JUDAS GEHT ZU DEN VORSTEHERN DES SYNEDRIUMS
Kap.648
Und es muß ein unfehlbares Signal sein, denn
das Tor öffnet sich einen Spalt, ohne daß der Pförtner erst durch den kleinen
Spion in der Tür geschaut hätte.
Judas schlüpft hinein und fragt den
Pförtner, der sich verbeugt: «Sind alle versammelt?»
«Ja, Judas von Kerioth. Vollzählig, würde
ich sagen.»
«Führe mich zu ihnen. Ich habe Wichtiges zu
berichten. Schnell!»
Der Mann verschließt die Tür mit allen
Riegeln, geht ihm durch den halbdunklen Gang voraus und bleibt vor einer
schweren Tür stehen, an die er klopft. Das Stimmengewirr in dem abgeschlossenen
Raum verstummt. Dafür hört man das Geräusch des Schlosses und das Knarren der
Tür, die sich öffnet. Ein Lichtkegel fällt in den dunklen Korridor.
«Du bist es? Komm herein!» sagt der Mann,
der die Tür geöffnet hat und den ich nicht kenne.
Judas betritt den Saal, während jener, der
geöffnet hat, die Tür wieder mit dem Schlüssel verschließt.
Staunen, oder besser, eine gewisse Erregung
macht sich im Saal bemerkbar, als Judas erscheint. Doch sie begrüßen ihn im
Chor: «Der Friede sei mit dir, Judas des Simon.»
«Der Friede sei mit euch, Mitglieder des
heiligen Synedriums», grüßt Judas.
«Tritt vor. Was willst du?» fragen sie ihn.
«Berichten, euch von Christus berichten. Es
kann unmöglich so weitergehen. Ich kann euch nicht mehr helfen, wenn ihr euch
nicht entschließt, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Der Mann schöpft nun
Verdacht.»
«Hast du, Dummkopf, dich verraten?»
unterbrechen sie ihn.
«Nein, aber ihr Dummköpfe, ihr habt in eurer
törichten Eile falsche Schritte getan. Ihr wußtet doch sehr wohl, daß ich euch
dienen würde. Ihr habt mir nicht getraut.»
«Du hast ein schwaches Gedächtnis, Judas des
Simon! Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie du uns das letzte Mal verlassen
hast? Wer hätte noch glauben können, daß du uns treu bleiben würdest, nachdem
du auf diese Art erklärt hattest, daß du ihn nicht verraten könntest?» sagt
Elchias ironisch, mehr Schlange denn je.
«Glaubt ihr, es falle leicht, einen Freund
zu betrügen, den Einzigen, der mich wahrhaft liebt, einen Unschuldigen? Glaubt
ihr, es sei leicht, zum Verbrecher zu werden?» Judas ist schon erregt.
Sie versuchen, ihn zu beruhigen und
umschmeicheln ihn. Sie verführen ihn, oder versuchen es wenigstens, indem sie
bemerken, daß es sich bei ihm nicht um ein Verbrechen handelt, sondern «um ein
heiliges Werk für das Vaterland, das er vor Repressalien der Herrschenden bewahrt;
denn diese lassen schon Anzeichen der Ungeduld erkennen über die ständigen
Unruhen und Spaltungen der Parteien und der Volksmassen. Ein heiliges Werk auch
für die Menschheit, wenn er tatsächlich überzeugt ist von der göttlichen Natur
des Messias und seiner geistigen Mission.»
«Wenn es wahr ist, was er sagt – was wir
aber unmöglich glauben können – wirst du dann nicht an der Erlösung mitgewirkt
haben? Dein Name wird in allen Jahrhunderten mit seinem Namen verbunden sein,
und das Vaterland wird dich zu seinen Helden zählen und dich mit höchsten
Ämtern ehren. Ein Sitz unter uns für dich ist schon bereit. Du wirst
aufsteigen, Judas. Du wirst Israel Gesetze geben. Oh, wir werden nicht
vergessen, was du zum Wohl des heiligen Tempels, des heiligen Priestertums, zur
Verteidigung des allerheiligsten Gesetzes und zum Wohl der ganzen Nation getan
hast! Hilf uns nur, dann, das schwöre ich dir im Namen meines mächtigen Vaters
und des Kaiphas, der das Ephod trägt, wirst du der größte Mann in Israel sein.
Größer als die Tetrarchen, größer selbst als mein Vater, der nun sein Amt als
Hoherpriester abgegeben hat. Wie ein König, wie ein Prophet wirst du bedient
und angehört werden. Wenn aber Jesus von Nazareth nichts als ein falscher
Messias ist, wenn er auch nicht des Todes schuldig wäre, da seine Taten nicht
die eines Räubers, sondern eines Geisteskranken sind, dann erinnern wir dich an
die erleuchteten Worte des Hohenpriesters Kaiphas – du weißt, daß die Rede
dessen, der das Ephod und das Rationale trägt, von Gott eingegeben ist, und daß
er das Gute und das zum Guten Notwendige prophezeit. Kaiphas, erinnerst du
dich? Kaiphas hat gesagt: "Es ist besser, daß ein Mensch für das Volk
stirbt, als daß das ganze Volk zugrunde geht." Dies ist ein prophetisches
Wort.»
«Wahrlich, das ist es. Der Allerhöchste hat
durch den Mund des Hohenpriesters gesprochen. Ihm muß gehorcht werden!» rufen
sie theatralisch im Chor und gleichen dabei Automaten, die vorgegebene Gesten
machen müssen – diese ekelhaften Marionetten, die Mitglieder des Hohen Rates
des Synedriums sind.
Judas ist beeindruckt, verführt... Aber ein
klein wenig gesunder Menschenverstand oder Güte ist noch in ihm und läßt ihn
die fatalen Worte nicht aussprechen.
Sie umringen ihn mit Ehrerbietung, mit
geheuchelter Liebenswürdigkeit und drängen: «Glaubst du uns nicht? Sieh, wir
sind die Häupter der einundzwanzig priesterlichen Familien, die Ältesten des
Volkes, die Schriftgelehrten, die größten Pharisäer Israels, die weisen Rabbis
und die Vertreter des Tempels. Die Elite Israels ist hier, umgibt dich. Sie ist
bereit, dich zu beglückwünschen und sagt einstimmig: "Tu es, denn es ist
eine heilige Tat."»
«Und wo ist Gamaliel? Und Joseph und
Nikodemus, wo sind sie? Und wo ist Eleazar, der Freund des Joseph, und wo
Johannes von Gaasch? Ich sehe sie nicht.»
«Gamaliel tut große Buße, Johannes ist bei
seiner schwangeren Frau, der es heute abend nicht gut geht. Von Eleazar wissen
wir nicht, warum er nicht gekommen ist. Aber ein Unwohlsein kann jeden
unversehens befallen, meinst du nicht auch? Was Joseph und Nikodemus
betrifft... Nun, wir haben diese beiden nicht von der heutigen geheimen Sitzung
benachrichtigt, dir zuliebe, um deine Ehre nicht aufs Spiel zu setzen... Denn
sollte die Sache unglücklicherweise mißlingen, so wird der Meister wenigstens
nichts erfahren... Wir schützen deinen guten Ruf. Wir lieben dich, Judas, neuer
Makkabäer und Retter des Vaterlandes.»
«Der Makkabäer hat einen guten Kampf
gekämpft. Ich begehe... einen Verrat!»
«Betrachte nicht die Einzelheiten der Tat,
sondern die Gerechtigkeit des Zweckes. Sprich du, o Sadok, goldener
Schriftgelehrter. Aus deinem Mund fließen goldene Worte. Wenn Gamaliel gelehrt
ist, so bist du weise, denn mit deinen Lippen spricht die Weisheit Gottes.
Sprich du zu ihm, da er noch zögert.»
Und die gute Haut von Sadok tritt vor und
mit ihm auch der altersschwache Chananias. Ein zum Skelett abgemagerter,
sterbender Fuchs an der Seite eines heimtückischen, kräftigen, reißenden
Schakals.
«Hör zu, Mann Gottes!» beginnt Sadok pompös
und nimmt die Haltung eines erleuchteten Redners ein, streckt den rechten Arm
wie ein Cicero vor sich aus und rafft mit der Linken den ganzen Wust von Falten
seines Schriftgelehrtengewandes. Dann aber hebt er auch den linken Arm, so daß
das ganze Kleidungsmonument auseinanderfällt und in Unordnung gerät; und so,
Gesicht und Arme zur Decke des Raumes erhoben, donnert er: «Ich sage es dir!
Ich sage es dir in Gegenwart des Allerhöchsten!»
«Maran Atha!» antworten alle und verneigen
sich, als ob ein göttlicher Windstoß sie dazu zwingen würde; dann richten sie
sich wieder mit über der Brust gekreuzten Armen auf.
«Ich sage es dir. Es steht in den Seiten
unserer Geschichte und unseres Geschickes geschrieben! Es steht in den Zeichen
und Symbolen der zurückliegenden Jahrhunderte! Es steht in dem Ritus, der kein
Ende gehabt hat seit der Schicksalsnacht der Ägypter! Es steht in der Gestalt
des Isaak! Es steht in der Gestalt des Abel! Und was geschrieben steht, soll
geschehen.»
«Maran Atha!» sagen die anderen in einem
tiefen, unheimlichen, suggestiven Chor, mit den Gebärden von zuvor und bizarren
Lichtspielen auf den Gesichtern. Denn die Lampen an den beiden Enden des Raumes
mit ihren blaßvioletten Glimmerschirmen verbreiten ein gespenstisches Licht.
Wirklich, diese Versammlung fast ausschließlich weiß gekleideter Männer mit den
blassen oder olivfarbenen Gesichtern ihrer Rasse, die durch die diffuse
Beleuchtung noch blasser und grüner erscheinen, läßt mich an eine Versammlung
von Gespenstern denken.
«Das Wort Gottes ist auf die Lippen des
Propheten herabgekommen, um diesen Beschluß zu bekräftigen. Er muß sterben! Es
steht geschrieben!»
«So steht es geschrieben! Maran Atha!»
«Er muß sterben, sein Schicksal ist
besiegelt!»
«Er muß sterben, Maran Atha!»
«Bis in die kleinsten Einzelheiten ist sein
unabwendbares Schicksal beschrieben. Und das Schicksal ändert man nicht.»
«Maran Atha!»
«Sogar der symbolische Preis, der dem
bezahlt wird, der sich zum Werkzeug Gottes macht, um die Vorhersagen zu
erfüllen, ist bestimmt.»
«Er ist bestimmt! Maran Atha!»
«Ob Erlöser oder falscher Prophet, er muß
sterben!»
«Er muß sterben! Maran Atha»
«Die Stunde ist gekommen! Jahwe will es! Ich
höre seine Stimme! Sie ruft: "Es muß sich erfüllen!"»
«Der Allerhöchste hat gesprochen! Es muß
sich erfüllen. Es muß sich erfüllen! Maran Atha!»
«Der Himmel möge dich stärken, wie er Jael
und Judith stärkte, die Frauen waren und es verstanden, Heldinnen zu sein; wie
er Jephtha stärkte, den Vater, der dem Vaterland seine Tochter opferte; wie er
David stärkte im Kampf gegen Goliath, so daß er die Tat vollbringen konnte, die
den Namen Israels auf ewig in das Gedächtnis der Völker einschreiben wird.»
«Der Himmel möge dir Kraft geben, Maran
Atha!»
«Werde ein Sieger!»
«Werde Sieger! Maran Atha!»
Die heisere Greisenstimme des Chananias
erhebt sich: «Wer zaudert bei der Ausführung des heiligen Befehls, ist zur
Entehrung und zum Tod verurteilt.»
«Er ist verurteilt. Maran Atha!»
«Wenn du die Stimme des Herrn, deines
Gottes, nicht hören willst und seinen Befehl und was er dir durch unseren Mund
gebietet nicht ausführst, sollen alle Verwünschungen über dich kommen!»
«Alle Verwünschungen! Maran Atha!»
«Es schlage dich der Herr mit allen
mosaischen Verwünschungen und liefere dich den Heiden aus! Maran Atha!»
«Er schlage dich und liefere dich aus. Maran
Atha!»
Ein tödliches Schweigen folgt dieser
beeindruckenden Szene... Alles verharrt in furchterregender Unbeweglichkeit.
Endlich spricht Judas, und es fällt mir
schwer, ihn wiederzuerkennen, so sehr hat er sich verändert: «Ja, ich werde es
tun. Ich muß es tun. Und ich werde es tun. Der letzte Teil der mosaischen
Verwünschungen trifft mich schon, und ich muß mich davon befreien, denn zu
lange habe ich gewartet. Und ich verliere den Verstand, da ich weder Rast noch
Ruhe finde. Mein Herz ist voller Angst, meine Augen sind matt, meine Seele
versinkt in Traurigkeit. Ich zittere davor, entdeckt zu werden und von ihm für
mein doppeltes Spiel vernichtet zu werden; denn ich weiß nicht, ich weiß nicht,
inwieweit er meine Gedanken kennt. Ich sehe mein Leben an einem Faden hängen,
und vom Morgen bis zum Abend bin ich nur von dem einen verzweifelten Wunsch
erfüllt: daß diese Stunde vorübergehe, wegen des Schreckens, der mein Herz
verwirrt. Wegen der schrecklichen Tat, die ich vollbringen muß. Oh,
beschleunigt diese Stunde! Befreit mich von diesen Ängsten. Alles soll sich
erfüllen. Sofort! Jetzt! Und ich werde frei sein! Gehen wir!»
Die Stimme des Judas ist beim Sprechen immer
fester und immer lauter geworden. Die Gesten, zuerst automatisch und unsicher
wie die eines Schlafwandlers, sind nun frei und spontan. Er reckt sich zu
voller Größe, satanisch schön, und schreit: «Die Bande einer unsinnigen Furcht
sollen fallen! Ich habe mich endlich von der ängstlichen Untertänigkeit
befreit. Christus! Ich fürchte dich nicht mehr und liefere dich deinen Feinden
aus! Gehen wir!» Es ist der Schrei eines sieghaften Dämons, und Judas geht
tatsächlich entschlossen auf die Tür zu.
Aber man hält ihn zurück: «Langsam! Antworte
uns: Wo ist Jesus von Nazareth jetzt?»
«Im Haus des Lazarus. In Bethanien.»
«In dieses Haus, das voll ist von treuen
Dienern, können wir nicht eindringen. Außerdem ist es das Haus eines Günstlings
der Römer. Wir würden uns mit Sicherheit Unannehmlichkeiten einhandeln.»
«Im Morgengrauen gehen wir in die Stadt.
Stellt Wachen an die Straße von Bethphage, organisiert einen Tumult und laßt
ihn gefangennehmen!»
«Woher weißt du, daß er diese Straße nimmt?
Er könnte auch auf der anderen kommen...»
«Nein, er hat zu den Jüngern gesagt, daß er
auf dieser in die Stadt kommt, durch das Tor von Ephraim. Sie sollen ihn bei En
Rogel erwarten. Wenn ihr ihn vorher gefangennehmt...»
«Wir können nicht. Wir müßten mit ihm an den
Wachen vorbei in die Stadt gehen, und außerdem ist jede Straße, die zu den
Toren führt, und jede Straße in der Stadt von früh bis abends voller Menschen.
Es würde einen Tumult geben. Das darf nicht geschehen.»
«Er wird zum Tempel hinaufgehen. Ruft ihn in
einen Saal, um ihn zu befragen. Ruft ihn im Namen des Hohenpriesters. Er wird
kommen, denn er achtet euch mehr als sein eigenes Leben. Wenn er dann mit euch
allein ist... wird es euch nicht schwerfallen, ihn an einen sicheren Ort zu
bringen und zu gegebener Zeit zu verurteilen.»
«Es würde trotzdem einen Tumult geben. Du
solltest bemerkt haben, daß die Leute fanatisch an ihm hängen. Und nicht nur
das Volk, auch die Großen und die Hoffnung Israels. Gamaliel verliert seine
Schüler, Jonathan ben Uziel und andere von uns ebenfalls. Alle lassen sich von
ihm verführen und verlassen uns. Selbst die Heiden verehren ihn oder fürchten
ihn, was einer Verehrung gleichkommt. Und sie sind bereit zu revoltieren, wenn
wir ihm Gewalt antun. Unter anderem sind einige der Räuber, die wir angeworben
haben, damit sie als falsche Jünger auftreten und Streit anzetteln,
gefangengenommen worden. Sie haben gesprochen in der Hoffnung auf Milderung der
Strafe. Und der Prätor weiß ... Die ganze Welt läuft ihm nach, während wir
nichts zustande bringen ... Aber wir müssen klug vorgehen, damit das Volk
nichts merkt.»
«Ja, so müssen wir es machen. Auch Annas hat
es uns empfohlen. Er sagt: "Daß ja nichts während des Festes passiert und
kein Tumult unter dem fanatischen Volk entsteht!" Dies hat er befohlen,
und er hat auch befohlen, daß man ihm im Tempel und auch sonst respektvoll
begegnet und ihn nicht belästigt, um ihn so zu täuschen.»
«Aber was wollt ihr dann tun? Ich war heute
Nacht bereit, doch ihr zögert...» sagt Judas.
«Nun, du müßtest uns zu ihm führen, wenn er
allein ist. Du kennst seine Gewohnheiten. Du hast uns geschrieben, daß er dich mehr
als die anderen in seiner Nähe behält. Daher mußt du wissen, was er vorhat. Wir
werden immer bereit sein. Wenn du Ort und Zeit für günstig hältst, dann komm,
und wir werden eingreifen.»
«Abgemacht. Und was bekomme ich dafür?»
Judas redet nun ganz kalt, als handle es sich um irgendein alltägliches
Geschäft.
«Das, was die Propheten gesagt haben, um den
erleuchteten Worten treu zu bleiben: dreißig Denare ...»
«Dreißig Denare für das Leben eines
Menschen, und dieses Menschen?! Das ist der Preis eines gewöhnlichen Lammes
während dieser Feiertage! Seid ihr von Sinnen? Nicht, daß ich Geld brauche. Ich
habe genug. Glaubt daher nicht, daß ihr mich überzeugt, weil ich geldgierig
bin. Aber es ist zu wenig für meinen Schmerz, den verraten zu müssen, der mich
immer geliebt hat.»
«Wir haben dir doch gesagt, was wir für dich
tun werden. Ehre und Ruhm sollst du haben. Also das, was du von ihm erwartet
und nicht erhalten hast. Wir werden deine Enttäuschung wiedergutmachen. Aber
der Preis ist von den Propheten festgesetzt. Oh, es ist nur eine Formalität,
ein Symbol, sonst nichts. Das andere kommt danach ...»
«Und das Geld, wann bekomme ich das?»
«In dem Augenblick, da du uns sagst:
"Nun kommt". Nicht früher. Niemand bezahlt, bevor er die Ware in
Händen hat. Scheint dir das vielleicht nicht richtig?»
«Es ist richtig. Aber verdreifacht
wenigstens die Summe...»
«Nein, so haben es die Propheten gesagt und
so muß es geschehen! Oh, wir wissen den Propheten zu gehorchen! Wir werden kein
Jota übersehen von dem, was sie über ihn geschrieben haben. Ha, ha, ha! Wir
halten uns an das eingegebene Wort! Ha, ha, ha!» lacht dieses abstoßende
Skelett Chananias. Viele stimmen in das unheimliche, falsche, tiefe Lachen ein.
Ein wahrhaft dämonisches Gelächter, denn die Dämonen können nur hohnlachen. Das
Lachen aber kommt aus einem frohen, liebenden Herzen, das Hohnlachen dagegen
aus einem verstörten Herzen voller Mißgunst.
«Es ist alles besprochen. Du kannst gehen.
Wir erwarten den Sonnenaufgang, um auf verschiedenen Wegen in die Stadt zu
gehen. Leb wohl. Der Friede sei mit dir, verlorenes Schaf, das du in den Schoß
Abrahams zurückkehrst. Der Friede sei mit dir! Der Friede sei mit dir! Der Dank
Israels ist dir gewiß! Du kannst auf uns zählen! Dein Wunsch ist uns Befehl.
Gott sei mit dir, wie er immer mit allen seinen treuen Dienern gewesen ist.
Aller Segen komme über dich!»
Sie begleiten ihn unter Umarmungen und
Liebesbezeugungen bis zur Tür ... schauen ihm nach, während er im halbdunklen
Gang verschwindet ... und hören das Geräusch der Riegel an der Tür, die sich
öffnet und schließt...
Dann kehren sie jubelnd an ihre Plätze
zurück.
Nur zwei oder drei Stimmen werden laut, die
der weniger dämonischen: «Und nun? Was werden wir mit Judas des Simon anfangen?
Wir wissen genau, daß wir ihm nicht geben können, was wir ihm versprochen
haben, außer diesen armseligen dreißig Silberlingen! ... Was wird er sagen,
wenn er sich von uns betrogen sieht? Werden wir nicht einen noch größeren
Schaden angerichtet haben? Wird er nicht umhergehen und dem Volk sagen, was wir
getan haben? Wir wissen doch, daß er ein wankelmütiger Mensch ist.»
«Ihr seid recht naiv und töricht, so zu
denken und euch solche Sorgen zu machen! Es ist schon beschlossen, was wir mit
Judas tun werden. Beschlossen seit dem letzten Mal. Habt ihr es vergessen? Wir
werden unseren Beschluß nicht ändern. Wenn die ganze Geschichte mit dem
Christus zu Ende ist, wird Judas sterben. Auch dies steht geschrieben.»
«Aber wenn er vorher spricht?»
«Zu wem? Zu den Jüngern oder zum Volk, um
gesteinigt zu werden? Er wird nichts sagen. Das Entsetzen über seine Tat wird
ihm den Mund stopfen.»
«Aber es könnte ihn in der Zukunft reuen, er
könnte schwere Gewissensbisse bekommen und den Kopf verlieren...»
«Er wird keine Zeit dazu haben. Wir werden
schon vorsorgen. Alles zu seiner Zeit. Zuerst der Nazarener, und dann der, der
ihn verraten hat...»sagt langsam und furchtbar Elchias.
«Ja, und gebt acht! Kein Wort zu den
Abwesenden. Zu viel wissen sie schon von unserem Plan. Ich traue Joseph und
Nikodemus nicht, und auch den anderen nur wenig.»
«Zweifelst du an Gamaliel?»
«Er meidet uns schon seit Monaten. Ohne
ausdrücklichen Befehl des Hohenpriesters wird er an unseren Sitzungen nicht
teilnehmen. Er sagt, daß er mit Hilfe seines Sohnes an seinem Werk schreibt.
Aber ich spreche von Eleazar und Johannes.»
«Oh, sie haben uns noch nie widersprochen»,
sagt rasch ein Synedrist, den ich schon öfters mit Joseph von Arimathäa gesehen
habe, an dessen Namen ich mich jedoch nicht erinnern kann.
«Eben! Sie haben uns sogar zu wenig widersprochen.
Ha, ha, ha! Und wir werden auf sie aufpassen müssen! Viele Schlangen haben sich
im Synedrium eingenistet, glaube ich... Ha, ha, ha! Aber wir werden sie
ausheben... Ha, ha, ha!» sagt Chananias und geht gebeugt und zittrig, auf
seinen Stock gestützt, zu den niedrigen breiten, mit schweren Teppichen
bedeckten Sitzen an den Wänden des Saals, um sich einen bequemen Platz zu
suchen. Zufrieden läßt er sich nieder und schläft auch bald, mit offenem Mund –
ein häßlicher, böser Alter.
Die anderen betrachten ihn. Und Doras, der
Sohn des Doras, sagt: «Er hat die Genugtuung, diesen Tag erleben zu dürfen.
Mein Vater hat ihn ersehnt, aber er hat ihn nicht mehr erlebt. Ich werde jedoch
seinen Geist im Herzen tragen, damit er dabei ist am Tag der Rache am Nazarener
und seine Freude hat...»
«Vergeßt nicht, daß wir abwechslungsweise,
und immer zu mehreren, ununterbrochen im Tempel sein müssen.»
«Wir werden es sein.»
«Wir müssen Anweisung geben, daß Judas des
Simon jederzeit zum Hohenpriester geführt wird.»
«Wir werden es tun.» «Und nun wollen wir
unser Herz vorbereiten auf die letzte Aufgabe.» «Es ist schon bereit! Es ist
schon bereit!»«Mit Schlauheit.» «Mit Schlauheit.» «Mit Raffiniertheit.» «Mit
Raffiniertheit.»«Um jeden Verdacht zu zerstreuen.»«Um jedes Herz zu verführen.»
«Was er auch sagt oder tut, wir reagieren
nicht. Wenn die Stunde gekommen ist, werden wir uns für alles auf einmal
rächen.»
«Das werden wir tun. Und es wird eine
furchtbare Rache sein.» «Eine vollkommene!»«Eine entsetzliche!»
Sie setzen sich und versuchen sich
auszuruhen in Erwartung des Morgens.