Gedanken
zum Koranverständnis
I. Bibel und Koran
als Literatur
II. Die Einschätzung
des Koran als hohe Literatur
a) Islamische Sicht b) Außer-islamische Sicht c) Kunst und Religion
IV. Anwendung des
Vergleichs
a) Die Evangelien und der Koran
b) Mariae Verkündigung bei Lukas und im Koran
I. Bibel und Koran als Literatur
1. Die biblischen Schriften und der
Koran sind den jeweiligen Gläubigen heilig. Andererseits haben sie einen
definierbaren Stellenwert als Literatur und sind unter literaturwissenschaftlichen
Kriterien einteilbar und bewertbar.
Man wird davon ausgehen, daß ein
Christ einen Evangelientext anders aufnimmt und wahrnimmt als ein Nicht-Christ.
Vom literarischen Standpunkt hätte es durchaus etwas für sich, wenn der
Gläubige versuchen würde, den Text mit innerem Abstand und der Nicht-Gläubige
mit einer gewissen Vertrauensbereitschaft lesen würde.
Von einer vorurteilslosen
Einstellung aus sollten die zentrale Fragen bei dieser Lektüre jeweils dieselbe
sein: Wer war dieser Jesus, der in den vier Evangelien vorgestellt wird, welche
Schicksale hatte er und was ist seine Botschaft? Dabei stellt sich das Problem,
wie verläßlich sind die Berichte der Verfasser? Ein vielleicht ungewöhnliches,
jedoch nicht unwesentliches Kriterium für die Glaubwürdigkeit eines Textes
liegt in seinem Verhältnis von Form und Inhalt. Die Reihenfolge dieser beiden
Begriffe ist wichtig: Die Wahrhaftigkeit eines Textes sucht sich eine Form bzw.
bedient sich bereits etablierter Formen. Umgekehrt begegnet der Leser dem
Inhalt durch Vermittlung der Form.
Zu welchem Endurteil der Leser
schließlich kommt, muß er selbst entscheiden.
2. Als Christ gehe ich an den
Korantext anders heran als ein Muslim. Wiederum soll gelten: Der Koran ist
Literatur. Nach wiederholter Lektüre von Koranpassagen habe ich mir ein Urteil
gebildet und halte es für objektiv genug, um allgemeine Schlußfolgerungen zu
ziehen.
3. Eine Methode, um sich Klarheit
über die Bedeutung eines Themas zu verschaffen, ist, überkommene Wertvorstellungen
aufzuheben und von ihrer völligen Negierung her zu sehen, was an Wertvollem
übrig bleibt.
Man muß demnach den von Muslimen
postulierten Offenbarungscharakter des Koran fallen lassen und eine
literarische Definition der 114 Koransuren versuchen, die man, um es etwas
leger zu formulieren, als unchronologisches Tagebuch eines Bekehrungsfeldzuges
bezeichnen könnte.
4. Auf den kritischen Leser machen
die Texte des Koran den Eindruck, daß sie auf religiöse
Überwältigung
abzielen. Durch bestimmte wiederkehrende Formeln werden die Angesprochenen
aufgefordert, den Glauben an Allah anzunehmen und unablässig zu verwirklichen.
Niemand möge daran zweifeln, daß er Allahs Gesandter sei und daß die
"Schriftbesitzer", Juden und Christen, sich auf dem falschen Weg befinden.
5. Da der Koran seine Inhalte den
Schriften des Alten und Neuen Testamentes verdankt, hat er sich besonders mit
ihnen einem literarischen Vergleich zu stellen. Die biblischen Schriften
bestehen aus einer Vielfalt von Einzelschriften und Themen, für die
verschiedene literarische Formen verwendet werden, z.B. Erzählung, prophetische
Rede, Gebetsformen (Psalmen), Dialoge und Gleichnisse. Die 114 Suren des Koran
hingegen besitzen gemäß Definition nur eine einzige Textform: sie beanspruchen,
direkte Rede Gottes zu sein. Sie bestehen hauptsächlich aus Belehrung,
Verurteilung falscher Lehren der Juden und Christen und Verteidigung von Mohammeds
prophetischem Anspruch, also aus appellativen und apologetischen Elementen, die
ohne erkennbare Gliederung ineinander übergehen und einmal kürzer, einmal
länger voranfließen. In diese Textgestalt postulierter Gottesrede, die
sprachtechnisch schwer durchführbar und für den Leser häufig nur mit viel
Vorstellungskraft nachzuvollziehen ist, sind einzelne literarischen Unterformen
eingebettet, z.B. erzählerische und rhetorische Elemente.
6. Kriterien für hohe Literatur sind
bildliche Rede, sprachliche Kunstmittel, formale Gliederung des Textes,
logische Ordnung der Gedanken und Beherrschung der Stilebenen. Der Koran enthält
solche Kriterien, aber weniger ausgeprägt und weit geringerer Zahl als die
biblischen Schriften.
Als Beispiel zweier vergleichbarer
Texte bietet sich der Lobpreis der Schöpfung in Sure 16,1-18 und Psalm 104 an. Die Parallelen zwischen
beiden sind so auffällig, daß die Vermutung naheliegt, Mohammed habe den Psalm
gekannt und, beeindruckt davon, ihn nachzugestalten versucht.
Der Psalm ist kunstvoll in
unbelebte und belebte Schöpfung gegliedert: 1. Himmel (2-4), 2. Wasser und Land (5-9), 3. lebenspendendes Wasser, 4. Sonne und Mond (19-20), 5. Meer (25). Den Gliederungspunkten 3-5 sind die belebten
Geschöpfe, Pflanzen, Tiere und der Mensch, zugeordnet, deren Leben von der
Beschaffenheit der Natur bestimmt wird.
Das Lob der
Schöpfung im Koran beginnt mit der allgemeinen Aussage: 1. "Gott schuf Himmel und
Erde" (4). Es folgen – in anderer Reihenfolge – 2. Wasser (11), 3. Sonne, Mond, Sterne (13), 4. Meer (15), 5. Erde (16). Die Naturelemente
dienen vor allem dem Nutzen der Menschen.
Eine sprachliche
Parallele ist bemerkenswert:
Du hast die Erde
auf Pfeiler gegründet, in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken. (104,5) |
Feste Berge setzte er in die Erde, daß sie nicht unter euch wanke.
(16) |
Die beiden Texte zeigen
exemplarisch einen wesentlichen Unterschied zwischen Bibel und Koran:
– Die Seele des Psalmisten ist von
der Größe Gottes erfüllt und indem er Gott als sein personales Gegenüber
anspricht, preist er die Vielfalt und Weisheit der Schöpfung. Der Psalmist
möchte ein sprachliches Kunstwerk schaffen, das Gott gefallen möge.
Bewunderung, Liebe und Dank gegenüber Gott sind die Motive für seine Dichtung.
– Der Sprecher des Korantextes
richtet seine Worte an die Menschen, deren Glauben durch die Betrachtung der Schöpfung
geweckt und gefestigt werden soll. Die funktionale Ausrichtung des Textes zeigt
sich durch eingeschobene Ermahnungen, wie z.B. die dreimalige Wendung
"Dies sind deutliche Zeichen für verständige Menschen".
Die literarische Qualität der Koranstelle
ist schwächer als die des Psalms in der Ordnung der Gedanken und durch die
funktionalen Einschübe.
II. Die Einschätzung des Koran als
hohe Literatur
Wenn die literarische Qualität des
Koran im Vergleich zur Bibel eher als gering einzustufen ist, warum wird sie
dann so unverhältnismäßig hoch eingeschätzt? Es gibt hierfür verschiedene
Gründe, deren Wurzeln tief reichen. Zu unterscheiden ist die Einschätzung der
islamischen und der nicht-islamischen Welt:
1. Muslime halten Sprache und Stil
des Koran für so vollkommen, daß kein Mensch ihn hätte
so formulieren können. Gemeint sind Reimschemen und rhythmische Gestaltung. Der
Koran kommt also direkt vom Himmel, wo er anfanglos in einer Urfassung
existiert.
Die muslimische Begründung bezieht
sich letztlich nur auf die Sprache, Form und Inhalt als Bewertungkriterien von
Literatur sind bedeutungslos.
2. Es gibt jedoch tieferliegende
Gründe als die gewöhnlich angeführten. Von den Juden in Medina ist bekannt, daß
sie auf die nicht-jüdischen Araber herabschauten, weil diese keine heilige
Schrift, d.h. keine von Gott kommende Offenbarung besaßen. Dies weckte
natürlich das Verlangen, ebenfalls eine Offenbarungsschrift zu besitzen.
Der aus dem Fehlen einer heiligen
Schrift resultierende Minderwertigkeitskomplex war auch wesentlich Mohammeds
Problem. In seinem Bemühen um religiöse Gewißheit lernte er vieles aus den
biblischen Schriften vom Hörensagen kennen. Wenn er wirklich nicht lesen und
schreiben konnte, mußte er sich bei den behaupteten Offenbarungen völlig auf
sein Gedächtnis verlassen. Die sich auf die biblischen Schriften beziehenden
Texte waren notwendigerweise ungenau. Blieben also seine Rezitationen
inhaltlich auch weit hinter den biblischen Zusammenhängen zurück, so konnte er
seinen Minderwertigkeitskomplex nur ausgleichen, indem er sie als wöertlich geoffenbart
ausgab.
Ist man einer Sache unsicher,
neigt man dazu, umso hartnäckiger daran festzuhalten. Der postulierte
Offenbarungscharakter mußte also als Kompensation zu der organischen
historischen Entwicklung der biblischen Schriften aufrecht erhalten werden.
3. Besitzt eine Zahl von Texten
unterschiedliche Themen und jeder Text formale und inhaltliche
Untergliederungen, findet der Geist des Lesers Ruhe und Halt. Die 114
Korantexte summieren sich zu einem Gesamtinhalt eines einzigen Themas: die
Gebote des monotheistischen Allah mit größtmöglicher Deutlichkeit und
Wirksamkeit zu vermitteln. Die einzelnen Suren sind ohne durchgestaltete
Gliederung der Form und des Inhalts.
Der muslimische Geist findet also
an der Form der Texte keinen Halt, sondern eilt gewissermaßen durch den ganzen
Text, bis er sich ihm mit Leib und Seele verschrieben hat. Der Muslim besitzt
daher keinen Abstand zu den Korantexten, sondern läßt sich von jeder Stelle
gleichsam verzaubern. Die ständigen Belehrungs- und Unterweisungsformeln, die
ursprünglich an Heiden gerichtet war, empfindet er als Bestätigung seiner
Rechtgläubigkeit.
1. Den Begriff außer-islamische Sicht
beziehe ich hauptsächlich auf die europäischen Länder, deren geschichtliche
Wurzeln das Christentum sind. Unter diesem Gesichtspunkt sind Christentum und
Islam konkurrierende Religionen.
Die Aufwertung des Koran kann auf eine gewisse Opposition zum Christentum
zurückgehen, indem man eine Beachtung nachholen möchte, die früher wirklich
oder vermeintlich vernachlässigt wurde.
2. Die islamische Kultur hat ab dem
Mittelalter eine große Faszination auf die europäischen Länder ausgeübt,
während die Religion des Islam selbst abgelehnt wurde. Heute bestimmt ein Wertrelativismus
das Denken der Menschen: Man leugnet nicht das Positive der christlichen
Religion, sieht aber im Islam zumindest ebenso viel Positives. Dies wirkt sich
auch auf die Wertschätzung des Islam aus.
3. Ebenso dem Zeitgeist verpflichtet
ist die Bewunderung von allem Außergewöhnlichen. Man ist geneigt, den Koran als
heiliges Buch der Muslime gleichrangig den biblischen Schriften zur Seite zu
stellen. Konvertiten verfallen den Korantexten ohne jeden Abstand.
4. Eine Überbewertung des Koran hängt schließlich damit zusammen, daß die
Wertschätzung der biblischen Schriften gesunken ist. Ihre Inhalte sind entweder
nicht mehr bekannt oder zu selbstverständlich geworden.
1. Die Bedeutung des Koran kann natürlich nicht von seiner literarischen Qualität
allein ermessen werden. Er bildet die Grundlage einer großen monotheistischen
Religion, die wesentliche Elemente der jüdisch-christlichen Religion enthält.
Der Koran hat zur Ausprägung einer jahrhundertealten Kultur in vielen Ländern
geführt. Aus dieser Sicht verdient der Koran religiöse Achtung.
2. Als Manifestation arabischer
Literatur wird dem Koran ein hohe künstlerische
Kreavität zuerkannt. Dies kann jedoch nicht der einzige Maßstab sein.
3. Insofern der Islam sich jedoch als
die wahre Religion bezeichnet und Jesus Christus als menschgewordene zweite
göttliche Person leugnet, muß sich von christlicher Seite der Koran der
Wahrheitsfrage stellen und von falscher Rücksichtnahme freigehalten werden.
1. Der qualitative Vergleich zwischen
Koran und Bibel läßt sich in besonderer Weise an den Inhalten untersuchen, die beiden gemeinsam sind.
Man unterscheidet zwischen
kanonischen und apokryphen Schriften des Alten und Neuen Testaments. Den
kanonischen spricht man göttliche Inspiration zu und hat sie in eine verbindliche
Sammlung aufgenommen, die apokryphen Schriften entsprechen nicht der geistigen
Ebene der kanonischen und scheiden daher aus.
Den Unterschied zwischen beiden
kann eine Unterscheidung zwischen Boulevardzeitung und Qualitätszeitung
verdeutlichen.
2. Die Qualitätszeitung wendet sich
an geistig anspruchsvolle Leser. Sie gibt national und international wichtigen
Themen den Vorrang vor weniger wichtigen. Ersteren widmet sie ausführlichere, letzteren kürzere Berichterstattung. Sie
vermittelt Sachinformationen, kontroverse Auffassungen und bewertende
Kommentare.
Die Boulevardpresse wendet sich an
ein geistig anspruchsloseres Publikum. Sie zielt darauf ab, menschliche
Neugierde und Gefühle sowohl zu wecken als auch zu befriedigen. Sie berichtet
vorzugsweise über prominente Personen der Gesellschaft, des Sports, des
Showgeschäfts. Sie stellen Unglücksfälle, Verbrechen und Skandale in vielen
Einzelheiten dar, um im Leser eine möglichst hohe Anteilnahme hervorzurufen.
Boulevardzeitungen locken
weiterhin das Kaufinteresse ihrer Kunden durch sensationelle Inhalte an, d.h.,
durch jede Art von Ungewöhnlichem, Monströsem, Unerklärlichem, Wunderbarem und
Unübertroffenem, um so dem Leser das Bewußtsein zu vermitteln, umfassend
unterrichtet zu sein.
3. Auch Qualitätszeitungen berichten
über aktuelle Geschehnisse. Sie verfügen durch Nachrichtenagenturen gewöhnlich
über dieselben Informationen wie die Boulevardpresse, lassen aber weniger
Wichtiges weg, damit ein Artikel eine angemessene Länge nicht überschreitet und
nicht etwa Wichtiges durch Unwichtiges relativiert oder entwertet wird.
IV. Anwendung des Vergleichs
a) Die Evangelien und der Koran
1. Zentrales Thema des Neuen
Testamentes ist Jesus, "der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes",
wie Petrus bekennt, worauf Jesus zu ihm sagt: "Nicht Fleisch und Blut
haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel." (Mt 16,16-17)
Die Menschwerdung der zweiten
göttlichen Person ist für den unerleuchteten Verstand ein unbegreifliches
Geheimnis, sein Tod am Kreuz "für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine
Torheit" (1Kor 1,23)
Das erhabene Geheimnis des
menschgewordenen Wortes (Joh 1,14), sein Leben und Sterben erfordern eine
Darstellung, die keinen Platz für Nebensächliches läßt. Die vier Evangelisten
lassen demgemäß alle Einzelheiten weg, die den wichtigen ausgewählten Fakten
und Geschehnissen untergeordnet sind. Der Evangelist Matthäus berichtet
beispielsweise von der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten und ihrer
Rückkehr nach Nazareth, aber nichts über ihre Reiseschwierigkeiten und ihren
Aufenthalt in Ägypten.
2. Im Mittelpunkt des Koran stehen
zwei Themen: die Verbreitung des Glaubens an den einzigen Gott Allah und Mohammed
als letzten der Propheten. Von diesen Prioritäten her ergeben sich alle biblische Bezugnahmen.
Da Mohammed die gottmenschliche
Natur Jesu und sein Sühneleiden am Kreuz ablehnt, geht ihm die hohe Geistesebene
der Evangelien verloren. Es bleiben ihm zwei Möglichkeiten der Darstellung:
Erstens, er sucht die Erhabenheit der Evangelienstelle zu erreichen, an der ihm
gelegen ist, etwa der Verkündigung des Engels an Maria. Zweitens, er greift
jede Art von wunderlichen Erzählungen auf und weist ihnen denselben Rang wie
den Evangelienstellen zu. Mohammed beweist hier ein wenig differenziertes
geistiges Niveau, andererseits läßt die Textform der Suren vielleicht eine
anspruchsvollere Gestaltungsweise nicht zu: Textform und Textinhalt bedingen
sich ja gegenseitig.
3. So ist die Wesentlichkeit des
Neuen Testamentes einer Qualitätszeitung und der Fabulierstil des Koran einem Boulevardblatt vergleichbar.
b) Mariae Verkündigung bei Lukas und
im Koran
In der 19. Sure mit dem Namen
Maria wird die Ankündigung von zwei Empfängnissen übermittelt: Dem Priester
Zacharias kündigt ein Engel die Zeugung des Johannes an und Maria die
Empfängnis eines Sohnes. Mit dem Bericht beider Ereignisse beginnt das
Lukasevangelium. Sie sind parallel gestaltet und erzählerisch miteinander
verknüpft. Die 19. Sure reiht Erzählungen über fünf Personen aneinander leitet
jede nach der ersten jeweils mit "Erwähne auch…" ein. Absicht ist,
Johannes, Jesus , Abraham, Moses und Edris (Henoch) zu
einer Prophetenreihe zusammenzustellen.
Mohammed kennt und schätzt also
die Berichte des Evangelisten Lukas und möchte sie nachgestalten. Ein Vergleich
zwischen beiden Darstellung soll Auskunft über ihre
jeweilige geistige Ebene geben.
1. Erzähle, was in diesem Buch über Maria
steht. Da sie sich zurückzog von den Ihren nach einem gen Osten gewandten
Ort, und sich vor ihnen barg durch einen Vorhang, da sandten wir unseren
Geist zu ihr, und er erschien ihr in Gestalt eines vollkommenen Menschen. |
Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von
Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie
war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der
Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr
ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. |
Sie sprach: «Ich nehme
meine Zuflucht vor dir bei dem Allerbarmer; (laß ab von mir) wenn du
Gottesfurcht hast.» |
Sie erschrak über die
Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. |
2. Er antwortete: «Ich
bin nur ein Gesandter deines Herrn, auf daß ich dir einen reinen Sohn
beschere.» |
Da sagte der Engel zu
ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du
wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen
Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott,
der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus
Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. |
3. Sie sprach: «Wie soll
mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat und ich auch keine Hure
bin?» |
Maria sagte zu dem
Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? |
4. Er antwortete: «So
ist's; dein Herr aber spricht: "Es ist Mir ein leichtes und (wir tun
dies) auf daß wir ihn zu einem Zeichen machen für die Menschen und zu einer
Barmherzigkeit von uns, und es ist eine beschlossene Sache."» |
Der Engel antwortete
ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird
dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt
werden. Auch Elisabeth, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn
empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten
Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich. |
5. Und sie empfing ihn
und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück. |
Da sagte Maria: Ich
bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ
sie der Engel. |
6. Und die Wehen der Geburt trieben sie zum Stamm
einer Palme. Sie sprach: «O wäre ich doch zuvor gestorben und wäre ganz und
gar vergessen!» Da rief es ihr von unten her zu: «Betrübe
dich nicht. Dein Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen; Schüttle nur den Stamm der Palme gegen
dich, sie wird frische reife Datteln auf dich fallen lassen. So iß und trink und
kühle (dein) Auge. Und wenn du einen Menschen siehst, dann sprich: "Ich
habe dem Allerbarmer ein Fasten gelobt, darum will ich heute zu keinem Wesen
reden."» |
|
7. Dann brachte sie ihn zu ihrem Volke, indem sie ihn tragen
ließ. Sie sprachen: «O Maria, du hast etwas Seltsames getan. O Schwester Aarons, dein Vater war kein Bösewicht, noch war
deine Mutter eine Hure!» Da deutete sie auf ihn. Sie
sprachen: «Wie sollen wir zu einem reden, der ein Kind in der Wiege ist?» |
|
8. Er sprach: «Ich bin
ein Diener Allahs, Er hat mir das Buch gegeben und mich zu einem Propheten
gemacht; Er machte mich gesegnet, wo ich auch sein mag, und Er befahl mir Gebet
und Almosen, solange ich lebe; Und (Er machte mich) ehrerbietig gegen meine
Mutter; Er hat mich nicht hochfahrend, elend gemacht. Friede war über mir am
Tage, da ich geboren ward, und (Friede wird über mir sein) am Tage, da ich
sterben werde, und am Tage, da ich wieder zum Leben erweckt werde.» |
|
9. Das ist nun Jesus, der Sohn der Maria – um
die Wahrheit zu sagen, über die sie im Zweifel sind. Es ziemt Allah nicht, Sich einen Sohn
zuzugesellen. Heilig ist Er! Wenn Er ein Ding beschließt, so spricht Er nur zu
ihm: «Sei!», und es ist. «Wahrlich, Allah ist mein Herr und euer
Herr. So dienet Ihm: das ist der gerade Weg.»" Doch die Parteien wurden uneinig
untereinander; wehe drum denen, die das Beisein am
Großen Tag leugnen. Wie wunderbar wird ihr Hören und Sehen
sein an dem Tage, wo sie zu Uns kommen werden! Heute aber sind die Frevler in
offenbarem Irrtum. Und warne sie vor dem Tag der Trauer, wenn
der Spruch gefällt werden wird. Jetzt sind sie in Sorglosigkeit, daher
glauben sie nicht. Wir Selbst werden
die Erde erben und alle, die auf ihr sind; und zu Uns werden sie
zurückgebracht. |
1. Nach dem Bericht des
Evangelisten Lukas vollzieht sich die Begegnung zwischen dem Engel Gabriel und
Maria wie ein natürlicher Vorgang: Der Engel "erscheint" nicht, sondern
"tritt ein". Er tut das, was in einem solchen Fall unter Menschen
üblich ist: Er grüßt und erweist Maria Ehre durch die Worte "du Begnadete,
der Herr ist mit dir". Aus der Tatsache, daß der Engel hörbare Worte
spricht geht hervor, daß er sichtbar vor Maria hintritt.
Maria erschrickt
über die Anrede, nicht etwa über den plötzlichen Anblick des Engels, auch wenn
er zum Erschrecken Marias beiträgt. Wenn man erschrickt, ist man gewöhnlich
unfähig, etwas zu denken und zu sagen, wie die Redewendung "stumm vor
Schreck" ausdrückt. Maria erschrickt zwar, aber gleichzeitig ist sie
fähig, über die Worte des Engels nachzudenken. Dies zeugt von einer inneren
Haltung der Freiheit und von selbständigem Denken.
Der
Sprecher des Koran, dessen Redeweise wir der Bewußtseinsebene
Mohammeds gleichsetzen wollen, tut sich schwer mit der Begrüßungsszene. Er weiß
nicht, welche Worte er ihm in den Mund legen soll. Statt dessen ist von der
Schönheit seiner äußeren Gestalt die Rede, offensichtlich zu dem Zweck, der
Reaktion Marias einen auslösenden Bezugspunkt zu geben.
Warum
wird Maria durch die schöne Gestalt des Engels erschreckt statt angezogen? Der
Koransprecher bezieht das Erschrecken seiner Vorlage auf die unmittelbare
Beziehung zwischen Mann und Frau: Die sinnenhafte Schönheit des Engels
empfindet Maria als Gefährdung ihrer Keuschheit. Daher bittet sie ihn, Abstand
von ihr zu halten. Der Koran macht also aus der eigentlichen Botschaft von der
Menschwerdung der zweiten göttlichen Person ein geschlechtsspezifisches Beziehungsproblem.
2. Der Engel des
Evangelientextes nimmt Rücksicht auf Marias Erschrecken und sagt zu ihr:
"Fürchte dich nicht, Maria!" Hier redet er sie achtungsvoll mit ihrem
Namen an. Dann nimmt er die Anrede "Begnadete" wieder auf: "Du
hast Gnade gefunden bei Gott". Maria erhält also ein
Auskunft, worüber sie bereits nachgedacht hatte. Dieser erste Satz der
Botschaft bedeutet, daß Marias Gebete um die Ankunft des Messias sich erfüllt
haben. Freilich hat ihre Demut sie abgehalten, für sich selbst die Rolle der
Auserwählten zu erhoffen.
Nun erfolgt die
Botschaft des Engels, die Maria in die volle Tragweite des göttlichen
Heilsplanes einweiht.
Der Engel des Koran nimmt keine Rücksicht auf Maria. Er selbst soll Maria
einen Sohn "geben". (Natürlich zerbrechen sich islamische Theologen
den Kopf, wie er das anstellte.) Maria erfährt nicht, warum sie ein Kind
empfangen soll. Man erkennt, der Autor des Korantextes kann mit der
neutestamentlichen Szene nichts anfangen. Maria wird salopp von oben herab
behandelt. Die Verkündigungsszene ist funktional unerläßlich, um Jesus als
Prophet einzuführen und dient zur Erhöhung Mohammeds selbst, des letzten der
Propheten. Die Verkündigungsszene ist für den Koransprecher nur eine
Marginalie, eine Randerscheinung.
3. Maria weiß aus den Prophezeiungen
Daniels (9,24-27), daß die Zeit bis zur Ankunft des Messias abgelaufen ist.
Nach ihren Worten zu schließen, weiß sie jedoch nicht, wie der Messias in die
Welt treten soll. Deshalb ihre Frage "Wie soll das geschehen, da ich keinen
Mann erkenne?" Sie war mit Joseph verlobt, wollte jedoch jungfräulich
leben, womit Joseph einverstanden war.
Die
Koranstelle beginnt inhaltlich ähnlich wie der Evangelientext, endet jedoch mit
einer krassen Antiklimax:
«Wie soll mir ein Sohn werden, da mich kein Mann berührt
hat und ich auch keine Hure bin?»
Hier wird Maria eine
ordinäre und neugierige Phantasie unterstellt. Sie denkt von vorneherein
außerehelich: "da mich kein Mann berührt hat". Diese Aussage ist in sich widersinnig, weil sie ja
erst einen Sohn empfangen soll. Ihre Phantasie stellt sich sofort einen
sexuellen Kontakt mit einem Mann vor, damit sich die gewünschte Empfängnis
vollziehen kann und sie spricht ihren Gedanken ohne jedes Schamempfinden aus.
Wahrlich, eine banale Person, diese Maria!
Selbst
Muslime empfinden diese Stelle als eine Peinlichkeit, wie man aus einer
geläufigen Online-Übersetzung entnehmen kann. Dort erscheint der
koranische Sinn stark abgeschwächt: "…und ich auch nicht unkeusch gewesen
bin".
Der
Koran kennt für Maria keinen eigenen Willen und keine eigene Zukunftsplanung,
sondern sie ist vollkommen Allahs Besitz und dazu bestimmt, ein uneheliches
Kind zu empfangen. Der Koranautor kann aus der Aussage "da ich keinen Mann erkenne" eben nichts anderes
machen als eine triviale Karikatur.
4. Der Engel gibt Maria
eine Erklärung, wie das Wunder der Menschwerdung des göttlichen Wortes geschehen
soll: durch den Heiligen Geist, die dritte göttliche Person. Damit Maria besser
versteht, wiederholt der Engel mit fast identischen Worten, was er zu beginnt
seiner Botschaft gesagt hat:
Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden
Deshalb wird auch das
Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.
Mit einem Hinweis
auf Marias betagte Verwandte Elisabeth gibt er Maria die Gewißheit, daß Gott
alles bewirken kann.
Der
Engel des Koran gibt keine Erklärung über das Wie der
Empfängnis, sondern eine Aussage über die Absichten Gottes mit ihrem Sohn. Er
schließt mit den Worten "es ist eine beschlossene Sache". Maria hat
also gar keine andere Wahl, als den Beschluß Allahs über sich ergehen zu
lassen.
5. Maria hat die Worte des
Engels verstanden. Da sie ihr ganzes Leben auf den Willen Gottes und die
Ankunft des Messias ausgerichtet hat, ist sie aus ganzem Herzen bereit, die ihr
angetragene Aufgabe zu übernehmen. Aus freiem Willen gibt sie ihr Ja-Wort.
Dem
Koransprecher bleibt nichts anderes übrig, als dem notwendigen erzählerischen
Abschluß durch einen Satz genüge zu tun: "Und sie empfing ihn…"
Der zweite Teil des
Satzes "… und sie zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück"
leitet über zum nächsten Teil der Erzählung. Die Parallele des "entlegenen
Ortes" im Lukasevangelium könnte Marias Besuch ihrer Verwandten Elisabeth
sein.
6. Der Koran-Erzähler thematisiert
die schwierige Lage einer unehelich schwangeren Frau. Im Neuen Testament wird
dieses Thema wegen seiner völlig untergeordneten Bedeutung nicht erwähnt. Der
Koran hingegen sorgt für eine Erbauungs- und Klatschgeschichte – allerdings
nicht ohne weiterführende Zielsetzung.
Die Szene unter der Palme ist wohl
durch das apokryphe Pseudo-Matthäusevangelium beeinflußt, das über Jesus in
Ägypten erzählt: Maria ist durch die Sonnenhitze in der Wüste müde geworden.
Als sie einen Palmbaum sah, sagte sie zu Joseph: "Ich möchte im Schatten
dieses Baumes ein wenig ausruhen." Auf Befehl des Jesuskindes, das bereits
wie ein Erwachsener spricht, neigen sich die Früchte tragenden Äste.
Schließlich entspringt– ebenfalls auf Befehl Jesu – eine Quelle.
Maria soll nicht sprechen, um
nicht über ihre Schwangerschaft Auskunft geben zu müssen.
7. Nachdem Maria Jesus geboren hat,
wird sie wegen des unehelichen Ursprungs ihres Sohnes zur Rede gestellt. Da
ihre Mutter nicht für "eine Hure" gehalten wird, sieht sich Maria dem
Vorwurf moralischer Verworfenheit ausgesetzt. Wiederum drängt sich der Eindruck
auf, die Leute nehmen gerne Wörter wie "Hure" in den Mund, um in
sexuellen Gefühlen zu schwelgen.
8. Jesus aber fängt zu sprechen an
und befreit so seine Mutter vom Vorwurf der Schande. Die Worte, die Jesus in
den Mund gelegt werden, erweisen ihn als konform mit der Lehre des Islam,
"das Gebet zu verrichten und Almosen zu geben".
9. Der Satz "Das ist nun
Jesus…" ist ein Kommentar des Koransprechers. Dessen zweiter Teil "um
die Wahrheit zu sagen, über die sie im Zweifel sind" verweist auf die Worte
unmittelbar zuvor und danach. Mit "Wahrlich ..." setzt direkte Rede
Jesu ein, um die Kommentierung zu bekräftigen.
Die im Koran 16-mal verwendete Formel "Jesus, Sohn
der Maria" soll
klarstellen, daß Jesus nicht präexistenter Sohn Gottes ist. Er ist aus der
Allmacht Gottes – ohne menschlichen Zeugungsakt – neu erschaffen worden:
"Wenn er etwas beschließt und nur sagt: 'Werde!' – so ist es".
Warum nun Jesus diese
Ausnahmestellung in der gesamten Menschheit haben soll, darüber schweigt der
Koran.
Der gesamte
Korantext 19:17-41 ist auf die Zurückweisung Jesu als göttlicher Person
angelegt. Dafür wird geschickt die Rede des kleinen Jesus eingesetzt, der den
Irrglauben der Christen zurückweist.
10. Die Muslime, die den
Verkündigungstext des Evangelisten Lukas lesen, ahnen vielleicht seine
Überlegenheit und hohe Würde, sie sind aber gefangen in der Vorstellung des
direkten Wortes Gottes. Daher begnügen sie sich mit dem Linsengericht des Koran, statt zum Festmahl der Frohen Botschaft
hinüberzuwechseln.
1. Der Koran als Literatur besitzt
keine Evidenz in sich, sondern er ist funktional auf die Intention Mohammeds
ausgerichtet, Juden und Christen Irrlehren und Verfälschungen vorzuwerfen und
sich als alleinigen Garanten der Wahrheit darzustellen. Diese Funktionalität
des Textes mindert seine literarische Qualität erheblich. Parallelstellen zur
Bibel sind literarisch unterlegen.
2. Da Muslime unter dem Bann stehen,
der Koran sei in einer präexistenten Urfassung im Himmel niedergelegt, können
sie zwischen Realität und Fiktion grundsätzlich nicht unterscheiden: sie halten
alles für gleich real. Daher mühen sie sich fruchtlos ab, für fiktive Elemente
des Koran rationale Gründe zu finden.
Im Falle der Zeugung Jesu sollten
sich die Erklärer eigentlich mit dem lapidaren Satz zufrieden geben "Wenn
Allah etwas beschließt und nur sagt: 'Werde!' – so ist es". Aber nein, man
möchte erklären. Das Internet bietet folgende Erklärungen:
Ibn
Kathir sagt, dass viele Gelehrte glauben, dass sie durch den Atem des Engels
Gabriel empfing: "Viele Gelehrte der Vorfahren (Salaf) haben erwähnt, dass
zu diesem Zeitpunkt der Engel (der Djibril [Gabriel] war) in die Öffnung des
Kleidungsstücks blies, das sie trug. Dann stieg der Hauch hinab, bis er in ihre
Vagina eindrang, und sie empfing das Kind mit der Erlaubnis Allahs." (Quelle)
Die vom Engel geschickten Impulse haben die
Eigenschaften, auf die Gene zu wirken und Mutationen zu schaffen. Maria ist auf
so eine Weise schwanger geworden… (Quelle)
3. Die Tyrannei des präexistenten Koran behindert Muslime erheblich, die literarische Qualität
der biblischen Schriften zu beurteilen, da sie diese nur unter dem
Gesichtspunkt bedrohlicher Konkurrenz sehen und alle Unterschiede für biblische
Irrtümer halten. Diese Einstellung bildet auf muslimischer Seite eine
Erschwernis, historische Forschung objektiv zu betreiben.
4. Über ihre
literarische Bedeutung hinaus sind Bibel und Koran wesentlich Glaubensbücher. Sie werden jedoch – entsprechend
ihrer Beschaffenheit – unterschiedlich wahrgenommen: der Koran wörtlich, konkret und sinnenhaft, die Bibel geistig.
Christliche
Glaubenshaltung erfordet Überwindung einer buchstäblichen, konkret-sinnlichen
Wahrnehmungsebene. Konkrete Geschehnisse tragen weitere Bedeutungsebenen in
sich. Die Sprache eines Evangelientextes tritt völlig in den Dienst seines
Inhalts. Ist die geistige Ebene erreicht, kann sie durch bildliche Kunst – eher
als durch sprachliche – wieder sinnenfällig gemacht werden.
Im Islam ist die
bildliche Darstellung von Koraninhalten verboten. Die Gültigkeit der Inhalte
ist an die Schönheit und "Unnachahmlichkeit" der Sprache und deren
sinnliche Wahrnehmbarkeit gebunden. Erzählte Geschehnisse bleiben konkret und
entfalten kaum eine eigene symbolische Dimension.
Liest ein Christ den
Koran, gerät er auf die tiefere Ebene einer Wirklichkeitswahrnehmung, wie sie
von den Apokryphen und von Legenden her bekannt ist. Diese Wahrnehmung kann
einen Rückkoppelungseffekt auf die Geschehnisse der Evangelien bewirken, so daß
fiktiv erscheint, was als real berichtet wird.
Ein Muslim seinerseits wird zwar
auf eine andere Wahrnehmungsebene gehoben, aber er versteht die Darstellung von
Geschehnissen und Worten Jesu nicht als das direkte Wort Gottes
, das allein für ihn glaubensverbindlich sein könnte. Auf diese Weise
bleibt er in Vorbehalten befangen.
Die geistige Ebene der
Evangelientexte geht in ihrem sachlichen Berichtstil so weit über die konkrete
Erfahrungswelt des Christen hinaus, daß sie unter einer modernen rationalen
Weltsicht vielfach nicht mehr als real angenommen wird.
5. Erzählerische Texteinheiten des Koran sind auch textimmanent als Literatur zu würdigen. Ihr
literarischer Wert sollte jedoch für sich betrachtet und nicht ausschließlich mit
biblischen Parallelen verglichen werden.
Erstellt: August/September 2008
Letzte Änderung: Mai 2012