GEBURT DER JUNGFRAU MARIA
Kap.7
Die Geburt Marias erscheint in Valtortas Vision als ein kosmisches
Ereignis, das von wunderbaren Himmelsphänomenen begleitet wird. Im
furchterregenden Unwetter toben die bösen Geister, die ihre Macht durch die
Geburt Marias bedroht fühlen.
In diesem Kapitel werden zwei Funktionen der
dialogischen Textgestaltung deutlich:
–
Joachim vermißt die Wehen bei Anna.
Offensichtlich hat sie eine schmerzfreie Geburt. Dies berichten auch Maria von
Agreda und Anna Katharina Emmerick in ihren Privatoffenbarungen. Der Dialog
vermittelt somit eine theologische Aussage.
–
Anna eröffnet Joachim, daß die
neugeborene Tochter Maria heißen soll, wenngleich sie schon im vorhergehenden
Kapitel diesen Namen vorgeschlagen hat. Wir können nicht wissen, welche
mystische Begnungen Anna hatte. Es liegt jedoch nahe, daß sie über den Namen
nicht selbst entschied, sondern ihn auf übernatürliche Weise mitgeteilt bekam,
wie Maria von Agreda und Anna Katharina es darstellen. Mystische Erfahrungen
werden also bei Valtorta umgangen.
Daß höllische Geister bei der Geburt Marias ihre Wut
austoben, erfährt der Leser durch Einführung von zwei Gehilfen des Joachim, die
mit erstaunlicher Natürlichkeit über die teuflischen Mächte sprechen.
Ich
sehe Anna in den Blumen- und Gemüsegarten hinausgehen. Sie stützt sich auf den Arm
einer Verwandten, wie mir scheint; denn die Frau sieht ihr sehr ähnlich. Sie
ist hochschwanger und offenbar sehr müde; vielleicht auch wegen der Schwüle,
die sehr jener gleicht, die mich umgibt.
Obwohl
der Garten schattig ist, ist die Luft doch glühend heiß, ja erdrückend. Eine
Luft, die man zerschneiden könnte wie einen weichen Teig, so dicht scheint sie
zu sein unter dem erbarmungslos blauen Himmel. Es muß schon seit längerer Zeit
nicht mehr geregnet haben, denn die Erde ist dort, wo sie nicht bewässert wird,
buchstäblich zu feinstem, fast weißem Staub geworden. (...)
Joachim
macht sich an den Beeten und an den Olivenbäumen zu schaffen. Er hat zwei
Männer um sich, die ihm helfen. Wenn er auch schon alt ist, so ist er dennoch
flink und arbeitet mit Freude. Sie öffnen kleine Dämme an den Grenzen eines
Feldes, um den durstigen Bäumen Wasser zuzuleiten. (...)
Langsam
geht Anna durch die schattige Laube, unter der goldgelbe Bienen gierig nach dem
Saft der blonden Beeren fliegen, auf Joachim zu, der ihr, sobald er ihrer
ansichtig wird, entgegeneilt.
«Bis
hierher bist du gekommen?»
«Das
Haus ist heiß wie ein Ofen.»
«Und
du leidest darunter.»
«Das
Leiden der letzten Stunden einer Schwangeren. Es ist das Leiden aller: Menschen
und Tiere. Erhitze dich nicht zu sehr, Joachim!»
«Der
so lange erwartete Regen, der seit drei Tagen schon nahe scheint, ist noch
nicht gekommen, und die Flur verbrennt. Es ist gut für uns, daß die Quelle so
nahe ist, und so reich an Wasser. Ich habe die Kanäle geöffnet. Eine kleine
Erleichterung für die Bäume mit ihren welken und staubbedeckten Blättern; aber
genug, um sie am Leben zu erhalten. Wenn es nur regnete! ...» Joachim blickt
mit der Sorge des Landwirts forschend zum Himmel auf, während Anna sich müde
Luft zufächelt mit einem getrockneten Palmblatt, das von vielfarbigen Fäden,
die es steif halten, durchflochten ist.
Die
Verwandte sagt: «Dort, jenseits des hohen Hermon steigen schnell dahinziehende
Wolken auf. Nordwind; er bringt Frische und vielleicht etwas Regen.»
«Seit
drei Tagen weht er so; aber dann läßt er beim Aufgehen des Mondes wieder nach.
So wird es auch heute sein», sagt Joachim entmutigt.
«Kehren
wir ins Haus zurück. Auch hier kann man nicht atmen ...» sagt Anna, die
aufgrund einer Blässe, die ihr Gesicht befallen hat, olivenfarbiger als
gewöhnlich erscheint.
«Hast
du Schmerzen?»
«Nein.
Ich fühle den großen Frieden, den ich im Tempel empfunden habe, als ich
Erhörung fand; ich habe ihn auch gefühlt, als ich wußte, daß ich Mutter werde.
Es ist wie eine Ekstase. Ein sanfter Schlaf des Körpers, während der Geist
aufjubelt und in einem Frieden schwelgt, für den es auf menschlicher Ebene
keinen Vergleich gibt. Ich habe dich lieb, Joachim, und als ich in dein Haus
einzog und mir sagte: "Ich bin die Braut eines Gerechten", hatte ich ein
Gefühl des Friedens und ebenfalls, sooft deine tätige Liebe sich um deine Anna
sorgte. Aber der jetzige Friede ist von anderer Art. Schau: ich glaube, daß es
ein Friede ist, wie der sich ölartig ausbreitende und lindernde Friede, den der
Geist Jakobs, unseres Vaters, nach seinem Traumgesicht von den Engeln empfand
(Gen 28,12);
(Jakob kam an einen bestimmten
Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von
den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein.
Da hatte er einen Traum: Er sah
eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen
Engel Gottes auf und nieder.
Und siehe, der Herr stand oben
und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks.
Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.)
oder besser noch: er
ähnelt dem freudigen Frieden der beiden Tobias, nachdem Raphael sich ihnen
geoffenbart hatte (Tob 12). Je mehr ich mich in ihn vertiefe und ihn genieße, um
so mehr wächst er. Es ist, als erhöbe ich mich in die blauen Räume des
Himmels... Ich weiß nicht warum, aber seit ich in mir diese friedliche Freude
habe, vernehme ich einen Gesang in meinem Herzen: den des alten Tobias (Tob 13,
1-23).
(Tob 13,15: Freu dich und juble
über alle Gerechten! Sie werden vereint sein und den Herrn der Gerechten
preisen. Wohl denen, die dich lieben; sie werden sich freuen über den Frieden, den du schenkst.)
Mir ist, als sei er
für diese Stunde geschrieben worden... für diese Freude... für das Land Israel,
dem sie zuteil wird... für Jerusalem, die Sünderin, der nun verziehen wird...
aber... lächelt nur über das irre Reden einer Mutter... aber wenn ich sage:
"Danke dem Herrn für seine Wohltaten und preise den Herrn, den Ewigen, damit
er in dir sein Zelt wieder erbaue!", dann denke ich, daß der, der in
Jerusalem das Zelt des wahren Gottes wieder erbauen wird, das Geschöpf ist, das
bald geboren wird.» (...)
Anna
entflammt sich bei diesen Worten und wechselt mehrmals Farbe wie ein Wesen, das
aus dem Mondlicht zu einem großen Feuer getragen wird und umgekehrt. Sanfte
Tränen rollen ihr über die Wangen herab; sie beachtet sie nicht in ihrer
Freude. Inzwischen kehrt sie zwischen dem Gemahl und ihrer Verwandten, die
beide bewegt schweigen und lauschen, zum Haus zurück.
Sie
beeilen sich, denn die Wolken, die von einem starken Wind getrieben werden,
kommen rasch näher und breiten sich am Himmel aus, und die Ebene wird dunkel
und erschaudert in der Ankündigung des Gewitters. Als sie an der Schwelle des
Hauses ankommen, durchfurcht ein erster hellzuckender Blitz den Himmel, und das
Grollen des Donners ertönt wie das Schmettern einer riesigen Pauke, das sich in
das Trommeln der ersten Tropfen auf die dürren Blätter mischt.
Alle
treten ein, und Anna zieht sich zurück, während Joachim, von seinen Helfern
eingeholt, an der Türe über den so lange erwarteten Regen zu sprechen beginnt,
der ein wahrer Segen für das durstige Land ist. Aber die Freude verwandelt sich
in Furcht, denn es kommt ein heftiges Unwetter mit Blitzen und hagelbeladenen
Wolken. «Wenn die Wolke platzt, werden die Weinstöcke und die Olivenbäume wie
im Mörser zerstampft. Wir Ärmsten!»
Noch
eine andere Angst befällt Joachim: für seine Gattin ist die Stunde gekommen, da
ihr Kind das Licht der Welt erblicken soll. Die Verwandte versichert ihm, daß
Anna tatsächlich nicht leidet. Aber er bleibt unruhig, und jedes Mal, wenn die
Verwandte oder andere Frauen, unter denen sich auch die Mutter des Alphäus
befindet, aus der Kammer Annas herauskommen und mit warmem Wasser, Decken und
Linnen, die sie am hellflackernden Feuer der geräumigen Küche erwärmt haben,
dorthin zurückkehren, geht er hin und erkundigt sich, läßt sich aber durch ihre
Versicherungen nicht beruhigen. Auch das Fehlen von Schmerzensschreien macht
ihm Sorge. Er sagt: «Ich bin ein Mann und habe nie eine Geburt gesehen; aber
ich erinnere mich gehört zu haben, daß das Fehlen von Geburtswehen
verhängnisvoll ist.»
Die
Nacht bricht infolge des außergewöhnlich heftigen Gewitters verfrüht herein.
Wassergüsse, Winde, Blitze, alles stellt sich ein; doch nicht der Hagel, der
sich anderswo entladen hat.
Einer
der Burschen weist auf die Heftigkeit des Gewitters hin und bemerkt: «Es
scheint, daß Satan mit all seinen Dämonen aus der Hölle herausgekommen ist.
Schau, welch schwarze Wolken! Riechst du, welch ein Schwefelgeruch in der Luft
liegt und hörst du das Pfeifen und Zischen, die Klagestimmen und die Flüche?
Wenn er es ist, dann rast er heute abend ganz schön!»
Der
andere Bursche lacht und sagt: «Es muß ihm eine große Beute entgangen sein,
oder Michael hat ihn mit einem neuen Blitz Gottes getroffen und ihm Hörner und
Schwanz abgeschnitten und verbrannt.»
Eine
Frau kommt und ruft: «Joachim, sie hat gerade geboren! Alles ging schnell und
glücklich vonstatten!» Und sie verschwindet wieder mit einem Krüglein in der
Hand.
Das
Unwetter bricht in sich zusammen nach einem lauten und so heftigen Blitzschlag,
daß es die drei Männer gegen die Wand wirft und an der Frontseite des Hauses im
Boden des Gartens zur Erinnerung ein schwarzes, rauchendes Loch bleibt. Während
im Zimmer Annas ein Wimmern hörbar wird, breitet ein gewaltiger Regenbogen
seinen Halbkreis über die ganze Breite des Himmels aus. Er steigt auf oder
scheint wenigstens aufzusteigen von der Höhe des Hermon aus, der, von einem
Sonnenstrahl geküßt, wie ein Alabasterblock in zartestem Rosaweiß leuchtet und
sich in den klaren Septemberhimmel erhebt. Dann durchzieht der Farbenbogen die
von aller Unreinheit gesäuberten Himmelsräume, überfliegt die Hügel von Galiläa
und die Ebene, die im Süden zwischen zwei Feigenbäumen sichtbar wird, dann noch
einen anderen Berg und scheint sich am äußersten Horizont niederzulassen, dort,
wo eine graue Gebirgskette jede weitere Aussicht versperrt.
«Ein
nie gesehenes Schauspiel!»
«Schaut,
schaut!»
«Es
scheint, als werde ganz Israel in einen Kreis zusammengeschlossen... und nun
schaut! ... da erscheint ein Stern, während die Sonne noch nicht verschwunden
ist. Welch ein Stern! Er leuchtet wie ein gewaltiger Diamant! ...»
«Und
der Mond dort, ein Vollmond, obwohl noch drei Tage bis dahin fehlen. Aber seht,
wie er strahlt!»
Die
Frauen kommen in festlicher Freude herbei, mit einem rosigen Kindlein in weißem
Linnen.
Es ist
Maria, die Mutter! Eine ganz kleine Maria, so klein, daß sie in den Armen eines
Kindes schlafen könnte. Das Näschen zwischen den beiden runden Bäckchen ist
winzig, und wenn man es sachte berührt, dann öffnen sich die Äuglein und lassen
durch zwei unschuldige, blaue Pünktchen zwei Stückchen Himmel sehen. Auf dem
runden Köpfchen bilden rötlichblonde Härchen einen zarten Flaum, der die Farbe
eines gewissen, beinahe weißen Honigs hat. Die durchsichtigen Öhrchen gleichen
zwei rosafarbenen Müschelchen. Und die Händchen, was sind das für winzige
Dinge, die sich in die Luft heben und dann nach dem kleinen Mund greifen!
Geschlossen, wie sie jetzt sind, gleichen sie zwei Knospen, die das Grün des
Kelches abgestreift haben und am Aufbrechen sind... und nun, geöffnet...
gleichen sie zwei Kameen aus rötlich angehauchtem Elfenbein.
Und
sieh, nun ist sie wieder in den Windeln und auf den Armen des irdischen Vaters,
dem sie ähnelt. Eigentlich noch nicht. Vorerst ist sie nur der Entwurf eines
Menschenkindes. Ich meine, daß sie ihm als Frau gleichen wird. Von der Mutter
hat sie nichts. Vom Vater die Farbe der Haut und der Augen und sicher auch der
Haare; denn wenn diese jetzt auch weiß sind, in der Jugend waren sie sicherlich
blond, wie die Augenbrauen es bezeugen. Vom Vater hat sie auch die
Gesichtsform, die aber feiner ausgearbeitet ist, da sie Frau und erhabene Frau
ist; außerdem das Lächeln und den Blick, die Art und Weise, sich zu bewegen,
und die Statur. Wenn ich an Jesus denke, wie ich ihn sehe, finde ich, daß Anna
ihrem Enkelkind die Statur gegeben hat und die mehr elfenbeinartige Farbe der
Haut. Maria besitzt nicht die imponierende Gestalt Annas, dieser hohen,
geschmeidigen Palme, wohl aber die Anmut des Vaters.
Die
Frauen sprechen noch vom Gewitter und von dem Wunder des Mondes, des Sternes,
des ungeheuren Regenbogens, während sie mit Joachim hineingehen zur glücklichen
Mutter und ihr das Kindlein wiederbringen.
Anna
lächelt in Gedanken und spricht: «Sie ist der Stern. Ihr Zeichen ist am Himmel
erschienen. Maria, der Regenbogen des Friedens! Maria, mein Stern, Maria,
strahlender Mond! Maria, unsere Perle!»
«Maria
nennst du sie?»
«Ja,
Maria, Stern und Perle, Licht und Frieden...»
«Aber
dieser Name bedeutet auch Bitterkeit... Fürchtest du nicht, daß er ihr Unheil
bringen könnte?»
«Gott ist
mit ihr. Sie gehörte ihm, schon bevor sie lebte. Er wird sie führen auf ihren
Wegen, und jede Bitterkeit wird sich in paradiesische Süße verwandeln. Jetzt
gehöre deiner Mutter... noch ein wenig, bevor du ganz Gottes sein wirst ... !»
Die
Vision endet mit dem ersten Schlaf der Mutter Anna zusammen mit
ihrem Kind Maria.
Nach Auskunft von Etymologen wurde
Mirjam, die Schwester des Moses, im Aramäischen Marjam ausgesprochen. Der Text
enthält zwei Anspielungen auf den Namen Marias: Joachim verbindet mit dem Namen
Bitterkeit. Die Silbe "mar" bedeutet "bitter". Anna
widerspricht zwar nicht dieser möglichen Bedeutung, bezieht aber den wunderbar
am Himmel erschienenen Stern auf ihre Tochter. Eine etymologische Deutung führt die hebräische Silbe 'OR – Licht an.
Die Deutung des
Namens MARIA als STELLA MARIS – Stern des Meeres geht indirekt auf den hl. Hieronymus
zurück. Er verstand mar-jam als STILLA MARIS – Tropfen des Meeres. Auf irgendeine Weise wurde später STILLA in STELLA umgewandelt. Möglicherweise führt
diese Abwandlung zur eigentlich gedachten Bedeutung zurück.
September 2006