Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 11.8.10
Über Märtyrer und
Martyrium
Liebe Brüder und Schwestern!
Worauf gründet das
Martyrium? Die Antwort ist einfach: auf dem Tod Jesu, auf seinem höchsten
Liebesopfer, das am Kreuz vollzogen wurde, damit wir das Leben haben können
(vgl. Joh 10, 10). Christus ist der leidende Knecht, von dem der Prophet Jesaja
spricht (vgl. Jes 52, 13–15), der sich selbst als Lösegeld für viele hingegeben
hat (vgl. Mt 20, 28). Er ermahnt seine Jünger, jeden von uns, täglich sein
Kreuz auf sich zu nehmen und ihm auf dem Weg der vollkommenen Liebe zu Gott dem
Vater und zur Menschheit zu folgen. „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und
mir nachfolgt – so sagt er uns –, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben
gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert,
wird es gewinnen“ (Mt 10, 38–39). Es ist die Logik des Weizenkorns, das stirbt,
um aufzugehen und Leben zu bringen (vgl. Joh 12, 24). Jesus selber „ist das von
Gott gekommene Weizenkorn, das göttliche Weizenkorn, das sich in diese Erde
hineinfallen lässt, das sich aufreißen, aufbrechen lässt im Tode und gerade
dadurch offen wird und so in die Weite der Welt hinein Frucht bringen kann“
(Benedikt XVI., Besuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde Roms, 14. März
2010). Der Märtyrer folgt dem Herrn bis zuletzt und nimmt auf freie Weise an,
für das Heil der Welt zu sterben, als höchster Erweis des Glaubens und der
Liebe (vgl. Lumen gentium, 42).
Nochmals: Woraus geht die
Kraft hervor, das Martyrium anzunehmen? Aus der tiefen und innigen Vereinigung
mit Christus, da das Martyrium und die Berufung zum Martyrium nicht das
Ergebnis einer menschlichen Bemühung sind, sondern die Antwort auf eine
Initiative und einen Ruf Gottes, sie sind ein Geschenk Seiner Gnade, das dazu
befähigt, das eigene Leben aus Liebe zu Christus und zur Kirche und somit zur
Welt hinzugeben. Wenn wir über das Leben der Märtyrer lesen, sind wir
überrascht über die Gelassenheit und den Mut, mit dem sie den Leiden und dem
Tod begegnen: die Kraft Gottes offenbart sich auf vollkommene Weise in der
Schwachheit, in der Armut dessen, der sich Ihm anvertraut und nur auf Ihn seine
Hoffnung setzt (vgl. 2 Kor 12, 9). Doch es ist wichtig, darauf hinzuweisen,
dass die Gnade Gottes nicht die Freiheit dessen unterdrückt oder erstickt, der
dem Martyrium begegnet, sondern sie im Gegenteil bereichert und erhöht: Der Märtyrer
ist ein auf höchste Weise freier Mensch, frei gegenüber der Macht, frei
gegenüber der Welt; ein freier Mensch, der in einem einzigen endgültigen Akt
Gott sein ganzes Leben schenkt und sich in einem höchsten Akt des Glaubens, der
Hoffnung und der Liebe in die Hände seines Schöpfers und Erlösers begibt; er
opfert sein Leben, um auf vollkommene Weise am Kreuzesopfer Christi
teilzuhaben. Mit einem Wort: der Märtyrertod ist ein großer Akt der Liebe als
Antwort auf die unendliche Liebe Gottes.
Liebe Brüder und
Schwestern, wie ich am vergangenen Mittwoch gesagt habe, sind wir vermutlich
nicht zum Martyrium berufen, doch keiner von uns ist von der göttlichen
Berufung zur Heiligkeit ausgenommen, davon, ein christliches Leben nach einem
hohen Maßstab zu führen, und das beinhaltet, täglich sein Kreuz auf sich zu
nehmen. Wir alle müssen uns, vor allem in unserer Zeit, in der Egoismus und
Individualismus vorzuherrschen scheinen, als erste und fundamentale Aufgabe
vornehmen, täglich in der Liebe zu Gott und zu unseren Brüdern und Schwestern
zu wachsen, um unser Leben und so auch unsere Welt zu verwandeln. Durch
Fürsprache der Märtyrer und Heiligen bitten wir den Herrn, unser Herz zu
entzünden, damit wir zu lieben vermögen, so wie Er jeden von uns geliebt hat.