Papst Benedikt XVI. Generalaudienz
am 12.1.11
Katharina von Genua
Liebe Brüder und Schwestern!
Katharina wurde 1447 als jüngstes von fünf Kindern in Genua geboren;
sie verlor ihren Vater Giacomo Fieschi in noch jungen Jahren. Ihre Mutter,
Francesca di Negro, sorgte für eine gute christliche Erziehung, sodass die
ältere der beiden Töchter Ordensfrau wurde. Katharina wurde im Alter von
sechzehn Jahren mit Giuliano Adorno vermählt, einem Mann, der nach
verschiedenen geschäftlichen und militärischen Erfahrungen im Nahen Osten nach
Genua zurückgekehrt war, um zu heiraten. Das Eheleben war nicht einfach, auch
aufgrund des Charakters ihres Mannes, der dem Glücksspiel ergeben war.
Katharina selbst wurde anfangs zu einem mondänen Lebensstil verleitet, wobei es
ihr jedoch nicht gelang, zu innerer Ruhe zu finden. Nach zehn Jahren war ihr
Herz von Leere und Bitterkeit erfüllt.
Ihre Bekehrung begann am 20. März 1473 dank einer einzigartigen
Erfahrung. Sie hatte sich zum Kloster „Nostra Signora delle Grazie“ begeben, um
zu beichten. Als sie sich vor dem Priester hinkniete, wurde sie, wie sie selbst
schreibt, „tief im Herzen von der unendlichen Liebe Gottes getroffen“. Sie hatte
eine so klare Vision ihres Elends und ihrer Fehler sowie gleichzeitig der Güte
Gottes, dass sie beinahe ohnmächtig wurde. Sie wurde zutiefst von dieser
Selbsterkenntnis berührt: von dem leeren Leben, das sie führte, und von der
Liebe Gottes. Aus dieser Erfahrung entstand der Entschluss, der ihr ganzes
Leben prägen sollte und in den Worten zum Ausdruck kommt: „Nichts Weltliches
mehr, keine Sünden mehr“ (vgl. Vita mirabile, 3rv). Katharina lief fort, ohne
zu beichten. Sie kehrte nach Hause zurück, zog sich in das abgelegenste Zimmer
zurück und weinte lange. In jenem Moment wurde sie innerlich über das Gebet
belehrt, und sie wurde sich der unendlichen Liebe Gottes zu ihr, der Sünderin,
bewusst – eine spirituelle Erfahrung, die sie nicht mit Worten auszudrücken
vermochte (vgl. Vita mirabile, 4r). Bei dieser Gelegenheit erschien ihr der
leidende Christus, der das Kreuz trägt, wie er häufig in der Ikonografie der
Heiligen dargestellt wird. Wenige Tage später kehrte sie zu dem Priester
zurück, um endlich eine gute Beichte abzulegen. Hier begann jenes „Leben der
Läuterung“, währenddessen sie über einen langen Zeitraum hinweg ständig unter
den begangenen Sünden litt und dazu gedrängt wurde, sich Bußübungen und Opfer
aufzuerlegen, um Gott ihre Liebe zu zeigen.
Auf diesem Weg kam Katharina dem Herrn immer näher, bis sie
schließlich die Phase des „vereinigten Lebens“ erreichte, also eine Beziehung
tiefer Vereinigung mit Gott. In der Lebensbeschreibung steht, dass ihre Seele
innerlich allein von der süßen Liebe Gottes geleitet und belehrt wurde, die ihr
alles gab, wessen sie bedurfte. Katharina gab sich so vollständig in die Hände
des Herrn, dass sie fünfundzwanzig Jahre – wie sie schreibt – „ohne irgendeinen
anderen Menschen, nur von Gott belehrt und geleitet“ (Vita, 117r–118r) lebte
und sich vor allem durch ständiges Gebet stärkte sowie durch die Heilige
Kommunion, die sie jeden Tage empfing, was zu ihrer Zeit nicht üblich war. Erst
viele Jahre später schenkte der Herr ihr einen Priester, der ihr Seelsorger
wurde.
Es widerstrebte Katharina stets, ihre Erfahrung der mystischen
Gemeinschaft mit Gott jemandem anzuvertrauen oder sich darüber zu äußern, vor
allem aufgrund der tiefen Demut, die sie angesichts der Gnade des Herrn
empfand. Nur die Aussicht, Ihm Ehre zu erweisen und dem geistlichen Weg anderer
von Nutzen sein zu können, drängte sie, das zu berichten, was ausgehend vom
Moment ihrer Bekehrung an, dieser ursprünglichen und grundsätzlichen Erfahrung,
in ihr geschehen war. Der Ort, an dem sie zu mystischen Höhen aufstieg, war das
Pammatone-Spital, der größte Krankenhauskomplex Genuas, den sie leitete und
prägte. Katharina führte also trotz ihres tiefen Innenlebens ein durch und
durch aktives Leben. Im Pammatone bildete sich eine Gruppe von Anhängern,
Schülern und Mitarbeitern, die von ihrem Glaubensleben und ihrer Nächstenliebe
beeindruckt waren. Auch ihr Mann, Giuliano Adorno, wurde so sehr davon
ergriffen, dass er sich von seinem ausschweifenden Leben abwandte, in den
Dritten Orden der Franziskaner eintrat und ins Krankenhaus zog, um seiner Frau
zu helfen. Katharina nahm ihre Aufgabe in der Krankenfürsorge bis zum Ende
ihres Weges auf Erden – dem 15. September 1510 – wahr.
Von ihrer Bekehrung bis zum Tod gab es keine außergewöhnlichen Momente, doch
zwei Elemente kennzeichneten ihr gesamtes Leben: einerseits die mystische
Erfahrung, also die tiefe Vereinigung mit Gott, die wie eine bräutliche
Vereinigung empfunden wurde, und auf der anderen Seite der Beistand für die
Kranken, die Organisation des Krankenhauses, der Dienst am Nächsten, vor allem
der Ärmsten und Bedürftigsten. Von diesen beiden Polen – Gott und dem Nächsten
– war ihr Leben, das sie praktisch innerhalb der Krankenhausmauern verbrachte,
vollständig erfüllt.
Liebe Freunde, wir dürfen folgendes niemals vergessen: Je mehr wir
Gott lieben und je beständiger wir beten, desto besser wird es uns gelingen,
diejenigen wirklich zu lieben, die um uns sind, die uns nahe sind, da wir fähig
werden, in jedem Menschen das Antlitz des Herrn zu sehen, der grenzenlos und
unterschiedslos liebt. Die Mystik schafft nicht den Abstand zum anderen, sie
führt nicht zu einem abgekehrten Leben, sondern bringt einen dem anderen
vielmehr näher, weil man beginnt, mit den Augen Gottes zu schauen und nach
seinem Herzen zu handeln.
Die Gedanken Katharinas zum Fegfeuer, aufgrund derer sie besonders
bekannt ist, finden sich in den letzten beiden Teilen des anfänglich zitierten
Buches: dem „Traktat über das Fegfeuer“ und dem „Geistlichen Dialog“. Es ist
wichtig festzustellen, dass Katharina in ihrer mystischen Erfahrung niemals
besondere Offenbarungen über das Fegfeuer oder über die Seelen, die darin
geläutert werden, empfängt. Doch in den Schriften unserer Heiligen bildet das
Fegfeuer ein zentrales Element und die Art, wie sie es beschreibt, weist im
Hinblick auf ihre Epoche besondere Züge auf. Die erste Besonderheit betrifft
den „Ort“, an dem die Seelen geläutert werden.
Zu ihrer Zeit stellte man sich diesen Ort hauptsächlich mit Hilfe
von Bildern vor, die mit dem Raum zu tun hatten: Man dachte an einen bestimmten
Raum, wo sich das Fegfeuer befinden würde. Bei Katharina jedoch wird das
Fegfeuer nicht wie eine Landschaft tief im Inneren der Erde dargestellt: es ist
kein äußeres, es ist ein inneres Feuer. Das ist das Fegfeuer: ein inneres
Feuer. Die Heilige spricht über die Läuterung der Seele auf ihrem Weg zur
vollen Gemeinschaft mit Gott und geht dabei von ihrer eigenen Erfahrung tiefen
Schmerzes über ihre Sünden aus, den sie angesichts der unendlichen Liebe Gottes
empfindet (vgl. Vita mirabile, 171v).
Wir haben vom dem Augenblick ihrer Bekehrung gehört, in dem
Katharina plötzlich die Güte Gottes, die unendliche Distanz ihres eigenen
Lebens von dieser Güte sowie ein Feuer, das in ihr brennt, verspürt. Und das
ist das Feuer, das reinigt, es ist das innere Feuer des Fegfeuers. Auch hier
haben wir es mit einem hinsichtlich ihrer Zeit eigenen Zug zu tun. Unsere
Heilige geht nicht vom Jenseits aus, um die Qualen des Fegfeuers zu schildern –
wie es damals üblich war und vielleicht auch heute noch ist – und dann den Weg
zur Läuterung oder zur Umkehr aufzuzeigen, sondern sie geht von ihrer eigenen
inneren Lebenserfahrung auf dem Weg zur Ewigkeit aus. Die Seele – so sagt
Katharina – zeigt sich Gott noch gebunden an das Verlangen und an den Schmerz,
der von der Sünde ausgeht, und das macht es ihr unmöglich, sich der
beglückenden Anschauung Gottes zu erfreuen. Katharina erklärt, dass Gott so
rein und heilig ist, dass die mit Sünden befleckte Seele nicht in der Gegenwart
der göttlichen Majestät sein kann (vgl. Vita mirabile, 177r).
Und auch wir merken, wie distanziert wir sind, wie wir von so
vielen Dingen überladen sind, dass wir Gott nicht sehen können. Die Seele ist
sich der unendlichen Liebe und der vollkommenen Gerechtigkeit Gottes bewusst
und leidet folglich darunter, nicht auf richtige und vollkommene Weise auf
diese Liebe geantwortet zu haben, und gerade diese Liebe zu Gott wird zu einer
Flamme, die Liebe selbst läutert sie vom Unrat der Sünde.
In Katharina lassen sich theologische und mystische Quellen
ausmachen, aus denen ihre Zeit zu schöpfen pflegte. Vor allem findet sich ein
Bild, das typisch für Dionysius Areopagita ist, nämlich das Bild der goldenen
Schnur, die das Herz des Menschen mit Gott verbindet. Wenn Gott den Menschen
geläutert hat, dann bindet er ihn mit einer dünnen goldenen Schnur an, die
seine Liebe ist, und zieht ihn so sehr zu sich, dass der Mensch wie
„überwunden, besiegt und ganz außer sich“ ist. So wird das Herz von der Liebe
Gottes eingenommen, die zur einzigen Führung, zum einzigen Antrieb seines
Daseins wird (vgl. Vita mirabile, 246rv). Dieser Zustand der Erhebung zu Gott
und des Ablassens vom eigenen Willen, der im Bild der Schnur zum Ausdruck
kommt, wird auch von Katharina verwendet, um das Wirken des göttlichen Lichts
auf die Seelen im Fegfeuer zu beschreiben, ein Licht, das sie läutert und sie
zum Glanz der leuchtenden Strahlen Gottes erhebt (vgl. Vita mirabile, 179r).
Liebe Freunde, die Heiligen erlangen in ihrer Vereinigung mit Gott
ein so tiefes „Wissen“ über die göttlichen Geheimnisse, in denen Liebe und
Erkenntnis einander durchdringen, dass sie den Theologen Hilfe leisten können
bei ihrem Bemühen um Erforschung, um „intelligentia fidei“, um „Einsicht“ in
die Glaubensgeheimnisse, um eine wirkliche Vertiefung der Geheimnisse, etwa, was
die Frage des Fegfeuers betrifft.
Mit ihrem Leben lehrt uns die heilige Katharina: Je mehr wir Gott
lieben und je vertrauter wir durch das Gebet mit Ihm werden, desto klarer gibt
Er sich zu erkennen und desto stärker entzündet er unser Herz mit seiner Liebe.
Mit ihren Aussagen über das Fegfeuer ruft uns die Heilige eine fundamentale
Wahrheit des Glaubens in Erinnerung, die für uns zur Aufforderung wird, für die
Verstorbenen zu beten, damit sie zur beseligenden Gottesschau in der
Gemeinschaft der Heiligen gelangen können (vgl. Katechismus der Katholischen
Kirche, 1032). Der demütige, treue und großherzige Dienst, den die Heilige Zeit
ihres Lebens in einem Krankenhaus in Genua leistete, ist zudem ein leuchtendes
Beispiel der Liebe zu allen und eine Ermutigung vor allem für die Frauen, die
einen fundamentalen Beitrag für die Gesellschaft und die Kirche leisten, durch
ihr wertvolles Wirken, das durch ihre Sensibilität und die Fürsorge für die
Ärmsten und Bedürftigsten bereichert wird. Danke.