Jesus erscheint den Jüngern von Emmaus.

Kap.687

Zwei Männer mittleren Alters schreiten rasch auf einer Bergstraße dahin. Sie haben Jerusalem im Rücken, dessen Anhöhen immer mehr hinter anderen verschwinden, die wie Wellen aus Hügeln und Tälern aufeinander folgen.

Sie unterhalten sich, und der Ältere sagt zum anderen, der höchstens fünfunddreißig Jahre alt ist: «Glaube mir, es ist besser gewesen, so zu handeln. Ich habe eine Familie, und auch du hast eine. Der Tempel scherzt nicht. Er will wirklich allem ein Ende machen. Zu Recht? Zu Unrecht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß sie diese Geschichte ein für allemal beenden wollen.»

«Dieses Verbrechen, Simon. Nenne es nur beim rechten Namen, denn es war ein Verbrechen.»

«Je nachdem, wie man es sieht. Uns bringt die Liebe gegen das Synedrium in Wallung. Aber vielleicht... Wer weiß.»

«Nein. Die Liebe erleuchtet. Sie läßt keinen Irrtum zu.»

«Auch das Synedrium, auch die Priester und die Vorsteher lieben. Sie lieben Jahwe, ihn, den ganz Israel geliebt hat, seit der Bund zwischen Gott und den Patriarchen geschlossen wurde. Also ist auch für sie die Liebe Licht und führt nicht zum Irrtum!»

«Ihre Liebe gilt nicht dem Herrn. Ja, Israel hat seit Jahrhunderten diesen Glauben. Aber sage mir, kannst du behaupten, daß das noch Glaube ist, was uns die Tempelvorsteher, die Pharisäer, die Schriftgelehrten und die Priester übermitteln? Du hast es doch gesehen. Mit dem dem Herrn geweihten Gold – man wußte es schon oder hat zumindest den Verdacht gehabt, daß es geschehen würde – mit dem dem Herrn geheiligten Gold haben sie den Verräter und jetzt die Wachen bezahlt; ersteren, damit er Christus verrät, die anderen, damit sie lügen. Oh, ich kann nicht verstehen, warum die ewige Macht sich damit begnügt hat, die Mauern einstürzen zu lassen und den Vorhang zu zerreißen. Ich sage dir, ich hätte gewünscht, daß die neuen Philister unter den Trümmern begraben würden. Alle!»

«Kleophas, das wäre Rache!»

«Ja, das wäre Rache. Nehmen wir an, er sei nur ein Prophet gewesen, hatten sie dann das Recht, einen Unschuldigen zu töten? Denn er war unschuldig! Hast du vielleicht einmal gesehen, daß er eines der Verbrechen begangen hat, deren man ihn beschuldigte, um ihn töten zu können?»

«Nein, kein einziges. Aber einen Fehler hat er begangen.»

«Welchen, Simon?»

«Den Fehler, daß er vom Kreuz herab nicht seine Macht ausgeübt hat, um unseren Glauben zu stärken und die ungläubigen Gottesschänder zu bestrafen. Er hätte die Herausforderung annehmen und vom Kreuz herabsteigen müssen!»

«Er hat mehr getan: Er ist auferstanden!»

«Ist das auch wahr? Auferstanden, aber wie? Nur im Geist oder mit Leib und Seele?»

«Die Seele ist doch ewig! Sie braucht nicht aufzuerstehen!» ruft Kleophas aus.

«Das weiß ich selbst. Ich wollte sagen, ob er nur in seiner göttlichen Natur, die über jede menschliche Nachstellung erhaben ist, auferstanden ist. Denn eben noch haben die Menschen seine Seele in furchtbare Angst versetzt. Hast du nicht gehört? Markus hat gesagt, daß in Gethsemane, wo er an einem Fels gebetet hat, alles voll Blut ist. Und Johannes, der mit Markus gesprochen hat, hat ihm gesagt: "Laß niemanden diesen Ort betreten, denn es ist Blut, das der Gottmensch geschwitzt hat." Wenn er vor der Marter Blut geschwitzt hat, dann muß er furchtbare Angst vor ihr gehabt haben.»

«Unser armer Meister... !» Sie schweigen betrübt.

Jesus gesellt sich zu ihnen und fragt: «Von wem redet ihr? In dieser Stille habe ich einige eurer Worte gehört. Wer ist getötet worden?» Jesus ist verborgen unter dem Äußeren eines armen, eiligen Wanderers.

Die beiden erkennen ihn nicht.

«Bist du hier fremd, Mann? Hast du dich nicht in Jerusalem aufgehalten? Dein verstaubtes Gewand und die abgenützten Sandalen lassen auf einen unermüdlichen Pilger schließen.»

«Das bin ich. Ich komme von sehr weit her ...»

«Dann wirst du müde sein. Hast du noch einen weiten Weg?»

«Einen sehr weiten. Er ist noch länger als der, den ich bereits zurückgelegt habe.»

«Hast du Geschäfte zu erledigen? Begibst du dich auf die Märkte?»

«Ich muß eine riesige Anzahl Herden für den mächtigsten aller Herren erwerben. Die ganze Welt muß ich durchwandern, um Schafe und Lämmer auszuwählen, und ich muß auch zu den wilden Herden gehen, die, wenn sie erst einmal gezähmt sind, besser sein werden als jene, die jetzt nicht wild sind.»

«Schwierige Arbeit. Und du bist weitergegangen und hast dich nicht in Jerusalem aufgehalten?»

«Weshalb fragt ihr dies?»

«Weil du anscheinend der einzige bist, der nicht weiß, was in diesen Tagen geschehen ist.»

«Was ist denn geschehen?»

«Du kommst von weit her und weißt es vielleicht deshalb nicht. Doch dein Akzent ist galiläisch. Darum müßtest du, wenn du beschnitten bist, eigentlich wissen, selbst wenn du in den Diensten eines fremden Königs stehst oder der Sohn ausgewanderter Galiläer bist, daß vor drei Jahren in unserem Vaterland ein großer Prophet namens Jesus von Nazareth aufgestanden ist, mächtig in Worten und Werken vor Gott und den Menschen, der predigend durch das ganze Land gezogen ist. Er nannte sich den Messias. Seine Worte und Werke waren wirklich die des Sohnes Gottes, wie er sich nannte. Ja, wirklich des Sohnes Gottes. Es kam alles vom Himmel... Nun weißt du, warum... Aber bist du beschnitten?»

«Erstgeborener bin ich und dem Herrn heilig.»

«Dann kennst du unsere Religion?»

«Kein Wort ist mir unbekannt. Ich kenne die Vorschriften und die Bräuche. Die Halacha, der Midrasch und die Haggada sind mir geläufig wie die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Licht, die ersten Dinge, nach denen Verstand, Instinkt und Bedürfnis des Menschen verlangen, wenn er den mütterlichen Schoß verlassen hat.»

«Dann weißt du also, daß Israel ein Messias verheißen war, der als mächtiger König Israel vereinigen würde. So ist es jedoch nicht gewesen ...»

«Wie dann?»

«Er strebte nicht nach irdischer Macht, sondern nannte sich König eines ewigen und geistigen Reiches. Er hat Israel nicht geeint, sondern gespalten, denn nun ist es geteilt in jene, die an ihn glauben, und jene, die ihn einen Übeltäter nennen. Er hatte wirklich nicht das Zeug zum König, denn er wollte nur Sanftmut und Verzeihung. Und wie soll man mit solchen Waffen unterwerfen und siegen... ?»

«Und dann?»

«Nun, dann haben die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes Israel ihn gefangengenommen und zum Tod verurteilt... wenngleich sie ihn in Wahrheit nicht begangener Verbrechen beschuldigt haben. Seine einzige Schuld war, zu gut und zu streng gewesen zu sein...»

«Wie konnte er das eine und das andere sein?»

«Er konnte es, denn er war zu streng, wenn er den Vorstehern Israels die Wahrheit sagte, und zu gut, um sie durch ein Wunder zu vernichten und seine ungerechten Feinde zu zerschmettern.»

«War er so streng wie der Täufer ?»

«Nun... das würde ich nicht sagen. Sein harter Tadel galt, besonders in letzter Zeit, den Schriftgelehrten und Pharisäern, und er drohte denen vom Tempel als vom Zorn Gottes Gezeichneten. Aber wenn ein Sünder sich bekehrte und er sah, daß dieser wahre Reue im Herzen hatte – denn der Nazarener konnte in den Herzen besser lesen als die Schriftgelehrten in ihren Texten – dann war er gütiger als eine Mutter.»

«Und Rom hat erlaubt, daß ein Unschuldiger getötet wurde?»

«Pilatus hat ihn verurteilt... Aber er wollte nicht und nannte ihn einen Gerechten. Doch man drohte ihm, ihn beim Caesar anzuklagen, und er bekam Angst. Also wurde er zum Tod am Kreuz verurteilt und mußte sterben. Und dieser Tod, zusammen mit der Angst vor den Synedristen, hat uns sehr entmutigt. Denn ich bin Kleophas, der Sohn des Kleophas, und dieser ist Simon. Wir sind beide aus Emmaus und verwandt, denn ich bin der Mann seiner ältesten Tochter, und wir waren Jünger des Propheten.»

«Und nun seid ihr es nicht mehr?»

«Wir hatten gehofft, daß er es sei, der Israel befreien würde, und auch, daß er seine Worte durch ein Wunder bestätigen würde. Dagegen ...»

«Was hat er denn gesagt?»

«Wir haben es dir schon gesagt: "Ich bin in das Reich Davids gekommen. Ich bin der König des Friedens" und so weiter. Er sagte auch: "Kommt zum Reich", doch dann hat er uns das Reich nicht gegeben. Und er sagte: "Am dritten Tage werde ich auferstehen." Nun ist heute der dritte Tag, seit er gestorben ist. Vielmehr, er ist schon vorüber, denn die neunte Stunde ist vergangen, und er ist nicht auferstanden. Einige Frauen und einige Wachen behaupten zwar, er sei auferstanden. Aber wir haben ihn nicht gesehen. Und nun sagen die Wachen, sie hätten dies nur erfunden, um den Diebstahl des Leichnams durch die Jünger des Nazareners zu verheimlichen. Ausgerechnet die Jünger... ! Wir haben ihn alle aus Angst im Stich gelassen, als er noch am Leben war... und wir werden ihn gewiß nicht jetzt gestohlen haben, da er tot ist. Und die Frauen... Wer glaubt schon den Frauen! Wir sprachen gerade darüber. Und wollten gerne wissen, ob er gemeint hat, daß nur sein nun wieder göttlich gewordener Geist aufersteht oder auch das Fleisch. Die Frauen behaupten noch, daß Engel – denn sie wollen auch Engel nach dem Erdbeben gesehen haben, und es ist möglich, denn schon am Freitag sind die Gerechten außerhalb ihrer Gräber erschienen – sie behaupten, Engel hätten ihnen gesagt, er sei gleich einem, der nie gestorben ist. Und so schienen ihn die Frauen auch tatsächlich gesehen zu haben. Doch zwei von uns, zwei Oberhäupter, die zum Grab gegangen sind, haben dieses zwar leer gefunden, wie die Frauen gesagt hatten, aber ihn selbst haben sie weder dort noch anderswo gesehen. Wir sind sehr traurig, denn wir wissen nicht, was wir nun denken sollen.»

«Oh, wie seid ihr doch töricht und von schwerfälligem Geist! Und wie lange braucht ihr, um an die Worte der Propheten zu glauben. Stand nicht alles schon geschrieben? Israel hat den Irrtum begangen, das Königtum Christi falsch auszulegen. Daher hat man ihm nicht geglaubt. Daher hat man ihn gefürchtet. Und daher habt ihr nun Zweifel. Oben und unten, im Tempel und in den Dörfern, überall erwartete man einen König im menschlichen Sinn. Aber die Wiedererrichtung des Reiches Israel war im Gedanken Gottes nicht in Zeit, Raum und Mittel begrenzt wie bei euch.

Nicht in der Zeit: Jedes Königtum, auch das mächtigste, ist nicht ewig. Erinnert euch an die mächtigen Pharaonen, die die Hebräer zur Zeit des Moses unterdrückten. Wie viele Dynastien sind aufeinander gefolgt, und von ihnen allen sind nur entseelte Mumien im Innern geheimnisvoller Gräber geblieben! Und eine Erinnerung, wenn überhaupt, ist geblieben an ihre Macht, die eine Stunde oder noch weniger gewährt hat, wenn wir diese Jahrhunderte mit der Ewigkeit vergleichen. Dieses Reich aber ist ewig.

Nicht im Raum: Es wurde genannt: Reich Israel; denn aus Israel ist der Stamm des Menschengeschlechtes hervorgegangen, in Israel liegt sozusagen der Same Gottes, und wenn man Israel sagt, so bedeutet dies: das Reich der von Gott Erschaffenen. Aber das Reich des Königs und Messias beschränkt sich nicht auf den kleinen Raum von Palästina, sondern erstreckt sich von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, überall dorthin, wo ein Wesen ist, das eine Seele in seinem Fleisch besitzt, also wo ein Mensch ist. Wie hätte einer allein alle die Völker, die einander feindlich gesinnt sind, vereinigen und ein einziges Reich bilden können, ohne Ströme von Blut zu vergießen und alle mit Hilfe von Bewaffneten zu unterwerfen und grausam zu unterdrücken? Und wie hätte er dann der König des Friedens sein können, von dem die Propheten sprechen?

Nicht in dem Mittel: Des Menschen Mittel, habe ich gesagt, ist die Unterdrückung. Das übernatürliche Mittel ist die Liebe. Ersteres ist immer begrenzt, denn die Völker stehen gegen die Unterdrücker auf; das zweite ist unbegrenzt, denn die Liebe wird geliebt oder, wenn sie nicht geliebt wird, wird sie verspottet. Da sie jedoch etwas Geistiges ist, kann sie niemals direkt angegriffen werden. Und Gott, der Unendliche, will Mittel anwenden, die so sind wie er. Er will, was nicht endlich ist, weil es ewig ist: den Geist; das, was des Geistes ist; das, was zum Geist führt. Dies ist der Irrtum gewesen: daß man sich eine messianische Idee zurechtgelegt hat, die falsch war, was Mittel und Form betrifft.

Welches ist das höchste Königtum? Das Königtum Gottes, nicht wahr? Und dieser Bewunderungswürdige, dieser Emmanuel, dieser Heilige, dieser erhabene Sproß, dieser Starke, dieser Vater künftiger Zeiten, dieser Friedensfürst, dieser Gott gleich jenem, von dem er kommt – denn so steht es geschrieben, und dies alles ist der Messias – wird sein Königtum nicht gleich dem Königtum dessen sein, der ihn gezeugt hat? Ja, so wird es sein. Ein ganz geistiges und ewiges Königtum, unbefleckt von Raub und Blut, das keinen Verrat und keine Gewalt kennt. Sein Königtum! Das Königtum, das die ewige Güte auch den armen Menschen gewährt, um seinem Wort Ehre und Freude zu schenken.

Hat nicht David schon gesagt, daß diesem mächtigen König alles als Schemel zu Füßen liegen wird? Steht nicht bei Isaias seine ganze Passion geschrieben und zählt nicht David sozusagen auch seine Martern auf? Und steht nicht geschrieben, daß er der Erlöser und Retter ist, der durch sein Opfer den sündigen Menschen erlösen wird? Und ist nicht genau angegeben – und Jonas ist das Zeichen – daß ihn die unersättlichen Eingeweide der Erde drei Tage lang verschlingen und dann ausspeien werden, wie der Walfisch den Propheten? Und steht nicht von ihm geschrieben: "Mein Tempel, also mein Leib, wird drei Tage, nachdem er zerstört worden ist, von mir (also von Gott) wieder aufgerichtet werden?" Was habt ihr geglaubt? Daß er durch Zauber die Tempelmauern wiedererrichten würde? Nein. Nicht die Mauern, sondern sich selbst. Und nur Gott konnte aus eigener Kraft auferstehen. Er hat den wahren Tempel wiedererrichtet: den Leib des Lammes, das geopfert wurde – so wie es Moses befohlen und prophezeit war – um den "Übergang" der Menschen, die Kinder Gottes und Sklaven Satans waren, vom Tod zum Leben, von der Sklaverei zur Freiheit vorzubereiten.

Ihr fragt euch, wie er auferstanden ist? Ich antworte: Er ist mit seinem wahren Fleisch auferstanden und mit dem göttlichen Geist, der in ihm wohnt, so wie in jedem sterblichen Fleisch die darin wohnende Seele die Königin des Herzens ist. So ist er auferstanden, nachdem er alles erlitten hat, um alles zu sühnen; um die erste Sünde wiedergutzumachen und die unzähligen Sünden, die täglich von der Menschheit begangen werden. Er ist auferstanden, wie es unter dem Schleier der Prophezeiungen vorausgesagt war. Als seine Zeit gekommen war, wurde er geboren – denkt an Daniel – und zur vorherbestimmten Zeit wurde er geopfert. Hört und denkt daran, denn zur vorhergesagten Zeit nach seinem Tod wird die gottesmörderische Stadt zerstört werden.

Ich gebe euch einen Rat: Lest die Propheten mit dem Herzen und nicht mit dem stolzen Verstand, vom Anfang des Buches bis zu den Worten des geopferten Wortes. Denkt an den Vorläufer, der ihn das Lamm nannte, und erinnert euch, welches das Schicksal des symbolischen mosaischen Lammes war. Durch jenes Blut wurden die Erstgeborenen Israels gerettet. Durch dieses Blut werden die Erstgeborenen Gottes erlöst werden, also jene, die sich durch ihren guten Willen dem Herrn geheiligt haben. Erinnert euch an den messianischen Psalm Davids und an den messianischen Propheten Isaias und versteht sie. Denkt an Daniel. Erhebt euer Gedächtnis aus dem Staub in das Blau des Himmels und vergegenwärtigt euch jedes Wort über das Königtum des Heiligen Gottes, und ihr werdet verstehen, daß euch kein stärkeres Zeichen hätte gegeben werden können, als dieser Sieg über den Tod, diese aus sich selbst erfolgte Auferstehung. Denkt daran, wie unvereinbar mit seiner Barmherzigkeit und seiner Sendung eine Bestrafung derer vom Kreuz herab gewesen wäre, die ihn so erhöht haben. Er war immer noch der Erlöser, auch als der verspottete und an das Holz genagelte Gekreuzigte! Die Glieder waren gekreuzigt, der Geist und der Wille jedoch frei. Und mit diesen wollte er noch warten, um den Sündern Zeit zu lassen, zu glauben und sein Blut über sich herabzurufen, nicht unter gotteslästerlichem Geschrei, sondern mit dem Seufzer der Zerknirschung.

Nun ist er auferstanden. Alles hat er vollbracht. Glorreich ist er vor seiner Menschwerdung gewesen. Dreimal glorreich ist er nun, nachdem er sich so viele Jahre in einem Körper erniedrigt und sich dann selbst geopfert hat im vollkommenen Gehorsam durch seinen Tod am Kreuz, um den Willen Gottes zu erfüllen. Glorreich über alle Maßen wird er nun zusammen mit dem verherrlichten Fleisch zum Himmel auffahren und in die ewige Herrlichkeit eingehen. Dies wird der Beginn des Reiches sein, dessen Bedeutung Israel nicht verstanden hat. Und zu diesem Reich ruft er eindringlicher denn je mit seiner ganzen Liebe und Autorität die Völker der Welt. Sie alle, wie es die Gerechten Israels und die Propheten geschaut und vorausgesagt haben, alle Völker werden zu ihrem Heiland kommen. Und es wird keine Juden oder Römer, Skythen oder Afrikaner, Iberer oder Kelten, Ägypter oder Phrygier mehr geben. Die von jenseits des Euphrat werden sich mit den Quellen des ewigen Flusses vereinigen. Die Völker des Nordens werden an der Seite der Numidier zu seinem Reich kommen; Rassen und Sprachen, Sitten und Hautfarben werden keine Rolle mehr spielen. Es wird ein einziges zahlloses, leuchtendes, reines Volk geben, eine einzige Sprache, eine einzige Liebe. Es wird das Reich Gottes, das Reich des Himmels sein, und der ewige Herrscher, der auferstandene Geopferte, und sein ewiges Volk, die an ihn Glaubenden. Glaubt also, um zu diesem Volk zu gehören!

Hier ist nun Emmaus, Freunde. Ich gehe weiter. Dem Wanderer, der noch einen so weiten Weg zurücklegen muß, ist kein Aufenthalt erlaubt.»

«Herr, du bist gelehrter als ein Rabbi. Wäre er nicht tot, würden wir glauben, daß er zu uns gesprochen hat. Wir möchten noch andere und ausführlichere Wahrheiten von dir hören; denn nun verstehen wir die Worte des Buches nicht mehr, da wir eine Herde ohne Hirten und durch den Haß Israels beunruhigt sind. Willst du, daß wir mit dir kommen? Du könntest uns weiterhin unterweisen und so das Werk des Meisters, der uns genommen wurde, vollenden.»

«Ihr habt ihn so lange gehabt, und es hat nicht genügt, euch zu vollenden? Ist dies hier nicht die Synagoge?»

«Ja. Ich bin Kleophas, der Sohn des Synagogenvorstehers Kleophas, der in der Freude gestorben ist, den Messias kennengelernt zu haben.»

«Und immer noch trüben Zweifel deinen Glauben? Aber es ist nicht eure Schuld. Nach dem Blut braucht es noch das Feuer. Dann werdet ihr glauben, denn ihr werdet verstehen. Lebt wohl.»

«O Herr, es will schon Abend werden, und die Sonne geht bald unter. Du bist müde und durstig. Komm herein. Bleibe bei uns. Du wirst zu uns von Gott sprechen, während wir Brot und Salz teilen.»

Jesus geht hinein und wird mit der üblichen hebräischen Gastfreundlichkeit bedient. Man bringt Getränke und Wasser für die müden Füße.

Dann setzen sie sich zu Tisch, und die beiden bitten ihn, die Mahlzeit zu segnen.

Jesus steht auf, hält das Brot auf den flachen Händen, erhebt die Augen zum roten Abendhimmel, dankt für die Speise und setzt sich. Er bricht das Brot und teilt es mit seinen Gastgebern. Und während er dies tut, gibt er sich zu erkennen als der, der er ist: der Auferstandene.

Er ist nicht der strahlende Auferstandene, als der er den anderen, die ihm nahestehen, erschienen ist. Aber er ist ein Jesus voller Majestät, und die Wunden an den schmalen Händen sind deutlich zu sehen: rote Rosen auf dem Elfenbein der Haut. Ein sehr lebendiger Jesus in seinem wiederhergestellten Fleisch. Aber auch Gott in der Macht seines Blickes und seiner Erscheinung.

Die beiden erkennen ihn und fallen auf die Knie... Und als sie es wagen, wieder aufzublicken, bleibt von ihm nur noch das gebrochene Brot.

Sie nehmen es und küssen es. Jeder nimmt seinen Anteil und legt ihn, wie eine Reliquie in ein Leinentüchlein gewickelt, auf die Brust.

Sie weinen und sagen: «Er ist es gewesen! Und wir haben ihn nicht erkannt. Und dennoch, brannte nicht auch dir das Herz in der Brust, als er zu uns sprach und uns die Schrift auslegte?»

«Ja. Und nun glaube ich ihn neu zu sehen. Im Licht, das vom Himmel kommt. Dem Licht Gottes. Und ich sehe, daß er der Erlöser ist.»

«Gehen wir. Ich spüre weder Müdigkeit noch Hunger mehr. Wir wollen nach Jerusalem gehen und es seinen Jüngern berichten.»

«Gehen wir. Oh, hätte doch mein alter Vater diese Stunde noch erleben dürfen!»

«Sprich nicht so. Ihm war mehr gegeben als uns. Der Geist des gerechten Kleophas sah den Sohn Gottes in den Himmel zurückkehren ohne den Schleier, der ihn aus Erbarmen mit unserer menschlichen Schwäche verhüllte. Gehen wir! Gehen wir! Wir werden mitten in der Nacht ankommen. Aber wenn er es will, finden wir einen Weg, in die Stadt zu gelangen. Er, der die Tore des Todes geöffnet hat, kann ebenso die Tore der Stadtmauern öffnen. Gehen wir!»

Und in der purpurnen Abenddämmerung machen sie sich eilends auf den Weg nach Jerusalem.

 

 

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