CATULL
I. Das alternative Programm der Neoteriker
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Das
traditionelle römische Ideal, Sinnerfüllung durch wetteifernde Leistungen für
die staatliche Gemeinschaft zu finden (vgl. Sallust), ist nicht mehr erstrebenswert
angesichts individueller Machtkonzentration (Pompeius, Caesar).
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Das
neue Ideal ist ein anspruchsvoller kultivierter Lebensstil, dessen Betätigungs-
und Bewährungsfeld geistreicher Umgang mit Freunden und Standesgenossen ist. Der
aristokratische Wettstreit verlagert sich von der Politik auf die Bildung.
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Die
neue Sinnbestimmung von ROMA
ist AMOR:
Das Ausgreifen nach dem Du geschieht nicht, um erobernd Besitz zu ergreifen,
sondern um gegenseitiges Verstehen zu pflegen und durch das Vertrauen des
Gegenüber beschenkt zu werden. Wie die Umkehrung von ROMA den Kreis schließt,
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so findet der Mensch seine Ich-Erfahrung
vollendet, wenn sein sich schenkendes Vertrauen verstanden, angenommen und
zurückgegeben wird. Nicht ruhmvolle Tat und öffentliche Ehre, sondern
freundschaftliche Begegnung stiftet Sinn menschlicher Existenz. AMICITIA, die in der römischen Aristokratie
in zweckbezogenem Sinn der gegenseitigen Förderung individueller Interessen
dient, wird von den Neoterikern um ihrer selbst willen gepflegt.
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Medium
für personale Begegnung ist die Sprache. In ihr gilt es sich vollendet
auszudrücken. Sie selbst ist Mittelpunkt freundschaftlichen Wetteifers.
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Erfahrung
von Freundschaft erwächst aus der konkreten Situation. Sinnstiftung des
Augenblicks wird durch Verwendung objektiv-formaler Mittel zu einem
Sprachkunstwerk verdichtet. Der Augenblick gewährt so durch kunstvolle
Sprachfügung dauerhafte Sinnererfahrung. Das Gedicht erhält Modellcharakter
menschlicher Beziehung.
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Gebildete
Sprache dient menschlicher Beziehung und ist Prüfstein gesellschaftlicher
Akzeptanz. Hierin beanspruchen Catull und seine Freunde eine ästhetische
Schiedsrichterrolle. In sprachlicher Kunstfertigkeit fühlen sie sich den
politisch Mächtigen gewachsen. In einem Punkt fühlen sie sich ihnen überlegen:
sie sind überzeugt, daß die Pflege menschlicher Beziehungen wertvoller ist als
ehrgeiziges Streben nach Macht und öffentlicher Anerkennung, da Ehrgeiz der
Ich-Befriedigung dient und somit der Harmonie menschlicher Gemeinschaft
abträglich ist.
Aus Catulls Freundeskreis sind
hervorzuheben:
- C. Licinius Calvus
Macer, geb. 82, berühmter
Gerichtsredner, besonders gegen Vatinius; seine Reden wurden in 21 Büchern
veröffentlicht und noch nach 150 Jahren gelesen. Von seinen Gedichten sind nur
Fragmente überliefert, die an Qualität der Verskunst Catulls nicht nachstehen.
Auch er greift Pompeius und Cäsar respektlos an. Er ist wie Catull um 54 in
frühem Alter gestorben. Er ist Gegenstand von Catulls Dichtung in c.14, 50, 53,
96.
- C. Helvius Cinna aus Oberitalien, mit dem Catull
im Gefolge des C. Memmius (58 Pätor; neoterischer Dichterkollege Catulls) 57 in
Bithynien war. Zwei längere Gedichte, ein Epyllion (Kleinepos) und ein
Epithalamion (Hochzeitsgedicht) wurden in augusteischer Zeit wegen ihrer
schwierigen Verstehbarkeit kommentiert.
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Cornelius Nepos, ca.100-27, verfaßte eine große Zahl historischer und biographischer
Schriften. Erhalten sind 23 Feldherrnbiographien, außerdem eine Biographie über
T. Pomponius Atticus, mit dem er befreundet war. Catull widmet ihm in c.1
seiner Gedichtsammlung. In c.102 teilen sie sich ein nicht näher bezeichnetes
Geheimnis.