
Verordnung lautet so; doch über der Weisung steht die Menschlichkeit. Nicht
wahr? Und du bist gut! Ich weiß es. Wir Soldaten wissen alles... Wie ich es
erfahren habe? Auch die Steine reden über das Gute und das Schlechte, und wir
haben Ohren, um Caesar zu dienen. Du bist kein falscher Christus wie die
anderen, die schon vor dir gekommen sind und aufrührerisch und rebellisch
waren. Du bist gut. Rom weiß es. Dieser Mensch... ist sehr krank.»
«Ich
bringe ihn deswegen zu meiner Mutter.»
«Oh,
sie wird ihn nur kurze Zeit zu pflegen haben. Gib ihm etwas Wein! Hier im
Beutel ist welcher. Du, Aquila, gib den Pferden die Sporen, und du, Quintus,
gib mir den Honig und die Butter, meine Ration. Sie wird ihm gut tun. Er hustet
stark, und der Honig ist Arznei.»
«Du
bist gut.»
«O
nein, ich bin nur nicht ganz so böse wie viele andere. Ich freue mich, dich bei
mir zu haben. Denke an Publius
Quintilianus von der Italika. Ich bin in Caesarea stationiert.
Doch nun gehe ich nach Ptolomais zur angeordneten Inspektion.»
«Bist
du mir nicht feindlich gesinnt?»
«Ich?
Ich bin der Feind der Bösen, niemals der Guten. Ich möchte auch gut sein. Sag
mir, welche Lehre gibst du uns Männern des Schwertes?»
«Die
Lehre ist für alle dieselbe: Gerechtigkeit, Redlichkeit, Mäßigkeit und Mitleid.
Pflichterfüllung, ohne Mißbrauch der Macht. Auch in der harten Notwendigkeit
der Waffen die Menschlichkeit üben. Sich bemühen, die Wahrheit zu suchen, also
Gott, den Einen und Ewigen. Ohne diese Kenntnis bleibt jede Tat ohne Segen und
somit ohne ewige Belohnung.»
«Doch
was nützt mir nach dem Tode das Gute, das ich getan habe?»
«Wer
zum Wahren Gott kommt, findet das Gute im anderen Leben wieder.»
«Werde
ich wiedergeboren werden? Kann ich dann Tribun oder sogar Caesar werden?»
«Nein.
Du wirst Gott ähnlich werden, mit dem du dich im Himmel in seiner ewigen
Seligkeit vereinigst.»
«Wie?
Ich im Olymp? Unter den Göttern?»
«Es
gibt keine Götter! Es gibt nur den wahren Gott! Den, den ich predige. Den, der
dich hört, der deine Güte sieht und dein Verlangen, das Gute kennenzulernen.»
«Das
gefällt mir. Ich wußte nicht, daß Gott sich um einen armen heidnischen Soldaten
kümmert.»
«Er
hat dich erschaffen, Publius, er liebt dich also und möchte dich bei sich
haben.»
«Oh,
warum nicht? ... Aber... niemand sagt uns etwas über Gott... nie! ...»
«Ich
werde nach Caesarea kommen, und du wirst mich hören.»
«O
ja! Ich werde kommen, dich zu hören. Hier ist Nazareth. Ich wäre dir gerne noch
weiter behilflich; doch wenn man mich sieht ...»
«Wir
steigen hier aus, und ich segne dich für deine Barmherzigkeit!»
«Mein
Gruß dir, Meister.»
«Der
Herr möge sich euch kundtun, Soldaten! Lebt wohl!»
Sie
steigen aus und setzen ihren Weg zu Fuß fort.
November 2008