Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 22.4.09
Ambrosius Autpertus
Liebe Brüder und Schwestern!
Ambrosius Autpertus, der
aus einer angesehenen Familie in der Provence stammte, war – seinem späteren
Biografen Johannes zufolge – am Hof des Frankenkönigs Pippin der Jüngere tätig,
wo er neben seinen Aufgaben als Beamter in gewisser Weise auch das Amt des
Hauslehrers für den künftigen Kaiser Karl den Großen ausübte. Autpertus kam
wahrscheinlich im Gefolge von Papst Stefan II., der sich in den Jahren 753 bis
754 an den fränkischen Hof begeben hatte, nach Italien und hatte Gelegenheit,
die berühmte Benediktinerabtei St. Vinzenz an den Quellen des Volturno im
Herzogtum Benevent zu besuchen. Die Abtei, die zu Beginn jenes Jahrhunderts von
den drei Brüdern Paldo, Tato und Taso aus dem Benevent gegründet worden war,
war als eine Oase klassischer und christlicher Kultur bekannt. Kurz nach seinem
Besuch entschied sich Ambrosius Autpertus für das Ordensleben und trat in jenes
Kloster ein, wo er sich auf angemessene Weise vor allem im Bereich der
Theologie und der Spiritualität entsprechend der Tradition der Kirchenväter
bilden konnte. Um das Jahr 761 wurde er zum Priester geweiht und am 4. Oktober
777 mit der Unterstützung der fränkischen Mönche zum Abt gewählt, während die
langobardischen Mönche gegen ihn waren und den Langobarden Potho vorgezogen
hätten.
Die Spannungen mit
nationalistischen Hintergrund beruhigten sich auch in den kommenden Monaten
nicht, mit der Folge, dass Autpertus im folgenden Jahr 778 daran dachte, seinen
Rücktritt einzureichen und sich mit einigen fränkischen Mönchen nach Spoleto
zurückzuziehen, wo er auf den Schutz Karls des Großen zählen konnte. Dadurch
wurde jedoch der Zwist im Kloster St. Vinzenz nicht beigelegt, und einige Jahre
später, als Potho nach dem Tod des Abtes, der auf Autpertus gefolgt war, zum
Abt gewählt wurde (782), entbrannte der Konflikt von neuem, bis der neue Abt
schließlich bei Karl dem Großen angezeigt wurde. Dieser schickte die
streitenden Parteien an das Gericht des Papstes, der sie nach Rom kommen ließ.
Er berief auch Autpertus als Zeugen, der jedoch während der Reise am 30. Januar
784 plötzlich – möglicherweise Opfer eines Mordes – verstarb.
Ambrosius Autpertus war in
einer Zeit Mönch und Abt, die von starken politischen Spannungen gezeichnet
war, welche sich auch auf das Leben innerhalb der Klöster auswirkten. In seinen
Schriften kommt das wiederholt und auf besorgte Weise zum Ausdruck. Es beklagt
zum Beispiel den Widerspruch zwischen dem glänzenden äußeren Erscheinungsbild
der Klöster und der Lauheit der Mönche: Gewiss hatte er mit dieser Kritik auch
seine eigene Abtei im Visier. Für sie schrieb er die „Vita“ ihrer drei Gründer
mit der klaren Absicht, der neuen Generation von Mönchen einen Bezugspunkt zu
liefern, an dem sie sich messen konnten. Eine ähnliche Absicht verfolgte auch
die kleine asketische Abhandlung „Conflictus vitiorum et virtutum“ („Kampf
zwischen den Lastern und den Tugenden“), die im Mittelalter großen Erfolg hatte
und 1473 in Utrecht unter dem Namen Gregors des Großen sowie ein Jahr später in
Straßburg unter dem des heiligen Augustinus veröffentlicht wurde. Mit ihr
möchte Ambrosius Autpertus die Mönche auf konkrete Weise belehren, wie sie
täglich den geistlichen Kampf aufnehmen können. Bezeichnenderweise wendet er
die Aussage aus 2 Tim 3, 12 „So werden alle, die in der Gemeinschaft mit
Christus Jesus ein frommes Leben führen wollen, verfolgt werden“ nicht mehr auf
die äußerliche Verfolgung an, sondern auf die Angriffe von Seiten der Kräfte
des Bösen, gegen die der Christ in sich selbst angehen muss. In einer Art Streitgespräch
werden 24 einander bekämpfende Paare vorgestellt: Jedes Laster versucht die
Seele mit spitzfindigen Gedankengängen zu verführen, während die entsprechende
Tugend diese boshaften Einflüsterungen widerlegt, indem sie sich vorzugsweise
der Worte der Heiligen Schrift bedient.
In dieser Abhandlung über
den Kampf zwischen Lastern und Tugenden stellt Autpertus der „cupiditas“ (der
Habsucht) der „contemptus mundi“ (die Verachtung der Welt) gegenüber, die eine
wichtige Figur in der Spiritualität der Mönche wird. Diese Weltverachtung ist
keine Verachtung der Schöpfung, der Schönheit und der Güte des Geschaffenen und
des Schöpfers, sondern Verachtung der falschen Weltsicht, die uns gerade durch
die Habgier gezeigt und eingeredet wird. Sie flüstert uns ein, das „Haben“, das
„wichtig erscheinen“ stelle den höchsten Wert unseres Daseins, unseres Lebens
in der Welt dar. Und so entstellt sie die Schöpfung der Welt und zerstört die
Welt. Autpertus stellt weiter fest, dass in der Gesellschaft seiner Zeit die Gier
der Reichen und Mächtigen nach Gewinn auch in den Seelen der Mönche zu finden
ist und schreibt daher eine Abhandlung mit dem Titel „De cupiditate“, in der er
mit dem Apostel Paulus von Anfang an die Habgier als die Wurzel aller Übel
aufzeigt. Er schreibt: „Aus dem Erdboden dringen diverse spitze Dornen aus
verschiedenen Wurzeln hervor; im menschlichen Herzen hingegen entstammen die
Stachel aller Laster einer einzigen Wurzel: der Habgier“ (De cupiditate 1; CCCM
27B, S. 963). Diese Hervorhebung erweist angesichts der derzeitigen
internationalen Wirtschaftskrise ihre ganze Aktualität. Wir sehen, dass die
Krise gerade aus dieser Wurzel der Habgier entstanden ist. Ambrosius ahnt den
Einwand, den die Reichen und Mächtigen mit den Worten erheben könnten: wir sind
ja keine Mönche, für uns gelten gewisse asketische Forderungen nicht. Und er
antwortet: „Es stimmt, was ihr sagt, doch auch für euch gilt – entsprechend
eurer Gesellschaftsschicht und gemäß euren Kräften – der enge und steile Weg,
denn der Herr hat nur zwei Pforten und zwei Wege vorgesehen (nämlich die enge
und die weite Pforte sowie den steilen und den bequemen Weg); eine dritte
Pforte und einen dritten Weg hat er nicht aufgezeigt“ (l. c., S. 978). Er sieht
klar, dass es äußerst verschiedene Lebensweisen gibt. Doch auch für den
Menschen in dieser Welt, auch für den Reichen gilt die Pflicht, gegen die
Habgier, die Lust am Besitz, am äußeren Schein zu kämpfen, gegen die falsche
Vorstellung von der Freiheit als Befugnis, über alles nach eigenem Ermessen
verfügen zu können. Auch der Reiche muss den wirklichen Weg der Wahrheit, der
Liebe und somit des rechten Lebens finden. Als kluger Seelenhirte weiß
Autpertus dann zum Schluss seiner Bußpredigt ein tröstliches Wort zu sagen:
„Ich habe nicht gegen die Habgierigen gesprochen, sondern gegen die Habgier,
nicht gegen die Natur, sondern gegen das Laster“ (l. c., p. 981).
Das wichtigste Werk von
Ambrosius Autpertus ist sicher sein zehnbändiger Kommentar zur Offenbarung: es
stellt nach Jahrhunderten den ersten umfassenden Kommentar der lateinischen
Welt zum letzten Buch der Bibel dar. Dieses Werk war die Frucht einer
mehrjährigen Arbeit, die in zwei Etappen zwischen den Jahren 758 und 767, also
vor seiner Wahl zum Abt, durchgeführt worden war. Im Vorwort gibt er genauestens
seine Quellen an, was im Mittelalter absolut nicht üblich war. Durch seine
vielleicht wichtigste Quelle, den Kommentar des Bischofs Primasius Adrumetanus,
der um die Mitte des sechsten Jahrhunderts verfasst worden war, kommt Autpertus
in Kontakt mit der Auslegung der Offenbarung des Afrikaners Tyconius, der eine
Generation vor dem heiligen Augustinus gelebt hatte. Tyconius war kein
Katholik; er gehörte zur schismatischen Kirche der Donatisten; dennoch war er
ein großer Theologe. In diesem seinem Kommentar sieht er in der Offenbarung vor
allem das Geheimnis der Kirche widergespiegelt. Tyconius war zu der Überzeugung
gelangt, dass die Kirche ein zweigeteilter Leib sei: der eine Teil, so sagte
er, gehört Christus, doch es gibt einen anderen Teil der Kirche, der dem Teufel
gehört. Augustinus hat diesen Kommentar gelesen und Gewinn daraus gezogen,
jedoch eindringlich darauf hingewiesen, dass die Kirche in den Händen Christi
ist, dass sie Sein Leib bleibt, mit Ihm ein Einziges bildet, teilnimmt an
Seiner Mittlerschaft der Gnade. Er betont daher, dass die Kirche niemals von
Jesus Christus getrennt werden kann. In seiner Lesart der Offenbarung, die der
des Tyconius ähnlich ist, interessiert sich Autpertus nicht so sehr für das
zweite Kommen Christi am Ende der Zeiten, sondern vielmehr für die Folgen, die
sich für die Kirche der Gegenwart aus Seinem ersten Kommen, der Menschwerdung
im Schoß der Jungfrau Maria, ergeben. Und er sagt uns etwas ganz Wichtiges: in
Wirklichkeit muss Christus „täglich in uns, die wir sein Leib sind, geboren
werden, sterben und auferstehen“ (In Apoc. III: CCCM 27, S. 205).
Im Zusammenhang mit der
mystischen Dimension, die jeden Christen betrifft, blickt er auf Maria als ein
Vorbild der Kirche, ein Vorbild für uns alle, da auch in uns und durch uns
Christus geboren werden muss. An Hand der Kirchenväter, die in der „Frau, mit
der Sonne bekleidet“ aus Offb 12,1 das Bild der Kirche sahen, erklärt
Autpertus: „Die selige und fromme Jungfrau... bringt täglich neue Völker
hervor, aus denen sich der gesamte Leib des Mittlers bildet. Es ist also nicht
überraschend, wenn diejenige, in deren seligem Leib die Kirche selbst erlangte,
mit ihrem Haupt verbunden zu sein, das Urbild der Kirche darstellt“. In diesem
Sinne sieht Autpertus eine entscheidende Rolle der Jungfrau Maria im
Erlösungswerk (siehe auch seine Predigten „In purificatione s. Mariae“ sowie
„In adsumptione s. Mariae“). Seine große Verehrung der Mutter Gottes und seine
tiefe Liebe zu ihr geben ihm manchmal Formulierungen ein, die in gewisser Weise
die des heiligen Bernhard und der franziskanischen Mystik vorwegnehmen, ohne
dabei in fragwürdige Formen der Sentimentalität abzudriften, da er Maria
niemals vom Geheimnis der Kirche trennt.
Mit gutem Grund wird
Ambrosius Autpertus daher als der erste große Mariologe des Abendlands
betrachtet. Mit der Frömmigkeit, die seiner Aussage nach die Seele von der
Hingabe an irdische und vergängliche Güter befreien soll, muss sich seiner
Meinung nach das eingehende Studium der theologischen Wissenschaften verbinden,
vor allem die Betrachtung der Heiligen Schrift, die er als „tiefen Himmel,
unergründlichen Abgrund“ (In Apoc. IX) bezeichnet. In dem schönen Gebet, mit
dem er seinen Kommentar zur Offenbarung beschließt, indem er den Vorrang
unterstreicht, der bei jeder theologischen Forschung der Wahrheit der Liebe
zukommt, wendet er sich mit folgenden Worten an Gott: „Wenn Du von uns geistig
erforscht wirst, entdecken wir Dich nicht so, wie Du wirklich bist; wenn wir
Dich lieben, gelangen wir zu dir“.
Wir können heute in
Ambrosius Autpertus eine Persönlichkeit sehen, die in einer Zeit der starken
politischen Instrumentalisierung der Kirche gelebt hat, einer Zeit, in der
Nationalismus und Stammesfehden das Antlitz der Kirche entstellt hatten. Doch
er wusste inmitten all dieser Schwierigkeiten, die auch uns bekannt sind, das
wahre Antlitz der Kirche in Maria, in den Heiligen zu entdecken. Und so konnte
er verstehen, was es heißt, katholisch zu sein, Christ zu sein, aus dem Wort
Gottes zu leben, sich in diesen Abgrund zu begeben und so das Geheimnis der
Mutter Gottes zu leben: dem Wort Gottes von Neuem Leben zu schenken, dem Wort
Gottes in der jetzigen Zeit das eigene Fleisch anzubieten. Und mit seiner
ganzen theologischen Kenntnis, der Tiefe seiner Wissenschaft, verstand Autpertus,
dass Gott durch die theologische Forschung allein nicht so erkannt werden kann,
wie er wirklich ist. Nur die Liebe kann zu ihm gelangen. Hören wir diese
Botschaft und beten wir zum Herrn, damit er uns helfe, das Geheimnis der Kirche
heute, in dieser unserer Zeit zu leben.