Den folgenden Kommentar schickte ich dem ZDF am 9.1.15

 

 

Der Dreiteiler "Tannbach – Schicksal eines Dorfes" hat mich unbefriedigt gelassen. Die Personen, die in eine engere Beziehung zueinander treten, sind auf anspruchlosestem geistigen und sittlichen Niveau dargestellt, nur ihrer Triebhaftigkeit folgend.

An vier Paaren wird die moralische Fragwürdigkeit und Widersprüchlichkeit des Drehbuchs erkennbar:

       Als Friedrich und Anna einander ihre Liebe erklären, schaffen sie sogleich vollendete Tatsachen – ein treffliches Beispiel für heutige Jugendliche. In einer späteren Szene gibt Anna Friedrich eine Ohrfeige und eine Minute später ihre Einwilligung zur Ehe – die ja bereits vollzogen ist.

       Die Pensionswirtin Hilde Vöckler, gespielt von Martina Gedeck, macht lange den Eindruck einer achtbaren Person, bis sie sich, von einer Sekunde zur anderen, dem Landrat hingibt.

       Als der Graf von einer längeren Internierung zurückkehrt, trifft er die aus Berlin geflüchtete Liesbeth Erler, die er kaum kennt, an einem Bootssteg und gibt sich, fast wortlos und ohne Zurückhaltung, seinem Gefühl für sie hin. Später trennen sich ihre Wege, er betreibt eine Schreinerei auf westlicher Seite und heiratet, sie wandert nach Amerika aus. Am Ende treffen sie wieder zusammen; für den Graf zählt seine Ehe nicht, für Liesbeth nicht das aufgedeckte Kriegsverbrechen des Grafen.

       Teresa ist von einem französischen Zwangsarbeiter schwanger. Sie gibt sich dem Sohn des gehbehinderten Sohn des Bauern Schober hin und wird von ihm geheiratet. Der Franzose, statt wie üblich in seine Heimat zurückzukehren, streicht noch Monate später ums Haus herum, will die neue Situation nicht anerkennen und stört eine sich sonst vielleicht normalisierende Ehe.

Das Aufgebot an bekannten Schauspielern ist beachtlich, der Zuschauer schenkt ihnen zunächst Respektabilität, sie aber beugen sich nach und nach willig der moralischen Primitivität des Drehbuchs – ein entwürdigender Schaden für ihre eigene Person, auch wenn sie damit leicht umzugehen scheinen.

Die fragwürdige Moral der gezeichneten Charaktere hat ihren Grund in drei Faktoren:

1.      Es gibt eine gewisse zeitgenössische political correctness der Moral: Verhaltensweisen nach sittlichen Maßstäben zu konzipieren, setzt sich dem Verdacht aus, andere, die diese Maßstäbe nicht anerkennen, zu diskriminieren. Diesem Verdacht wird durch Dekonstruktion sittlichen Verhaltens begegnet.

2.      Die für den Inhalt des Films Verantwortlichen verlegen ihre eigene moralische Unentschiedenheit oder Niveaulosigkeit in die Figuren hinein und entbinden sich so, gewissermaßen entschuldigt, ihrer Verantwortlichkeit.

3.      Da im Hintergrund dieser Ost-Westgeschichte zwei verschiedene Wertesysteme und Gesellschaftsordnungen stehen, will man beiden gerecht werden. Dabei übernimmt man das eine oder andere Klischee: Der Adel ist korrupt, Adel und Proletariat vereinigen sich für eine neue gesellschaftliche Ordnung.

Die Punkte 2 und 3 wirken eng zusammen: Der Landrat, Friedrich und Anna haben massives Unrecht vonseiten des neuen Machtapparats erlebt, halten aber dennoch geradezu einsichtslos an der neuen Gesellschaftsordnung fest. Der abgesetzte Landrat sagt: "Die Idee einer gerechteren Welt ist nicht schlecht. Rückschläge gehören dazu. Neue Ordnungen brauchen Zeit. Wenn man nicht daran glaubt, kann man nicht gewinnen." Friedrich, der für das neue Regime Handlangerdienste geleistet hat, kehrt desillusioniert, nachdenklich und unschlüssig nach Haus zurück, aber Anna sagt: "Ich bin stolz auf dich" und hinterläßt beim Zuschauer ob dieser Absurdidät eher Kopfschütteln als Anerkennung und eher den Eindruck einer schwachen statt starken Persönlichkeit.

Es scheint noch drei Lichtblicke inmitten der moralischen Beliebigkeit zu geben: Der Pfarrer des Ortes bemüht sich erfolgreich um Pflegeeltern für das Kleinkind, das Liesbeth vom sowjetischen Kommandeur in den Arm gelegt wurde, Anna spricht ein Tischgebet und läßt am Ende ihren Sohn katholisch taufen. Dieses letzte Filmereignis wirkt einigermaßen isoliert und konstruiert: Anna hat keinen Wert auf eine kirchliche Eheschließung gelegt, und welche Großmutter reist wegen einer Taufe aus Übersee an? Man kann hier jedoch sehen, daß die Drehbuch-Verantwortlichen sehr wohl in der Lage sind, eine religiöse Handlungsweise, also ein traditionsbezogenes Wertverhalten, in die Protagonistin hineinzuverlegen, während sittlich verantwortliches Verhalten in allen anderen Situationen verweigert wird.

Mir scheint die ethische Dimension im Denken und Handeln der Hauptpersonen von größerer Bedeutung zu sein als die historischen Elemente. Die Glaubwürdigkeit letzterer hängt nicht wenig von ersterer ab. Tatsächlich stellt sich die Frage, wie Personen und historische Fakten miteinander in Beziehung stehen. In einer Dokumentation mit Nachspielszenen lassen sich beide ziemlich klar trennen. In einem Spielfilm hingegen sind Personen, ihre Beziehungen zueinander und Handlungselemente fiktiv, sie werden vornehmlich auf die historischen Fakten hin konzipiert. Es kommt dabei zu manchen komplizierten Beziehungsgeflechten, denen der Zuschauer nur schwer und bei kurzen Szenen und häufigen Wechseln gar nicht mehr folgen kann. In diesem Dreiteiler werden Personen und Personengruppen mit historischen Fakten und Abläufen überfrachtet, die das Drehbuch letztlich nicht bewältigt. Deutlich zeigt sich dies an der Familie Schober. Es soll das historische Faktum Zwangsarbeit Berücksichtigung finden. Ein Zwangsarbeiter muß her, er schwängert eine junge Dorfbewohnerin. Der Franzose taucht in einer bloßen Statistenrolle auf; wo er gearbeitet hat, ist unbekannt. Er sorgt für bleibenden Unfrieden in der Familie Schober, bis Teresa das Parteibuch des Schwiegervaters bei der Entnazifizierungsbehörde abgibt. Wieder kann damit ein historischer Vorgang abgehandelt werden. Schober sagt: "Wer mich verraten hat, den mach' i hie." Er rechnet nicht mit dem Parteibuch als Beweisstück. Er müßte also in der weiteren Folge seine Schwiegertochter oder seinen Sohn umbringen. Aber die weitere Auseinandersetzung gehört nicht zum Drehbuch.

Mit den fiktiven Elementen einher geht die Vorstellung von Unterhaltungswert, den der Zuschauer erwarte und die Filmemacher befriedigen müßten. Daher formuliert der Gong wie selbstverständlich: "Auch der dritte Teil bietet spannende Unterhaltung". Man könnte diese Beschreibung als zynisch bezeichnen angesichts der bitteren Erfahrungen der östlichen Dorfbewohner. Aber so ist nun einmal die Einstellung der meisten heutigen Fernsehkonsumenten. Also haben sich auch die Drehbuchautoren darauf eingestellt mit der Konsequenz, daß auf jede anspruchsvollere Charakterzeichnung verzichtet wurde.

Eine genauer Betrachtung dieses Dreiteilers zeigt einige Probleme auf, die die öffentliche Sendeanstalt ZDF für weitere Filmprojekte berücksichtigen sollte, um ihren Bildungsauftrag zu erfüllen.

 

Inhalt

Kontakt