Ästhetische Logik im System der deutschen Rechtschreibung

Die deutsche Rechtschreibung folgt primär nicht systematischen, sondern ästhetischen Regeln. Unter ästhetisch versteht man die Wirksamkeit von Gesetzmäßigkeiten, die menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis den Eindruck des Schönen vermitteln. Der Mensch strebt danach, die Vielgestaltigkeit seiner Welt auch im Schriftbild seines Wortschatzes erkennen zu lassen. Ein ästhetisches System ist geprägt von innerer Freiheit des Ganzen und seiner Teile. In der deutschen Rechtschreibung ist die Freiheit einer ästhetischen Ordnung erkennbar.

Gliederung

I.     Der Charakter der deutschen Rechtschreibung (RS)

1.       Darstellung der Laute

1.1       Kurze und lange Vokale

1.2       Das Verhältnis der drei Dehnungskennzeichnungen zueinander

2.       Deutung gewachsener Rechtschreibung

2.1       Systematische und ästhetische Logik

2.2       Prinzipien ästhetischer Logik

2.3       Ästhetische Logik der Vokaldehnung vor Liquiden und Nasalen

3.       Weitere Manifestationen ästhetischer Logik und Variation

3.1       Groß- und Kleinschreibung

3.2       Fremdwörter

3.3       Das Verhältnis von Vokalen und Konsonanten in der Lutherbibel (1535)

3.3       V, U, W, F

3.5       Das X und das Y

3.6       Die Diphthonge au, ei, eu

4.       Lautgestalt und Schriftgestalt

II.    Geschichtliche Entwicklungslinien der deutschen Rechtschreibung

1.         16. bis 19. Jh.

2.         Die 1. Orthographische Konferenz 1876

3.         Die 2. Orthographische Konferenz 1901

III.  Die Bereinigung der Rechtschreibung im 19. Jahrhundert

1.         Deutsche Wörter

2.         Fremdwörter

2.1       Französische Fremdwörter

2.2       Lateinische Fremdwörter

2.3       Griechische Fremdwörter

IV.  Das ästhetische Ergebnis der orthographischen Festlegungen

Zu V.-VII.

V.    Die Situation der Rechtschreibung heute

VI.  Sünden gegen die Laut-Buchstaben Zuordnung

1.         Fremdwörter aus dem Griechischen

2.         Fremdwörter aus dem Lateinischen

3.         Augst, der Sprachveränderer

VII. Der geschichtliche Kairós des deutschen Regelwerks von 1901

Verwendete Literatur

I. Der Charakter der deutschen Rechtschreibung (RS)

Die dt. RS ist historisch gewachsen, d.h., sie hat allen Versuchen systematischer Veränderungen widerstanden. Es soll hier gezeigt werden, daß die deutsche Rechtschreibung, ähnlich wie der englischen und französischen, eine ästhetische Qualität besitzt und einen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Identität des deutschen Sprachraums leistet.

1. Darstellung der Laute

Aufgabe der Rechtschreibung ist es, den Lautbestand einer Sprache in angemessener Genauigkeit durch Schriftzeichen wiederzugeben, bzw. aus den Schriftzeichen die Aussprache nach Regeln und Mustern identifizierbar zu machen.

Dem deutschen Lautbestand stehen die traditionellen 26 Buchstaben des mittelalterlichen Alphabets (21 lateinische + 2 griechische + J,U,W) zur Verfügung sowie die Sonderzeichen für die Umlaute Ä,Ö,Ü und das ß. Zwei konsonantische Laute, die nicht im Bestand des Alphabets vorgesehen sind, werden durch die Zusammensetzungen ch und sch wiedergegeben.

1.1 Kurze und lange Vokale

Zur Kennzeichnung kurzer und langer Vokale und Umlaute bildete sich ein klar erkennbares System heraus: Folgt nach einem betonten kurzen Vokal ein einzelner Konsonant, wird dieser verdoppelt (bit-t-en, kom-m-en). Umgekehrt ist ein einzelner Vokal als lang zu deuten, wenn ihm nur ein Konsonant folgt (beten, kamen, eben). Alternativ zu dieser Längenkennzeichnung gibt es drei visuelle Erkennungshilfen, indem der Vokal entweder verdoppelt wird (Aal, Meer, Moor) oder durch ein h erweitert wird (Ahle, mehr, Mohr). Eine dritte Erweiterung hat sich als Sonderregel für das lange i herausgebildet: i + einzelner Konsonant als Längenkennzeichnung wurde zugunsten eines zusätzlichen e aufgegeben (vier, tief, vibrieren); Ausnahmen bestätigen diese Regel für einige Formen des Personalpronomens (mir, dir, ihm, ihr, ihnen), einige Substantive (Igel, Wisent, Biber, Sirup, Tiger, Bisam, Bibel) und einige Homophone (Lied, Lid; Miene, Mine; Siegel, Sigel).

Folgen nach einem Vokal oder Umlaut zwei oder mehr Konsonanten, wird er kurz gesprochen (oft, Schild, Hirt, Rüstung).

1.2 Das Verhältnis der drei Dehnungskennzeichnungen zueinander

Dazu kann in knapper Form folgendes festgestellt werden:

1.   Das Dehnungs-h tritt so gut wie nie vor den Verschlußlauten b,p,d,t,g,k, dem Zischlaut s und dem Reibelaut f auf, dagegen vor den Liquidlauten l, r (kahl, Ehre) und den Nasallauten m, n (Rahm, Sahne). Ausnahmen sind Flexionsformen zu Verben mit einzelnem h nach Stammbetonung, z.B. se-h-en (seht, sieht), das Einzelwort Fehde (< mhd. vehede) und die Wörter Naht < nähen, Draht < drehen.

2.   Vokalverdoppelung dient als Alternativschreibung bei gleichlautenden oder ähnlich lautenden Wortpaaren (Mohr, Moor; Rede, Reede; Lehre, Leere; hehr, Heer; Wagen, Waage; Bote, Boot; selig, Seele usw.). (zurück)

2. Deutung gewachsener Rechtschreibung

2.1 Systematische und ästhetische Logik

Die Schriftwiedergabe kurzer und langer Vokale (und Umlaute) kann beispielhaft aufzeigen, was die dt. RS als eine historisch gewachsene leistet.

1.   Zwar besitzt die Darstellung kurzer und langer Vokale eine innere Logik, aber sie ist nicht bestimmt durch eine einzige systematische Regel, sondern eine dominierende Regel wird unterstützt durch alternative Schreibweisen.

2.   Das Verhältnis von dominierender Regel und alternativer Schreibweise weist eine ästhetische Qualität auf.

2.2 Prinzipien ästhetischer Logik

Ästhetische Logik ist gekennzeichnet durch ein sinnvolles und ausgewogenes Verhältnis aller Einzelteile zum Ganzen eines Systems. Sie besitzt eine innere Freiheit darin, daß ein strenges System logischer Vollständigkeit vermieden wird und an ihre Stelle die Variabilität verschiedener Mittel tritt. Die Freiheit der Variation ergibt sich daraus, daß alle Wörter einer Sprache untereinander in Bezug stehen und die zur Verfügung stehenden Mittel so angewendet werden, daß erkennbare assoziative Muster und Beziehungen entstehen. Ästhetische Prinzipien sind in der Kennzeichnung langer Vokale folgendermaßen wirksam:

1.   Verzicht auf starre Vollständigkeit:

a)   Vokal + Konsonant als Längenkennzeichnung gilt nicht für den Buchstaben i; an dessen Stelle tritt die Regelschreibung ie.

b)   Vokalverdoppelung als Längenkennzeichnung wird nicht für den Buchstaben u und i eingesetzt; langes i wird stattdesen durch e erweitert.

2.   Regeldehnung (Vok.+Kons.) und Alternativdehnung (Vok.+h, Vok.+Vok.) geben der Längenkennzeichnung ein sinnvolles Ordnungsverhältnis. Die Regeldehnung ist in allen Konsonantengruppen wirksam, h-Dehnung vor vier Konsonanten, Vokalverdoppelung in sehr begrenzter Zahl.

3.   Das Dehnungs-h befriedigt den ästhetischen Sinn vor Nasal- und Liquidlauten, da diese vokalische Qualität besitzen, wird aber als störend vor Verschlußlauten sowie vor s und f empfunden.

4.   Vokalverdoppelung und Dehnungs-h werden u.a. eingesetzt, um die Optik kurzer Wörter zu verbessern (Aas, Saal, See, Klee, Ohr). (zurück)

2.3 Ästhetische Logik der Vokaldehnung vor Liquiden und Nasalen

Der Laut (und Buchstabe) h spielt in der deutschen Sprache eine bevorzugte Rolle. Er hat sogar sein eigenes Verb: hauchen. Das h ist das Graphem für den unhörbaren Luftstrom, der aus dem Mund des Menschen kommt, ist Ausdruck seines inneren Lebens und seines Willens. Und wie der Mensch lebt und atmet, so atmen und strahlen auch die Dinge der Natur und die Ideen des Geistes Leben aus. Es entsteht so eine lebendige Beziehung zwischen Mensch und Welt.

Das h wird als artikulierter Laut, als Dehnungszeichen und als mitwirkender Buchstabe für die Laute ch und sch verwendet. Dazu kommt die behauchte Aussprache der Verschlußlaute p,t,k,q.

Das Dehnungs-h tritt zwar vor den Konsonanten l,r,m,n auf, aber nicht durchgängig. Die Dehnungsordnung hat lautliche, inhaltliche und assoziative Gründe. Dehnungs-h und Vokalverdoppelung werden nicht unbeschränkt verteilt, sondern als Erweiterungselement der Regeldehnung enthalten sie gleichsam ein Wertprädikat, das dort nicht zugeteilt wird, wo es überflüssig, entbehrlich oder unzulässig ist oder störend wirkt.

Ästhetische Logik besitzt ihre Freiheit in einem umfassenden Bezugssystem, das rational nicht völlig erfaßbar erscheint. Daher lassen sich eher Regeltendenzen als feste Regeln formulieren.

Nach diesen Vorüberlegungen lassen sich einige Beobachtungen anstellen:

1.   Wörter mit anlautendem sch, schw, sp, p und t sind durch Schrift oder Aussprache bereits behaucht und nehmen kein h zu sich: schal, Schar, scheren, Scham, schonen, schwelen, schwer, Schwan, spülen, sparen, Span, Tal, Tor, tun.

Als härterer vokalischer Konsonant läßt r nach st kein h zu im Gegensatz zu weicherem l: Star, stur, stören, aber Stahl, Stuhl.

Wörter mit zwei anlautenden Konsonanten und Vokal + m tendieren zu Verzicht auf Dehnungs-h: Gram, Kram, Krume, Strom, Blume.

2.   Eine Reihe von Substantiven mit Dehnungs-h, die der Naturordnung, der menschlichen Gemeinschaft und der Ideenwelt angehören, legen eine vertraute Wechselbeziehung zwischen ihnen und dem Menschen nahe, insofern von ihnen eine materielle, ästhetische oder existentielle Bedeutung ausgeht: Föhre, Möhre, Bohne, Drohne, Rahm, Sahne, Kahn, Bühne, Wohl, Lohn, Ruhm, Zahl, Sühne. Dazu gehören auch Eigenschaften und Wirkungen der Dingwelt: fahl, hohl, kahl, lahm, zahm.

Fachausdrücke, vorübergehende oder fragmentarische Erscheinungen sowie weniger geschätzte Dinge zeigen sich ohne h: Mure, Rune, Krume, Düne, Fron.

3.   Verben haben mit Vorliebe Dehnungs-h bei sich. Das h symbolisiert hier menschliches Tun und Urteilen als Antwort auf das, was von der Welt der Dinge und Werte ausgeht: fehlen, fühlen, johlen, prahlen, wählen, zählen, bohren, fahren, führen, kehren, nähren, nehmen, zähmen, dehnen, sühnen, wohnen u.a.

Dehnungs-h steht auch nach vokalisch auslautendem Verbalstamm: ge-h-en, se-h-en (aber sä-en), ste-h-en, dre-h-en, mä-h-en, nä-h-en.

4.   Regeldehnung, h-Dehnung und Vokalverdoppelung werden zur Unterscheidung und Dissoziierung von Homophonen und ähnlich klingenden Wörtern eingesetzt: hohl, holen; entbehren, Beere; war, Ware, wahr usw.

Doppelvokal tritt bei einsilbigen e-Wörtern auf, wo h-Dehnung ungebräuchlich ist (s.1.), einzelnes e aber unvollständig aussieht: scheel, Speer. Auch die einsilbigen mit e auslautenden Wörter Fee, Klee, Lee, See, Tee bevorzugen Vokalverdoppelung. Ein gewisser ästhetischer Ausgleich erfolgt durch Dehnungs-h in den auf o endenden Wörtern Floh, froh, roh, Stroh.

5.   Wörter mit Doppelvokal beschränken sich auf eine geringe Zahl und sind gewissermaßen handverlesen. Auch wenn sie teilweise der Unterscheidung von Homophonen dienen, vermitteln sie einen Bezug zu ihrer Bedeutung: See, Meer, Heer, Saal, Saat, Moor (Weite), Beere (wie Brei = Weichheit), Speer (Länge), leer (Raum), Paar (zwei Gleiches), scheel (zwei Augen).

6.   Wörter mit Dehnungs-h zeugen von ihrem germanischen Ursprung und lassen so Wörter fremdsprachlicher Herkunft, die vielleicht eine andere als die Regeldehnung haben könnten, erkennen: Dom, Ton, Ster, Zone, Pol, Öl. (zurück)

3. Weitere Manifestationen ästhetischer Logik und Variation

Die kleinste Variationszahl ist 2. Zwei oder mehr Variationsmittel können Gegensätze oder vergleichbare Alternativen kennzeichnen. Zu ersteren sind die dualen Verhältnisse von Groß- und Kleinschreibung, deutscher Wortschatz und Fremdwörter, Kennzeichnung kurzer und langer Vokale, zu letzteren Alternativschreibungen und ihre Bedeutungen zu rechnen.

3.1 Groß- und Kleinschreibung

Von allen Sprachen kennt nur das Deutsche die Großschreibung von Substantiven. Diese treten gewissermaßen eigenberechtigt neben die Eigennamen. Substantive bilden die Welt der realen Gegenstände und der abstrakten Begriffe ab. An ihnen haften Eigenschaften (Adjektive) und Verhaltensweisen (Verben).

Der ästhetische Gesichtspunkt erfordert, daß die mit großen Anfangsbuchstaben geschriebenen Wörter in einem ausgewogenen Verhältnis zu den übrigen Wörtern stehen. Daher nimmt das Regelwerk von 1901 von der Großschreibung alle Wörter aus, die nicht als eigentliche Substantive angesehen werden. Dazu gehören Wortgruppen in adverbialer Bedeutung (im allgemeinen, unter anderem) und indefinit gebrauchte Substantivierungen (vieles, anderes, das meiste).

3.2 Fremdwörter

Fremdwörter, vornehmlich aus dem Lateinischen und Griechischen, gelten einerseits als Bestandteil des deutschen Wortschatzes, andererseits – wie schon im Namen enthalten – als ein Sonderwortschatz, der als synonyme Bereicherung verstanden wird, sofern er nicht für Fachbereiche terminologisch unentbehrlich ist.

Fremdwörter aus dem Lateinischen und Griechischen wurden im 19. Jh. so eingedeutscht, daß sie einerseits dem deutschen Wortschatz zugehörig erscheinen, andererseits aber ihr Ursprung klar erkennbar bleibt. Dies geschah durch folgende Umstände und bewußte Maßnahmen:

1.   Fremdwörter aus dem Griechischen, die y [y], th [t], oder ph [f] enthalten, sind als solche zu erkennen, da y und th aus dem rein deutschen Wortschatz eliminiert wurden und ph darin nie enthalten war. Griechisches ch (chi) wurde in das deutsche Zeichensystem als gutturaler Reibelaut [c] integriert und kommt somit in deutschen Wörtern und griechischen Fremdwörtern vor (Sache, Technik), in letzteren bisweilen als [k] (Chor, Charakter, Chronik) gesprochen.

Die Aussprache des y ist mit dem Lautwert des Schriftzeichens ü identisch.

2.   Da lateinisches c in den Verbindungen ch [c] und sch [ò] ganz in den deutschen Schriftzeichenbestand einging, war es sinnvoll, es in lateinischen Fremdwörtern entsprechend seiner Aussprache durch angestammte Grapheme wiederzugeben. Daher wurde c vor a,o,u zu k und vor e,i zu z.

Orthographisch sind Fremdwörter aus dem Lateinischen weiterhin kenntlich durch den Buchstaben x, der nur in ganz wenigen deutschen Wörter auftritt (Axt, Hexe, Nixe), und durch die Verbindung ti + Vokal (Nation, partiell), die nicht durch z ersetzt wurde. (zurück)

3.3 Das Verhältnis von Vokalen und Konsonanten in der Lutherbibel (1545)

Die Ästhetik des deutschen Schriftsystems zeigt sich, wie schon erwähnt, besonders in der Darstellung kurzer und langer Silben. Sie tastete sich ab dem 16. Jh. allmählich vorwärts, gesteuert durch ständiges Bemühen, Hörbares und Sichtbares in Einklang zu bringen. Einen Einblick in diesen Prozeß gewährt Martin Luthers Die gantze Heilige Schrifft / Deudsch / Auffs new zugericht von 1545. Ich entnehme eine Textprobe aus Lukas 12, 17-22:

17  Vnd alles Volck frewet sich vber allen herrlichen Thaten die von jm geschahen.

18  Er sprach aber / Wem ist das reich Gottes gleich / vnd wem sol ichs vergleichen?

19  Es ist einem Senffkorn gleich / welchs ein Mensch nam / vnd warffs in seinen Garten / Vnd es wuchs / vnd ward ein grosser Bawm / vnd die Vogel des Himels woneten vnter seinen Zweigen.

20  Vnd abermal sprach er / Wem sol ich das reich Gottes vergleichen?

21  Es ist einem Sawerteige gleich / welchen ein Weib nam vnd verbarg jn vnter drey scheffel Melhs / bis das es gar sawr ward.

22  Vnd er gieng durch Stedte vnd Merckte / vnd lerete / vnd nam seinen weg gen Jerusalem.

Doppelkonsonanten waren den damals Schreibenden aus lateinischen Texten bekannt und begünstigten ihre Verwendung in der deutschen Schrift. Dennoch wurden sie nicht primär zur Unterscheidung langer und kurzer Silben eingesetzt.

Als akustisches Grundmuster einer Silbe gelte die Folge Konsonant + Vokal +Konsonant. Die damaligen Sprecher richteten ihre orthographischen Entscheidungen weniger nach dem Unterschied von langem und kurzem Vokal aus, sondern eher nach dem jeweils auffälligsten Silbenelement. Ein aspiriertes Anfangs-t erschien ihnen als so bedeutsam, daß sie es mit einem h versahen (Thaten). Sie beachteten die Bedeutung eines Vokals weniger als silbenbildender Mitte, sondern dessen Einfluß auf die Qualität des folgenden Konsonanten. Ihnen erschien also das l in Melhs nach langem e eine längere Qualität als nach einem kurzem Vokal zu besitzen, weswegen das Dehnungs-h nach dem l gesetzt wurde.

Ein kurzer Vokal hingegen schien die Aufgabe zu haben, den folgenden Konsonanten zu betonen. Nach dem Eindruck des Sprechers waren von dieser Betonung manche Konsonanten auffälliger, manche weniger auffällig betroffen. Die Laute [f], [k] und [ts] zählen zu den betonten Konsonanten und wurden durch Verdoppelung bzw. durch einen zusätzlichen Buchstaben (c, t) hervorgehoben: Schrifft, auff, Senffkorn, warffs, Merckte, gantze. Einfaches k und z kommt nur am Wortanfang vor bzw. bleibt in Zusammensetzungen erhalten (Senffkorn). Das ck wurde analog dem ch gebildet.

Gleichzeitig aber erfolgte auch Konsonantenverdoppelung zwischen zwei Vokalen zur Kennzeichnung einer kurzen Silbe, während sie bei konsonantischem Wortabschluß unterblieb: Scheffel, sollen, sol. Das m wurde offensichtlich wegen seiner breiteren Form nicht verdoppelt (Himels). Vokalverdoppelung bei langem Vokal zeigt das Wort seer = sehr.

Die in der Lutherbibel verwendete Orthographie wird im allgemeinen konsequent durchgehalten.

Die angeführten Beispiele zeigen, daß bei der Entstehung der deutschen Rechtschreibung die Übereinstimmung von akustischem und optischem Eindruck eine wesentliche Rolle spielte. Für die Darstellung kurzer Silben bildet sich die Konvention heraus, daß dem Vokal mindestens zwei Konsonanten folgen, ob dies nun durch Verdoppelung geschieht oder durch die Verbindung zweier verschiedener Konsonanten, z.B. -ck-, -tz-. Diese Bedingung erfüllen auch die Wörter Ba-ch und Lu-st. Daß denselben Konsonantenverbindungen in den Wörtern Bu-ch und Tro-st auch jeweils ein langer Vokal vorangeht, wird keineswegs als unsystematische Interferenz verstanden. Dasselbe gilt für das Sonderzeichen ß, das aus der Form der beiden Buchstaben sz in der deutschen Schrift entstand, so daß Faß und Maß trotz unterschiedlicher Vokalqualität gleich geschrieben wurden.

Aus dem eben Gesagten ist folgender prinzipieller Schluß zu ziehen: Die Orthographie ist dazu da, die Sprache, die man bereits kennt, durch Schriftzeichen darzustellen, sie ist nicht dazu da, um aus ihr die Aussprache zweifelsfrei zu ermitteln. Die ästhetische Logik der deutschen Rechtschreibung fordert vom Schreiber und besonders vom Leser ein gewisses Zusatzwissen, dessen Vermittlung außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegt. (zurück)

3.4 V, U, W, F

Das V des lateinischen Alphabets gab zwei unterschiedliche Laute wieder: im Anlaut vor Vokal (VINVM) oder zwischen zwei Vokalen (AVIS) den Halbvokal u, der mit englischem double u [w] identisch ist, und den normalen Vokal u [u] (VNVS).

Aus dem lateinischen v entwickelte sich im Mittelalter als Pendant zu den runden karolingischen Minuskeln a, m, n das u. Als Initiale war das V vielleicht zunächst konkurrenzlos, so daß auch das kleine v als Anfangsbuchstabe gegenüber dem u vorgezogen wurde (noch in der Lutherbibel durchgängig: vnd; von, aber dauon). Die beiden Buchstabenformen konnten die Lautwerte [u], [w] und [f] bedeuten. Zur Kennzeichnung des stimmhaften Reibelauts [w] wurden mit der Zeit zwei v nebeneinandergesetzt, was ja auch bei lateinischen Wörtern wie VVLNVS vorkam.

Nach der Entstehung des w zur Darstellung des Lautes [w] wäre das v eigentlich überflüssig geworden, da für den stimmlosen Frikativlaut lateinisches F zur Verfügung stand. Aber die ähnlichen Buchstabenformen v und w legten eine Zuordnung zweier kontrastierender Lautwerte nahe. Nachdem also der Lautwert für das Schriftzeichen w auf [w] festgelegt war, erhielt das v den kontrastiven Lautwert [f], insbesondere im Wortanlaut.. Im Lauf der Jahrhunderte hat der Buchstabe f zwar seinen angestammten Platz eingenommen, aber in etwa einem Dutzend Wörter blieb das V im Anlaut als Lautwert [f] erhalten, darunter die häufig verwendeten Präpositionen von und vor sowie die Präfixe ver- und vor-, so daß sie etwa knappes Drittel aller f-Laute ausmachen.

Zweifellos trägt das v als Alternativzeichen zu f viel zur Bereicherung, Auflockerung und Eleganz des Schriftbildes bei. In den Wörtern von, vor und ver- sorgt es als ein Buchstabe der Mittelzone für ein einheitliches und unauffälliges Erscheinungsbild und kontrastiert sinnvoll mit dem f in der Präposition für.

Wegen der deutlichen Präsenz des v im deutschen Wortschatz kann es in jedem aus dem Lateinischen kommenden Wort erhalten bleiben, während c und ae eingedeutscht werden, wie z.B. bei kollektiv, Zäsur. In dem Adjektiv präventiv wird das erste v stimmhaft [v], das zweite stimmlos [f] gesprochen.

Das v nimmt auch eine gewisse Vermittlerrolle zwischen norddeutschem labiodentalem und süddeutschem bilabialem w-Laut ein. Das V in Vanille und Ventil klingt bilabial manchen Menschen etwas schwach und wird dann als [f] ausgesprochen.

Ein Blick auf die Nachbarsprachen zeigt, daß nur das Englische die drei Buchstaben V, W und F kennt. Im Polnischen gibt es das W, aber nicht das V, alle übrigen haben das W nicht in ihrem offiziellen Wortschatz. (zurück)

3.5 Das X und das Y

Das x mit dem Lautwert [ks] hat im Hochdeutschen nur in den Wörtern Axt, Faxen, Hexe und Nixe Aufnahme gefunden. Anderen Wörtern mit der Aussprache [ks] wurde diese vereinfachte Darstellung nicht zugestanden, sondern behielten ihr etymologisches Aussehen: Häcksel, drechseln, Wachs u.a. Das x hat somit im deutschen Wortschatz zwar vereinzelte Präsenz, bleibt aber wesentlich ein Erkennungszeichen für Wörter, die aus dem Lateinischen stammen: Text, Exil, flexibel.

Wie das x innerhalb des deutschen Wortschatzes das Markenzeichen der lateinischen Sprache ist, so bleibt das y griechischen Wortbildungen vorbehalten. Beide Buchstaben sind also anders als im Französischen und Englischen nicht in den deutschen Wortschatz integriert, sondern wurden allmählich entfernt, wo sie vorhanden waren. Auf diese Weise wurde das Eigene vom Fremden erkennbar geschieden und kann beiden differenziert Rechnung getragen werden. Diese Form der Rechtschreibung zeigt, daß deutscher Geist aufnahmefähig ist für Fremdes, aber es sich selbständig anverwandelt.

3.6 Die Diphthonge au, ei, eu

Die dt. Hochsprache kennt nur 3 Diphthonge [ai], [au], [oi]. Während die Schreibung au mit der Lautung übereinstimmt, entsprechen die beiden anderen einer früheren Aussprache. Die phonetische Schreibung ai beschränkt sich auf wenige Wörter (Hai, Hain) und homophonen Doppelungen (Leib, Laib). Die alternative Schreibung äu statt eu geht meist auf die Ausgangsschreibung au zurück (Haus, Häuser; Bau, Gebäude).

Die Schreibungen eu und ei entsprechen einander durch das e und geben dem Schriftbild eine geschlosseneres Aussehen als eine phonetische Darstellung beider Diphthonge durch ai und oi. Sie korrespondieren weiterhin ästhetisch mit au und ie: (zurück)

au

 

ie

ß

 

Ý

eu

Þ

ei

4. Lautgestalt und Schriftgestalt

Der Mensch erfaßt Wirklichkeit durch das Wort. Zwar besteht ein Wort aus Einzellauten, z.B. b-e-r-g, aber erst durch seine vollständige Lautung wird das Wort zum Abbild des Gemeinten. Sprache ist ein Übertragungsvorgang, durch den der Mensch von Bezeichnetem Besitz nimmt. Er ist dem Unbezeichneten nicht mehr ausgeliefert, sondern steht ihm durch Benennung gegenüber. Das Bezeichnete wird zum "Gegenstand". Im Wort erschließt sich den Fähigkeiten menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis alles, was das Bezeichnete sein kann.

Die Schriftwerdung eines Wortes ist ein weiterer Übertragungsvorgang von Lauten in Zeichen, von Hörbarem in Sichtbares. Und wie die Vielgestaltigkeit der Welt durch Ordnungen zusammengehalten wird, so besitzen auch Sprache und Schrift ihr je eigenes Ordnungsgefüge.

Wenn durch die Systeme von Sprache und Schrift Wirklichkeit abbildhaft bezeichnet wird, dann gehören zu dieser Wirklichkeit auch die vielen Generationen von Menschen, die diese Systeme entwickelt und geformt haben.

Menschliche Gemeinschaften bestehen darin, daß sie sich über Gemeinsames verständigen. Da sich die Menschen in einer geordneten Welt heimisch fühlen wollen, werden sie sich auf solche Übereinkünfte verständigen, die vernünftig und frei von Übertreibungen sind und die den menschlichen Schönheitssinn zufriedenstellen.

Der eigenständige Charakter des Schriftsystems wäre auch gewahrt, wenn es eine hundertprozentige Umsetzung des Lautbestandes darstellte. Wenn man aber einmal probehalber entgegen der Konvention raiten statt reiten schriebe, würde sich vielleicht das Gefühl einer Oberflächenansicht der bezeichneten Tätigkeit einstellen. Die Wirklichkeit ist jedoch vielschichtig und mehrdeutig. Daher heben Schreibkonventionen, die sich nicht mit der Phonetik decken, ein Schreibsystem auf eine komplexere Bewußtseinsebene, die nicht nur Wirklichkeit differenziert aufnimmt, sondern in umgekehrter Richtung diese selbst gestaltet und verändert. (zurück)

II. Geschichtliche Entwicklungslinien der deutschen Rechtschreibung

16. bis 19. Jahrhundert

Die deutsche Rechtschreibung bahnte sich ab dem 16. Jahrhundert etwa zweieinhalb Jahrhunderte unangefochten ihren Weg. Sie erwies sich als mächtige Trägerin einer Sprache, die einerseits alle Stämme und Regionen des deutschen Reiches und der Schweiz zusammenband und andererseits von ihnen geformt wurde. Auf ihrem Weg untersuchten Sprachgesellschaften und einzelne Gelehrten ihre Gesetzmäßigkeiten und arbeiteten auf Normierungen hin.

Der Erste, der sich respektlos gegen sie verhielt, war der Dichter Friedrich Gottlieb Kloppstock (1724-1803). Er wollte sich kompromißlos an der Lautung orientieren, gab aber nach einigen Jahren seinen Widerstand auf.

Zu starken Stützen der traditionellen Rechtschreibung wurden zwei Werke des Lexikographen und Grammatikers Johann Christoph Adelung (1722-1806), Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (1774-1786) und Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie (1788). Adelungs Wörterbuch fand allgemeinen Anklang, wurde von den deutschen Klassikern Wieland, Schiller und Goethe benutzt und wirkte weit ins 19. Jh. hinein.

Im Laufe des 19. Jh. geriet die geltende Rechtschreibung zwischen zwei gegnerische Fronten. Entfacht wurde der Streit durch den berühmten Sprachforscher Jakob Grimm (1785-1863), der glaubte, eine nach seiner Ansicht alternde deutsche Sprache durch Anpassung der Orthographie an die mittelhochdeutsche Schreibung verjüngen zu können. Ihm stellten sich die Vertreter der Phonetik entgegen, die für eine konsequente Entsprechung von Lautwert und Schriftzeichen eintraten. Der an den Universitäten ausgetragene Streit sorgte für gehörige Verunsicherungen an den Schulen. Die Reichsgründung von 1871 bot die Möglichkeit, zu einer einheitlichen Rechtschreibpraxis auf nationaler Ebene zu gelangen. Der preußische Unterrichtsminister Adalbert von Falk beauftragte den Erlanger Germanisten Kurt von Raumer (1815-1887), eine Konferenzvorlage zu erarbeiten, auf deren Grundlage eine Einigung erzielt werden sollte.

Die 1. Orthographische Konferenz

Die 1876 nach Berlin einberufene 1. Orthographische Konferenz setzte sich aus 14 Teilnehmern zusammen, von denen keiner dem radikalen Flügel angehörte. Überraschenderweise stellte von Raumer nicht die offiziell vereinbarte Vorlage zur Diskussion, sondern eine weitere, die deutliche Veränderungen der bestehenden Rechtschreibung vorschlug. Im Mittelpunkt stand die Abschaffung des Dehnungs-h nach a, o, u , ä, ö, ü und des Doppelvokals. Der später zu Ruhm gelangte Konrad Duden (1829-1911), einer der Konferenzteilnehmer, wollte auch noch e und i in die Änderung einbeziehen. Über jedes strittige Wort wurde abgestimmt. Zum Beispiel erhielt Färte 12 Stimmen, Han nur 8, Bot fiel bei Stimmengleichheit durch.

Als die Pläne der Konferenz in die Öffentlichkeit drangen, erhob sich ein solcher Protest, daß Unterrichtsminister Falk die Konferenzbeschlüsse ablehnte. Daraufhin gaben 1879 Österreich und Bayern in eigener Initiative Regelwerke heraus, denen sich Preußen mit einem sehr ähnlichen anschloß.

Die 2. Orthographische Konferenz

Gestützt auf das preußische und bayerische Modell erarbeitete und veröffentlichte Konrad Duden 1880 sein Vollständiges Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache. Es fand sofort allgemeine Akzeptanz und wurde 1894 in der Schweiz zur Norm erhoben. Preußens Schulorthographie wurde in den folgenden Jahren von fast allen deutschen Ländern übernommen oder adaptiert. Die 1901 in Berlin tagende 2. Orthographische Konferenz schloß mit der Festlegung einiger strittiger Regeln den Prozeß der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung ab. Teilnehmer waren in erster Linie Behördenvertreter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Den beiden einflußreichsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet orthographischer Einheitsbemühungen, Rudolf von Raumer und Konrad Duden, war eines gemeinsam: Sie wollten die Schreibung von Wörtern entsprechend den inhärenten Gesetzen der bestehenden Rechtschreibung vereinheitlichen, darüber hinaus aber orthographische Gegebenheiten selbst verändern. Letzteres scheiterte am Widerstand der Öffentlichkeit. Man darf ihnen nicht verübeln, daß sie für den Eigenwert, die Schönheit und den Reichtum einer gewachsenen Rechtschreibtradition wenig Verständnis hatten. Was sie und ihre Fachkollegen jedoch im Rahmen des Vorgegebenen leisteten, war ein Glücksfall für die deutsche Sprache und Geschichte. (zurück)

III. Die Bereinigung der Rechtschreibung im 19. Jahrhundert

Bereinigung der Rechtschreibung bedeutet, aus der bestehenden Rechtschreibung Regeln abzuleiten und sie auf den gesamten Wortschatz anzuwenden. Dies galt sowohl für den eigentlichen deutschen Wortschatz als auch für die Wörter aus anderen Sprachen. Daß diese Aufgabe nicht so einfach war, zeigt sich an manchen Unsicherheiten, die bis zur 2. orthographischen Konferenz andauerten. Wichtige Bereinigungen betrafen

1. Deutsche Wörter

1.   Wenn einem betonten Vokal zwei verschiedene Konsonanten folgen, gilt der Vokal als kurz. Eine Verdoppelung des ersten Konsonanten ist also nicht nötig. Selbst die Teilnehmer der 1. Orthographischen Konferenz scheinen damit noch ihre Probleme gehabt zu haben: Das Wort Zimt wurde bis dahin mit Doppel-m geschrieben. Eine erste Abstimmung ergab Beibehaltung der alten Schreibung. Erst eine zweite führte zur Annahme der regelkonformen Schreibung.

Folgt einem kurzen betonten Vokal nur ein Konsonant, wird er verdoppelt (Ebbe, verheddern, Riff, Egge, sollen, kommen, innen, Rippe, Herr, Tasse, Kutte). Sonderschreibungen gelten für k >ck und z > tz (Ecke, Tatze).

Die Verdoppelung bleibt auch erhalten, wenn eine konsonantische Flexionsendung hinzutritt: soll-en, soll-te; komm-en, komm-st.

Keine Verdoppelung erfolgt nach unbetontem kurzem Vokal: numerieren (frz. numerer), aber Nummer; plazieren (frz. placer), aber Platz. Entsprechend wurde zweites t aus Literatur entfernt (lat. littera, frz. litterature).

2.   Von den Wörtern mit Doppelvokal wurden einige ausgemustert, z.B. Schaar, Waare.

3.   Das y wurde aus allen deutsche Wörtern entfernt und bleibt somit Wortbildungen aus dem Griechischen vorbehalten.

4.   Die beliebte Verstärkung des t durch h in deutschen Wörtern wird in zwei Stufen abgeschafft, zuerst im Endlaut (Gemüth, Heimath, Zierath) und im Anlaut von Suffixen (Alterthum), schließlich für alle Wörter im Anlaut (Thal > Tal, Thüre > Türe). Selbst Kaiser Wilhelm soll dem entschwundenen Anfangs-h eine heiße Thräne nachgeweint haben, wähnend, der Verlust des h mindere die Thatkraft seiner Unterthanen. Verbliebenes th ist seitdem ein sicheres Kennzeichen für griechische Herkunft eines Wortes (Therapie, Thunfisch, Mythos).

5.   Suffix-ß wird durch s ersetzt (Hinderniß > Hindernis). (zurück)

2. Fremdwörter

Die Rechtschreibexperten des 19. Jh. waren bestrebt, Fremdwörter soweit wie möglich einzudeutschen, d.h., nach ihrer Lautung zu schreiben und dafür verläßliche Regeln aufzustellen. Bei manchen Fremdwörtern wurde der Eindeutschungsprozeß nach 1901 fortgesetzt, z.B. Kompagnie > Kompanie.

2.1 Französische Fremdwörter

a)   Die Infinitivendung –iren wird zu –ieren: vibr-ieren, zirkul-ieren.

b)   Wörter, deren Aussprache keine Entsprechung im Deutschen hat bzw. mit der französischen übereinstimmt, bleiben unverändert: Journal, Jalousie, Chef, Souper, Tour.

c)   Wörter, deren Form und Aussprache sich dem Deutschen angepaßt haben bzw. keine Schwierigkeiten bereiten, werden in deutsche Orthographie umgewandelt: Chicane > Schikane, Depeche > Depesche, Secretaire > Sekretär, Meubles > Möbel.

2.2 Lateinische Fremdwörter

a)   Lateinisches c vor a, o, u wird zu k (Kasus, Konsul, Kur), c vor e, i wird zu z (Zensus, Zirkus). Die Eindeutschung des c zu k und z beruhigt das Schriftbild und überläßt das c den Schreibkonventionen ch und sch.

b)   Die Schreibung ti [tsi] bleibt erhalten, wenn die Wortbetonung folgt (Nation, potentiell), sie wird zu z, wenn die Betonung davor liegt (Grazie, Ingredienzien).

c)   Doppel-c wird Doppel-k in Akkusativ, akkurat und in Fremdwörtern aus dem Italienischen und Französischen: Stukkateur, Sakko, Akkord.

2.3 Griechische Fremdwörter

a)   Die aspirierten Veschlußlaute J = th [t], j = ph [f] und c = ch [c,k] werden grundsätzlich übernommen.

b)   Wörter, die mit r beginnen, erhalten entsprechend dem Hauchzeichen (spiritus asper) über dem Buchstaben  ein zusätzliches h: Rheuma, Rhythmus.

c)   Das y wird generell übernommen (Hypothek, Phylogenese). (zurück)

IV.   Das ästhetische Ergebnis der orthographischen Festlegungen

Die deutsche Rechtschreibung ist ein nach vernünftigen Regeln konsequent durchgestaltetes System. Die Regeln haben dem deutschen Wortschatz einschließlich der Fremdwörter eine übersichtliche Schriftgestalt gesichert, die eine ausgewogene Konsonantenverteilung aufweist und das Auge durch Abwechslung erfreut: durch das v, durch den Reigen der 3+1 Diphthongpaare und das anheimelnde Dehnungs-h. In Texten aneinandergereiht, gleichen die Wörter einer Armada von großen und kleinen, langen und kurzen Schiffen, die in geordneter Formation einhersegeln. Darunter sind, klar erkennbar, die Hilfstruppen der Fremdwörter, die wegen ihrer angepaßten Gestalt ohne Schwierigkeiten vermehrt werden können. Exotisch aussehende Fregatten runden die Vielfalt und Buntheit des Gesamtbildes ab.

Zu V.-VII.

 

Erstellt: August/September 2004

 

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