Papst Benedikt XVI.: Ansprache während der Generalaudienz am 30.1.08:

Augustinus (3)

Liebe Freunde!

Nach der Gebetswoche für die Einheit der Christen wollen wir heute zur großen Gestalt des heiligen Augustinus zurückkehren. Mein lieber Vorgänger, Johannes Paul II., hat ihm im Jahr 1986, also zum sechzehnhundertsten Jahrestag der Bekehrung des heiligen Augustinus, ein langes und inhaltlich dichtes Dokument gewidmet: das Apostolische Schreiben „Augustinum Hipponensem“. Der Papst selbst hat diesen Text als „Dank an Gott für das Geschenk, das mit jener wunderbaren Bekehrung der Kirche und durch sie der ganzen Menschheit zuteil geworden ist“ (AAS, 74, 1982, S. 802), bezeichnet. Auf das Thema der Bekehrung möchte ich in einer der nächsten Audienzen zurückkommen. Es ist ein wesentliches Thema – nicht nur für sein, sondern auch für unser Leben. Im Evangelium des vergangenen Sonntags hat der Herr selbst seine Verkündigung in den Worten zusammengefasst: „Kehrt um“. Während wir dem Weg des heiligen Augustinus folgen, könnten wir darüber nachdenken, was diese Umkehr bedeutet: sie ist etwas definitives, entscheidendes, doch diese grundlegende Entscheidung muss sich entwickeln, sie muss sich in unserem ganzen Leben verwirklichen.

Die heutige Katechese ist hingegen dem Thema Glaube und Vernunft gewidmet, welches ein entscheidendes Thema, oder besser, das entscheidende Thema für die Biografie des heiligen Augustinus ist. Als Kind hatte seine Mutter Monika ihn den katholischen Glauben gelehrt. Doch als junger Mann hat er sich von diesem Glauben abgekehrt, weil er seine Vernünftigkeit nicht mehr erkennen konnte und keine Religion wollte, die nicht auch Ausdruck der Vernunft, also der Wahrheit für ihn sei. Sein Verlangen nach Wahrheit war tief verwurzelt und hat schließlich dazu geführt, dass er sich vom katholischen Glauben entfernte. Dieses Verlangen war so tief verwurzelt, das er sich nicht mit Philosophien zufrieden geben konnte, die nicht bis zur Wahrheit selbst, die nicht bis zu Gott vordrangen. Und zwar zu einem Gott, der nicht nur eine letzte kosmologische Hypothese war, sondern der wahre Gott, der Gott, der das Leben schenkt und in unser persönliches Leben eintritt. So stellt der gesamte geistige und geistliche Weg des heiligen Augustinus auch heute noch ein gültiges Modell im Verhältnis von Glauben und Vernunft dar – ein Thema, nicht nur für die gläubigen Menschen, sondern auch für jeden Menschen, der nach der Wahrheit sucht, das zentrale Thema für das innere Gleichgewicht und das Schicksal jedes Menschen. Diese beiden Dimensionen, Glaube und Vernunft, dürfen weder getrennt noch einander entgegengesetzt werden, sondern sie müssen vielmehr immer gemeinsam gesehen werden. Wie der heilige Augustinus selbst nach seiner Bekehrung geschrieben hat, sind Glaube und Vernunft „die beiden Kräfte, die uns zur Erkenntnis führen“ (Contra Academicos, III, 20, 43). Diesbezüglich sind die beiden augustinischen Wendungen immer noch zu Recht berühmt (Sermones, 43, 9), welche diese logisch kohärente Synthese zwischen Glauben und Vernunft zum Ausdruck bringen: „crede ut intelligas“ (glaube, um zu verstehen) – Glauben öffnet den Weg, um die Pforte der Wahrheit zu durchschreiten – aber auch, und zwar damit untrennbar verbunden, „intellige ut credas“ (verstehe, um zu glauben), forsche nach der Wahrheit, um Gott zu finden und zu glauben.

Die beiden Aussagen von Augustinus bringen mit eindrucksvoller Unmittelbarkeit und mit einer ebensolchen geistigen Tiefe die Synthese dieses Problems zum Ausdruck, in dem die katholische Kirche ihren eigenen Weg ausgedrückt sieht. Historisch bildet sich diese Synthese noch vor dem Kommen Christi in der Begegnung zwischen dem jüdischen Glauben und dem griechischen Denken im hellenistischen Judentum. Diese Synthese ist später in der Geschichte von vielen christlichen Denkern aufgenommen und entwickelt worden. Die Harmonie zwischen Glauben und Vernunft bedeutet vor allem, dass Gott nicht fern ist: er ist unserer Vernunft und unserem Leben nicht fern; er ist jedem Menschen nahe, er ist unserem Herzen und unserem Verstand nahe, wenn wir uns wirklich auf den Weg machen.

Gerade diese Nähe Gottes zum Menschen wurde von Augustinus mit außergewöhnlicher Intensität empfunden. Die Gegenwart Gottes im Menschen ist tief und gleichzeitig geheimnisvoll, doch sie kann im eigenen Inneren entdeckt und erkannt werden: Geh nicht hinaus – erklärt der Bekehrte – sondern „kehre zu Dir selbst zurück; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn Du entdeckst, dass Deine Natur wandelbar ist, dann gehe über Dich hinaus. Doch denk daran, dass Du, wenn Du über Dich selbst hinausgehst, über eine vernünftig denkende Seele hinausgehst. Strebe also dorthin, wo sich das Licht der Vernunft entzündet“. (De vera religione, 39,72). Genau wie er selbst es in einer ganz berühmten Aussage betont, die sich am Anfang der „Bekenntnisse“ findet, einer geistigen Autobiografie, die zum Lob Gottes geschrieben wurde: „Geschaffen hast du uns im Hinblick auf dich, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir“ (I, 1, 1).

Das Fernsein Gottes entspricht also dem Fernsein von sich selbst: „Du aber – erkennt Augustinus (Bekenntnisse, III, 6, 11), wobei er sich direkt an Gott wendet – warst innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes“, „interior intimo meo et superior summo meo“; so dass – wie er in einem anderen Abschnitt hinzufügt, in dem er sich an die Zeit vor seiner Bekehrung erinnert – „Du ... vor mir (warst), ich aber hatte mich selbst verlassen und fand mich nicht, geschweige denn dich“ (Bekenntnisse V, 2, 2). Gerade weil Augustinus persönlich diesen geistigen und geistlichen Werdegang erlebt hat, hat er ihn in seinen Werken mit solcher Unmittelbarkeit, geistiger Tiefe und Weisheit wiedergeben können, und in zwei anderen berühmten Abschnitten der „Bekenntnisse“ (IV, 4, 9 und 14, 22) erklärt, dass der Mensch ein „großes Rätsel“ (magna quaestio) und ein „unendlicher Abgrund“ (grande profundum) sei, Rätsel und Abgrund, die nur Christus erhellt und rettet. Das ist wichtig: ein Mensch der Gott fern steht, steht auch sich selbst fern, er ist sich selbst entfremdet und kann sich selbst nur in der Begegnung mit Gott wiederfinden. So findet er auch zu sich selbst, zu seinem wahren Ich, zu seiner wahren Identität.

Der Mensch – unterstreicht Augustinus dann in „Über den Gottesstaat“ (XII, 27) – ist von Natur aus gesellig aber ungesellig durch seine Sünden, und er wird von Christus erlöst, dem einzigen Vermittler zwischen Gott und der Menschheit und „dem universalen Weg der Freiheit und des Heiles“, wie mein Vorgänger Johannes Paul II. wiederholt hat (Augstinum Hipponensem, 21): außerhalb dieses Weges, welcher der Menschheit nie gefehlt hat – so erklärt Augustinus im selben Werk weiter –, „ist niemand befreit worden, wird niemand befreit und wird niemand befreit werden“ (Über den Gottesstaat, X, 32, 2). Als einziger Vermittler des Heils, ist Christus das Haupt der Kirche und auf geheimnisvolle Weise mit ihr verbunden, so dass Augustinus erklären kann: „Wir sind Christus geworden. Denn wenn er das Haupt ist und wir seine Glieder, dann ist der ganze Mensch er und wir“ (In Iohannis evangelium tractatus, 21, 8).

Als Volk Gottes und als Haus Gottes ist die Kirche in der Sicht von Augustinus folglich eng mit der Vorstellung des Leibes Christi verbunden, die auf der christologischen Lektüre des Alten Testaments gründet sowie auf dem sakramentalen Leben, in deren Mittelpunkt die Eucharistie steht, in welcher der Herr uns seinen Leib schenkt und uns in seinen Leib verwandelt. Es ist also ganz wesentlich, dass die Kirche, das Volk Gottes in einem christologischen und nicht in einem soziologischen Sinne, wirklich in Christus ist, der – so erklärt Augustinus in einem wunderschönen Abschnitt – „für uns betet, in uns betet, und von uns angebetet wird. Er betet für uns als unser Priester; er betet in uns als unser Haupt; er wird von uns angebetet als unser Gott. Erkennen wir daher in ihm unsere Stimme und in uns seine Stimme“ (Enarrationes in Psalmos, 85, 1). Zum Schluss des Apostolischen Schreibens „Augustinum Hipponensem“ hat Johannes Paul II. den Heiligen selbst dazu befragen wollen, was er den Menschen von heute zu sagen hätte, und er antwortet vor allem mit den Worten, die Augustinus einem Brief anvertraut hat, den er kurz vor seiner Bekehrung diktiert hat: „Mir scheint, die Menschen müssten sich auf die Hoffnung zurückziehen, die Wahrheit zu finden“ (Epistulae, 1, 1); jene Wahrheit, die Christus selbst ist, der wahre Gott, an den sich eines der schönsten und bekanntesten Gebete aus den Bekenntnissen (X, 27, 38) richtet: „Spät habe ich dich geliebt, o Schönheit, so alt und doch immer neu, spät habe ich dich geliebt. Und siehe, du warst in meinem Innern und ich draußen; und draußen suchte ich dich und stürzte mich in meiner Hässlichkeit auf die schönen Gebilde, die du geschaffen. Du warst bei mir, aber ich nicht bei dir. Weit weg von dir zog mich, was doch keinen Bestand hätte, wenn es nicht in dir wäre. Du hast mich laut gerufen und meine Taubheit zerrissen; du hast geblitzt und geleuchtet und meine Blindheit verscheucht. Du hast mir süßen Duft zugeweht; ich habe ihn eingesogen, und nun seufze ich nach dir. Ich habe dich geschmeckt, und nun hungere und dürste ich nach dir. Du hast mich berührt, und ich bin entbrannt in deinem Frieden“.

Hier sehen wir: Augustinus ist Gott begegnet und im Laufe seines gesamten Lebens hat er ihn so intensiv erfahren, dass diese Wirklichkeit – die vor allem Begegnung mit einer Person, Jesus, ist – sein Leben verändert hat, so wie sie das Leben so vieler Menschen, Männer und Frauen, zu jeder Zeit verändert, welche die Gnade erfahren, ihm zu begegnen. Beten wir, dass der Herr uns diese Gnade gewähre und uns so seinen Frieden finden lasse.

 

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