Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 7.10.09
Johannes Leonardi
Liebe Brüder und Schwestern!
Johannes Leonardi wurde
1541 in Diecimo in der Toskana bei Lucca geboren. Er war das jüngste von sieben
Kindern und seine Jugend war vom Rhythmus des Glaubens geprägt, der in einer
gesunden und arbeitsamen Familie gelebt wurde, sowie von häufigen Besuchen
eines Gewürz- und Arzneimittelladens in seinem Heimatort. Als er siebzehn Jahre
alt war, schrieb der Vater ihn in einen Kurs über Arzneimittel in Lucca ein, um
ihn zum Apotheker ausbilden zu lassen. Etwa zehn Jahre lang frequentierte er
den Kurs aufmerksam und fleißig, doch als er den Normen entsprechend, die von
der Republik Lucca vorgesehenen waren, die offizielle Anerkennung erwarb, die
ihm das Recht verliehen hätte, eine eigene Apotheke zu öffnen, dachte er
allmählich daran, ob nicht der Moment gekommen sei, einen Plan zu
verwirklichen, der ihm stets am Herzen gelegen hatte. Nach reiflicher
Überlegung beschloss er, sich dem Priestertum zu nähern. Er verließ also die
Apotheke, wurde nach einer entsprechenden theologischen Ausbildung zum Priester
geweiht und feierte am Epiphanietag 1572 die erste Messe. Er gab jedoch sein
Interesse für die Arzneimittelkunde nicht auf, da er spürte, dass der
Apothekerberuf ihm ermöglichen würde, ganz seine Berufung zu erfüllen, nämlich
den Menschen durch ein heiligmäßiges Leben „die Medizin Gottes“ zu vermitteln:
den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, „das Maß aller Dinge“.
Beseelt von der
Überzeugung, dass alle Menschen dieser Medizin mehr als alles anderen
bedürften, versuchte der heilige Johannes Leonardi aus der persönlichen
Begegnung mit Jesus Christus den fundamentalen Grund seines Daseins zu machen.
„Es ist notwendig, wieder bei Christus zu beginnen“, so pflegte er gerne und
häufig zu wiederholen. Der Vorrang Christi vor allem anderen wurde für ihn ein
konkretes Urteils- und Handlungskriterium sowie das Grundprinzip seines
priesterlichen Dienstes, den er ausübte, während in der Kirche eine
umfangreiche und breite geistliche Erneuerungsbewegung im Gange war – dank des
Aufblühens neuer religiöser Institute und des leuchtenden Zeugnisses von
Heiligen wie Karl Borromäus, Philip Neri, Ignatius von Loyola, Josef von Calasanza,
Camillo de Lellis und Aloisius von Gonzaga. Begeistert widmete er sich mittels
der Bruderschaft der Christlichen Lehre dem Jugendapostolat und sammelte eine
Gruppe von Jugendlichen um sich, mit denen er am 1. September 1574 die
Kongregation reformierter Priester der Seligen Jungfrau gründete, die später
Regularkleriker der Mutter Gottes genannt wurden. Seinen Schülern empfahl er,
„nur die Ehre und die Herrlichkeit des gekreuzigten Jesus Christus und den
Dienst an ihm vor ihrem geistigen Auge zu haben“, und als guter Apotheker, der
daran gewöhnt war, den Arzneitrank nach einer genauen Beziehung zu dosieren,
fügte er hinzu: „Erhebt Eure Herzen ein wenig mehr zu Gott und messt die Dinge
an Ihm“.
Von apostolischem Eifer
bewegt sandte er im Mai 1605 eine „Denkschrift“ an den gerade gewählten Papst
Paul V., in dem er Kriterien für eine wirkliche Erneuerung der Kirche
vorschlug. Er erklärte, es sei „notwendig, dass diejenigen, die sich eine
Reform der menschlichen Sitten wünschen, vor allem und in erster Linie die Ehre
Gottes suchen.“ Und weiter, dass sie leuchten müssten, „durch ein
unbescholtenes Leben und durch vorbildliche Sitten, um so auf sanfte Weise zur
Erneuerung zu bewegen, statt sie aufzuzwingen“. Weiter erklärte er: „Wer eine
ernsthafte religiöse und moralische Reform durchführen möchte, der muss vor
allem, wie ein guter Arzt, eine gewissenhafte Diagnose der Übel vornehmen, von
denen die Kirche geplagt wird, um so in der Lage sein zu können, für jedes von
ihnen das geeignete Heilmittel zu verschreiben.“ Und er stellte fest, dass „die
Erneuerung der Kirche gleichermaßen in den Anführern und in den Untergebenen,
oben und unten stattfinden muss. Sie muss bei denen beginnen, die bestimmen und
sich auf diejenigen ausdehnen, die ihnen unterstehen“. Während er den Papst
dazu drängte, eine „universale Reform der Kirche“ zu fördern, kümmerte er sich
um die christliche Ausbildung des Volkes und vor allem der Kinder, die „von
klein auf... in der Reinheit des christlichen Glaubens und in den guten Sitten“
erzogen werden müssen.
Liebe Brüder und
Schwestern, die leuchtende Gestalt dieses Heiligen lädt alle Christen und die
Priester an erster Stelle dazu ein, stets nach dem „hohen Maßstab des
christlichen Lebens“, nach der Heiligkeit zu streben – jeder natürlich seinem
Stand entsprechend. Nur aus der Treue zu Christus kann die wirkliche kirchliche
Erneuerung hervorgehen. In jenen Jahren des kulturellen und gesellschaftlichen
Übergangs vom sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert, begannen sich die
Prämissen der künftigen zeitgenössischen Kultur abzuzeichnen, die durch eine
unzulässige Trennung von Glaube und Vernunft gekennzeichnet war und mit ihren
negativen Folgen die Marginalisierung Gottes hervorgebracht hat und die
Illusion einer möglichen und völligen Autonomie des Menschen, der sich dafür
entscheidet zu leben, „als ob es Gott nicht gäbe“. Es handelt sich um die Krise
des modernen Denkens – auf die ich bereits häufiger hingewiesen habe –, die
oftmals auf Formen des Relativismus hinausläuft. Johannes Leonardi spürte,
welches die wahre Medizin für diese geistlichen Übel sei und fasste dies in dem
Ausdruck zusammen: „Christus vor allem“, Christus im Mittelpunkt des Herzens,
im Mittelpunkt der Geschichte und der Welt. Die Menschheit, so erklärte er
eindringlich, hat Christus dringend notwendig, da Er unser „Maß“ ist. Es gibt
keinen Bereich, der nicht von Seiner Kraft berührt werden könnte; es gibt kein
Übel, dass in ihm keine Heilung finden würde; es gibt kein Problem, das sich in
ihm nicht lösen lässt. „Christus oder nichts“! Das ist sein Rezept für jede Art
von geistlicher und gesellschaftlicher Reform.
Es gibt einen weiteren
Aspekt in der Spiritualität des heiligen Johannes Leonardi, auf den ich gerne
hinweisen möchte. Bei mehreren Gelegenheiten hat er bekräftigt, dass sich die
lebendige Begegnung mit Christus in seiner Kirche verwirklicht: heilig und doch
brüchig, verwurzelt in der Geschichte und manchmal dunkel in ihrem Werden, wo
gleichzeitig Weizen und Unkraut gedeihen (vgl. Mt 13, 30), aber dennoch immer
Sakrament des Heils. In dem klaren Bewusstsein, dass die Kirche der Acker
Gottes ist (vgl. Mt 13, 24), empörte er sich nicht über ihre menschliche
Schwäche. Um das Unkraut zu bekämpfen, entschied er sich dafür, guter Weizen zu
sein: er beschloss also, Christus in der Kirche zu leben und dazu beizutragen,
sie immer mehr zu einem deutlichen Zeichen für Ihn zu machen.
Mit großem Realismus sah er
die Kirche, ihre menschliche Brüchigkeit, aber auch, dass sie „Acker Gottes“
war, das Werkzeug Gottes für das Heil der Menschheit. Nicht nur das. Aus Liebe
zu Christus setzte er sich eifrig dafür ein, die Kirche zu reinigen, sie
schöner und heiliger zu machen. Er verstand, dass jede Reform innerhalb der
Kirche und niemals gegen die Kirche erfolgen muss. Darin war Johannes Leonardi
wirklich außergewöhnlich und sein Vorbild bleibt stets aktuell. Jede Reform
betrifft sicherlich die Strukturen, doch in erster Linie muss sie sich auf die
Herzen der Gläubigen auswirken. Nur die Heiligen, Männer und Frauen, die sich
vom göttlichen Geist leiten lassen, dazu bereit, radikale und mutige
Entscheidungen im Licht des Evangeliums zu treffen, erneuern die Kirche und
tragen auf entscheidende Weise dazu bei, eine bessere Welt zu schaffen.
Liebe Brüder und
Schwestern, das Leben des heiligen Johannes Leonardi war immer vom Glanz des
„Heiligen Antlitzes“ Jesu erleuchtet, das in der Kathedralkirche von Lucca
aufbewahrt und verehrt wird und das beredtes Zeichen und unumstrittene Synthese
des Glaubens wurde, der ihn beseelte. Von Christus erobert, wie der Apostel
Paulus, wies er seine Schüler – und weist er heute noch uns alle – auf das
christozentrische Ideal hin, für das man „jedes Eigeninteresse ablegen und nur
auf den Dienst an Gott blicken muss“ und forderte, dabei immer „nur die Ehre
und die Herrlichkeit des gekreuzigten Jesus Christus und den Dienst an ihm vor
dem geistigen Auge zu haben“. Neben dem Antlitz Christi richtete er den Blick
fest auf das mütterliche Antlitz Marias. Diejenige, die er zur Schutzpatronin
seines Ordens erwählte, war ihm Lehrerin, Schwester, Mutter, und er erfuhr
ihren ständigen Beistand. Mögen das Vorbild und die Fürsprache dieses
„faszinierenden Gottesmannes“ vor allem in diesem Priesterjahr Ermahnung und
Ermutigung für die Priester und für alle Christen sein, ihre Berufung begeistert
und leidenschaftlich zu leben.