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Demokratie und Bibelverständnis

(15.7.2005)

Zwei Jahre lang besuchte ich den ökumenischen Bibelkreis meiner Pfarrei mit den Themen "Psalmen" und "Berufungen im AT und NT". Es waren im Durchschnitt etwa ein Dutzend Teilnehmer. Ich habe mich nun aus grundsätzlichen Erwägungen von den beiden Gesprächsleitern verabschiedet.

Die Konzeption des Bibelkreises ist ehrenwert: Jeder soll seinen Beitrag zum Gelingen des Gesprächs leisten und unterschiedliche Auffassungen respektieren. Darüber hinaus allerdings gibt es keine gemeinsame methodische Grundlage.

Alle Teilnehmer sind religiös orientiert und motiviert. Nicht jeden aber kann diese Art von Bibelgesprächen befriedigen. Schuld daran scheint mir die Anwendung demokratischer Denkweisen auf den christlichen Glauben:

Daß eine demokratische Grundhaltung gegenüber dem Glauben unangemessen ist, das ist wohl den meisten Christen gar nicht bewußt. Denn die Verbindlichkeit des kirchlichen Lehramtes hat sich aus dem religiösen Bewußtsein unbemerkt hinausgeschlichen.

Demokratische Denkhaltungen haben zu vermehrtem individuellem Denken und dieses zu einsamem Entscheidungsdenken geführt. Jeder so individuell Denkende fühlt sich aufgefordert, über alles und jedes ein Urteil seines demokratisch legitimierten Denkens zu fällen. Daß das demokratische Individuum damit hoffnungslos überfordert ist, fällt dem Betroffenen nicht auf oder er verdrängt es. Das Ergebnis ist eine unübersehbare Meinungsvielfalt, deren Respektierung als christliche Tugend der Toleranz hochgehalten wird.

Welchen Stellenwert der Begriff Wahrheit in einer Bibelrunde haben soll, bleibt ungeklärt. Der gute Wille der Teilnehmer scheint zu genügen. Eine ältere Teilnehmerin erklärte unumwunden: Ich nehme mir das aus der Bibel heraus, was ich für mein Leben brauche.

Als Katholik befinde ich mich in einer günstigeren Lage als evangelische Christen, die kein offizielles Lehramt haben. Aber auch das katholische Lehramt ist durch exegetische Vielfalt der Aussagen von Dozenten und Pfarrern bereits gründlich relativiert.

Natürlich hat die exegetische Forschung viele wertvolle Erkenntnisse gebracht. Aber wieviel läßt die Wissenschaft vom Wort Gottes noch übrig, wenn etwa nur noch von den verschiedenen Redaktionen eines Evangeliums die Rede ist? Auf viele Exegeten trifft das bekannte Bild zu, daß sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen – von sich schleichend ausbreitenden Irrlehren ganz abgesehen.

In früheren Jahrhunderten besaß das Neue Testament eine heilige Autorität und die Evangelisten galten als unantastbare Gewährsmänner des Evangeliums und als mächtige Heilige, die für viele Lebensbereiche zu Patronen gewählt wurden. Heute spricht man nicht mehr vom heiligen Evangelisten Johannes, sondern vom Verfasser oder den Verfassern des Johannesevangeliums. Die machtvollen Worte des Evangeliums verschwinden hinter den analytischen Gedankengängen über ihr geschichtliches Zustandekommen. Die Persönlichkeiten der neutestamentlichen Verfasser verschwinden mehr oder weniger aus dem Blickfeld des Exegeten. Die Glaubenswahrheiten scheinen sich in eine Vielzahl geschichtlicher Einzelaspekte aufzulösen.

Welche Einstellung hat der demokratische Normalchrist zu den Evangelientexten? Da er nicht mehr zum heroischen Vorbild von Heiligen aufblickt, bemißt er alles nach seinem eigenen begrenzten Vorstellungsvermögen.

Welchen Ausweg gibt es aus den Niederungen und der Relativierung demokratischer Glaubenseinstellung? Es gilt, von relativierender Nörgelei zur absoluten Heiligkeit Gottes zu gelangen, d.h., sich vom heiligen Gott selbst erfassen und sich von ihm erkennen zu lassen. Es gilt zu bedenken, daß der Mensch aus sich selbst nichts und Gott alles ist, daß sich der Mensch also auf keine demokratische Freiheit berufen kann, da Gott auch die Quelle der menschlichen Freiheit ist.

Zusammenfassend gesagt, es geht darum, die Aufforderung Jesu zu befolgen: Seid vollkommen, wie der Vater vollkommen ist. (Mat 5,48)

 

 

 

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