Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 25.5.11
Gebet im AT: Jakobs
Kampf mit Gott
Liebe Brüder und Schwestern!
Wie Ihr Euch erinnern werdet,
hatte Jakob seinem Zwillingsbruder Esau das Erstgeburtsrecht für ein
Linsengericht abgekauft und sich dann mit einer List den Segen seines nunmehr
sehr alten Vaters Isaak erschlichen, dessen Blindheit ausnutzend. Um dem Zorn
Esaus zu entgehen, war er zu seinem Verwandten Laban geflüchtet; er hatte
geheiratet, war reich geworden und kehrte nun in sein Heimatland zurück,
bereit, dem Bruder zu begegnen, nachdem er einige kluge Vorkehrungen getroffen
hatte. Doch als alles für dieses Treffen bereit ist – nachdem er diejenigen,
die bei ihm waren, die Furt des Flusses hat überqueren lassen, der das Gebiet
Esaus begrenzte –, wird Jakob, der allein zurückgeblieben ist, plötzlich von
einem Unbekannten angegriffen, mit dem er eine ganze Nacht lang kämpft. Gerade
dieser Kampf, Mann gegen Mann – den wir im 32. Kapitel des Buches Genesis
finden –, wird für ihn zu einer einzigartigen Gotteserfahrung.
Die Nacht ist die beste Zeit,
um im Verborgenen zu handeln, die beste Zeit also für Jakob, um das Gebiet
seines Bruders zu betreten, ohne gesehen zu werden und möglicherweise mit der
Vorstellung, Esau zu überraschen. Doch stattdessen wird er durch einen
unvorhergesehenen Angriff überrascht, auf den er nicht vorbereitet war. Er
hatte seine Schlauheit benutzt, um zu versuchen, sich aus einer gefährlichen
Lage zu retten, er dachte, es könne ihm gelingen, alles unter Kontrolle zu
haben, und stattdessen muss er sich jetzt einem geheimnisvollen Kampf stellen,
der ihn überrascht, während er alleine ist, und der ihm keine Möglichkeit
lässt, eine angemessene Verteidigung zu organisieren. Wehrlos, in der Nacht,
kämpft der Patriarch Jakob mit jemandem. Der Text macht keine genaueren
Aussagen über die Identität des Angreifers; er verwendet einen hebräischen
Begriff, der allgemein "einen Mann", "einen", "jemanden" bezeichnet; es handelt
sich also um eine vage, unbestimmte Beschreibung, die den Angreifer absichtlich
im Geheimnisvollen belässt. Es ist dunkel, Jakob kann seinen Gegner nicht
deutlich sehen, und auch für den Leser, für uns, bleibt er unbekannt; jemand
stellt sich dem Patriarchen entgegen, das ist der einzige sichere Tatbestand,
den der Erzähler uns liefert. Erst zum Schluss, als der Kampf zu Ende und
dieser "jemand" verschwunden ist, erst dann wird Jakob ihn nennen und sagen
können, er habe mit Gott gekämpft.
Die Episode spielt sich also im
Dunkeln ab, und es ist nicht nur schwierig, die Identität des Angreifers Jakobs
zu erkennen, sondern auch, wie der Kampf verlaufen wird. Beim Lesen des
Abschnitts fällt es schwer auszumachen, wer der beiden Gegner die Oberhand
gewinnen wird; die verwendeten Verben sind meist ohne ausdrückliches Subjekt,
und die Handlung verläuft auf beinahe widersprüchliche Weise: Sobald man denkt,
einer der beiden siege, wird dem sofort durch die folgende Handlung
widersprochen und ein anderer als Sieger dargestellt. Am Anfang scheint Jakob
der Stärkere zu sein, und der Gegner – so heißt es im Text – konnte "ihm nicht
beikommen" (V. 26); dennoch schlägt er Jakob aufs Hüftgelenk, sodass es ausgerenkt
wird. Man sollte also denken, dass Jakob unterliegen muss, doch stattdessen
bittet der andere, ihn gehen zu lassen; und der Patriarch weigert sich und
stellt eine Bedingung: "Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest"
(V.27). Derjenige, der den Bruder mit einer List um den Segen des Erstgeborenen
betrogen hatte, verlangt den Segen jetzt von einem Unbekannten, von dem er
möglicherweise die göttlichen Merkmale zu ahnen beginnt, ohne ihn jedoch noch
wirklich erkennen zu können.
Der Rivale, der von Jakob
festgehalten wird und somit von ihm besiegt scheint, fragt ihn, statt sich der
Forderung des Patriarchen zu beugen, nach seinem Namen: "Wie heißt du?". Und
der Patriarch antwortet: "Jakob" (V. 28). Hier erfährt der Kampf eine
entscheidende Wendung. Denn den Namen einer Person zu kennen, bringt es mit
sich, eine Art Macht über sie zu gewinnen, da der Name in der Denkweise der
Bibel die tiefste Wirklichkeit des Individuums enthält und sein Geheimnis und
sein Schicksal offenbart. Den Namen zu kennen, bedeutet also, die Wahrheit des
anderen zu kennen, und das ermöglicht, ihn beherrschen zu können. Als Jakob
also auf die Forderung des Unbekannten hin seinen Namen verrät, gibt er sich
seinem Gegner in die Hände, es ist eine Form der Kapitulation, der völligen
Auslieferung seiner selbst an den anderen.
Doch mit dieser Geste des
Sich-Ergebens erweist sich auch Jakob paradoxerweise als Sieger, weil er mit
der Anerkennung des Sieges vom Gegner einen neuen Namen erhält, der zu ihm
sagt: "Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter);
denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen" (V. 29).
"Jakob" war ein Name, der an die problematische Herkunft des Patriarchen
erinnerte; denn auf hebräisch erinnert er an den Begriff "Ferse" und verweist
den Leser auf den Moment der Geburt Jakobs, als er beim Verlassen des
Mutterleibes mit der Hand die Ferse des Zwillingsbruders festhielt (vgl. Gen
25,26) und somit gewissermaßen vorweggenommen hat, dass er als Erwachsener
seinen Bruder zu dessen Nachteil übertrumpfen sollte; doch der Name Jakob weist
auch auf das Verb "betrügen, verdrängen" hin. Und hier nun, im Kampf, verrät
der Patriarch seinem Gegner in einer Geste der Kapitulation und des
Sich-Ergebens, sein Wesen als Betrüger, als Verdränger; doch der andere, Gott,
verwandelt diese negative Wirklichkeit in eine positive: Jakob, der Betrüger,
wird Israel, ihm wird ein neuer Name gegeben, der eine neue Identität
darstellt. Doch auch hier behält die Erzählung ihre gewollte Duplizität bei,
denn die wahrscheinlichste Bedeutung des Namens Israel ist: "Gott ist stark,
Gott siegt".
Jakob hat also die Oberhand
behalten, er hat gesiegt – sein Gegner selbst gibt das zu –, doch seine neue
Identität, die er von seinem Gegner empfangen hat, erklärt und bezeugt den Sieg
Gottes. Und als Jakob seinerseits seinen Gegner nach dessen Namen fragt, wird
dieser sich weigern, diesen zu nennen, doch er wird sich dadurch, dass er
seinen Segen erteilt, in einer unmissverständlichen Geste offenbaren. Dieser
Segen, um den der Patriarch zu Beginn des Kampfes gebeten hatte, wird ihm nun
gewährt. Und es ist nicht der Segen, den er mit List an sich gerissen hat,
sondern der Segen, der ihm unverdient von Gott geschenkt wird, den Jakob
empfangen kann, da er sich jetzt allein, schutzlos, ohne List und Betrug,
wehrlos ausliefert, da er akzeptiert, sich zu ergeben und die Wahrheit über
sich selbst bekennt. So kann der Patriarch am Ende des Kampfes, nachdem er den
Segen empfangen hat, endlich den anderen erkennen, den Gott, der ihn gesegnet
hat: "Ich habe" – so sagt er – "Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin
doch mit dem Leben davongekommen" (V. 31), und nun kann er die Furt überqueren,
Träger eines neuen Namens, doch "besiegt" von Gott und für immer gezeichnet, hinkend
aufgrund der Verletzung, die er empfangen hat.
Die Erklärungen, die die
biblische Exegese zu diesem Abschnitt geben kann, sind vielfach; die Forscher
erkennen darin vor allem literarische Komponenten und Absichten verschiedener
Art sowie auch Bezüge auf einige volkstümliche Erzählungen. Doch wenn diese
Elemente von den Verfassern der Schrift aufgenommen und in die biblische
Erzählung eingegliedert werden, ändern sie ihre Bedeutung und der Text öffnet
sich weiteren Dimensionen. Die Episode des Kampfes am Jabbok stellt sich dem
Gläubigen so als beispielhafter Text dar, in dem das Volk Israel von seiner
eigenen Herkunft spricht und die Züge einer besonderen Beziehung zwischen Gott
und dem Menschen umreißt. Daher heißt es auch im Katechismus der Katholischen
Kirche: "Die geistliche Überlieferung der Kirche hat darin ein Sinnbild des
Gebetes gesehen, insofern dieses ein Glaubenskampf und ein Sieg der
Beharrlichkeit ist" (Nr. 2573). Der biblische Text berichtet über die lange
Nacht der Suche nach Gott, des Kampfes darum, Seinen Namen kennenzulernen und
Sein Antlitz zu sehen; es ist die Nacht des Gebets, das beharrlich und
ausdauernd den Segen und einen neuen Namen von Gott erbittet, eine neue
Wirklichkeit, die Frucht der Umkehr und der Vergebung ist.
Die Nacht Jakobs in der Furt
des Jabbok wird so für den Glaubenden ein Bezugspunkt, um die Beziehung zu Gott
zu verstehen, die im Gebet ihren höchsten Ausdruck findet. Das Gebet verlangt
Vertrauen und, Nähe, fast einen symbolischen Mann gegen Mann-Kampf nicht mit einem
Gott, der ein Feind, ein Gegner ist, sondern mit einem Herrn, der segnet, der
immer geheimnisvoll bleibt, der unerreichbar erscheint. Daher verwendet der
biblische Verfasser das Symbol des Kampfes, der seelische Stärke, Ausdauer und
Beharrlichkeit beim Erlangen dessen verlangt, wonach man sich sehnt. Und wenn
der Gegenstand des Verlangens die Beziehung zu Gott ist, Sein Segen und Seine
Liebe, dann wird der Kampf nur in der Selbsthingabe an Gott gipfeln können, im
Anerkennen der eigenen Schwäche, die gerade dann siegt, wenn sie bereit ist,
sich den barmherzigen Händen Gottes zu übergeben.
Liebe Brüder und Schwestern,
unser ganzes Leben ist wie diese lange Nacht des Kampfes und des Gebets, die
zugebracht wird im Verlangen und in der Bitte nach einem Segen Gottes, den wir
nicht dadurch gewinnen oder an uns reißen können, dass wir auf unsere eigenen
Kräfte vertrauen, sondern der in Demut von Ihm empfangen werden muss, als
unentgeltliches Geschenk, das schließlich erlaubt, das Antlitz des Herrn zu
erkennen. Und wenn das geschieht, verändert sich unser ganzes Dasein, dann
empfangen wir einen neuen Namen und den Segen Gottes. Und mehr noch: Jakob, der
einen neuen Namen empfängt, wird Israel, er gibt auch dem Ort, an dem er mit
Gott gekämpft hat, an dem er seine Bitte an ihn gerichtet hat, einen neuen
Namen; er nennt ihn Penuël, was "Antlitz Gottes" bedeutet. Mit diesem Namen
würdigt er jenen von der Gegenwart des Herrn erfüllten Ort, heiligt er diesen
Boden, indem er ihm gewissermaßen das Andenken an jene geheimnisvolle Begegnung
mit Gott aufdrückt. Derjenige, der sich von Gott segnen lässt, überlässt sich
Ihm, lässt sich von Ihm verwandeln, macht die Welt zu einem gesegneten Ort.
Möge der Herr uns helfen, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen (vgl. 1 Tim
6,12; 2 Tim 4,7) und in unserem Gebet seinen Segen zu erbitten, damit er uns
erneuere, in der Erwartung, sein Antlitz zu sehen. Danke.