Generalaudienz am 24. Mai
2006
Petrus (2)
Liebe Brüder und Schwestern!
Wir beginnen mit dem Ereignis der Brotvermehrung. Ihr wißt, daß
das Volk dem Herrn stundenlang zugehört hatte. Am Ende sagt Jesus: Sie sind
müde, sie haben Hunger, wir müssen diesen Menschen zu essen geben. Die Apostel
fragen: Aber wie? Und Andreas, der Bruder des Petrus, lenkt die Aufmerksamkeit
Jesu auf einen Jungen, der fünf Brote und zwei Fische bei sich hat. Doch was
ist das für so viele Menschen, fragen sich die Apostel. Doch der Herr läßt die
Menschen sich setzen und diese fünf Brote und zwei Fische verteilen. Und alle
werden satt. Ja, der Herr beauftragt sogar die Apostel, unter ihnen auch
Petrus, die reichlichen Reste einzusammeln: zwölf Körbe voll Brot (vgl. Joh
6,12–13). Daraufhin wollen die Menschen, als sie dieses Wunder sehen – das die
so sehr erwartete Erneuerung eines neuen »Manna«, Geschenk des Brotes vom
Himmel, zu sein scheint –, Jesus zu ihrem König machen. Aber Jesus nimmt das
nicht an und zieht sich auf den Berg zurück, um ganz allein zu beten. Am
nächsten Tag, am anderen Ufer des Sees, in der Synagoge von Kafarnaum, legte
Jesus das Wunder aus – nicht im Sinne einer Königsherrschaft über Israel mit
Macht von dieser Welt in der Art, wie die Menge sie erhoffte, sondern im Sinne
der Gabe seiner selbst: »Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich
gebe es hin) für das Leben der Welt« (Joh 6,51). Jesus kündigt das Kreuz an und
mit dem Kreuz die wahre Brotvermehrung, das eucharistische Brot – seine
vollkommen neue Weise, König zu sein, eine Weise, die in völligem Gegensatz zu
den Erwartungen der Menschen steht.
Wir können verstehen, daß diese Worte des Meisters – der nicht
jeden Tag eine Brotvermehrung vollbringen will, der Israel keine Macht von
dieser Welt anbieten will – den Menschen wirklich Schwierigkeiten bereiteten,
ja daß sie für sie sogar unannehmbar waren. »Er gibt sein Fleisch«: Was soll
das heißen? Und auch den Jüngern erscheint das, was Jesus in diesem Augenblick
sagt, unannehmbar zu sein. Es war und ist für unser Herz, für unsere
Mentalität, eine »unerträgliche« Rede, die den Glauben auf die Probe stellt
(vgl. Joh 6,60). Viele Jünger zogen sich zurück. Sie wollten jemanden, der
wirklich den Staat Israels, seines Volkes, erneuert, und nicht jemanden, der
sagt: »Ich gebe mein Fleisch.« Wir können uns vorstellen, daß die Worte Jesu
auch für Petrus, der sich in Cäsarea Philippi der Prophezeiung des Kreuzes
entgegengestellt hatte, schwierig waren. Und dennoch, als Jesus die Zwölf
fragte: »Wollt auch ihr weggehen?«, reagierte Petrus, vom Heiligen Geist
geleitet, mit dem Schwung seines großzügigen Herzens. Im Namen aller antwortete
er mit unvergänglichen Worten, die auch unsere Worte sind: »Herr, zu wem sollen
wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und
haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes« (vgl. Joh 6,66–69).
Hier gibt Petrus wie in Cäsarea mit seinen Worten dem
christologischen Glaubensbekenntnis der Kirche seinen Anfang und wird zum
Sprachrohr auch der anderen Apostel und von uns Gläubigen aller Zeiten. Das
will nicht heißen, daß er das Geheimnis Christi schon in seiner ganzen Tiefe
verstanden hätte. Sein Glaube war noch ein Glaube, der in den Anfängen stand,
ein Glaube auf dem Weg; zur wahren Fülle sollte er erst durch die Erfahrung des
Ostergeschehens gelangen. Aber trotzdem war es schon Glaube, ein für die
größere Wirklichkeit offener Glaube – offen vor allem deshalb, weil er kein
Glaube an etwas, sondern Glaube an jemanden war: an Ihn, Christus. So ist auch
unser Glaube immer ein Glaube, der in den Anfängen steht, und wir müssen noch
einen langen Weg zurücklegen. Aber es ist wesentlich, daß es ein offener Glaube
ist und daß wir uns von Jesus führen lassen, weil er den Weg nicht nur kennt,
sondern der Weg ist.
Seine ungestüme Großherzigkeit bewahrt Petrus freilich nicht vor
den Gefahren, die mit der menschlichen Schwäche verbunden sind. Das können wir
im übrigen auf der Grundlage unseres eigenen Lebens bestätigen. Petrus ist
Jesus mit Eifer gefolgt, er hat die Glaubensprüfung bestanden, indem er sich
ihm ganz hingab. Trotzdem kommt der Augenblick, in dem er der Angst nachgibt
und fällt: Er verrät den Meister (vgl. Mk 14,66–72). Die Schule des Glaubens
ist kein Triumphmarsch, sondern ein Weg, der mit Leiden und Liebe bedeckt ist,
mit Prüfungen und einer Treue, die jeden Tag erneuert werden muß. Petrus, der
vollkommene Treue versprochen hatte, kennt die Bitternis und die Demütigung der
Verleugnung: Der Übermütige lernt auf eigene Kosten die Demut. Auch Petrus muß
lernen, schwach zu sein und der Vergebung zu bedürfen. Als ihm endlich die
Maske abfällt und er die Wahrheit seines schwachen Herzens, das das Herz eines
gläubigen Sünders ist, begreift, bricht er in befreiende Tränen der Reue aus.
Nach diesen Tränen ist er bereit für seine Sendung.
An einem Frühlingsmorgen wird ihm diese Sendung vom auferstandenen
Jesus anvertraut werden. Die Begegnung wird sich am Ufer des Sees von Tiberias
zutragen. Es ist der Evangelist Johannes, der uns das Gespräch überliefert, das
bei dieser Gelegenheit zwischen Jesus und Petrus stattfindet. Hier tritt uns in
den Verben ein sehr bedeutsames Wortspiel entgegen. Im Griechischen drückt das
Verb »philéo« die freundschaftliche Liebe aus, die zwar zärtlich, aber nicht
allumfassend ist, während das Verb »agapáo« die vorbehaltlose, allumfassende
und bedingungslose Liebe bedeutet. Jesus fragt Petrus beim ersten Mal: »Simon…,
liebst du mich (agapâs-me)« mit dieser allumfassenden und bedingungslosen Liebe
(vgl. Joh 21,15)? Vor der Erfahrung des Verrates hätte der Apostel sicherlich
gesagt: »Ich liebe dich (agapô-se) bedingungslos«. Jetzt, da er die bittere
Traurigkeit der Untreue, das Drama der eigenen Schwäche kennengelernt hat, sagt
er voll Demut: »Herr, ich habe dich lieb (philô-se)«, das heißt: »Ich liebe
dich mit meiner armseligen menschlichen Liebe«. Christus fragt noch einmal:
»Simon, liebst du mich mit dieser allumfassenden Liebe, die ich will?« Und
Petrus wiederholt die Antwort seiner demütigen menschlichen Liebe: »Kyrie,
philô-se«, »Herr, ich habe dich lieb, so wie ich liebzuhaben vermag«. Beim
dritten Mal sagt Jesus zu Simon nur: »Phileîs-me?«, »Hast du mich lieb?«. Simon
versteht, daß Jesus seine armselige Liebe genügt, die einzige, zu der er fähig
ist, und trotzdem ist er traurig darüber, daß der Herr so zu ihm sprechen
mußte. Deshalb antwortet er ihm: »Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich
lieb habe (philô-se)«. Man möchte fast sagen, daß Jesus sich eher an Petrus
angepaßt hat als Petrus an Jesus! Gerade dieses göttliche Anpassen schenkt dem
Jünger, der das Leid der Untreue kennengelernt hat, Hoffnung. Daraus erwächst
das Vertrauen, das ihn zur Nachfolge bis ans Ende fähig macht: »Das sagte
Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Nach
diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!« (Joh 21,19).
Von jenem Tag an »folgte« Petrus dem Meister mit dem klaren
Bewußtsein der eigenen Schwäche; aber dieses Bewußtsein hat ihn nicht
entmutigt. Er wußte nämlich, daß er auf die Gegenwart des Auferstandenen an
seiner Seite zählen konnte. Vom naiven Enthusiasmus der anfänglichen Zustimmung
über die schmerzhafte Erfahrung der Verleugnung und die Tränen der Bekehrung
ist Petrus dahin gelangt, sich jenem Jesus anzuvertrauen, der sich seiner
armseligen Liebesfähigkeit angepaßt hat. Und so zeigt er auch uns den Weg,
ungeachtet all unserer Schwäche. Wir wissen, daß Jesus sich unserer Schwäche
anpaßt. Wir folgen ihm mit unserer armseligen Liebesfähigkeit und wissen, daß
Jesus gut ist und uns annimmt. Es war für Petrus ein langer Weg, der ihn zu
einem zuverlässigen Zeugen gemacht hat, zum »Felsen« der Kirche, weil er
ständig für das Wirken des Geistes Jesu offen war. Petrus selbst wird sich als
»Zeuge der Leiden Christi« bezeichnen, der »auch an der Herrlichkeit teilhaben
soll, die sich offenbaren wird« (1 Petr 5,1). Wenn er diese Worte schreiben
wird, wird er schon alt sein und auf das Ende seines Lebens zugehen, das er mit
dem Martyrium beschließen wird. Dann wird er in der Lage sein, die wahre Freude
zu beschreiben und zu zeigen, wo man sie schöpfen kann: Die Quelle ist
Christus, den wir mit unserem schwachen, aber aufrichtigen Glauben lieben und
an den wir glauben, trotz unserer Schwäche. Deshalb wird er an die Christen
seiner Gemeinde schreiben und sagt auch uns: »Ihn habt ihr nicht gesehen, und
dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht; aber ihr glaubt an ihn
und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da
ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil« (1 Petr 1,8–9).