Aeneas und Dido
I. Aeneas' Herkunft
Nach Aeneis 3,167 war der
früheste Vorfahr des Aeneas ein Einwanderer aus Etrurien, Dardanos, ein Sohn des Zeus und der Elektra. Er gründete die Stadt
Dardania, die später im Krieg gegen die Griechen mit Troia verbündet war.
Aeneas' Vater Anchises war ein stattlicher junger Mann, in den sich Venus
verliebte und den sie in der Gestalt einer phrygischen Prinzessin aufsuchte.
Aeneas kehrt also nach dem Willen Iuppiters in das Land seiner Vorfahren
zurück.
Nach Aeneis 1,340-368 war Dido
die Schwester Pygmalions, des Herrschers der phönikischen Stadt Tyros. Dieser
tötete Didos Ehemann Sychäus, um sich dessen Reichtum anzueignen. Als er Dido
das Verbrechen verschwieg, erschien Sychäus Dido im Traum mit bleichem Gesicht
und blutiger Wunde. Er enthüllte ihr das Verbrechen, zeigte ihr, wo seine
Schätze versteckt waren und riet ihr zur Flucht. Es schlossen sich andere mit
Pygmalions Herrschaft Unzufriedene an und zusammen gelangten sie nach Libyen,
wo sie eine neue Heimat fanden. Das Hereinragen der Unterwelt in das Reich der
Lebenden wirft einen unheilvollen Schatten auf Didos Leben voraus. Nach Vergils
Vorstellung fühlt sich Dido aus Treue zu Sychäus zur Ehelosigkeit verpflichtet.
Dieser Gewissenskonflikt wird nicht aufgelöst und trägt zu Didos tragischem
Ende bei.
III. Göttliche
Intrigen
Vergil gestaltet die Aeneis
nach dem Vorbild der beiden homerischen Epen Ilias und Odyssee. In ihnen wird
das Handeln der Menschen von den olympischen Göttern gelenkt. Sie ergreifen –
in lockerer Unabhängikeit von einander – Partei für die eine oder andere Seite.
Athena beispielsweise unterstützt die Griechen, Apollo die Trojaner. Im Rat der
Götter gibt es über den weiteren Verlauf der menschlichen Geschicke bisweilen
Streit.
In der Aeneis steht zwar von
Anfang durch Schicksalsspruch (fatum bzw. fata) fest, daß Aeneas von Troja nach
Italien gelangen und dort eine neue Herrschaft begründen wird, aber Iuno,
Iuppiters Gattin, will dies mit allen Mitteln verhindern. Sie stiftet Aeolus,
den Gott der Winde an, einen Sturm zu entfesseln und Aeneas von Italiens Küste
fortzutreiben. Neptun, der Gott des Meeres, wird durch das Wüten der Winde
aufgeschreckt und weist Aeolus in seine Schranken. So gelangt Aeneas einerseits
fern von Italien, aber mit fast allen Gefährten an die libysche Küste, wo die
phönizische Emigrantin Dido die neue Stadt Karthago errichtet.
In diesem ersten Drittel der
Aeneis macht es sich Vergil zur Aufgabe, der späteren Rivalität und Feindschaft
zwischen Rom und Karthago eine plausible Begründung zu geben. Sie besteht in
Verwicklungen, die zu einem unglücklichen Ende Didos führen. Die göttliche
Ebene spielt dabei eine wesentliche Rolle. Da Iuno die Schutzgottheit der
Punier ist, hat Venus den Verdacht, Iuno könnte die Trojaner nach Karthago
gelenkt haben, um sie für immer von Italiens Küste fernzuhalten. Dabei hat ihr
Vater Iuppiter schon zuvor versichert, daß sich alle Schicksalsbestimmungen für
die Zukunft Roms erfüllen würden (1,257-295). Vielleicht gehört es zum
Charakter der Venus, Liebesintrigen zu spinnen. Obwohl Aeneas Didos ungetrübte
Gastfreundschaft genießt, bittet Venus ihren Sohn Amor, die Gestalt von Aeneas'
Sohn Ascanius (später Iulus genannt) anzunehmen und in Dido heftige
Liebesgefühle zu wecken. Das tut Amor auch gehörig, als Dido ihn entzückt auf
den Schoß nimmt.
Die genannten Ereignisse
werden im ersten Buch berichtet. In den beiden folgenden Büchern erzählt Aeneas
von der Zerstörung Trojas, seiner Flucht und seinen Abenteuern auf dem Meer.