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Ein kritischer
Rückblick
Die folgenden Ausführungen sind Zusammenfügungen, die ich in einigen Kommentaren bei Gloria.TV unter dem Namen PENSATOR eingestellt hatte und hier übernehme und weiterbearbeite:
Die Märtyrin Philomena wurde als d i e Wundertäterin (gr. Thamaturga) des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Sie erscheint als eine Märchenheilige. Alles an ihrer Geschichte ist wie ein Gebilde der Phantasie, aber die zahllosen Wunder, die durch sie geschahen, stehen einer Leugnung ihrer historischen Existenz entgegen.
Das Wunderbare scheint Raum und Zeit zu übersteigen, weshalb wir Menschen geneigt sind, an Wunderbares ohne weitere Nachfrage zu glauben. In Wirklichkeit geschieht alles Heilige und Wunderbare in dieser Welt in den Grenzen von Raum und Zeit. Was mit rationalem Denken nicht begründet werden kann, muß als rätselhaft bezeichnet werden, kann aber nicht von vorneherein als unmöglich abgelehnt werden. Es müssen also Fakten gesammelt werden, um dem Wunderbaren einen glaubhafteren Rahmen zu geben:
24. Mai 1802: Ein Marmorsarkophag mit den sterblichen Überresten
eines Mädchens im Alter von etwa 13 Jahren wird entdeckt. Drei
Terrakottaplatten tragen die Inschrift
LUMENA PAXTE CUM FI beschriftet. Hintanfügung der ersten Platte erbringt die
richtige Lesung: PAX TECUM FILUMENA. – Friede sei mit dir, FILUMENA. Die falsche Plazierung der ersten Platte kann
beabsichtigt oder nicht beabsichtigt gewesen sein:
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Der Inschrift hinzugefügt
sind 4+2 symbolische Zeichen: zwei Pfeile, eine Lanze, eine Lilie, zwei ähnlich
sehende liegende Figuren, entweder zwei Anker oder ein Anker und eine Geißel.
Nach archäologischer Einschätzung sind die Platten um 160 entstanden. Die
zeitliche Differenz zur Herrschaft des Kaisers DIOKLETIAN (284-305) ist einer
der Streitpunkte der archäologischen Wissenschaft.
Außerdem befand sich,
eingebettet in Mauerwerk, neben dem Schädel der Toten ein angebrochenes
gläsernes Gefäß mit eingetrocknetem Blut. Das erste Wunder geschah bei der
Umfüllung in ein Kristallgefäß, als die Bestandteile der dunklen Substanz in
den verschiedensten Edelsteinfarben aufleuchteten. Dieses Wunder wiederholte
sich in der Folge viele Male.
Die Umstände der Auffindung der Reliquien und ihre weitere Geschichte ist ausführlich und sachlich dargelegt in "St. Philomena: Powerful with God" von Schwester Maria Helene Mohr; das Buch ist auch im Kindle Format erhältlich.
Der Name FILUMENA ist latinisiert aus dem
griechischen Namen PHILOUMENE. Es handelt sich um ein Partizip Präsens Passiv in der
Bedeutung "Geliebte". PHILUMENA kommt in zwei Komödien des Terenz vor, in "Andria" und "Hecyra". O statt U tritt singulär in einer
Inschrift PHILOMENA
SATRIA auf, aus
der lateinischen Literatur ist die Namensform PHILOMENA nicht überliefert.
Als männlicher Name ist
ein PHILOMENOS überliefert, der um 273
in Ankyra das Martyrium erlitt. Der Wortteil MENOS bedeutet als gleichlautendes Substantiv u.a. "Verlangen,
Mut, Tapferkeit, Kraft". PHILOMENE als weibliche Form bedeutet also "die Tapferkeit
Liebende". Die Umbenennung von FILUMENA in FILOMENA bzw. PHILOMENA geschah also unreflektiert – wahrscheinlich sowohl wegen der
Bekanntheit des Wortbestandteils PHILO- als auch wegen des besseren Klanges der O-Variante.
Die Änderung von U zu O ist auch einer Inkonsequenz des ersten Verfassers, Don Francesco di Lucia, zuzuschreiben. Obwohl 1833 durch das Selbstzeugnis der Märtyrin an die Nonne Maria Luisa di Gesù (s.u.) die Entstehung des Namens klar wurde, als FILIA LUMINIS – Tochter des Lichts, verwendete Don Francesco weiterhin die O-Variante.
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B
Die Reliquien der Märtyrin Filumena wurden nach ihrer Entdeckung in einen Raum gebracht, wo Katakombenfunde aufbewahrt wurden. Interessenten im Bischofsrang konnten sich um die Überlassung von Reliquien bewerben. FILUMENA mußte drei Jahre warten, bis sie ihren Verehrer fand. Es war der Priester Francesco di/de Lucia (1772-1847) aus Mugnano del Cardinale in der Diözese Nola östlich von Neapel. In Mugnano geboren, lehrte er nach erfolgreichem Studium Philosophie und eröffnete nach seiner Priesterweihe 1796 eine Schule für Literatur und Philosophie. Er kehrte jedoch aus mehreren Gründen nach Mugnano zurück und widmete sich der Seelsorge. Durch Predigtreisen in Neapel und Umgebung erwarb er sich allgemeines Ansehen und gewann die Freundschaft des 20 Jahre älteren Bartolomeo de/di Cesare (1752-1819). Als dieser zum Bischof von Potenza ernannt wurde und in Rom geweiht werden sollte, nahm er Don Francesco dorthin mit. In diesem erwachte das Verlangen, zur Unterstützung seiner seelsorglichen Bemühungen Reliquien aus Rom in seinen Heimatort zurückzubringen. Durch die Vermittlung de Cesares gelang dies auch.
Filumena gelangte so zuerst nach Neapel, wo sie eine Liegefigur (s.o.) erhielt, und von dort nach Mugnano. Da der jugendlichen Märtyrin die Liegefigur zu alt vorkam, nahm sie selbst eine Verjüngung vor. Änderungen machte sie auch später das eine oder andere Mal.
Der literarisch erfahrene Francesco di Lucia veröffentlichte erstmals den Bericht der Reliquienüberführung 1824 unter dem Titel:
RELAZIONE ISTORICA DELLA TRASLAZIONE
DEL CORPO DI S. FILOMENA
VERGINE E MARTIRE
DA ROMA A MUGNANO DEL CARDINALE
Es folgten weitere Auflagen 1826, 1829, 1831, 1833 und 1834. Diese 5 Auflagen sind durch Google eingescannt und sind einsehbar. Zwei weitere Veröffentlichungen erfolgten 1837 und 1843, die im Internet nicht verfügbar sind.
Über Francesco di Lucia
gibt es eine Kurzbiographie im Internet.
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C
Als 1826 Don Francescos zweite Auflage erschien, hatte sich der Ruf der wundertätigen Märtyrin schon weit in der Umgebung von Mugnano und darüber hinaus verbreitet. Vor vielen großen und kleinen Statuen und Bildnissen flehten Beter um ihre Fürsprache. Und noch immer wußte man nichts Näheres über die Katakombenheilige. Don Francesco stellte viele Überlegungen über die Inschrift und die Symbole auf den drei Grabplatten an. Allerdings hatte er zunächst keine direkte Ansichtsmöglichkeit, so dass er auf Kopien angewiesen war, die Ungenauigkeiten enthielten.
Nicht vorhersehbar war, dass die neue Wundertäterin ihre Geschichte selbst verkünden wollte. Ihre Auskünfte ergingen an drei Personen, einen Priester, einen ledigen 30-jährigen Künstler und eine Nonne aus Neapel. Die erste Botschaft ist die heiterste, die zweite die kürzeste und die dritte die ausführlichste, wie aus den Auflagen von 1829, 1831 und 1833 hervorgeht. Wie noch zu sehen sein wird, vermeidet Francesco di Lucia jede präzise Angabe zu Zeitpunkt der Botschaften und Namen der Personen.
Biographien
des 20. Jahrhunderts über die heilige Filumena schöpfen ihre Informationen
hauptsächlich aus einer englischen anonymen Veröffentlichung des Jahres 1863, die
eine Übersetzung einer französischen Ausgabe von 1835 darstellt. Der Autor
dieser Veröffentlichung zeichnet mit den Initialen J.F.B, Gesellschaft Jesu, verhält sich also auch
halb anonym. Sein Name ist Joseph Francois Barelle. Er trifft eine Auswahl aus zwei ausführlicheren
italienischen Quellen, die er jedoch nicht nennt. Eine davon kann nur die
"RELAZIONE" des Don Francesco sein. Die Folge der Kürzungen ist z.B.,
dass er auch vom Selbstzeugnis Filumenas das eine oder andere wegläßt oder
ungenau übersetzt.
Eine
kürzere deutschsprachige Ausgabe von
1843 – unter dem Pseudonym Th(eophilus) Nelk (= Aloys Adalbert Waibel) geht ebenfalls auf die französische Vorlage zurück. Eine
weitere Veröffentlichung des Jahre 1849 des Priesters JOHANN ALOYS DREML
von Königgrätz hingegen bezieht sich
ausdrücklich auf eine Ausgabe Don Lucias des Jahres 1843, die im Internet
leider nicht verfügbar ist. In Dremls Buch kann man ohne Vergleich mit dem Original nicht
leicht unterscheiden, was Auffassung di
Lucias und was seine eigene Auffassung ist.
Die Autoren
der vier genannten Veröffentlichungen verwendeten jeweils eine einzelne Auflage
der "RELAZIONE", aus der sie die
zeitlichen Abstände der drei Auskünfte nicht entnehmen konnten, da di Lucia keine Angaben darüber
machte. Bereits die französische Ausgabe setzte die Vision des Künstlers an den
Anfang, obwohl sie in der "RELAZIONE" von 1834 richtigerweise an zweiter Stelle stand.
Auch die Ausgabe von Aloys DREML hat diese Reihenfolge.
Nun hatte Don Francesco
schon soviel Wunderbares erlebt, dass die drei Auskünfte Filumenas eher
unauffällig in die drei Auflagen eingefügt wurden. Das lag wohl zum Teil daran,
dass der Autor bereits vieles selbst erschlossen hatte: Er hegte keinen
Zweifel, dass Filumena ihr Martyrium unter Kaiser Diokletian erlitten hatte,
dass es aus mehreren Torturen bestand, von denen sie mehrmals wunderbar geheilt
wurde, bis sie schließlich enthauptet wurde. Als Musterbeispiel für ihr
Martyrium galt Don Francesco die Leidensgeschichte des hl. Sebastian.
Hinsichtlich ihres Namens betrachtete er LUMENA als eigenständige Namensform. Die entsprechenden Darlegungen
finden sich in der Auflage von 1826 etwa zwischen den Seiten 37-53. Sie werden
in den folgenden vier Auflagen nahezu unverändert übernommen, d.h. die
Selbstzeugnisse Filumenas werden nicht eingearbeitet.
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D
Ihr erstes Selbstzeugnis
teilte die heilige Filumena einem Priester mit. Der italienische Text steht in der Auflage von 1829 auf S. 64. Ich übersetze, so gut es mir gelingt:
Es gibt einen sehr eifrigen Priester, Prediger, Beichtvater und
Domherr, der die Heilige sehr vertrauensvoll verehrt, der von ihr klare
Gnadenerweise erhält und sich deshalb sehr für ihre Verehrung einsetzt. Ich
nenne nicht seinen Namen, denn ich bin sicher, ich würde seine Demut verletzen.
Aber der fromme Leser möge wissen, dass ich das, was ich sagen werde, in seinen
Briefen schriftlich erhielt, dass seine Freunde aus seinem eigenen Mund die
Erzählung vernahmen und er dasselbe auch in unserer Kirche gesagt hat, als er
der Heiligen seinen gewohnten Besuch abstattete. Er hatte ein sehr schönes
Gemälde in seiner sehr besuchten Heimatkirche angebracht, wo große Wunder
geschehen, die öffentlich dokumentiert sind.
Eines Tages, als besagter Priester zufällig einen Spaziergang
auf dem Land machte, begegnete ihm eine unbekannte Frau, die einen gebildeten
Eindruck machte. Diese fragte: "Stimmt es, dass ihr in einer eurer Kirchen ein
Gemälde der heiligen Filumena angebracht habt?"
"Ja", antwortete der Priester; die Unbekannte fuhr fort: "Was wißt ihr über
diese Heilige?"
Sagte der Priester: "Nur soviel, wie man mit Mühe aus einer
Deckplatte auf dem Grab entnehmen kann"; und er erklärte kurz das Wesentliche der
Grabinschrift.
Sprach die Unbekannte: "Und nicht mehr?"
"Und nicht mehr", antwortete der Priester.
"Oh soviel und noch viel mehr gibt es über diese
Heilige", fuhr sie fort, "und wenn die Welt es erfährt, wird sie voll
Verwunderung sein." Und sie fügte hinzu: "Wißt ihr den Grund ihrer Verfolgung und ihres
Martyriums?"
"Nein", antwortete der Priester.
"Es war die Weigerung", sprach die Unbekannte, "den Kaiser zu
heiraten, der sie leidenschaftlich als seine Gemahlin begehrte. Sie weigerte
sich, weil sie ihre Jungfräulichkeit bewahren wollte, die sie Jesus Christus
geschenkt hatte".
Voll brennender Neugier auf diese Worte hin sprach der Priester:
"Gewährt
mir die Gunst und sagt mir, wißt ihr das alles sicher? Sagt mir, wo ihr das
Buch gelesen habt? Wir suchen die ganze Zeit Hinweise auf diese Heilige, daher
nennt mir das Buch, das ihr gelesen habt, wenn ihr es sicher wißt." Hier endete der Priester.
Und die Unbekannte fuhr mit feierlichem Ernst fort: "Mich fragst du, ob
ich es sicher weiß? Mich? In welchem Buch ich es gelesen habe? Ich weiß es nur
zu gut, ich weiß es sicher, ich weiß es, ich weiß es". Und mit diesen Worten
entschwand sie.
Die erreignisreiche
Begegnung wird 1827 oder 1828 stattgefunden haben, auch 1826 und 1829 sind
möglich. Es fällt auf, dass die Unbekannte den Namen des Kaisers nicht nannte,
vermutlich, weil für Don Francesco Diokletian bereits feststand. Wenn der
Priester öfter Mugnano besuchte, kannten sich die beiden Priester, und der
Kanoniker wird eine der beiden Veröffentlichungen Don Francescos selbst gelesen
haben.
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E
Das Zeugnis des
30-jährigen Künstlers, das erstmals 1831, S. 63 veröffentlicht wurde, hat wenig Informationswert, da
es di Lucia hinsichtlich der
Glaubwürdigkeit des (unverheirateten) jungen Mannes mehr um
Frömmigkeitskriterien als um Sachbezogenheit geht. Dementsprechend besteht der
knappe Bericht in dem Bereich, in dem man Einzelheiten erwarten würde, aus
zusammenfassender Abstraktheit, die folgendermaßen einsetzt:
Questo divotissimo della S.M.
meritò nella sua simplicità vedere tutto il corso di martirii siccome sono simboleggiati nella lapida a lui ignota
affatto.
Dieser sehr eifrige
Verehrer der heiligen Maria verdiente es in seiner Einfalt, den ganzen Verlauf der
Martyrien zu sehen, so wie sie auf den ihm ganz unbekannten Deckplatten
symbolisch dargestellt sind.
Der zweite Teil des
nächsten Satzes erschien dem französischen und den deutschen Übersetzern so eigenartig, dass sie ihn unberücksichtigt ließen:
… ed in
ogni condanna sperava la di Lei condiscendenza per l'atrocità della pena, a cui
credeva dover cedere avvilita la leggiadra ed amata
Donzella, come la vedeva il detto
giovine.
… und bei jeder neuen
Marter hoffte er auf ihre Fügsamkeit aufgrund der Grausamkeit der Bestrafung,
der, wie er glaubte, das anmutige und geliebte Mädchen, wie der genannte junge Mann
sie sah, demütig
nachgeben müsse.
Hier ergreift di Lucia die Gelegenheit, sich
selbst und den Leser mit der Vorstellung zu erfreuen, welch reizendes Geschöpf Filumena war, indem er
eine diesbezügliche Äußerung des jungen Mannes als einen willkommenen Anlaß
dafür sieht. Gleichzeitig versetzt er sich in das Vorgehen und die Einstellung
Diokletians: Filumena sei wegen ihrer Schönheit
hochmütig, weswegen sie gedemütigt
werden müsse. Und er gesteht ihm zu, dass sie von ihm geliebt wird, während er doch in unstatthafter Leidenschaft zu
ihr entbrannt ist. Oder sollte amata über den engen Bezug zu Diokletian hinaus
eingeflochten sein: Filumena geliebt von den Eltern, dem jungen Mann und
besonders von Don Francesco selbst?
Die ganze Textpassage
erweckt den Eindruck, Francesco di Lucia wache eifersüchtig über den von ihm
eingeführten Heiligenkult und lasse keine Abstriche von seiner Deutungshoheit
zu. Diese subjektiven Züge sind nicht unwichtig in dem bedauerlichen Geschick
der so inständig verehrten Heiligen, die 1961 aus dem Heiligenkalender
gestrichen wurde.
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Ihre Ankündigung an den
Priester "Wenn die Welt meine Geschichte weiß, wird sie voller
Verwunderung sein", löste Filumena etwa vier Jahre später ein. Ihr
ausführliches Selbstzeugnis wurde der Nonne und
Priorin Maria
Luisa di Gesù des Klosters Ritiro dell’Addolorata all’Olivella in Neapel enthüllt. Auch
ihre Person gibt Don Francesco in seiner RELAZIONE 1833 nicht preis. Wie ihr Name bekannt wurde, konnte
ich nicht ermitteln. Eine italienische Kurzbiographie dieser Nonne ist im Internet
verfügbar.
Die Leidensgeschichte ist in der Ich-Form
wiedergegeben. Der Text düfte in drei Stufen entstanden sein:
1. Maria Luisa vernahm
bei geschlossenen Augen die Worte Filumenas.
2. Sie schrieb aus dem Gedächtnis
nieder, was sie von Filumena gehört hatte und teilte es Don Francesco
schriftlich (scritte notizie) mit.
3. Don Francesco kürzte
die Darstellung Luisas, wie aus der Einleitung hervorgeht:
"La santa … le disse
tante, e tante cose, ed io ne scelgo le seguenti per brevità" (Die Heilige
sagte ihr so viele, viele Dinge, wovon ich die folgenden aus Gründen der Kürze
auswähle.)
Die drei Zeugnisse über
die Passion Filumenas betrachtet Francesco di Lucia als starke Beweise für ihre
Glaubwürdigkeit. Er versichert, die drei Personen seien unter einander nicht
bekannt gewesen und "sono in paesi distanti tra loro" – leben in entfernten Gebieten
voneinander.
Spätere Übersetzungen machten aus "paesi" Länder. Der Priester etwa, dem Filumena als junge Frau erschien,
könnte keinen "regelmäßige Besuch" (visita solita) in Mugnano machen,
wenn er weit entfernt wohnen würde. Auch könnte Maria Luisa di Gesù die Auflage
von 1829 gekannt haben, in der das erste Selbstzeugnis der Heiligen an den
Domherrn veröffentlicht wurde. Da dieser Kanoniker allen seinen Bekannten seine
Geschichte erzählte, dürfte diese die Runde gemacht und auch die Priorin
erreicht haben.
Was nun die Erzählung
Filumenas selbst angeht, so stellen sich zwei oder drei wesentliche Probleme.
Das erste Problem betrifft ihre
Namenserklärung:
"Bei meiner Geburt
gaben sie (die Eltern) mir den Namen LUMENA, in Anspielung auf das Licht (LUMEN) des Glaubens, wovon ich gleichsam die Frucht war; und
am Tag meiner Taufe nannten sie mich FILUMENA, oder Tochter des Lichts (FILIA LUMINIS), das in meiner Seele durch die (göttliche) Gnade wohnte,
die ich gleich bei der Taufe erhalten hatte."
Als die heilige Jungfrau
Maria mit ihrem Kind Filumena im Kerker erschien, verwendete sie ebenfalls den
Namen LUMENA in Anspielung auf die
Bedeutung von LUMEN
= Licht.
Wenn wir diese Erklärung
nicht für unmöglich halten, müssen wir in den Eltern eine römerfreundliche
Haltung annehmen. Geplant war sicherlich im vorhinein der griechische Name PHILOUMENE – Geliebte. Wenn zwischen Geburt und
Taufe kein großer zeitlicher Abstand war, konnten die Eltern den spielerischen
Namenswechsel ohne Risiko eingehen.
Man darf auch nicht
übersehen, dass die Eltern ihre Bekehrung zum Christentum einem römischen Arzt
verdanken, dessen Person ausdrücklich durch seinen Namen PUBLIUS hervorgehoben wird. Die
lateinische Namensform kann daher als ein Zeichen des Dankes angesehen werden.
Wenn die Eltern zuvor noch Heiden waren, war von griechischer Seite das
Christentum offensichtlich noch wenig bis in ihr Herrschaftsgebiet
vorgedrungen.
Das zweite Problem betrifft die
Werbung des Kaisers DIOKLETIAN (245-311) um die Hand
Filumenas. Seine Ehefrau hieß Prisca, seine Tochter Valeria. Filumena hätte seiner Werbung entgegenhalten können, dass er bereits
verheiratet sei. In der Darstellung ihres Selbstzeugnisses fehlt jedoch ein
entsprechender Hinweis. Hätte sich Diokletian wegen einer 13-jährigen scheiden
lassen? Hier stehen wir vor einem entscheidenden historischen Problem.
Verbunden mit diesem zweiten
Problem ist, dass sich Diokletian fast ausschließlich im Osten des Reiches
aufhielt und ROM eher mied. Da Filumena
betonte, an einem Freitag, den 10. August gestorben zu sein, kommen nur die
Jahre 288 und 294 in Frage. Es müßte also
ermittelt werden, ob Diokletian zu einem dieser Zeitpunkte in Rom war. Als
Todesjahr des heiligen Sebastian wird häufig 288 angegeben. Er war im Jahr oder zwei Jahre zuvor zum Tod durch
Pfeilschüsse verurteilt worden, genas aber von seinen Wunden durch die Pflege
einer Frau namens Irene. Nach seiner Genesung trat er Diokletian wieder
entgegen und wurde bei seinem zweiten Martyrium mit Knüppeln erschlagen.
Für das Martyrium
Filumenas gibt es also viele Unbekannte. Es bleiben die Symbole auf dem
Sarkophag und das eingetrocknete Blut als unzweifelhafte Zeugnisse ihres
Martyriums.
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F
Die von Francesco di
Lucia nach schriftlichen Aufzeichnungen der Priorin Maria Luisa di Gesù aus
Neapel verfaßte Darstellung ist von einer hohen inneren Stimmigkeit,
Überfüssiges wird vermieden. Die Erzählweise ist spontan, wie sie von einem
13-jährigen Mädchen vorstellbar ist. Der originale Wortlaut der Heiligen wurde
also von der Nonne und dem Priester gut getroffen. Was ist wohl vom Original
auf der Strecke geblieben? Man muß den Bericht öfter lesen, und zwar Satz für
Satz, um seine zu Herzen gehenden Aussagen erspüren zu können.
In Übereinstimmung mit anderen
Passionslegenden wird Filumena im Kerker von ihren Wunden geheilt, jedoch nicht
einmal, sondern zweimal, einmal nach der Geißelung und einmal nach
Pfeilbeschuß. Wie andere Machthaber läßt sich Diokletian durch diese Wunder
nicht bekehren, sondern schreibt es einmal dem Wirken Jupiters zu, und einmal
Filumenas Zauberkunst. Eine Parallele zur Versenkung durch einen Anker und zur
Pfeilbeschießung enthält die Leidensgeschichte der Ärzte und Märtyrer Kosmas und Damian.
Ungewöhnlich für die Zeit
des dritten Jahrhunderts erscheint der Besuch der Gottesmutter Maria mit ihrem
Kind im Kerker, ebenso Filumenas Verehrung für sie als "reinste
Mutter".
Obwohl es legendarische
Märtyrinnen gibt, die sich ihrem Bräutigam Jesus Christus weihten, wie z.B. die
heilige Agatha und heilige Agnes, ist es alles andere als selbstverständlich,
dass dies auch Filumena tat und zwar bereits im Alter von 11 Jahren. Dieses Ideal
mußte ihr zuvor vermittelt worden sein. Wie kam sie wohl zu diesem Gelöbnis?
Hielt sie es vor ihren Eltern verborgen? Der Einwand des Vaters, Filumena sei
im Alter von 11 Jahren noch zu jung gewesen, erscheint nicht unberechtigt.
Stets unter der
Voraussetzung, dass die Angaben von Filumenas Selbstzeugnis der historischen
Wirklichkeit entsprechen, berührt ihr Jungfräulichkeitsgelübde einen Kern
römischer Staatsordnung. Denn die Stabilität der römischen Herrschaft stützte
sich auf religiöse Einrichtungen, unter denen der VESTA-Kult besonders herausragt.
Die diesen Kult ausübenden Vestalinnen opferten ihre Jungfräulichkeit für das
Wohlergehen des Staates. Oberster Herr des Vesta-Kultes war der PONTIFEX MAXIMUS, dessen Amt seit
Augustus der Kaiser ausübte. Indem
Diokletian das Jungfräulichkeitsgelübde Filumenas mißachtete, verstieß er gegen
eine zentrale religiöse Institution des Staates. Er ordnete durch ihre
Geißelung genau die Strafe an, die über eine Vestalin bei Übertretung des
Keuschheitsgebotes verhängt wurde. Somit handelte Diokletian gravierend gegen
das eigene Staatswohl.
Der weitestgehende
Verzicht auf konkrete Namen, Orte und Umstände deutet an, dass vier
individuelle Angaben einen inneren Zusammenhang bilden: die Namen PUBLIUS, FILUMENA,
DIOKLETIAN
und der Ort ROM. Eine weitere sehr ungewöhnliche
konkrete Angabe ist die Zahl 37. Filumena sagt, am 37. Tag ihrer Kerkerhaft sei ihr die Muttergottes mit ihrem
göttlichen Kind im Arm erschienen und habe ihr angekündigt, dass sie noch 3 Tage gefangen gehalten
werde.
Welche Bewandtnis es mit den drei Einzelziffern hat, betrifft
einen geheimnisvollen Wissensbereich, mit dem ich mich seit mehr als 30 Jahren
beschäftige und den ich mit zahlreichen Beiträgen ins Internet gestellt
habe.
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Das Zentrum des römischen
VESTA-Kultes befand sich auf dem
Forum Romanum. Der Rundtempel der Vesta wurde durch 20 Säulen gestützt, denen
jeweils 10 Punkte zweier Tetraktys entsprechen. Verbunden mit
dem Vesta-Kult war ein Buchstaben-Zahlensystem, das als GEMATRIE bezeichnet wird. Jeder
Buchstabe hatte den Zahlenwert seiner Stellung im Alphabet von 21 Buchstaben.
Die
Tetraktys ist die Erweiterung eines Hexagons aus 7 Punkten zu 10 Punkten. Es kommen also zu 7 Punkten 3
Punkte hinzu. Dasselbe gilt für die zweite Tetraktys. Zählt man von außen nach
innen, ergibt sich so die Zählung (3+7)+3. Außer den Punkten sind auch die Verbindungslinien und die
Dreiecksflächen zu zählen. Für die Tetraktys bedeutet dies 10 Punkte + 18 Verbindungslinien und 9 Dreiecksflächen,
zusammen 37 Elemente. Um die inneren
und äußeren Punkte des so entstandenen Hexagramms lassen sich zwei
konzentrische Kreise ziehen, deren Flächenverhältnis
1:3 beträgt und somit den einen Gott in drei Personen repräsentieren
ebenso wie die Einzelziffern der 13 Punkte des Hexagramms.
Jeweils 6 äußere und 6 innere Kreislinienpunkte
können mit je einem Mittelpunkt in zweistelliger Zusammensetzung als 61 gelesen werden. Den
gematrischen Wert 61
haben die Wörter FOCUS – Herd und LUMEN – Licht.
FILUMENA ist das christliche
Pendant zur heidnischen Vestalin. Ihr Geburtsname LUMENA, wie sie angibt, hat
diesen Bezug zur Ehelosigkeit einer Vestalin.
In ihrer
Botschaft an Maria
Luisa di Gesù
gibt Filumena zweimal den Freitag als ihren Todestag an und einmal das Datum
10. August. Ich konnte nicht feststellen, dass bisher jemand die in Frage
kommenden Jahre eines Freitags, 10. August während der Herrschaft Diokletians
berechnet hätte. Es kommen die Jahre 288 und 294 in Frage. Als Todesjahr heiligen SEBASTIAN findet man häufig 288 angegeben. Da dieser auch als Bestrafung mit Pfeilen beschossen
wurde, läge es nahe, auch das Martyrium der heiligen FILUMENA für das Jahr 288 zu vermuten.
Nun gehört
zum Dezimalsystem nicht nur die Addition von Zahlen an sich, sondern parallel
dazu die Addition ihrer Primzahlfaktoren. So erhält man zwei
Werte, etwa aus der Zahl 6
und den Faktoren 2*3
= 2+3, zusammen 6+5 = 11.
Wenn nun nach
den Angaben Filumenas das Datum eine so große Rolle spielt, liegt es nahe, die
Zahl der Tage zwischen ihrem Tod und der Auffindung ihres Katakombengrabes
herauszufinden. Entscheidend sind die Faktoren des Ergebnisses. Und
diesbezüglich gibt es ein überzeugendes Ergebnis nur für das Jahr 294: Die Zahl der Tage ist 550708 = 2*2*37* 61* 61 = 163. Man erkennt aus den
Faktoren 37 Elemente der Tetraktys
und – in zweistelliger Zusammensetzung – zweimal 6+1 Punkte des äußeren und inneren Kreises des Tetraktyssterns. Die
Primzahl 163 gibt in ihren
Einzelziffern den Mittelpunkt, 6
hexagonale Kreislinienpunkte und 3
Eckpunkte der Tetraktys wieder. Der Faktor 37 findet sich auch in der
Addition 550+708
= 1258 = 2*17*37 > 56.
Gematrische
Berechnungen von Wörtern beziehen auch die Faktorenwerte mit ein: Die Zahl 294 ist die Summe des Namens
IESUS
CHRISTUS:
70+36 = 106; 112+76 = 188; 106+188 = 294.
DIOKLETIAN, geboren 245, war 294 also 49 Jahre alt. Wie ist es
denkbar, dass er eine Dreizehnjährige heiraten wollte? Man muß annehmen, dass FILUMENA von außergewöhnlicher
Schönheit und Anziehungskraft war. Die Eltern waren von hohem Stand. Diokletian
sah eine Möglichkeit, einen neuen Beziehungsanfang zu machen. Sicherlich war
sein Heiratswunsch spontan und unüberlegt. Hätte Filumena zugesagt, was hätte
er dann mit seiner Frau Prisca getan? Das Problem scheint unlösbar! Nehmen wir das Martyrium
Filumenas so an, wie es die Heilige selbst beschreibt, dann wurde Diokletians
Haltung gegenüber den Christen durch Filumenas Eheverweigerung und die Umstände
ihres Martyriums, das sich in aller Öffentlichkeit zutrug und dem Kaiser eine
menschliche Niederlage beibrachte, entschieden negativ beeinflußt.
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WEITERE ÜBERLEGUNGEN
Welche sonderbare Leidenschaft hat den fast 50-jährigen Diokletian dazu getrieben, ein jugendliches Mädchen von 13 Jahren heiraten zu wollen? Sicherlich war er von einer rätselhaften, aber törichten Liebe zu ihr entflammt. Verschiedene Umstände sind zu bedenken. Da ist der Vater Filumenas, der in seine Tochter so vernarrt ist, dass er sie immer um sich haben muß. Kaiser Diokletian hat Krieg gegen ihn erklärt "per manifesta prepotenza" – aus reinem Machtstreben, d.h. es gab keinen wirklichen Kriegsgrund. Der Vater muß ausfindig machen, wo sich Diokletian gerade aufhält, um sich persönlich an ihn zu wenden, nicht etwa durch eine Abordnung. Die Tochter muß mit auf die Reise und deswegen auch die Mutter als Begleiterin und Betreuerin. Der Vater erhält eine Audienz – und nimmt Frau und Tochter mit. Diokletian läßt sich als "Dominus et Deus" – Herr und Gott betiteln, sein Hofzeremoniell verlangt ADORATIO – Fußfall und Küssen des Mantelsaumes. Wie haben sich die drei verhalten? War es für den Kaiser von Anfang an klar, daß die drei Besucher Christen waren? Der Vater wird Frau und Tochter vorgestellt und besonders lobende Worte für seine Tochter gefunden haben. Was war der Grund, dass Filumena eine magische Anziehungskraft auf Diokletian ausübte? Mit seiner Frau Priscilla hatte er eine Tochter, aber keinen Erben. Schöpfte er diesbezüglich neue Hoffnung? Der Vater versuchte, mit "inbrünstigen Worten" (con calore) den Kaiser von der Ungerechtigkeit der Kriegserklärung zu überzeugen, aber dieser hatte schon eine Lösung parat: Aufhebung der Kriegserklärung gegen Tochter als Ehefrau. Was der Vater als Ehre ansieht, ist schlicht Erpressung. Filumena selbst wurde vor Ort nicht befragt. Die Zustimmung des Vaters zur Verehelichung seiner Tochter mit dem Kaiser wurde von diesem als ein bindender Vertrag verstanden. Filumenas Weigerung traf den Vater wie der Blitz. Er mußte notgedrungen den Kaiser bitten, von dem eingegangenen Vertrag entbunden zu werden. Doch der Kaiser ging darauf nicht ein, er woltle mit Filumena allein reden. Nun scheute der Vater nicht vor Drohungen und verachtungsvollen Worten gegenüber seiner Tochter zurück. Sein praktiziertes Christentum war nun doch ziemlich oberflächlich. Für Diokletian war Filumena ein Faustpfand und eine Geisel, er wollte dem Vater die Tochter nehmen. Und nun begann ein langer Kampf zwischen Filumena und Diokletian, zuerst in Freiheit, dann im Kerker. Für den Kaiser war es klar, dass es Filumenas christlicher Glaube war, der seinen Wünschen entgegenstand. Das Christentum innerhalb der religiös geprägten Romidee war für ihn ein ständig schwelender Konflikt, der noch nicht entschieden war, der noch nicht zu einer offiziellen Gesetzgebung gegen Christen geführt hatte. Dies geschah erst zwei Jahre vor seiner Abdankung, die am 1. Mai 305 erfolgte. Als erste Bestrafung wurde sie entkleidet, an eine Säule gebunden und gegeißelt. Der Hofstaat schaute dabei zu. Wie begründete der Kaiser diese Bestrafung vor seinen "cavalieri"? Vermutlich mit ihrer Weigerung, den vereinbarten Vertrag einzuhalten und mit ihrem christlichen Glauben. Vermutlich gab es in den vorhergehenden Jahren einige Beispiele von öffentlichen Bestrafungen von Christen. Nachdem Filumena mit Pfeilen beschossen worden ist, wird sie wieder ins Gefängnis geschleift "per crudeltà" – aus Grausamkeit – aus Rache wegen des zurückgewiesenen Ehewunsches. Nach Filumenas Hinrichtung durch das Schwert wird es Diokletian bewußt, dass er als selbsterklärter Sohn Juppiters gegen das Christentum eine bittere Niederlage erlitten hat.
Wie wird es wohl Filumenas Eltern ergangen sein? Darüber schweigt ihr Bericht. Es ist eine andere Geschichte.
Erstellt:
September 2021