Generalaudienz am 8. November 2006
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit dem Blick auf Paulus könnten wir die fundamentale Frage
folgendermaßen formulieren: Wie kommt es zur Begegnung eines Menschen mit Christus?
Und wie sieht die Beziehung aus, die sich daraus ergibt? Die Antwort, die
Paulus gibt, kann unter zwei Aspekten verstanden werden. Zunächst hilft Paulus
uns, die Bedeutung des Glaubens zu verstehen, der absolut grundlegend und
unersetzlich ist. Im Brief an die Römer schreibt er Folgendes: "Denn wir
sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig
von Werken des Gesetzes" (3, 28). Und auch im Brief an die Galater heißt
es: "Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des
Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch
wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch
den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des
Gesetzes wird niemand gerecht" (2, 16). "Gerecht werden"
bedeutet, von der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes angenommen zu werden sowie
in die Gemeinschaft mit Ihm einzugehen und daher eine authentischere Beziehung
zu allen unseren Brüdern herzustellen: und das auf der Grundlage einer
vollkommenen Vergebung unserer Sünden. Nun, Paulus sagt in aller Deutlichkeit,
dass dieser Zustand des Lebens nicht von unseren möglichen guten Werken
abhängt, sondern von der reinen Gnade Gottes: "Ohne es verdient zu haben,
werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus
Jesus" (Röm 3, 24).
Mit diesen Worten bringt der heilige Paulus den fundamentalen
Inhalt seiner Bekehrung zum Ausdruck, die neue Richtung seines Lebens, die sich
aus seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus ergibt. Paulus war vor
seiner Bekehrung kein Mann, der Gott und seinem Gesetz ferngestanden hätte. Im
Gegenteil, er war ein praktizierender Gläubiger, dessen Glaube bis zum
Fanatismus ging. Im Lichte seiner Begegnung mit Christus verstand er jedoch,
dass er damit versucht hatte, sich selbst zu schaffen, seine eigene
Gerechtigkeit, und dass er mit dieser ganzen Gerechtigkeit für sich selbst
gelebt hatte. Er verstand, dass eine neue Orientierung seines Lebens unbedingt
notwendig war. Und diese neue Orientierung kommt in seinen Worten häufig zum
Ausdruck: "Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im
Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben
hat" (Gal 20, 2).
Paulus lebt also nicht mehr für sich, für seine eigene
Gerechtigkeit. Er lebt aus Christus und mit Christus: indem er sich selbst
verschenkt und nicht mehr dadurch, dass er sich selbst sucht und erschafft. Das
ist die neue Gerechtigkeit, die neue Orientierung, die uns vom Herrn geschenkt
wird, die uns vom Glauben geschenkt wird. Vor dem Kreuz Christi, dem letzten
Ausdruck seiner Selbsthingabe, gibt es niemanden, der sich selbst rühmen kann,
die eigene Gerechtigkeit, die er aus sich, für sich geschaffen hat! An anderer
Stelle bringt Paulus diesen Gedanken, der an Jeremias erinnert, zum Ausdruck,
wenn er schreibt: "Wer sich also rühmen will, der rühme sich im
Herrn" (1 Kor 1, 31 = Jer 9, 22f.); oder "Ich aber will mich allein
des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt
gekreuzigt ist und ich der Welt" (Gal 6, 14).
Bei unseren Überlegungen, was Rechtfertigung nicht durch die
Werke, sondern durch den Glauben bedeutet, sind wir so beim zweiten Bestandteil
dessen angelangt, was die christliche Identität ausmacht, die vom heiligen
Paulus in seinem eigenen Leben beschrieben wird. Christliche Identität, die
eben aus zwei Elementen besteht: sich nicht aus sich selbst zu suchen, sondern
sich aus Christus zu empfangen und sich mit Christus zu verschenken und auf diese
Weise persönlich am Ereignis Christi selbst teilzuhaben, bis zu dem Punkt, sich
ganz in Ihn zu versenken und sowohl seinen Tod als auch sein Leben mit ihm zu
teilen. Das schreibt Paulus in seinem Brief an die Römer: "(Wir sind) auf
seinen Tod getauft worden.... wir wurden mit ihm begraben... wir (sind) ihm
gleich geworden... So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die
Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus" (Röm 6, 3.4.5.11).
Gerade die letzte Äußerung ist symptomatisch: für Paulus reicht die Aussage
nicht aus, dass die Christen Getaufte oder Gläubige sind: für ihn ist genauso
wichtig zu sagen, dass sie "in Christus Jesus" sind (vgl. auch Röm 8,
1.2.39; 12, 5; 16, 3.7.10; 1 Kor 1, 2.3, usw.).
An anderen Stellen kehrt er die Reihenfolge um und schreibt, dass
"Christus in uns/euch" (Röm 8, 10; 2 Kor 13, 5) oder "in
mir" ist (Gal 2, 20). Dieses gegenseitige Durchdringen von Christus und
dem Christen, eine Charakteristik der Lehre des Paulus, vervollständigt seinen
Diskurs über den Glauben. Obgleich der Glaube uns tief mit Christus vereint,
betont er den Unterschied zwischen Ihm und uns. Doch nach Paulus hat das Leben
des Christen auch eine Komponente, die wir als "mystisch" bezeichnen
könnten, insofern sie dazu führt, dass wir uns in Christus einfühlen und
Christus sich in uns einfühlt. In diesem Sinn kommt der Apostel sogar zu dem
Punkt zu sagen, dass "uns nämlich die Leiden Christ überreich zuteil
geworden sind" (2 Kor 1, 5) sowie "Wohin wir auch kommen, immer tragen
wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem
Leib sichtbar wird" (2 Kor 4, 10).
All das müssen wir in unser tägliches Leben eingehen lassen und so
dem Beispiel Paulus folgen, der immer mit dieser tiefen geistigen Prägung
gelebt hat. Einerseits muss uns der Glaube in einer beständigen Haltung der
Demut oder vielmehr der Anbetung und des Lobpreises gegenüber Gott bewahren.
Dass, was wir als Christen sind, verdanken wir tatsächlich nur Ihm und seiner
Gnade. Da nichts und niemand seinen Platz einnehmen kann, sollen wir also
nichts anderem und niemand anderem die Ehre erweisen, die wir ihm erweisen.
Kein Götze darf unser geistiges Universum verunreinigen, sonst würden wir statt
uns der erworbenen Freiheit zu erfreuen, in eine Form erniedrigender
Knechtschaft zurückfallen. Andererseits muss uns unsere radikale Zugehörigkeit
zu Christus und die Tatsache, dass wir "in ihm sind" mit vollkommenem
Vertrauen und unendlicher Freude erfüllen. Schließlich dürfen wir tatsächlich
mit dem heiligen Paulus ausrufen: "Ist Gott für uns, wer ist dann gegen
uns?" (Röm 8, 31). Und die Antwort lautet, dass nichts und niemand uns
"von der Liebe Gottes scheiden kann, die in Christus Jesus ist, unserem
Herrn" (vgl. Röm 8, 39). Unser christliches Leben stützt sich also auf den
stabilsten und sichersten Felsen, den man sich nur vorstellen kann. Von ihm
beziehen wir all unsere Kraft, wie der Apostel schreibt: "Alles vermag ich
durch ihn, der mir Kraft gibt" (Phil 4, 13).
Stellen wir uns also unserem Dasein, mit seinen Freuden und seinen
Schmerzen, unterstützt von diesen großen Empfindungen, die Paulus uns anbietet.
Wenn wir diese erfahren, werden wir verstehen können, wie wahr das ist, was der
Apostel selbst schreibt: "Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich
bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag
zu bewahren" (2 Tim 1, 12), das heißt bis zum entscheidenden Tag unserer
Begegnung mit dem höchsten Richter, der uns und die Welt errettet hat.
Die Pilger deutscher Sprache begrüßte der Papst mit den Worten:
Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Gäste, heute besonders
den Bund der historischen Schützenbruderschaften. Bezeugt einander durch gute
Taten die Liebe Gottes! Das Licht der göttlichen Wahrheit geleite euch alle
Tage durch euer Leben!