ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI. AN DIE TEILNEHMER
DER VOLLVERSAMMLUNG DER
KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
Am 10. Februar 2006
Meine Herren
Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!
Im Leben der Kirche hat der Glaube eine grundlegende Bedeutung,
denn das Geschenk, das Gott von sich selbst in der Offenbarung macht, ist
grundlegend, und diese Selbsthingabe Gottes wird im Glauben angenommen. Hier
wird die Bedeutung eurer Kongregation deutlich, die in ihrem Dienst an der
ganzen Kirche und insbesondere an den Bischöfen, den Glaubenslehrern und
Hirten, aufgerufen ist, im Geist der Kollegialität gerade die Zentralität des
katholischen Glaubens in seinem authentischen Ausdruck zu fördern und ins Licht
zu stellen. Wenn das Verständnis dieser Zentralität schwindet, verliert auch
das Gefüge des kirchlichen Lebens seine ursprüngliche Lebendigkeit und
verschleißt, weil es in einen sterilen Aktivismus verfällt oder auf eine Art
politisches Kalkül mit weltlichem Charakter verkürzt wird. Wenn die
Glaubenswahrheit hingegen mit Einfachheit und Entschlossenheit in die Mitte des
christlichen Lebens gestellt wird, wird das Leben des Menschen von einer Liebe
angeregt und belebt, die keinen Halt und keine Grenzen kennt, wie ich auch in
meiner jüngsten Enzyklika Deus caritas est betont habe.
Aus dem Herzen Gottes gießt sich die Liebe durch
das Herz Jesu Christi kraft seines Geistes über die Welt aus als Liebe, die
alles neu macht. Diese Liebe erwächst aus der Begegnung mit Christus im
Glauben: »Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder
eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person,
die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung
gibt« (Deus caritas est, 1). Jesus Christus ist
die Person gewordene Wahrheit, die die Welt zu sich hinzieht. Das von Jesus
ausstrahlende Licht ist Glanz der Wahrheit. Jede andere Wahrheit ist ein
Fragment der Wahrheit, die er ist, und weist auf ihn hin. Jesus ist der
Polarstern der menschlichen Freiheit; ohne ihn verliert sie ihre Ausrichtung,
denn ohne die Erkenntnis der Wahrheit entartet die Freiheit, sie isoliert sich
und wird zu steriler Willkür. Mit Jesus findet sich die Freiheit wieder, sie
erkennt, daß sie für das Gute gemacht ist, und kommt in Handlungen und
Verhaltensweisen der Nächstenliebe zum Ausdruck.
Jesus schenkt deshalb dem Menschen die völlige
Vertrautheit mit der Wahrheit und lädt ihn ein, ständig in ihr zu leben. Die
Wahrheit wird als Wirklichkeit angeboten, die den Menschen erbaut und ihn
zugleich übersteigt und überragt; sie wird als Geheimnis angeboten, das den
Schwung der menschlichen Fassungskraft aufnimmt und gleichzeitig überschreitet.
Nichts vermag die menschliche Intelligenz so auf unerforschte Horizonte hin zu
leiten, wie es die Liebe zur Wahrheit tut. Jesus Christus, der die Fülle der
Wahrheit ist, zieht das Herz jedes Menschen an sich, läßt es weit werden und
erfüllt es mit Freude. Denn nur die Wahrheit ist imstande, den Geist zu
durchdringen und ihm vollkommene Freude zu schenken. Diese Freude weitet die
Dimensionen des menschlichen Herzens, indem sie es von der Enge des Egoismus
befreit und zur wahren Liebe befähigt. Die Erfahrung dieser Freude bewegt und
führt den Menschen zur freiwilligen Anbetung, nicht zu einem sklavischen
Niederbücken, sondern zur Verneigung des Herzens vor der Wahrheit, die es
gefunden hat.
Deshalb ist der Dienst am Glauben, der Zeugnis
gibt für Ihn, der die ganze Wahrheit ist, auch Dienst an der Freude, und
Christus will diese Freude in der Welt verbreiten: die Freude des Glaubens an
ihn, die Freude der Wahrheit, die durch ihn mitgeteilt wird, und des Heils, das
von ihm kommt! Diese Freude spürt das Herz, wenn wir uns niederknien, um Jesus
im Glauben anzubeten! Diese Liebe zur Wahrheit inspiriert und leitet auch die
Hinwendung der Christen zur Welt von heute und den Einsatz der Kirche in der
Evangelisierung. Diese Themen habt ihr während der Arbeiten der Vollversammlung
eingehend behandelt. Die Kirche begrüßt mit Freude die wahren Errungenschaften
des menschlichen Wissens und erkennt, daß die Evangelisierung sich auch den
Perspektiven und Herausforderungen stellen muß, die das moderne Wissen
eröffnet. In der Tat haben die großen Fortschritte der Wissenschaft, die wir im
vergangenen Jahrhundert erlebt haben, auch zum besseren Verständnis des
Geheimnisses der Schöpfung verholfen, indem sie das Gewissen der Völker tief
beeinflußt haben. Aber die Fortschritte der Wissenschaft entwickelten sich
manchmal so rasch, daß es sehr kompliziert war zu erkennen, inwieweit sie mit
den Wahrheiten zu vereinbaren sind, die Gott über den Menschen und die Welt
geoffenbart hat. In einigen Fällen waren einige Aussagen der Wissenschaft
diesen Wahrheiten geradezu entgegengesetzt. Das mag unter den Gläubigen eine
gewisse Verwirrung gestiftet und auch zu Schwierigkeiten bei der Verkündigung
und Aufnahme des Evangeliums geführt haben. Von entscheidender Bedeutung ist
also jedes Forschen, das sich vornimmt, die Erkenntnis der von der Vernunft
entdeckten Wahrheiten zu vertiefen, in der Gewißheit, daß es »keinen
Konkurrenzkampf zwischen Vernunft und Glaube« gibt (Fides et ratio, 17):
Wir brauchen keine Angst zu haben, dieser
Herausforderung zu begegnen. Denn Jesus Christus ist der Herr der ganzen
Schöpfung und Geschichte. Der Glaubende weiß, daß »alles durch ihn und auf ihn
hin geschaffen ist … und in ihm alles Bestand hat« (Kol 1,16.17). Wenn wir
Christus, die Mitte des Kosmos und der Geschichte, tiefer erkennen, können wir
den Menschen von heute zeigen, daß der Glaube an ihn für die Geschicke der
Menschheit von Bedeutung ist. Ja, er ist die Vollendung alles wahrhaft
Menschlichen. Nur mit dieser Perspektive werden wir dem suchenden Menschen
überzeugende Antworten bieten können. Dieses Bemühen ist entscheidend für die
Verkündigung und Verbreitung des Glaubens in der Welt von heute. Ein solcher
Einsatz muß im Evangelisierungsauftrag Priorität haben. Der Dialog zwischen
Glaube und Vernunft, Religion und Wissenschaft, bietet nicht nur die Möglichkeit,
dem Menschen von heute wirksamer und überzeugender die Vernünftigkeit des
Glaubens an Gott zu zeigen, sondern auch zu zeigen, daß die endgültige
Vollendung jedes wahrhaft menschlichen Bestrebens in Jesus Christus besteht.
Jede ernsthafte Evangelisierungsarbeit darf die Fragen, die auch aus den
wissenschaftlichen Entdeckungen und philosophischen Instanzen heute erwachsen,
in diesem Sinn nicht außer acht lassen.
Die Sehnsucht nach Wahrheit gehört zur Natur des
Menschen selbst, und die ganze Schöpfung ist eine großartige Einladung, die
Antworten zu suchen, die die menschliche Vernunft für die umfassende Antwort
öffnen, die sie schon immer sucht und erwartet: »Die Wahrheit der christlichen
Offenbarung, der wir in Jesus von Nazaret begegnen, ermöglicht jedem, das
›Geheimnis‹ des eigenen Lebens anzunehmen, sie achtet zutiefst die Autonomie
des Geschöpfes und seine Freiheit, verpflichtet es aber im Namen der Wahrheit,
sich der Transzendenz zu öffnen. Hier erreicht das Verhältnis von Freiheit und
Wahrheit seinen Höhepunkt, und man versteht voll und ganz das Wort des Herrn:
›Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien‹
(Joh 8,32)« (Fides et ratio, 15).
Hier findet die Kongregation den Beweggrund für
ihren Einsatz und den Horizont ihres Dienstes. Euer Dienst an der Fülle des
Glaubens ist ein Dienst an der Wahrheit und damit an der Freude, einer Freude,
die aus der Tiefe des Herzens kommt und aus dem Abgrund der Liebe strömt, den
Christus durch sein am Kreuz geöffnetes Herz aufgerissen hat und den sein Geist
mit unerschöpflicher Großzügigkeit in der Welt verbreitet. Aus dieser Sicht
kann euer lehrmäßiger Dienst in treffender Weise »pastoral« genannt werden.
Denn euer Dienst ist ein Beitrag zur vollständigen Verbreitung des Lichtes
Gottes in der Welt! Möge das Licht des Glaubens, in seiner Fülle und
Unversehrtheit ausgedrückt, immer eure Arbeit erhellen und der »Stern« sein,
der euch leitet und euch hilft, das Herz der Menschen zu Christus zu führen!
Das ist die schwere und reizvolle Aufgabe, die der Sendung des Nachfolgers
Petri zusteht, an der mitzuarbeiten ihr berufen seid. Danke für eure Arbeit und
für euren Dienst!