Horaz ep.1,2,40: Interpretation

SAPERE AUDE

Bedeutung bei Horaz und Kant

SAPERE AUDEWage weise zu sein. Kant übersetzt, abweichend von der horazischen Bedeutung: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Er nennt in seinem Essay Was ist Aufklärung? die Aufforderung des Horaz den "Wahlspruch der Aufklärung".

Kant hat das Grundanliegen des Horaz für seinen Essay übernommen: Der Mensch soll seine geistige Trägheit überwinden. Was aber an ihre Stelle treten soll, darin gibt es zwischen beiden keine weitere Übereinstimmung.

Für HORAZ bedeutet Weisheit eine allgemeingültige Wirklichkeit, die sich bereits in früheren Zeiten, z.B. in der Dichtung Homers, findet, die jedoch jede Generation neu erringen muß. Die Skala nach größtmöglicher Vervollkommnung ist dabei offen. Der junge Mensch soll sich bestehender Bildungsgüter bedienen, "sich an weisen Lehren antrinken" (adbibe verba) und dies "mit reinem Herzen" (puro pectore) tun und sich in dieser Haltung "dem Besseren darbieten" (melioribus offer), d.h. sich vom Geist des Guten und Vollkommenen erfüllen und antreiben lassen.

KANT hingegen ist beherrscht vom Bewußtsein geistiger Bevormundung durch bestehende weltliche und geistliche Institutionen. Diese wollen den Einzelnen in geistiger Abhängigkeit halten und ihn von selbständigem Denken abhalten. In seiner Sicht sind Institutionen unvollkommen und ständiger Verbesserung bedürftig. Aufklärung in diesem Sinn bedeutet Fortschreiten von weniger vollkommenen zu vollkommeneren gesellschaftlichen Verhältnissen und Herrschaftsformen. Dies kann nur geschehen, wenn dem Einzelnen in den Dingen der Religion, des Gewissens und des "Seelenheils" grundsätzliche Freiheit eingeräumt wird. König Friedrich II. von Preußen ist in dieser Hinsicht ein Vorbild.

Kant stellt in seinem Essay theoretische Überlegungen an, wie die Interessen des "gemeinen Wesens" mit den legitimen Rechten des Einzelnen in Einklang zu bringen sind. Er unterscheidet zwischen privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft. Die private Vernunft hat sich "passiv" zu verhalten in der Erfüllung obrigkeitlicher oder beruflicher Verpflichtungen, etwa in der Entrichtung von Steuern. Hier hat "Räsonieren" keinen Platz, kann sogar strafbar sein. Wer ein geistliches Amt ausübt, hat die Lehren seiner Kirche vorzutragen, selbst wenn er in Einzelnem davon abweicht.

Öffentlicher Gebrauch von Vernunft liegt vor, sobald sich jemand – insbesondere ein "Gelehrter" – vornehmlich durch Schriften an ein "Publikum" wendet, um neue Erkenntnisse und Ideen vorzutragen, die dem Fortschritt des "gemeinen Wesens" nützen können. In der Ausübung dieser geistigen Tätigkeit darf es keine verordnete Einschränkung geben.

 

 

 

Erstellt: September 2010

 

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