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B. Das Opfer

ð C. Die Folgen

ð D. Einige relevante Zahlenwerte (I-III)

Der Vollkommenheit Gottes entsprechen seine vollkommenen Gaben, die er nur den Menschen schenkt, die sich mit einer reinen Gesinnung an ihn wenden. Eine an Gott gerichtete Bitte kann erhört oder nicht erhört werden. In beiden Fällen erblickt der Gläubige den Willen Gottes. Dido aber hat sich bereits ihrer Treueverpflichtung gegenüber ihrem toten Gemahl Sychäus entledigt. Sie hätte zuvor die Götter um Entbindung von dieser Verpflichtung bitten müssen. Jetzt aber erhofft sie sich die Bestätigung einer bereits vollzogenen Entscheidung: Befreiung von ihrer Treueverpflichtung und erfolgreiches Werben um Aeneas.

Wer einer Leidenschaft ergeben ist, hat am Beginn einen oder mehrere Vernunftgründe außer Acht gelassen, die der Zustimmung zu einer Begierde entgegenstehen. Da eine unvernünftige Begierde keine moralische Rechtfertigung besitzt, die von den Mitmenschen anerkannt würde, gibt der von einer Begierde getriebene Mensch falsche Gründe nach außen an, um der Erfüllung seiner Wünsche näher zu kommen. Auch tendiert er dazu, sich selbst gegenüber entweder keine Rechenschaft über sein Tun abzulegen oder sich Rechtfertigungsgründe zurechtzulegen, die in immer tiefere Selbsttäuschung führen.

Dido weiß von Aeneas' Erzählung, daß er nach den Willen der Götter eine Mission zu erfüllen hat, die seine baldige Abreise zur Folge hat. Wenn sie also auf die Erfüllung ihres Liebesverlangens hofft, dann kann sie nur durch weibliche Verführungskünste ihr Ziel erreicht.

Zur Ausführung der Opfer bietet Dido alles auf, was ihrer Erscheinung Schönheit verleiht. Als PVLCHERRIMA bezeichnet sie Vergil in Z. 60. Ihre Schönheit soll nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter beeindrucken. Das Wort PVLCHERRIMA beginnt mit denselben zwei Buchstaben wie PVDOREM (Z.55). Damit will Vergil zeigen, daß Dido ihre innere Sicherheit verloren hat und durch äußeren Eindruck ersetzt.

Didos selbstsicheres Auftreten täuscht. Sie ist sehr besorgt, ob aus der Opferschau günstige Vorzeichen zu erkennen sind. Sie selbst, als Auftrageberin der Opferzeremonien, forscht in den Eingeweiden nach Vorbedeutungen.

Über den Ausgang der Opferschau wird nichts ausgesagt. Stattdessen ergreift unerwartet der Dichter selbst das Wort:

Heu vatum ignorae mentes! (Z.65)

O unwissender Geist der Seher (Priester)!

Diese Worte sind ein treffendes Beispiel dramatischer Ironie: Der Autor und mit ihm der Leser weiß mehr als die literarische Figur. Die Priester sind in mehrfacher Hinsicht zu bedauern und wegen einer gewissen Kritiklosigkeit zu tadeln:

– Ihr Dienst wird nicht vom Ablauf eines Kultkalenders der gesamten Volksgemeinschaft bestimmt, sondern ist vom Willen einer Frau abhängig.

– Sie handeln im guten Glauben, daß die Opfer im Interesse der ganzen Gemeinde dargebracht werden. In diesem Sinne verstehen sie den Begriff PAX, während es Dido um ihren privaten Seelenfrieden geht.

– Sie kennen nicht Didos wahren Seelenzustand. Da wegen Didos Liebesleidenschaft die Opferriten nicht in lauterer Gesinnung vollzogen werden, besitzen sie keine Gültigkeit. Denn der ewige Gott verweigert sein Mitwirken mit den Menschen, wenn diese selbstsüchtige Ziele verfolgen. Der Opferschau fehlt die sakrale Relevanz.

– Sie verwenden Mühe auf Zeichendeutung, obwohl die Opfer inhaltsleer sind. Sie machen sich zu lenkbaren Untertanen ihrer Königin.

Erstellt: April 2003

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