Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 6.5.09
Johannes von Damaskus
Liebe Brüder und Schwestern!
Im Osten erinnert man sich
vor allem an seine drei „Reden gegen die Verleumder der heiligen Bilder“, die
nach seinem Tod beim ikonoklastischen Konzil von Hiereia (754) verurteilt
wurden. Diese Reden wurden jedoch auch der Hauptgrund für seine Rehabilitation
und für seine Kanonisation seitens der orthodoxen Väter, die zum Zweiten Konzil
von Nizäa (787), dem siebten Ökumenischen Konzil, zusammengekommen waren. In
diesen Texten lassen sich die ersten wichtigen theologischen Versuche erkennen,
die Verehrung der heiligen Bilder zuzulassen, indem sie mit dem Geheimnis der
Menschwerdung des Gottessohnes im Leib der Jungfrau Maria verbunden wurde.
Johannes von Damaskus
gehörte außerdem zu den ersten, die sowohl im öffentlichen wie auch im privaten
Kult der Christen zwischen Anbetung (latreia) und Verehrung (proskynesis)
unterschieden: Ersteres kann sich nur auf Gott beziehen und ist etwas höchst
geistliches, zweiteres hingegen kann ein Bild zur Hilfe nehmen, um sich an
denjenigen zu wenden, der auf dem Bild dargestellt wird. Natürlich darf der
Heilige in keinem Fall mit dem materiellen Bild identifiziert werden. Diese
Unterscheidung erwies sich sogleich als äußerst wichtig, um denjenigen auf
christliche Weise zu antworten, welche verlangten, dass die Beachtung des
strengen Verbots der kultischen Verwendung von Bildern aus dem Alten Testament
als allgemeingültig und unabänderlich angesehen werden musste. Das war auch in
der islamischen Welt eine große Debatte, die der jüdischen Tradition des
völligen Ausschlusses von Bildern aus dem Kult beigestimmt hat. Die Christen
haben hingegen in diesem Zusammenhang über die Frage diskutiert und eine
Rechtfertigung für die Verehrung der Bilder gefunden. Johannes von Damaskus
schreibt: „In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt
besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt. Jetzt aber, da Gott im Fleische
sichtbar wurde und mit den Menschen umging, kann ich das an Gott sichtbare Bild
darstellen. Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer der
Materie an, der um meinetwillen selbst Materie wurde und es auf sich nahm, in
der Materie zu leben, der mittels der Materie meine Rettung ins Werk setzte.
Ich werde daher nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die meine
Rettung bewirkt ist. Doch ich verehre sie keinesfalls als Gott! Denn wie könnte
das Gott sein, was aus dem Nichtseienden sein Dasein erhielt?...
Die übrige Materie aber verehre und achte ich, durch die meine Rettung zustande
kam, da sie von göttlicher Wirkkraft und Gnade erfüllt ist. Das Kreuzesholz,
das überglückliche und überselige, ist es vielleicht nicht Materie?... Und die Tinte und das heilige Buch der Evangelien, sind
sie nicht Materie? Der rettende Altar, von dem aus das Brot des Lebens
ausgeteilt wird, ist er nicht Materie?... Und ist nicht vor all dem anderen der Leib und das Blut meines
Herrn Materie? Du musst also den Kult und die Verehrung all dieser Dinge
abschaffen oder der kirchlichen Überlieferung auch die Verehrung der Bilder
Gottes und der Freunde Gottes lassen, die durch den Namen, den sie tragen,
geheiligt sind, sodass aus diesem Grund die Gnade des Heiligen Geistes in ihnen
wohnt. Mach also die Materie nicht schlecht: sie ist nicht verachtenswert, denn
nichts, was von Gott kommt, ist verachtenswert.“ (Contra imaginum
calumniatores, I, 16).
Wir sehen, dass die Materie
aufgrund der Fleischwerdung gewissermaßen vergöttlicht erscheint, dass sie als
Wohnstatt Gottes angesehen wird. Es handelt sich um eine neue Sicht der Welt
und der materiellen Wirklichkeit. Gott ist Fleisch geworden und das Fleisch ist
wirklich Wohnstatt Gottes geworden, dessen Herrlichkeit im menschlichen Antlitz
Christi erstrahlt. Die Aussagen des östlichen Kirchenlehrers sind daher auch
heute noch von höchster Aktualität, angesichts der äußerst großen Würde, die
der Materie in der Menschwerdung zuteil wurde, so dass sie im Glauben Zeichen
und wirksames Sakrament des Begegnung des Menschen mit Gott werden konnte.
Johannes von Damaskus bleibt also ein besonderer Zeuge der Bilderverehrung, die
schließlich – bis heute – zu einem besonders wichtigen Aspekt der östlichen
Theologie und Spiritualität wird. Es ist jedoch eine Form des Kults, die
einfach zum christlichen Glauben gehört, zum Glauben an jenen Gott, der Fleisch
geworden ist und sich sichtbar gemacht hat. Die Lehre des heiligen Johannes von
Damaskus fügt sich so in die Tradition der universalen Kirche ein, deren
sakramentale Lehre vorsieht, dass der Natur entstammende materielle Dinge kraft
der Anrufung (epiclesis) des Heiligen Geistes und begleitet vom Bekenntnis des
wahren Glaubens, Vermittler der Gnade werden können.
In den Zusammenhang mit
diesen Grundgedanken stellt Johannes von Damaskus auch die Verehrung der
Heiligenreliquien – basierend auf der Überzeugung, dass die christlichen
Heiligen, da sie an der Auferstehung Christi teilhaben, nicht einfach als
„Tote“ angesehen werden können. Bei einer Aufzählung derjenigen etwa, deren
Reliquien oder Bilder der Verehrung würdig sind, präzisiert Johannes in seiner
dritten Rede zur Verteidigung der Bilder: „Vor allem (verehren wir) diejenigen,
unter denen Gott geruht hat, der allein Heilige, der bei den Heiligen ruht
(vgl. Jes 57, 15), wie die heilige Mutter Gottes und alle Heiligen. Es sind
diejenigen, die, soweit es möglich ist, durch ihren Willen und weil Gott in
ihnen wohnt und ihnen hilft, Gott ähnlich geworden sind. Sie werden wirklich
Götter genannt (vgl. Ps 82, 6). Ähnlich wie das glühende Eisen, das nicht das
Feuer selbst ist, aber doch zum Teil seine Eigenschaften übernommen hat, sind
die Heiligen vom göttlichen Leben durchdrungen. So sagt er: ,Seid
heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig‘ (Lev 19, 2)“ (III, 33, col.
1352 A). Nach einer Reihe von Hinweisen dieser Art konnte der Damaszener daher
ruhig folgern: „Gott, der gut ist und über jede Güte erhaben, hat sich nicht
mit der Betrachtung seiner selbst begnügt, sondern er wollte, dass es Wesen
gebe, die – von ihm beschenkt – an seiner Güte teilhaben könnten: Daher hat er
aus dem Nichts alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge geschaffen,
einschließlich des Menschen, sichtbarer und unsichtbarer Wirklichkeit. Er hat
ihn geschaffen, indem er ihn als ein Wesen gedacht und verwirklicht hat, das
denken kann (ennoema ergon), der Sprache mächtig (logo[i] sympleroumenon) und
auf den Geist ausgerichtet ist (pneumati teleioumenon)“ (II, 2, PG 94, col. 865A).
Und um seinen Gedanken
weiter zu verdeutlichen, fügt Johannes hinzu: „Man muss sich von Staunen
erfüllen lassen (thaumazein) über alle Werke der Vorsehung (tes pronoias erga),
sie alle loben und sie alle annehmen und die Versuchung überwinden, in ihnen Aspekte
auszumachen, die vielen unrecht oder ungerecht (adika) erscheinen, und
stattdessen zuzugeben, dass der Plan Gottes (pronoia) über die Erkenntnis- und
Verstehensfähigkeit (agnoston kai akatalepton) des Menschen hinausgeht, während
Er im Gegenteil unsere Gedanken, unsere Handlungen und sogar unsere Zukunft
kennt“ (II, 29, PG 94, col. 964C). Schon Platon hat übrigens gesagt, dass die
gesamte Philosophie mit dem Staunen beginnt: Auch unser Glaube beginnt mit dem
Staunen über die Schöpfung, über die Schönheit Gottes, die sichtbar wird.
Die optimistische Sicht der
natürlichen Kontemplation (physike theoria), dieses Sehens des Guten, Schönen,
Wahren in der sichtbaren Schöpfung, dieser christliche Optimismus ist kein
argloser Optimismus: Er berücksichtigt die Wunde, die der menschlichen Natur
durch eine von Gott gewollte und vom Menschen auf falsche Weise benutzte
Entscheidungsfreiheit zugefügt wurde, mit allen Folgen der Disharmonie, die
sich daraus ergeben haben. Von daher die Notwendigkeit, die der Theologe aus
Damaskus klar erkannt hat, dass die Natur – in der sich die Güte und die
Schönheit Gottes spiegeln, die durch unsere Schuld verletzt werden – durch das
Herabsteigen des Sohnes Gottes in das Fleisch „gestärkt und erneuert werde“,
nachdem Gott selbst auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Anlässen
versucht hatte zu zeigen, dass er den Menschen geschaffen hatte, damit er nicht
allein im „Sein“, sondern im „Gut-Sein“ sei (vgl. Genaue Darlegung des
orthodoxen Glaubens, II, 1, PG 94, col. 981).
Mit leidenschaftlicher
Begeisterung erklärt Johannes: „Zudem galt es, die Natur zu stärken und zu
erneuern und den Weg der Tugend durch die Tat zu weisen und zu lehren
(didachthenai aretes hodon), der vom Verderben weg- und zum ewigen Leben
hinführt. Da endlich zeigt er das große Meer der Liebe, die er zu ihm [= dem
Menschen] hat (philanthropias pelagos).“ Das ist ein schöner Ausdruck. Wir
sehen auf der einen Seite die Schönheit der Schöpfung und auf der anderen die
Zerstörung, die durch die menschliche Schuld erfolgt. Doch wir sehen im Sohn
Gottes, der hinabsteigt, um die Natur zu erneuern, das Meer der Liebe Gottes
zum Menschen. Johannes von Damaskus fährt fort: „Denn der Schöpfer und Herr
selbst übernimmt für sein Gebilde den Kampf und wird Lehrer durch die Tat...
Denn der Sohn Gottes, ... der in göttlicher Gestalt existierte, der neigt nach
dem Wohlgefallen Gottes des Vaters die Himmel und steigt herab... zu seinen
Knechten... Er vollbringt das Neueste von allem Neuen, das allein Neue unter
der Sonne, wodurch sich die unendliche Macht Gottes offenbart“ (III, 1. PG 94,
coll. 981C–984B).
Wir können uns den Trost
und die Freude vorstellen, die diese an so faszinierenden Bildern reichen Worte
in den Herzen der Gläubigen verbreitet haben. Auch wir hören sie, heute, mit
denselben Gefühlen der Christen von damals: Gott will in uns ruhen, er will die
Natur auch durch unsere Umkehr erneuern, er will uns an seiner Gottheit
teilhaben lassen. Möge der Herr uns helfen, diese Worte zur Grundlage unseres
Lebens zu machen.