Die Heilung des launenhaften Mädchens

Kap. 256 (zweites Lehrjahr)

Jesus ist mit den Aposteln auf dem Weg ins ehemalige Philisterland. Es ist Hochsommer. Der Gipfel eines Hügels gewährt einen weiten Rundblick, den Jesus nützt, um den Jüngern die Lage bedeutender historischer Orte zu zeigen. Der Standort des Rundblicks dürfte etwa 30-40 km südwestlich von Jerusalem gelegen sein.

Statt "launenhaft" würden wir heute eher "verhaltensgestört" sagen. Der Ausdruck "launenhaft" wird von den Eltern des Mädchen vielleicht etwas euphemistisch verwendet, um einerseits die Situation erträglicher zu gestalten, andererseits dem rätselhaften, nicht diagnostizierten Verhalten einen Namen zu geben.

Dieses Kapitel in Valtortas Opus ist von seltener Geschlossenheit, Anmut und Schönheit. Es erinnert an die Anlage Hemingwayscher Kurzgeschichten: Ein Ort ist Durchgangsstation für die "Initiation" der beiden Quartiermeister, die eine unbekannte Situation erstmals bewältigen müssen. Die angesprochenen Personen sind wortkarg und mit ihrer täglichen Routine beschäftigt. Über dem Dorf und den Bewohnern liegt eine scheinbare Ruhe. Was darunter liegt, wird allmählich sichtbar und schwillt zu plötzlicher seelischer Erregung an.

Die Weite des Rundblicks und die Erklärungen Jesu lassen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Heilsgeschichte spürbar werden: Die Frohe Botschaft ist in die Weite des Raumes und der Zeit hineinzutragen.

Im Dorf Bethginna, das einzeln aus der Ebene herausragt, spiegeln sich die Ausläufer aktueller Geschehnisse wider. Man erfährt verfestigte Meinungen über die Pharisäer und Gerüchte über den "Rabbi von Israel". Reizvoll sind die Dialoge und die Reflexionen des Wirts, der sich nicht vorstellen kann, wie verstandlose Dinge gehorchen können. – Und natürlich hat die Geschichte ein Happy End.

Jesus sagt zu den Aposteln:

«Wenn wir auf dem Gipfel dieses Hügels angelangt sind, will ich euch von der Höhe aus alle Dörfer zeigen, die euch interessieren. Ihr könnt daraus Gedanken schöpfen, die euch beim Reden zum Volk nützlich sein werden.»

«Aber wie denn, mein Herr? Ich bin nicht fähig dazu», seufzt Andreas, und ihm schließen sich Petrus und Jakobus an. «Wir sind die Armseligsten!»

 «Ach! Auch ich bin nicht besser. Wenn es sich um Gold und Silber handelte, könnte ich reden; aber von diesen Dingen ...» sagt Thomas.

«Aber meine Lieben! Es ist doch nicht nötig, sich ins Erhabene emporzuschwingen. Sprecht einfach aus eurer vollen Überzeugung, was ihr denkt. Glaubt mir, wenn einer überzeugt ist, dann überzeugt er auch», sagt Jesus.

Der Kamm des Hügels ist erreicht. Eine weite Rundsicht öffnet sich vor ihnen; es ist herrlich, diese Gegend im Schatten der dichten Sträucher stehend zu betrachten. Wechselreiche und sonnige Gebirgsketten, die sich in allen Richtungen dahinziehen wie versteinerte Wellen eines Ozeans, der vom Gegenwind aufgewühlt wird und einer ausgedehnten Ebene vorgelagert ist, aus der sich, einsam wie der Leuchtturm im Hafen, ein Berg erhebt.

«Seht das Dorf, das bis zum Gipfel aufsteigt, als wollte es die Sonne bis zu ihrem Untergang genießen; dort wollen wir Aufenthalt nehmen; es ist wie der Mittelpunkt eines Strahlenkranzes geschichtlicher Orte. Kommt her! Dort, im Norden, liegt Jerimot. Erinnert ihr euch an Josua? Und an die Niederlage der Könige, die das Lager der Israeliten, welche von den Gibeoniter unterstützt wurden, angreifen wollten? Daneben Bethsames (Bet-Schemesch), die priesterliche Stadt Judas, in der die Bundeslade von den Philistern zurückgegeben wurde (1Sam 6), zusammen mit den Goldgeschenken, die von den Orakeln und den Priestern dem Volk auferlegt worden waren zur Befreiung von den Plagen, welche die schuldbeladenen Philister getroffen hatten. Dort, voll in der Sonne, Saraä (Zora), die Heimat Samsons, und, etwas weiter östlich, Timnata, wo er sich eine Frau nahm, viele Heldentaten vollbrachte und viel Unfug trieb. Dann Azeco und Soco, einst Feldlager der Philister. Etwas weiter unten liegt Zanoe (Sanoach), eine der Städte Judas. Dreht euch jetzt um, so seht ihr das Tal des Terebinto (Terebinthental), wo David gegen Goliath gekämpft hat; näher liegt Magedda (Makkeda), wo Josua die Amoriter besiegt hat. Dreht euch noch einmal um. Seht ihr den einsamen Berg in der Mitte der Ebene, die einst den Philistern gehörte? Dort ist Geth (Gat), die Heimat Goliaths (1Sam 17,4), und der Ort, an dem David bei Achis Zuflucht suchte, um der fürchterlichen Wut Sauls zu entgehen, und wo auch der kluge König Wahnsinn vortäuschte, da die Welt Verrückte statt die Klugen verteidigt. Am Horizont seht ihr die Ebene mit der fruchtbaren Erde der Philister. Wir werden dorthin ziehen, bis nach Ramle. Jetzt begeben wir uns nach Bethginna. Du, ja du, Philippus, der du mich so bittend anblickst, wirst mit Andreas durch das Dorf gehen. Wir machen Rast, während ihr euch zum Brunnen oder zum Marktplatz begebt.»

«Oh, Herr, schicke uns nicht allein! Komm du mit», bitten die beiden.

«Geht, habe ich gesagt. Der Gehorsam wird euch mehr helfen als meine stumme Gegenwart.»

... So gehen also Philippus und Andreas durch das Dorf, bis sie eine kleine Herberge finden, die mehr Stall als Herberge ist; es sind Käufer darin, die mit Hirten über Schafe verhandeln. Sie treten ein und bleiben stumm im Hof stehen, der mit einem einfachen Säulengang umgeben ist.

Der Wirt eilt herbei. «Was wollt ihr? Unterkunft?»

Die zwei beraten sich mit einem Blick, einem sehr verlegenen Blick. Anscheinend fällt ihnen keines der wohlüberlegten Worte mehr ein. Doch gerade Andreas faßt sich als erster wieder und antwortet: «Ja, Unterkunft für uns und den Rabbi von Israel.»

«Was für ein Rabbi? Deren gibt es viele. Aber sie sind große Herren. Sie kommen nicht in arme Dörfer, um den Armen ihre Weisheit zu bringen. Die Armen müssen zu ihnen gehen und es als eine Gnade ansehen, daß sie uns in ihrer Nähe dulden.»

«Es gibt nur einen Rabbi in Israel! Er kommt gerade, um den Armen die Frohe Botschaft zu bringen; je ärmer und je sündhafter sie sind, um so mehr sucht er sie auf und nähert sich ihnen», antwortet Andreas sanft.

«Er verdient hier aber kein Geld!»

«Er sucht keine Reichtümer. Er ist arm und gut. Sein Tag ist voll, wenn er eine Seele retten kann», antwortet wiederum Andreas.

«Hm, das erste Mal, daß ich höre, ein Rabbi sei arm und gut. Der Täufer ist arm, aber streng. Alle anderen sind streng und reich und gierig wie Blutsauger. Habt ihr gehört? Kommt her, ihr, die ihr durch die Welt zieht. Diese Männer hier sagen, daß es einen armen Meister gibt, der gut ist und der kommt, um die Armen und die Sünder aufzusuchen.»

«Oh, dann muß es der sein, der weiß gekleidet geht wie ein Essener. Ich habe ihn vor einiger Zeit in Jericho gesehen», sagt ein Makler.

«Nein, der wandert allein. Es muß der andere sein, von dem Thomas erzählt hat; er hatte zufällig mit Hirten vom Libanon über ihn gesprochen», antwortet ein großer und kräftiger Hirte.

«Ja, sicher. Jetzt ist er vom Libanon bis hierher gekommen, um deine Katzenaugen zu sehen!» ruft ein anderer aus.

Während der Wirt spricht und mit seinen Kunden zuhört, sind die Apostel in der Mitte des Hofes stehengeblieben wie zwei Säulen. Schließlich sagt ein Mann: «Ihr da! Kommt her! Wer ist es? Woher kommt er, von dem ihr redet?»

«Es ist Jesus des Joseph, von Nazareth», sagt Philippus ernst und steht da wie einer, der darauf wartet, ausgelacht zu werden. Aber Andreas fügt hinzu: «Er ist der verheißene Messias. Ich beschwöre euch zu eurem eigenen Besten, hört ihn an! Ihr habt den Täufer genannt. Gut, ich war bei ihm, und er hat uns auf Jesus, der vorbeiging, aufmerksam gemacht und sagte: "Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt." Als Jesus zur Taufe in den Jordan stieg, da öffnete sich der Himmel, und eine Stimme rief: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe!" Und die Liebe Gottes stieg wie eine Taube herab und erstrahlte über seinem Haupt.»

«Siehst du, so ist es doch der Nazarener! Aber sagt einmal, ihr, die ihr euch seine Freunde nennt...»

«Freunde? Nein! Apostel, Jünger sind wir und von ihm gesandt, um seine Ankunft anzukünden; denn wer Rettung braucht, soll zu ihm gehen», verbessert Andreas.

«Gut, gut! Aber sagt einmal: ist er wirklich so, wie einige sagen, ein Heiliger, der heiliger als der Täufer ist, oder ist er ein Dämon, wie andere sagen? Ihr, die ihr bei ihm seid, weil ihr seine Jünger seid, sagt einmal ehrlich: ist es wahr, daß er ein Lüstling und Gauner ist? Daß er die Dirnen und die Zöllner liebt? Daß er ein Wahrsager ist und bei Nacht Geister anruft, um Geheimnisse der Herzen zu erfahren?»

«Warum stellst du diesen Männern all diese Fragen? Frag doch lieber, ob er gut ist. Diese beiden werden beleidigt fortgehen und dem Meister von unserer schlechten Redensart berichten, und wir werden verflucht. Man kann nie wissen... Gott oder Teufel, wer er auch sein mag, es ist immer besser, gut mit ihm umzugehen.»

Diesmal antwortet Philippus: «Wir können aufrichtig antworten, denn es gibt nichts Böses zu verbergen. Er ist unser Meister; er ist der Heilige unter den Heiligen! Seine Tage sind erfüllt von den Mühen der Unterweisung. Unermüdlich geht er von Ort zu Ort auf der Suche nach den Seelen. Seine Nacht verbringt er im Gebet für uns. Er verachtet Tisch und Freundschaft nicht; aber nicht aus Eigensucht, sondern um sich denen zu nähern, die anders nicht zugänglich sind. Er weist Zöllner und Dirnen nicht zurück; aber nur, um sie zu erlösen. Sein Weg ist gezeichnet mit Wundern der Erlösung und Wundern bei Kranken. Ihm gehorchen die Winde und die Meere. Er braucht niemand, um Wunder zu wirken, und keine Geister, um in den Herzen lesen zu können.»

«Und wie kann er das? ... Du hast gesagt, daß ihm die Meere und die Winde gehorchen. Aber diese Dinge haben keinen Verstand. Wie kann er ihnen gebieten?» fragt der Wirt.

«Antworte mir, Mann: was meinst du, ist schwieriger, dem Wind oder dem Tod zu gebieten?»

«Bei Jehova! Aber dem Tod befiehlt man doch nicht! Das Meer kann man mit Öl beruhigen; man kann ihm Segel entgegensetzen; man kann klugerweise davon absehen, auf das Meer hinauszufahren. Den Wind kann man durch Schlösser an den Türen abhalten. Aber dem Tod kann man nicht gebieten! Es gibt kein Öl, das ihn besänftigt. Es gibt kein Segel, das, an unserem Lebensschiff befestigt, so schnell dahinsegelt, daß es dem Tod entflieht. Es gibt auch keine Schlösser, um den Tod auszuschließen. Wenn er kommen will, dann kommt er, auch wenn die Riegel vorgeschoben sind. Niemand kann diesem König befehlen.»

«Doch, unser Meister befiehlt ihm. Nicht nur, wenn der Tod in der Nähe ist, auch wenn er seine Beute schon erfaßt hat. Ein Jüngling von Naim sollte gerade in die schrecklichen Tiefen des Grabes gelegt werden; da sagte der Messias: "Ich sage dir, steh auf" ' und der Jüngling kam ins Leben zurück. Naim liegt nicht außerhalb der Welt. Ihr könnt hingehen und nachsehen.»

«Aber wie? In Gegenwart aller?»

«Auf dem Weg, in Anwesenheit von ganz Naim.»

Wirt und Gäste betrachten sich schweigend. Dann sagt der Wirt: «Aber solche Dinge wird er wohl nur für seine Freunde tun.»

«Nein, Mann! Für alle, die an ihn glauben, und nicht nur für sie. Er ist die Barmherzigkeit auf der Erde, glaube mir! Niemand wendet sich umsonst an ihn. Hört alle zu! Ist niemand unter euch, der leidet und klagt wegen einer Krankheit in der Familie, wegen eines Zweifels, wegen einer Reue, wegen Versuchungen oder wegen Unwissenheit? Wendet euch an Jesus, den Messias der Frohen Botschaft. Heute ist er hier! Morgen wird er anderswo sein. Laßt die Gnade des Herrn nicht unnütz vorübergehen», sagt Philippus, der immer sicherer geworden ist.

Der Wirt fährt sich mit der Hand durch die Haare, öffnet und schließt den Mund, spielt mit den Fransen seines Gürtels... Und sagt schließlich: «Ich will es versuchen! ... Ich habe eine Tochter. Bis zum letzten Sommer ging es ihr gut. Dann wurde sie launenhaft; sie steht wie ein stummes Tier in einer Ecke, immer dort, und nur mit Mühe gelingt es der Mutter, sie zu kleiden und zu füttern. Einige Ärzte behaupten, ihr Hirn sei verbrannt von zuviel Sonne; andere sagen, wegen einer unglücklichen Liebe. Andere Leute meinen, sie sei besessen. Aber wie ist das möglich, wenn das Mädchen nie von hier weg gewesen ist? Wo hat sie den Dämon hergenommen? Was sagt dein Meister? Kann der Dämon sich auch einer Unschuldigen bemächtigen?»

Philippus antwortet sicher: «Ja, um die Eltern zu quälen und zur Verzweiflung zu treiben.»

«Und... kann er die Launenhaften heilen? Darf ich hoffen?»

«Du mußt glauben!» erwidert Andreas rasch. Er erzählt das Wunder von Gerasa und endet: «Wenn dort eine Legion von Dämonen aus den Herzen der Sünder geflohen ist, wie wird dann erst der fliehen, der in das jugendliche Herz eingedrungen ist! Ich sage dir, Mann: wer an ihn glaubt, für den wird das Unmögliche einfach wie das Atmen. Ich habe die Werke meines Meisters gesehen und bezeuge seine Macht.»

«Oh! Wer von euch geht ihn holen?»

«Ich selbst, Mann! Ich bin gleich zurück.» Andreas eilt davon, während Philippus bleibt, um weiterzureden.

Als Andreas Jesus unter einem Torbogen entdeckt, wo er sich vor der unerbittlichen Sonne schützt, die den Dorfplatz erhitzt, eilt er ihm entgegen und sagt: «Komm, Meister, komm! Die Tochter des Herbergevaters ist launisch. Der Vater bittet dich um ihre Heilung.»

«Aber kannte er mich?»

«Nein, Meister! Wir haben versucht, dich bekannt zu machen...»

«Und es ist euch gelungen. Wenn einer so weit kommt, daß er glaubt, daß ich eine unheilbare Krankheit heilen kann, ist er im Glauben schon fortgeschritten. Und ihr hattet Angst, es nicht fertigzubringen. Was habt ihr gesagt?»

«Das könnte ich dir gar nicht sagen. Wir haben gesagt, was wir über dich und deine Werke denken. Vor allem haben wir gesagt, daß du die Liebe und die Barmherzigkeit bist. Die Welt kennt dich so schlecht!»

«Aber ihr kennt mich gut, das genügt.»

Die kleine Herberge ist erreicht. Alle Gäste stehen neugierig an der Tür. In ihrer Mitte steht der Wirt mit Philippus. Der Wirt führt ununterbrochen Selbstgespräche, bis er Jesus sieht und ihm entgegeneilt: «Meister, Herr, Jesus... ich... ich glaube, ich glaube fest, daß du es bist, daß du alles weißt, daß du alles siehst, daß du alles kennst, daß du alles kannst. Ich glaube es so fest, daß ich zu dir sage: Habe Erbarmen mit meiner Tochter, obwohl ich viele Sünden auf dem Herzen habe. Nicht auf mein Geschöpf komme die Strafe dafür, daß ich so unredlich in meinem Geschäft war. Ich werde nicht mehr betrügen, ich schwöre es! Du siehst mein Herz mit seiner Vergangenheit und seiner jetzigen Reue. Verzeihung und Barmherzigkeit, Meister, und ich werde von dir reden zu allen, die hierher kommen, in meine Herberge...» Der Mann ist auf die Knie gefallen.

Jesus sagt: «Steh auf und bleibe beim Vorsatz von heute! Bring deine Tochter zu mir!»

«Sie ist in einem Stall, Herr. Die Hitze macht sie noch kränker. Sie will nicht herauskommen.»

«Das macht nichts. Ich gehe zu ihr. Es ist nicht die Hitze. Es ist der Dämon, der mich kommen hört.»

Sie gehen durch den Hof in einen dunklen Stall. Alle folgen. Das ungekämmte, schmutzige Mädchen wirft sich im dunkelsten Winkel hin und her; als es Jesus bemerkt, schreit es: «Geh fort, geh fort! Störe mich nicht! Du bist der Christus des Herrn, ich einer von denen, die du verstoßen hast. Laß mich in Ruhe! Warum stellst du dich in meinen Weg?»

«Fahre aus diesem Geschöpf! Fort mit dir! Ich will es! Gib Gott deine Beute zurück und schweige!»

Ein erschütternder Schrei, ein Aufbäumen, dann ein auf das Stroh niedersinkender Körper... und schließlich die ruhigen, traurigen, erstaunten Fragen: «Wo bin ich? Warum denn hier? Wer sind sie?» Und der Ruf: «Mama!» des Mädchens, das sich schämt, weil es ohne Schleier und mit zerrissenem Kleid vor den Augen so vieler Fremder steht.

«Oh, ewiger Herr, sie ist geheilt!» Es ist ergreifend zu sehen, wie der grobe , rotwangige Wirt wie ein Kind weint... Er ist glücklich und weint, indem er fortwährend die Hände Jesu küßt; die Mutter weint ebenfalls, umringt von einer Schar erstaunter Kinder; sie küßt ihre vom Dämon befreite Älteste. Die Anwesenden sind ein einziges Stimmengewirr, und noch andere kommen dazu, um das Wunder zu sehen. Der Hof ist voller Menschen.

«Bleibe, Herr, der Abend sinkt hernieder. Verweile unter meinem Dach!»

«Wir sind dreizehn, Mann!»

«Auch wenn ihr dreihundert wäret, wäre es mir recht! Ich weiß, was du sagen willst. Aber der geizige, unehrliche Samuel ist tot, Herr! Auch mein Dämon ist aus mir gefahren. Nun lebt ein neuer Samuel. Er wird weiterhin Wirt, aber ein heiliger Wirt sein. Komm, komm mit mir! Ich will dich ehren wie einen König, wie einen Gott, der du auch bist. Oh, gesegnet sei die heutige Sonne, die dich zu mir geführt hat.»

 

Oktober 2008

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