Ovid und das Augusteische Zeitalter

Als Cäsars Adoptivsohn C. Iulius Octavianus (63 v.Chr. - 14 n.Chr. ) mit dem Sieg über Marcus Antonius (Seeschlacht bei Actium in W-Griechenland 31 v.Chr., Einnahme Alexandrias 30 v.Chr.) das Jahrhundert der Bürgerkriege (82-80; 49-46; 43-30) beendete, sehnte sich Italien nach nichts mehr als nach Frieden. Allgemein hatte sich die Überzeugung gebildet, daß mit der Anerkennung Oktavians das Unrecht an seinem Adoptivvater Cäsar gesühnt war, und daß Oktavian der Garant eines neuen Friedenszeitalters sein würde. Seinem Anspruch und Willen, ein zweiter Gründer Roms zu sein, trug der Senat Rechnung, indem er ihm 27 v.Chr. den religiös geprägten Ehrentitel Augustus verlieh. Der Begriff augustus (ehrfurchtgebietend, geheiligt, erhaben) steht im Zusammenhang mit der Gründung Roms durch Romulus, nachdem ihm durch ein augusto augurio (durch ein geheiligtes Götterzeichen) die Stelle der Neugründung angezeigt worden war.

In seinem Bestreben, Cäsars Werk fortzusetzen, wurde Oktavian schon früh von politisch bedeutenden und literarisch hochgebildeten Männern unterstützt. Unter diesen ragt insbesondere C. Maecenas (70 - 8 v.Chr.) hervor, der es sich zur Aufgabe machte, junge Dichter durch Anerkennung zu ermutigen und auch materiell zu fördern. Die bedeutendsten Dichter des sogenannten Mäcenaskreises waren Vergil (70 - 19 v.Chr.), Horaz (65 - 8.v.Chr.) und Properz (47 - 2 v.Chr.). In seinem Hauptwerk, der Aeneis, schuf Vergil ein nationales Epos, in dem jeder Römer sein eigenes Wesen und den Sinn römischer Geschichte erkennen konnte. Darin erscheint das neue Zeitalter als Vollendung dessen, was Äneas unter unendlichen Mühen und vorbildlichem Pflichtbewußtsein begonnen hatte.

Die Schwierigkeit für den um eine Generation jüngeren, genial talentierten Dichter P. Ovidius Naso (43 v.Chr. - 18 n.Chr.) bestand darin, daß er zu Beginn seiner dichterischen Laufhahn schon vollendete Dichtung vorfand. In welchem dichterischen Bereich sollte er nun seine vielseitigen Fähigkeiten unter Beweis stellen? Die ernste und erhabene Sprache des vergilischen Epos lag ihm nicht, also entschied er sich für eine andere Seite der Dichtung, vor allem für die Liebesdichtung. Diese hatte durch die Dichter Catull (83 - 53 v.Chr.), Tibull (50 - 19 v.Chr.) und den erwähnten Properz bereits eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen, und Ovid wollte sie nach seinen eigenen Vorstellungen fortsetzen. Während seine Vorgänger die Liebe als eine Wirklichkeit erlebten, die ihr persönliches Leben bestimmte, begreift Ovid sie als ein phantasievolles, anmutiges und aufregendes Spiel, das man zu beherrschen lernen müsse, um es gefahrlos auskosten zu können.

Ovids erste Veröffentlichung von Liebesgedichten in 5 Büchern mit dem Titel Amores im Jahr 20 v.Chr. war ein solcher Publikumserfolg, daß er kurze Zeit später eine Neuauflage in 3 Büchern (50 Gedichte) besorgte, worin durch Aufnahme neuer und Verzicht auf alte Gedichte sein dichterisches Programm an Deutlichkeit gewann. In einem dieser Gedichte erklärt Ovid, daß er nicht nur eine, sondern alle Frauen liebe, womit er den Anspruch erhebt, in umfassenderem Sinn ein Liebesdichter zu sein als seine Dichterrivalen, die sich im allgemeinen nur einer Frau verbunden fühlten. In einem anderen Gedicht kündigt er einen Leitfaden der Liebe an, der um 1 v.Chr. als Ars amatoria in 3 Büchern erscheint. Er gibt darin den Männern einen Leitfaden, wie sie die Liebe einer Frau gewinnen und sie erhalten können. Die Ehe will er damit nicht antasten, vielmehr ist die Liebe um ihrer selbst willen erstrebenswert, unabhängig von institutioneller Verankerung und moralischer Bewertung. Falls sich jemand zu tief in ein Verhältnis verstrickt hat, kann er sich daraus mit geeigneten Mitteln wieder befreien. Dies beschreibt Ovid in seinem Werk Remedia amoris.

In seinem Streben, der Aeneis Vergils ein ebenbürtiges Werk an die Seite zu stellen, wandte sich Ovid dem außerordentlichen Reichtum der griechischen Mythologie zu und schuf in seinen Metamorphosen einen Kosmos der Wirklichkeit, dessen formaler Rahmen aus einer phantasievoll erdachten Chronologie von etwa 250 mythologischen Verwandlungsgeschichten besteht. Der zeitliche .Rahmen beginnt mit der Erschaffung der Welt und reicht bis zur Vergöttlichung Cäsars und seiner Verwandlung in einen Kometen.

Jede Einzelgeschichte ist nicht nur für sich allein zu betrachten , sondern stellt eine facettenartige Ergänzung zu allen übrigen Erzählungen dar. Dabei wird die Variatio zum Hauptprinzip inhaltlicher und sprachlicher Darstellung. So wie die sichtbare Welt erfüllt ist von unübersehbarem Abwechslungsreichtum, bemüht sich Ovid, der Sprache ständig neue Möglichkeiten abzugewinnen. Er möchte zeigen, daß sich kein noch so winziges Detail, kein noch so komplizierter Gedanke oder Zusammenhang sprachlicher Erfassung und Formulierungskunst entzieht. Jede neue Detailbeschreibung wird so zu einem Schöpfungsakt von Sprache und Bedeutung bzw. Deutungsmöglichkeit.

Die Vielgestaltigkeit des Erzählstoffes bietet einen Rahmen, alle Seinsbereiche als sinnvoll aufeinander bezogen erkennen zu lassen: Götter, Menschen und Natur mit ihrer tausendfachen Vielfalt sind nicht nur eng miteinander verflochten, sondern innerlich miteinander verwandt. Die in vergangener Geschichte erfolgten Verwandlungen schaffen bleibende Gestalten der sichtbaren Welt, welche die Gegenwart mit der Vergangenheit verbinden. So vermag der Mensch der Gegenwart auf die wunderbaren Ursprünge der Dinge zurückzuschauen und auch seiner eigenen Existenz eine tiefere Dimension zu geben.

Das Kunstprinzip der Variation bezieht sich auch auf den Bereich von Sprache und Stil. So wie die in den Metamorphosen gestalteten Themen von vielen Dichtern, angefangen von Homer bis zu Vergil, in epischer, dramatischer und lyrischer Form behandelt wurden, so versucht Ovid, im Anklang an diese Dichter jeder Dichtungsgattung, jeder Stilebene und Sprechweise gerecht zu werden. Absicht dieses Teils seines dichterischen Programmes ist es, die Universalität seines dichterischen Schaffens und seiner literarischen Bildung unter Beweis zu stellen.

Ovids Leben

Ovid wurde in Sulmo, 140 km östlich von Rom geboren. Sein Vater, der zum angesehenen Landadel gehörte, schickte seinen Sohn mit dreizehn Jahren nach Rom zur rhetorischen Ausbildung. Schon zu dieser Zeit fing er zu dichten an. Er erweiterte seine Bildung durch einen Studienaufenthalt in Athen und machte Kunstreisen durch Griechenland, nach Kleinasien und Sizilien.

Ovid begann die Ämterlaufbahn als Zivilrichter, brach sie aber bald ab, um sich ganz der Dichtkunst zu widmen. Sein literarischer Gönner war Messalla Corvinus, ein politischer und militärischer Mitstreiter Oktavians und ein bedeutender Redner. Mit 18 Jahren trat Ovid durch Vorlesen von Gedichten öffentlich in Erscheinung.

Ovid war dreimal verheiratet. Von seiner ersten Frau, die ihm durch väterliche Autorität bestimmt wurde, trennte er sich bald. Von seiner zweiten Frau, von der er sich scheiden ließ, hatte er seine einzige Tochter. Mit der dritten Frau führte er ein glückliche Ehe. Er bewohnte ein Haus in der Nähe des Kapitols.

Ovid war ein gefeierter Dichter, der allerdings nicht die Bemühungen des Augustus um allgemeine Sittenverbesserung unterstützte. Dieser mußte gemäß seinen eigenen Verordnungen zuerst im Jahre 2 v.Chr. seine eigene Tochter Iulia und im Jahre 8 n.Chr. deren Tochter Iulia verbannen. Im selben Jahr wurde auch Ovid nach Tomis am Schwarzen Meer verbannt. Die Gründe dafür bleiben unklar, da Ovid nur allgemein und verhüllt davon spricht. Möglicherweise war er lediglich Mitwisser eines Sittenskandals im Umkreis von Augustus' Enkelin, wurde aber als Beteiligter angesehen. Von Tomis versuchte Ovid durch Elegien (4 Bücher Tristia, 30 Gedichte Ex Ponto) Einfluß auf die öffentliche Meinung in Rom zu nehmen und seine Begnadigung zu erwirken. Als er nach einigen Jahren Aussicht auf Erfolg hatte, starb Augustus. Sein Nachfolger Tiberius tastete Anordnungen des Augustus so wenig wie möglich an, und so starb Ovid im Frühjahr des Jahres 18 n.Chr. in der Verbannung.

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