Papst Benedikt XVI.: Ansprache während der Generalaudienz am 28.6.08:

Maximus

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich die Gestalt eines der großen östlichen Kirchenväter aus der späten Zeit vorstellen. Es handelt sich um einen Mönch, den heiligen Maximus, der sich aufgrund des unerschrockenen Muts, mit dem er – selbst Leiden in Kauf nehmend – seinen unversehrten Glauben an Jesus Christus, den wahren Gott und wahren Menschen, den Erlöser der Welt, zu bezeugen – zu „bekennen“ – wusste, in der christlichen Überlieferung den Titel „Confessor“ (Bekenner) verdient hat. Maximus wurde um das Jahr 580 in Palästina, dem Land des Herrn, geboren. Schon als Junge wurde er zum Mönchsleben und zum Studium der Bibel hingeführt, unter anderem durch die Werke des Origenes, des großen Lehrmeisters, der bereits im dritten Jahrhundert die alexandrinische Exegesetradition „fixiert“ hatte.

Von Jerusalem hat sich Maximus nach Konstantinopel begeben, und von dort ist er, aufgrund der Barbareneinfälle, nach Afrika geflüchtet. Hier hat er sich durch außerordentlichen Mut bei der Verteidigung der Rechtgläubigkeit hervorgetan. Maximus hat keinerlei Verkürzung der Menschheit Christi zugelassen. Es war die Theorie aufgekommen, nach der es in Christus nur einen Willen und zwar den göttlichen gegeben habe. Um die Einmaligkeit seiner Person zu verteidigen, wurde Ihm ein echter und eigener menschlicher Wille abgesprochen. Und auf den ersten Blick könnte es auch als etwas Gutes erscheinen, dass es in Christus nur einen einzigen Willen geben soll. Doch der heilige Maximus hat gleich verstanden, dass dies das Heilsgeheimnis zerstört hätte, da eine Menschheit ohne Willen, ein Mensch ohne Willen, kein wahrer Mensch ist, er ist ein verkürzter Mensch. Der Mensch Jesus Christus wäre also kein wahrer Mensch gewesen, er hätte nicht die Tragik des Menschseins erlebt, die gerade in der Schwierigkeit besteht, unseren Willen mit der Wahrheit des Seins in Einklang zu bringen. Und so erklärt der heilige Maximus voller Überzeugung: Die Heilige Schrift zeigt uns keinen verkürzten Menschen, einen Menschen ohne Willen, sondern einen vollständigen Menschen: Gott hat in Jesus Christus das Menschsein wirklich vollständig angenommen – ausgenommen die Sünde natürlich – und folglich auch einen menschlichen Willen gehabt. Und die Sache scheint, wenn man es so sagt, klar: Christus ist entweder ein Mensch, oder er ist es nicht. Wenn er Mensch ist, hat er auch einen Willen. Doch hier kommt das Problem auf: Landet man hier nicht bei einer Art Dualismus? Spricht man hier am Ende nicht von zwei vollständigen Persönlichkeiten: Vernunft, Wille, Gefühl? Wie kann man den Dualismus überwinden, die Vollständigkeit des Menschseins und gleichzeitig die Einheit der Person Christi bewahren, der nicht schizophren war? Und der heilige Maximus zeigt, dass der Mensch seine Einheit, seine Unversehrtheit, seine Ganzheit nicht in sich selbst findet, sondern indem er sich selbst übersteigt, aus sich selbst herausgeht. So auch in Christus: Indem er aus sich herausgeht findet der Mensch in Gott, im Sohn Gottes, sich selbst. Man braucht den Menschen nicht zu verkürzen, um die Fleischwerdung zu erklären; man muss nur die Dynamik des Menschseins verstehen, die sich nur durch das Aus-Sich-Selbst-Herausgehen verwirklicht; nur in Gott finden wir uns selbst, unsere Ganzheit und Vollständigkeit. So sieht man, dass nicht der Mensch, der sich in sich selbst verschließt ein vollständiger Mensch ist, sondern der Mensch, der sich öffnet, der aus sich selbst herausgeht, vollständig wird und sich selbst gerade im Sohn Gottes findet, in ihm seine wahre Menschheit findet.

Für den heiligen Maximus bleibt diese Sicht keine philosophische Spekulation; er sieht sie im konkreten Leben Jesu verwirklicht, vor allem im Drama von Gethsemani. In diesem dramatischen Todeskampf Jesu, in der Todesangst, im Gegensatz zwischen dem menschlichen Willen, nicht zu sterben und dem göttlichen Willen, der sich dem Tod offeriert, in diesem Drama von Gethsemani verwirklicht sich das gesamte menschliche Drama, das Drama unserer Erlösung. Der heilige Maximus sagt uns – und wir wissen, das dies wahr ist –: Adam (und Adam sind wir selbst) hat gedacht, das „Nein“ sei der Gipfel der Freiheit. Nur wer „Nein“ sagen könne, sei wirklich frei; um seine Freiheit wirklich zu realisieren, muss der Mensch „Nein“ zu Gott sagen; nur so denkt er, endlich er selbst zu sein, den Höhepunkt der Freiheit erreicht zu haben. Diese Neigung war auch in der menschlichen Natur Christi enthalten, doch er hat sie überwunden, weil Christus gesehen hat, dass nicht das „Nein“ das Höchstmaß an Freiheit darstellt. Das Höchstmaß der Freiheit ist das „Ja“, die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Nur im „Ja“ wird der Mensch wirklich er selbst; nur in der großen Öffnung auf das „Ja“, in der Vereinigung seines Willens mit dem göttlichen Willen wird der Mensch unendlich weit, wird er „göttlich“. Adams Wunsch war es, wie Gott, das heißt vollkommen frei zu sein. Doch der Mensch, der sich in sich selbst verschließt, ist nicht göttlich, ist nicht vollkommen frei; er ist es, indem er aus sich herausgeht, im „Ja“ wird er frei; und das ist das Drama von Getsemani: nicht mein, sondern dein Wille. Indem er den menschlichen dem göttlichen Willen überträgt, wird der wahre Mensch geboren, so werden wir erlöst. Das ist, in wenigen Worten, der fundamentale Punkt dessen, was der heilige Maximus sagen wollte, und wir sehen, dass es hier wirklich um das gesamte Menschsein geht; hier ist das ganze Problem unseres Lebens.

Der heilige Maximus hatte schon in Afrika Schwierigkeiten, diese Sicht Gottes und des Menschen zu verteidigen; dann wurde er nach Rom berufen. Im Jahr 649 hat er am Laterankonzil mitgewirkt, das von Papst Martin I. zur Verteidigung der beiden Willen Christi einberufen worden war – gegen das Edikt des Kaisers, der – „pro bono pacis“ (dem Frieden zuliebe) – die Diskussion dieser Frage verboten hatte. Papst Martin musste seinen Mut teuer bezahlen: Obwohl er in einem schlechten gesundheitlichen Zustand war, wurde er verhaftet und nach Konstantinopel überführt. Nach dem Prozess, bei dem er zum Tode verurteilt wurde, wurde seine Strafe in die endgültige Verbannung auf die Krim verwandelt, wo er am 16. September 655 nach zwei langen, demütigenden und qualvollen Jahren verstorben ist.

Wenige Zeit später, im Jahr 662, war Maximus an der Reihe, der – sich ebenfalls dem Kaiser widersetzend – nochmals wiederholte: „Es ist unmöglich zu behaupten, in Christus sei nur ein Wille gewesen“ (vgl. PG 91, cc. 268–269). So wurde Maximus gemeinsam mit zwei Schülern, die beide den Namen Anastasius trugen, einem zermürbenden Prozess unterzogen, obwohl er nunmehr bereits das Alter von achtzig Jahren überschritten hatte. Das kaiserliche Gericht beschuldigte ihn der Irrlehre und verurteilte zur grausamen Verstümmelung der Zunge und der rechten Hand – die beiden Körperteile, mittels derer Maximus durch Worte und Schrift die irrige Lehre des einzigen Willens Christi bekämpft hatte. Schließlich wurde der so verstümmelte Mönch nach Kolchis am Schwarzen Meer verbannt, wo er am 13. August desselben Jahres 662, erschöpft von den erlittenen Qualen verstarb.

Bei der Lebensbeschreibung des Maximus haben wir sein literarisches Schaffen zur Verteidigung der Rechtgläubigkeit erwähnt. Wir haben vor allem auf die „Disputatio cum Pyrrho“ verwiesen, der bereits Patriarch von Konstantinopel war: In ihr gelingt es ihm, den Gegner von seinen Irrtümern zu überzeugen. Mit großer Ehrlichkeit beschließt Pyrrhus den Disput auf folgende Weise: „Ich bitte um Verzeihung für mich und für alle, die mir vorangegangen sind: Aus Unwissenheit sind wir zu diesen widersinnigen Ideen und Gedankengängen gelangt; und ich bete, es möge sich eine Möglichkeit finden lassen, diese Widersinnigkeit zu bereinigen und die Erinnerung an diejenigen zu bewahren, die sich geirrt haben“ (PG 91, c. 352). Es sind uns weiter einige Dutzend wichtige Werke überliefert, unter denen die „Mystagogia“ herausragt, eine der bedeutendsten Schriften des heiligen Maximus, die sein theologisches Denken in einer gut strukturierten Synthese zusammenfasst.

Das Denken des heiligen Maximus ist niemals ausschließlich theologisch, spekulativ, auf sich selbst bezogen, da er immer die konkrete Wirklichkeit der Welt und ihres Heils zum Ziel hat. In diesem Kontext, in dem er leiden musste, konnte er nicht auf rein theoretische philosophische Behauptungen ausweichen; er musste den Sinn des Lebens suchen und sich fragen: wer bin ich, was ist die Welt? Gott hat dem Menschen, der nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen ist, den Auftrag anvertraut, den Kosmos zu vereinen. Und wie Christus in sich selbst das Menschsein vereint hat, hat der Schöpfer im Menschen den Kosmos vereint. Er hat uns gezeigt, wie der Kosmos in der Gemeinschaft Christi vereint wird und wie man so wirklich zu einer erlösten Welt gelangen kann. Auf diese mächtige Heilsvision bezieht sich Hans Urs von Balthasar, einer der größten Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts, der die Gestalt des heiligen Maximus neu „lanciert“ und sein Denken mit dem eindrücklichen Begriff „Kosmische Theologie“ erklärt hat. Im Mittelpunkt dieser feierlichen „Liturgie“ bleibt immer Jesus Christus, der einzige Erlöser der Welt. Die Wirksamkeit seines Heilshandelns, die den Kosmos endgültig vereint hat, wird durch die Tatsache gewährleistet, dass er, obwohl er in allem Gott ist, auch ganz und gar Mensch ist – eingeschlossen die „Energie“ und der Wille des Menschen.

Leben und Denken des Maximus bleiben stark von seinem ungeheuren Mut erleuchtet, die vollständige Wahrheit Christi unverkürzt und kompromisslos zu bezeugen. Und so wird sichtbar, wer der Mensch wirklich ist, wie wir leben müssen, um unserer Berufung zu entsprechen. Wir müssen mit Gott vereint leben, um so mit uns selbst und mit dem Kosmos vereint zu leben und dem Kosmos selbst und der Menschheit die rechte Form zu geben. Das universale „Ja“ Christi zeigt uns auch in aller Deutlichkeit, wie wir alle anderen Werte richtig einordnen können. Denken wir an Werte, die heute zu Recht verteidigt werden, wie etwa die Toleranz, die Freiheit, den Dialog. Doch eine Toleranz, die nicht mehr zwischen Gut und Böse zu unterscheiden wüsste, wäre chaotisch und selbstzerstörerisch. So gilt auch: Eine Freiheit, welche die Freiheit der anderen nicht respektieren und kein gemeinsames Maß unserer jeweiligen Freiheiten finden würde, wäre zersetzend und würde die Autorität zerstören. Der Dialog, der nicht mehr weiß, worüber dieser Dialog geführt werden soll, wird zu leerem Geschwätz. Alle diese Werte sind bedeutend und fundamental, doch sie können nur dann wahre Werte bleiben, wenn sie den Bezugspunkt haben, der sie vereint und ihnen wahre Authentizität verleiht. Dieser Bezugspunkt ist die Synthese zwischen Gott und dem Kosmos, es ist die Gestalt Christi, in der wir die Wahrheit unserer selbst erfahren und auf diese Weise lernen, wie wir alle anderen Werte einordnen sollen, damit wir ihre wirkliche Bedeutung entdecken. Jesus Christus ist der Bezugspunkt, der alle anderen Werte erklärt. Das ist das Ziel, welches das Zeugnis dieses großen Bekenners anstrebt. Und so zeigt uns Christus am Ende, dass der Kosmos Liturgie, Lobpreis Gottes, werden muss und dass die Anbetung der Beginn der wahren Verwandlung, der wahren Erneuerung der Welt ist.

Daher möchte ich mit einem grundlegenden Abschnitt aus den Werken des heiligen Maximus schließen: „Wir beten den einen Sohn an, gemeinsam mit dem Vater und dem Heiligen Geist, wie vor aller Zeit so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen!“ (PG 91, c. 269).

 

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