Papst Benedikt XVI.: Ansprache während der Generalaudienz am 10.12.08:

Paulus (16)

Liebe Brüder und Schwestern!

Dem heiligen Paulus folgend haben wir in der Katechese am vergangenen Mittwoch zwei Dinge gesehen: Erstens, dass unsere Menschheitsgeschichte von Anfang an durch den Missbrauch der geschaffenen Freiheit befleckt ist, die sich vom göttlichen Willen befreien will. Und so findet sie nicht die wahre Freiheit, sondern widersetzt sich der Wahrheit und verfälscht folglich unser Menschsein. Sie verfälscht vor allem die grundlegenden Verhältnisse: das Verhältnis zu Gott, das Verhältnis zwischen Mann und Frau und das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Wir haben gesagt, dass diese Befleckung unserer Geschichte sich über ihre gesamte Textur erstreckt und dass sich dieser ererbte Mangel immer weiter verbreitet hat und nun überall sichtbar ist. Das war das erste.

Das zweite war Folgendes: vom heiligen Paulus haben wir gelernt, dass es in Jesus Christus, der Mensch und Gott ist, einen neuen Anfang in der Geschichte und der Geschichte gibt. Mit Jesus, der von Gott kommt, beginnt eine neue Geschichte, die nach seinem Ja zum Vater geformt ist, die also nicht auf dem Hochmut einer falschen Befreiung gründet, sondern auf der Liebe und auf der Wahrheit.

Doch nun stellt sich die Frage: wie können wir in diesen Neubeginn, in diese neue Geschichte eintreten? Wie gelangt diese neue Geschichte zu mir? Mit der ersten befleckten Geschichte sind wir durch unsere biologische Abstammung unvermeidbarerweise verbunden, da wir alle zu dem einen Leib der Menschheit gehören. Doch die Gemeinschaft mit Jesus, die neue Geburt, um Teil der neuen Menschheit zu werden, wie geschieht das? Wie kommt Jesus in mein Leben, in mein Dasein? Die grundlegende Antwort des heiligen Paulus, des gesamten Neuen Testaments lautet: er kommt durch das Wirken des Heiligen Geistes. Wenn die erste Geschichte sozusagen mit der Biologie beginnt, beginnt die zweite im Heiligen Geist, dem Geist des auferstandenen Christus. Dieser Geist hat Pfingsten, den Beginn der neuen Menschheit geschaffen, der neuen Gemeinschaft, der Kirche, des Leibes Christi.

Kennzeichen des Neubeginns ist das Ende der Trennungen

Doch wir müssen noch konkreter werden: dieser Geist Christi, der Heilige Geist, wie kann er mein Geist werden? Die Antwort lautet, dass dies auf dreierlei Weisen geschieht, die eng miteinander verbunden sind. Erstens: der Geist Christi klopft an die Tür meines Herzens, er berührt mich im Innersten. Doch da die neue Menschheit ein wahrer Leib sein muss, da der Geist uns vereinen und eine wirkliche Gemeinschaft schaffen muss, da das Kennzeichen des Neubeginns die Überwindung der Trennungen und die Aufnahme der Verstreuten bedeutet, bedient sich dieser Geist Christi zweier Elemente, um die Aufnahme sichtbar zu machen: des Wortes der Verkündigung und der Sakramente, vor allem der Taufe und der Eucharistie. Im Brief an die Römer sagt der heilige Paulus: „Wenn du mit deinem Mund bekennst: ,Jesus ist der Herr ... und in deinem Herzen glaubst: ,Gott hat ihn von den Toten auferweckt‘, so wirst du gerettet werden“ (10, 9), dann wirst du also in die neue Geschichte eintreten, in die Geschichte des Lebens und nicht in die Geschichte des Todes. Dann fährt der heilige Paulus fort: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist?“ (Röm 10, 14–15). In einem weiteren Schritt sagt er dann noch: „So gründet der Glaube in der Botschaft“ (Röm 10, 17). Der Glaube wird nicht von unserem Denken hervorgebracht, von unseren Überlegungen, er ist etwas Neues, das wir nicht erfinden, sondern nur als Geschenk, als eine von Gott hervorgebrachte Neuheit empfangen können. Und der Glaube kommt nicht vom Lesen, sondern vom Hören. Er ist nicht nur etwas Inneres, sondern eine Beziehung zu Jemandem. Er setzt eine Begegnung mit der Verkündigung voraus, er setzt das Dasein des anderen voraus, der verkündet und Gemeinschaft schafft.

Und schließlich die Verkündigung: Derjenige, der verkündigt, spricht nicht von sich aus, sondern ist gesandt. Er steht innerhalb einer Auftragsstruktur, die mit Jesus beginnt, der vom Vater gesandt wird, dann auf die Apostel übergeht – das Wort Apostel bedeutet „Gesandte“ – und schließlich im Amt weitergeführt wird, im Auftrag, der von den Aposteln übertragen wird. Die neue Textur der Geschichte zeigt sich in dieser Auftragsstruktur, in der wir letztlich Gott selbst reden hören, sein persönliches Wort, sein Sohn redet zu uns, kommt bis zu uns. Das Wort ist Fleisch geworden – Jesus –, um wirklich eine neue Menschheit zu schaffen. Daher wird das Wort der Verkündigung Sakrament in der Taufe, die neue Geburt aus dem Wasser und dem Geist ist, wie der heilige Johannes sagen wird. Im sechsten Kapitel des Römerbriefs spricht der heilige Paulus auf äußerst tiefgründige Weise von der Taufe. Wir haben den Text gehört. Aber vielleicht ist es nützlich, ihn noch einmal zu wiederholen: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben“ (6, 3–4).

In dieser Katechese können wir natürlich keine detaillierte Interpretation dieses nicht einfachen Textes vornehmen. Ich möchte nur drei Dinge kurz anmerken. Erstens: „Wir sind getauft worden“ – das ist etwas Passives. Niemand kann sich selbst taufen, er bedarf eines anderen. Niemand kann von sich selbst aus Christ werden. Christ werden ist ein passiver Prozess. Nur von einem anderen können wir zum Christen gemacht werden. Und dieser „andere“, der uns zum Christen macht, der uns das Geschenk des Glaubens überreicht, ist in erster Linie die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche. Von der Kirche empfangen wir den Glauben, die Taufe. Wenn wir uns nicht von dieser Gemeinschaft formen lassen, können wir keine Christen werden. Ein autonomes, selbst hervorgebrachtes Christentum ist ein Widerspruch in sich. In erster Linie ist dieser andere die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche, doch in zweiter Linie handelt auch diese Gemeinschaft nicht von sich heraus, nach ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen. Auch die Gemeinschaft lebt in dem gleichen passiven Prozess: nur Christus kann die Kirche begründen. Christus ist der wahre Spender der Sakramente. Das ist der erste Punkt: niemand tauft sich selbst, niemand macht sich selbst zum Christen. Christen werden wir.

Das zweite ist Folgendes: die Taufe ist mehr als eine Reinigung. Sie ist Taufe und Auferstehung. Paulus selbst beschreibt sie, als er im Brief an die Galater über die Wende in seinem Leben schreibt, die durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus erfolgt ist, mit den Worten: ich bin gestorben. In jenem Moment beginnt wirklich ein neues Leben. Christen werden bedeutet mehr als eine Schönheitsoperation, die einem bereits mehr oder weniger vollkommenen Leben etwas Hübsches hinzufügen würde. Es ist eine neuer Beginn, eine Wiedergeburt: Tod und Auferstehung. Natürlich taucht in der Auferstehung das wieder auf, was es im vorigen Leben an Gutem gab.

Das dritte ist: die Materie ist Teil des Sakraments. Das Christentum ist nicht etwas rein Spirituelles. Es bezieht den Leib mit ein. Es bezieht den Kosmos mit ein. Es streckt sich zur neuen Erde und zu neuen Himmeln aus. Kehren wir zu den letzten Worten aus dem Text des heiligen Paulus zurück: „So sollen – sagt er – auch wir als neue Menschen leben.“ Teil einer Gewissenserforschung für uns alle: als neue Menschen leben. Soweit zur Taufe.

Die Tradition mit Respekt anderen vermittelt

Kommen wir nun zum Sakrament der Eucharistie. Ich habe bereits bei anderen Katechesen gezeigt, mit welch tiefem Respekt Paulus wörtlich die Tradition über die Eucharistie weitergibt, die er von den Zeugen des letzten Abendmahls selbst empfangen hat. Er überliefert diese Worte wie einen kostbaren Schatz, den man ihm anvertraut hat. Und so hören wir in diesen Worten wirklich die Zeugen des letzen Abendmahls. Hören wir die Worte des Apostels: „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11, 23–25). Es ist ein unerschöpflicher Text. Auch hier, in dieser Katechese, nur zwei kurze Anmerkungen. Paulus überliefert die Worte des Herrn über den Kelch folgendermaßen: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut.“

In diesen Worten verbirgt sich ein Hinweis auf zwei grundlegende Texte des Alten Testaments. Der erste Hinweis bezieht sich auf die Verheißung eines neuen Bundes im Buch des Propheten Jeremias. Jesus sagt zu seinen Jüngern und zu uns: jetzt, in dieser Stunde, mit mir und meinem Tod verwirklicht sich der neue Bund; durch mein Blut beginnt in der Welt diese neue Geschichte der Menschheit. Doch in diesen Worten steckt auch ein Hinweis auf den Bund des Sinai, wo Moses gesagt hatte: „Das ist das Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch geschlossen hat“ (Ex 24, 8). Dort handelte es sich um das Blut von Tieren. Das Tierblut konnte nur Ausdruck eines Wunsches sein, Erwartung des wahren Opfers, des wahren Gottesdienstes. Mit der Gabe des Kelches schenkt uns der Herr das wahre Opfer. Das einzige wahre Opfer ist die Liebe des Sohnes. Mit dem Geschenk dieser Liebe, der ewigen Liebe, tritt die Welt in den neuen Bund ein. Die Eucharistie feiern bedeutet, dass Christus sich selbst schenkt, seine Liebe, um uns ihm ähnlich zu machen und so die neue Welt zu schaffen.

Der zweite wichtige Aspekt der Lehre über die Eucharistie erscheint ebenfalls im ersten Korintherbrief, in dem der heilige Paulus sagt: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (10, 16–17). In diesen Worten zeigt sich gleichermaßen der personale und der gemeinschaftliche Charakter des Sakraments der Eucharistie. Christus vereinigt sich persönlich mit jedem von uns, doch derselbe Christus vereinigt sich auch mit dem Mann und mit der Frau neben mir. Und das Brot ist für mich und auch für den anderen. So vereinigt Christus uns alle mit sich, und so vereinigt er uns alle untereinander. In der Kommunion empfangen wir Christus. Doch Christus vereinigt sich gleichermaßen mit meinem Nächsten: Christus und der Nächste sind in der Eucharistie untrennbar verbunden. Und so sind wir alle ein Brot, ein Leib. Eine Eucharistie ohne Solidarität mit den anderen ist ein Missbrauch der Eucharistie. Und hier sind wir auch an der Wurzel und gleichzeitig im Zentrum der Lehre über die Kirche als Leib Christi, des auferstandenen Christus.

Wir sehen auch den ganzen Realismus dieser Lehre. Christus schenkt uns in der Eucharistie seinen Leib, er schenkt sich selbst in seinem Leib und macht uns so zu seinem Leib, er vereinigt uns mit seinem auferstandenen Leib. Wenn der Mensch normales Brot isst, wird dieses Brot im Digestionsprozess Teil seines Leibes, wird es verwandelt in Stoff menschlichen Lebens. Doch in der heiligen Kommunion findet der umgekehrte Prozess statt. Christus, der Herr, macht uns sich ähnlich, er fügt uns in seinen verherrlichten Leib ein, und so werden wir alle gemeinsam sein Leib. Wer nur das zwölfte Kapitel aus dem Brief an die Korinther und das zwölfte Kapitel aus dem Brief an die Römer liest, könnte denken, dass die Worte über den Leib Christi als Gesamtheit der Charismen nur eine Art soziologisch-theologisches Bild wäre. In der römischen Politologie wurde dieses Bild vom Leib mit den verschiedenen Gliedern, die eine Einheit bilden, für den Staat benutzt, um zu sagen, dass der Staat ein Organismus ist, in dem jeder seine Funktion hat; die vielfältigen und verschiedenen Funktionen bilden einen Leib und jeder hat seinen Platz. Wenn man nur das zwölfte Kapitel aus dem ersten Korintherbrief liest, könnte man denken, dass Paulus sich darauf beschränkt, der Kirche nur dies zu vermitteln, dass es sich auch hier nur um eine Soziologie der Kirche handelt. Doch wenn wir uns dieses zehnte Kapitel vor Augen halten, dann sehen wir, dass die Realität der Kirche eine ganz andere ist, weitaus tiefer und wahrer als die eines Staatsorganismus. Denn Christus gibt wirklich seinen Leib und macht uns zu seinem Leib. Wir werden wirklich mit dem auferstandenen Leib Christi vereint und auf diese Weise untereinander vereint. Die Kirche ist nicht nur eine Körperschaft wie der Staat, sie ist ein Leib. Sie ist nicht einfach eine Organisation, sondern ein wirklicher Organismus.

Am Ende nur ein kurzes Wort über das Sakrament der Ehe. Im Brief an die Korinther finden sich nur einige Hinweise, während im Brief an die Epheser eine wirklich tiefgehende Ehetheologie entwickelt wird. Paulus definiert die Ehe hier als „tiefes Geheimnis“. Er bezieht es „auf Christus und die Kirche“ (5, 32). Diesem Abschnitt ist eine Gegenseitigkeit zu entnehmen, die eine vertikale Dimension annimmt. Die gegenseitige Unterordnung muss die Sprache der Liebe benutzen, die ihr Vorbild in der Liebe Christi zur Kirche hat.

Christus hat die Kirche geheiligt, indem er sie gereinigt hat

Diese Beziehung Christus-Kirche rückt den christlichen Aspekt der ehelichen Liebe in den Vordergrund, sie betont die affektive Beziehung zwischen den Eheleuten. Eine Ehe gelingt dann, wenn in sie sich in ständigem menschlichem und affektivem Wachstum bemüht, immer mit dem wirksamen Wort Gottes und der Bedeutung der Taufe verbunden zu bleiben. Christus hat die Kirche geheiligt, indem er sie durch die Taufe mit Wasser und das Wort Gottes gereinigt hat. Die Teilhabe am Leib und am Blut des Herrn bewirkt nichts anderes, als eine Verbindung, die aus Gnade unauflösbar gemacht wurde, nicht nur sichtbar zu machen, sondern zu festigen.

Und zum Schluss hören wir das Wort des heiligen Paulus an die Philipper: „Der Herr ist nahe“ (Phil 4, 5). Mir scheint, wir haben verstanden, dass uns der Herr durch das Wort und durch die Sakramente in unserem ganzen Leben nah ist. Bitten wir, dass wir in unserem Innersten immer stärker von dieser seiner Nähe berührt werden mögen, damit daraus Freude erwachse – jene Freude, die entsteht, wenn Jesus wirklich nah ist.

 

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