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Überlegungen zur Kritik an der Absetzung der Oper Idomeneo

B. Warum die Freiheit der Kunst prominente Christen feige macht.

I. Fünf christliche Kritiker

II. Bedeutung der Schlußszene und Implikationen der Kritik

III. Ursachen der Kritik an der Absetzung

IV. Die Vierte Ursache

V. Was Christus dem Christen bedeutet.

VI. Was die prominenten Christen hätten sagen können oder sollen.

VII. Noch eine Ursache des Versagens - das Vorletzte und das Letzte.

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I. Fünf christliche Kritiker

Von den zahlreichen prominenten Christen, die die Absetzung für falsch hielten, wähle ich stellvertretend drei Politiker und zwei Kirchenführer. Sie alle stimmen zu, daß ihr göttlicher und menschlicher Erlöser Jesus Christus nach zweitausend Jahren durch Enthauptung weitere Male den Tod erleide:

1.        Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel antwortete im Rahmen eines PNP-Interviews auf die Frage "In Berlin wird aus Sorge vor islamistischer Gewalt eine Opernaufführung abgesetzt. Ein richtiger Schritt?" folgendes:

"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer mehr zurückweichen. Selbstzensur aus Angst ist nicht erträglich. Zulässig ist eine Selbstbeschränkung nur, wenn sie aus Verantwortung im Rahmen eines echten, vollkommen gewaltlosen Dialogs der Kulturen folgt." (Quelle)

2.        Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärte in einem Bild-Interview:

BILD: Ist die Absetzung der Mozart-Oper "Idomeneo" ein Fehler gewesen?

Stoiber: Ja, das war ein Riesen-Fehler! Statt einzuknicken, hätten Polizeikräfte die Berliner Oper schützen müssen. Diese Kultur der Ängstlichkeit ist falsch. Wenn die Freiheit bedroht ist, braucht sie notfalls auch die Bereitschaft zur Verteidigung und zur Auseinandersetzung mit ihren Gegnern. (Quelle)

Zu beiden Vorsitzenden muß man wissen, daß sie erst zwei Wochen zuvor mit Papst Benedikt XVI. in München zusammengetroffen waren. Angela Merkel gab dem Papst zu verstehen, sie wolle sich stark machen für die Aufnahme des Gottesbezuges in der Europäischen Verfassung. Der bayerische Ministerpäsident ließ keinen Zweifel an seiner Papsttreue, indem er die gesamte Familie um den Papst zu einem Foto scharte. Er spricht häufig vom christlichen Menschenbild und christlichen Werten, was er damit aber konkret meint, darüber ist mir noch nichts zu Ohren gekommen.

 

3.        Den Innenminister Wolfgang Schäuble ereilte die unerhörte Nachricht im fernen Washington, die er zunächst mit "Das ist verrückt" kommentierte und dann etwas beherrschter als "inakzeptabel" bezeichnete. (Quelle)

Über den Innenminister ist nichts weiteres zu sagen als daß ihm nicht die Gunst einer Papstbegegnung samt Auffrischung seines christlichen Glaubens zuteil wurde.

4.        Etwas zurückhaltender als der unreflektierte Stoiber äußerte sich der immerwährende Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann:

"Es ist schon ein erschütterndes Ereignis, aber ich muss zunächst einmal der Intendantin glauben, dass die Berliner Sicherheitsbehörden sie auf ernsthafte Gefahren aufmerksam gemacht haben und sie deswegen lieber das Stück absagen musste. Deswegen sollte man die Sache einfach etwas differenzierter beurteilen. Wenn es tatsächlich so ist, dass ernsthafte Bedrohungen da sind und wir auch bei anderen Dingen aufpassen müssen, dann ist das ein Zeichen, dass wir bisher unsere eigene Sicherheit falsch eingeschätzt haben. Dann muss man wachsam sein, aber um Gottes Willen nicht hysterisch werden." (Quelle)

"Ein erschütterndes Ereignis" verbindet man eher mit einer Naturkatastrophe, einem Bombenattetat oder einer Familietragödie. Deshalb ist es etwas rätselhaft, was den großen Vorsitzenden zu dieser Äußerung veranlaßte. Vielleicht wollte er zeigen, daß er ein besonder loyaler Verteidiger dieser Demokratie ist und sich hinsichtlich der Freiheit der Kunst sich von niemand übertreffen lassen möchte. Tatsächlich hat sich dieser ehrgeizige Gedankenkünstler auf dem Bischofssitz von der Mentalität der real existierenden Gesellschaft voll vereinnahmen lassen, wenn er auch manchmal erschrocken aufwacht und einige mahnende Worte spricht.

Aber vielleicht tue ich diesem verdienstvollen Kirchenmann auch Unrecht und er bezieht das "erschütternde Ereignis" auf die Enthauptung seines geliebten Meisters.

5.        Die Äußerung des Stuttgarter Oberhirten Gebhard Fürst unterscheidet sich von der seines Amtsbruders weniger in der Sache als durch schlechten deutschen Stil:

"Es ist schon ein starkes Stück, wenn da Köpfe abgeschlagen werden von Religionsstiftern, das muss man trotz allem sagen, und ich weiß auch nicht, ob man solche Dinge machen sollte. Nur, das Problem ist auch, wenn Opern oder kulturelle Veranstaltungen sich nur unter das Diktat von der Sorge setzen lassen, dass Gewalt ausgeübt wird, oder wenn manche meinen, sie könnten durch Gewaltandrohung bestimmte Dinge, die in der Öffentlichkeit und in der Kunst, die ja durch Kunstfreiheit bestimmt ist, verhindern, dann sind wir auf einem falschen Weg. Wir sollten uns da in unserer Freiheit nicht beschränken lassen." (Quelle)

Unser Herr Bischof "weiß nicht, ob man solche Dinge machen sollte". Hier erkennt man Unfähigkeit, die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit dieser Republik unter christlichen Maßstäben zu sehen. Er hat sich, wie Papst Benedikt hellsichtig aufzeigte, "in die Subkultur" seines katholischen Hirtenamtes "abdrängen" lassen.

II. Bedeutung der Schlußszene und Implikationen der Kritik

1.        Das Programmheft zu Idomeneo erläutert die intendierte Aussage der Schlußszene: "Die Götter sind tot. Es lebe der Mensch!" Dem mythischen Gott Poseidon, der in der Oper selbst auftritt, werden die drei Religionsstifter Buddha, Mohammed und Jesus Christus zur Seite gestellt. Stoßrichtung religiöser Verachtung gilt besonders Jesus Christus, der für Christien wahrer Gott und wahrer Mensch ist, den Neuenfels also auf die menschliche Ebene wie Buddha und Mohammed herabstuft. Mit der Enthauptung der drei Religionsgründer lehnt Neuenfels nicht nur den Glauben der Mensch an Gott bzw. eine immaterielle Wirklichkeit ab, sondern disqualifiziert sich grundlegend als Kulturschaffender, da er die Kulturen ignoriert und mißachtet, die durch die Gläubigen der drei Religionen hervorgebracht wurden.

Bereits in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Freiheit der Kunst, wie sie sich heute versteht, den grundsätzlichen Anspruch erhebt, daß sich ihre Begründungen rationaler Überprüfung entziehen. Hans Neuenfels erwartet also vom Publikum, daß seine Begründungen für die Schlußszene als Ausdruck seiner künstlerischen Persönlichkeit kritiklos angenommen werden. Dadurch entsteht die paradoxe Situation, daß, wenn rationale Wissenschaft als Kennzeichen der Aufklärung gilt, Kunstfreiheit zu Werken führen kann, die in mythisches Dunkel zurückfällt. Der Begriff der Kunstfreiheit kann das künstlerische Individuum zu der Illusion verführen, sich in eine bindungslose Freiheit aufzuschwingen, die nur den eigenen Eingebungen und Assoziationen verpflichtet ist, und dem Kunstinteressierten eine vergleichbare Freiheit zu vermitteln. Der Regisseur der Schlußszene braucht sich also um die Musikwissenschaft nicht zu kümmern, die ihm leicht nachweisen kann, daß die Oper Idomeneo keinerlei Beziehung zu seiner eigenwilligen Deutung enthält.

2.        Die zitierten Politiker und Kirchenführer hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Nehmen sie ihren Glauben ernst, teilen sie die gesellschaftliche Wirklichkeit in verschiedene getrennte Bereiche ein. Sie erkennen an, daß Kultur und Kunst autonom sind und sich den Maßstäben des Evangeliums entziehen. Damit wird Christentum partikularisiert als ein Bereich der Kultur. Die Meinungsführer der Kultur sind eifersüchtig darauf bedacht, die Kontrolle über die Kirche zu behalten und sie als Subkultur und kulturgeschichtliches Relikt einzustufen.

Wenn diesen Persönlichkeiten ihr christlicher Glaube einerseits etwas bedeutet, sie aber dazu schweigen, daß Christus als Mittelpunkt ihres Glaubens verhöhnt wird, dann stellt sich mit einiger Dringlichkeit die Frage nach den Ursachen.

III. Ursachen der Kritik an der Absetzung

Daß unsere 5 prominenten Christen so einhellig in den Chor derer einfielen, die die Absetzung der Oper als Appeasement-Politik gegenüber dem Islam und als Angriff gegen die Freiheit der Kunst kritisierten, hat mehrere Gründe:

1.        Die Oper Idomeneo in der Inszenierung von Hans Neuenfels hatte ihre Premiere am 13. März 2003 und wurde am 12. Mai 2004 das letzte Mal aufgeführt. Gegen die Inszenierung hatte es immer wieder Proteste aus verschiedenen religiösen Richtungen gegeben. Nachdem diese keine wesentliche Wirkung erzielten, mag es unrealistisch erscheinen, die Wiederaufnahme der Oper durch erneuten Widerstand verhindern zu können. Nachhutgefechte kommen nicht gut an.

2.        Wie wirkungslos Paragraph 166 StGB bei Verletzung religiöser Gefühle ist, zeigen die Bemühungen Kardinal Meisners, die Aufführung des Theaterstückes "Corpus Christi" gerichtlich verbieten zu lassen. Im April 2002 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, da "der Inhalt durch die Kunstfreiheit gedeckt sei". Bereits im Frühjahr 2000 hatte die Deutsche Bischofskonferenz den blasphemischen Inhalt des Theaterstücks alsyy "Form von psychischer Gewalt" angeprangert, aber gleichzeitig festgestellt, daß "der gesetzliche Anspruch auf Schutz des christlichen Glaubens praktisch nicht gewährleistet ist". Dieser Sachverhalt ist geeignet, den Kampfeswille gegen Verletzung religiöser Gefühle zu schwächen und Resignation zu erzeugen.

3.        Die potentielle Bedrohung des Kulturbetriebs durch islamische Gewaltbereitschaft ist ein formaler Anlaß, vor ängstlichem Zurückweichen zu warnen. Die als ohne Not empfundene Absetzung der Oper wird zu einem gefährlichen Präzedenzfall erklärt. Die aufgeregte Reaktion soll offensichtlich die anstößige Schlußszene aus dem Bewußtsein verdrängen: Daß diese voll durch die Freiheit der Kunst gedeckt sei, darüber wollen die Kritiker der Absetzung keinen Streit mehr zulassen.

IV. Die Vierte Ursache

1.        Die vierte Ursache ist psychologischer Art, vielleicht etwas komplex und kompliziert. Mir scheint nämlich, daß Politiker und Kirchenführer ihr persönliches Gewissen durch ein Gewissen ersetzen, das ihnen, wie sie meinen, ihr Amt vorgibt. Sie sind in dem Glauben befangen, ihre Äußerungen müßten, in Übereinstimmung mit ihrer Amtsfunktion, Gültigkeit für alle, die sie betreffen, haben.

2.        Nun gehört zu ihrer Amtsfunktion auch die loyale Anerkennung der Verfassung. Diese verbürgt in Artikel 5 des Grundgesetzes die Freiheit der Kunst und verbietet jedwede Zensur.

Da nun die öffentliche Persönlichkeit mit dem Verzicht auf ihr ureigenstes Gewissen auch ihr Recht auf private Meinungsäußerung abgelegt bzw. verdrängt hat, bleibt ihr nicht anderes übrig, als im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte Freiheit der Kunst Neutralität zu bekunden. Gewohnt, innerhalb ihres Amtsbereiches mit Autorität zu sprechen, wähnt sie, Zensur auszuüben, sobald sie in einem konkreten die Kunst betreffendem Fall Kritik übt.

Ebenso erlegt ihr Amtsverständnis ihr auf, sich in Fragen der Kunst als nicht kompetent zu betrachten. Da sie diese Selbstwahrnehmung der Inkompetenz auch als Meinung der Öffentlichkeit vermutet, erfüllt sie geradezu panische Angst, bei einer Kritik als Junstbanause, ja sogar als verfassungsfeindlich bezeichnet zu werden.

3.        Eine öffentliche Persönlichkeit, so müssen wir schlußfolgern, ersetzt ihr privates Gewissen durch ein Amts- und Verfassungsbewußtsein, das ihr als persönliche Rechtfertigung dient und wofür sie allgemeinen Respekt erwartet.

Wollen wir uns nun einen Politiker oder Kirchenführer vorstellen, der die Entscheidung der Intendantin Kirsten Harms für richtig einschätzt, müßte er nicht nur sein persönliches Gewissen sorgfältig geachtet haben, sondern dieses müßte aus tiefsten menschlichen und religiösen Überzeugungen seine Kraft empfangen und auf das Amtsverständnis und die Amtstätigkeit ausstrahlen. Eine öffentliche Persönlichkeit würde also Kritik an ein als sakrosankt erklärtes Kunstwerk in dem Bewußtsein üben, daß sie von nichts anderem als ihrem Bürgerrecht und Bürgerpflicht der freien Meinungsäußerung Gebrauch macht. Da dies für die meisten öffentlichen Persönlichkeiten nicht zutrifft, sind ihre Äußerungen zur Kunst als befangen aufzufassen.

4.        Ein neuerlich auftretendes Selbstbewußtsein freier Meinungsäußerung stellt die österreichische Philosophin Isolde Charim in einem Kommentar der "taz" vom 3.7.06 fest. Darin heißt es:

Im Gegensatz zum früheren Grundsatz, nach dem man sich seiner partikularen Besonderheiten entledigen musste, um die Sphäre der Öffentlichkeit zu betreten, vollzieht man diesen Schritt heute gerade im Namen seiner privaten Identität. Man erhält öffentliche Aufmerksamkeit gerade für seine Singularität, als solche wird man Teil des gesellschaftlichen Ganzen: als Frau, als Homosexueller und nun eben als religiös Empfindender. Die Zivilgesellschaft "veröffentliche sich", während der Staat "sich privatisiere", lautete der Befund des französischen Demokratietheoretikers Marcel Gauchet.

V. Was Christus dem Christen bedeutet

1.        Wer wie viele Politiker der beiden christlichen Volksparteien gerne von christlichen Werten und dem christlichen Menschenbild spricht, setzt sich einem gewissen Verdacht aus, Christentum auf eine Sammlung ethischer Grundsätze zu reduzieren, den Urheber dieser Grundsätze aber im Hintergrund ihres Bewußtseins verblassen zu lassen.

2.        Christ sein bedeutet nicht in erster Linie, nominell zu einer kirchlichen Gemeinschaft zu gehören und sich an einigen Geboten und ethischen Leitsätzen zu orientieren, sondern Jesus Christus nachzufolgen, also ihm in allem ähnlich zu werden:

Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23).

Christus ist das Maß vollkommenen Menschseins, nicht weil er ein außergewöhnlicher Mensch wäre, sondern weil er als zweite göttliche Person, als Sohn und vollkommenes Abbild des Vaters, Mensch wurde, der die Last des menschlichen Lebens in jeder Hinsicht trug, ohne jedoch zu sündigen (Heb 5,15).

In einem Gleichnis nennt sich Jesus den Rebstock und die Menschen, die seiner Lehre folgen, die Rebzweige:

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen (Joh 15,5).

Damit die Christen ganz aus dem Geist Christi leben könnten, schenkte er ihnen das Geheimnis der Verwandlung von Brot und Wein in seinen Leib und sein Blut:

Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. (Joh 6,56)

Dieses enge Verhältnis zwischen Christus und dem Christen führt Paulus zu der Aussage: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20).

3.        Wenn nun Christus die lebendige Mitte des einzelnen Christen ist, macht die Enthauptungsszene nicht nur Christus selbst verächtlich, sondern trifft den Gläubigen in seinem Inneren und verletzt seine Persönlichkeit.

Angesichts einer solchen Herabsetzung Christi wird das Gewissen des Gläubigen an das Wort erinnert: Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde ich auch vor meinem Vater im Himmel verleugnen (Mt 10,33). Er wird also nicht leicht hinnehmen können, daß eine öffentlich subventionierte Inszenierung gewissermaßen mit staatlicher Zustimmung den christlichen Glauben verhöhnen dürfe.

VI. Was die prominenten Christen hätten sagen können oder sollen.

1.        Politiker machen ihre Äußerungen vornehmlich von ihrer Akzeptanz abhängig. Das Problem für sie ist, daß Jesus Christus öffentlich zu bekennen, nicht die erhoffte Akzeptanz bringt. Hier ist nur selten jemand bereit, über seinen eigenen Schatten zu springen.

2.        Um die Entscheidung der Intendantin mitzutragen, hätte es keiner zu speziellen Stellungnahme bedurft. Sie hätte etwa folgendermaßen lauten können:

Die Schlußszene verletzt die Gefühle aller, die Christus, Mohammed oder Buddha verehren. Sie ist vom Regisseur frei hinzuerfunden worden und entspricht weder der Aussageabsicht des Textdichters noch des Komponisten. Wenn der Regisseur Hans Neuenfels dem Wegfall der Ärgernis erregenden Schlußszene nicht zustimmt, halte ich die Entscheidung der Intendantin für gerechtfertigt.

3.        Fachleute der Oper: Intendanten, Regisseure, Muiker und Sänger zeigen naturgemäß weniger Scheu, ihre Meinung unumwunden zu äußern. Gegen die Neuenfelssche Inszenierung sprach sich etwa die österreichische Sängerin Edda Moser im Rahmen eines Interviews aus:

"Die Intendantin Kirsten Harms hätte den Regisseur rausschmeißen müssen, weil seine Inszenierung nicht mehr das geringste mit Mozart zu tun hat."

VII. Noch eine Ursache des Versagens – das Vorletzte und das Letzte.

1.        Die zuvor gegebene Antwort auf die Fragestellung "Was Christus dem Christen bedeutet" wurde als Verhältnis zwischen Christus und dem einzelnen heilsbedürftigen Christen bestimmt. Nun ist noch zu bedenken, welche Stellung Jesus Christus zur gesamten Menschheitsgeschichte einnimmt: Vor seinem Aufstieg in den Himmel sagte er zu den Aposteln: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18). Sowohl der Evangelist Johannes als auch Paulus betonen, daß alles durch das Wort/Christus und auf ihn hin geschaffen wurde, daß das Wort in sein Eigentum kam und daß am Ende der Zeiten Christus seine Herrschaft dem Vater übergeben wird (Joh 1; Kol 1,16; 1Kor 15,28).

Christus besitzt demnach als Herrscher aller Völker Regierungskompetenz, d.h., er weiß, was erforderlich ist, daß alle Menschen in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Christliche Politiker müßte es also daran gelegen sein, in engster Verbindung mit Christus die richtigen politischen Maßnahmen zu finden.

2.        Die verfassungsrechtliche Entwicklung der Trennung von Staat und Kirche hat dazu geführt, daß Vertreter der modernen Staatsauffassung den kirchlichen Auftrag auf ihre seelsorgerliche Aufgaben zu reduzieren suchen. Im heutigen pluralistischen Parteienstaat gibt es keine wirkliche Partnerschaft zwischen Staat und Kirche. Vielmehr bestehen viele, hauptsächlich nicht religiös gebundene Politiker darauf, daß der Staat eine Eigengesetzlichkeit besitzt, die auf keine höhere normative Wirklichkeit bezogen werden kann, und daß die Kirchen lediglich als kulturelle Organisationen unter vielen anderen anzusehen sind. Tatsächlich haben sich die Kirchen auf diese Rolle eingrenzen lassen, sie wurden gewissermaßen in ein säkularisiertes Staatsmodell hineindomestiziert. Dies ist etwa der Tenor, den Alan Posener in einemyy Kommentar der WELT vom 1.10.06 Zur Absetzung der Oper Idomeneo anschlägt. Er stellt die Frage, ob es denn heute noch nötig sei, das inzwischen ideologisch subkulturelle, demografisch bedrängte und politisch entmachtete Christentum zu provozieren.

Auch christlichen Politikern kommt die den Kirchen zugedachte Rolle gelegen, da sie glauben, auf diese Weise mit dem "christlichen Menschenbild" nach parteipolitischen Erfordernissen leichter umgehen zu können.

3.        Seit langem ist es üblich, Kategorien staatlichen Denkens als Vorletztes und solche religiösen Denkens als Letztes zu bezeichnen. Das Verhältnis zwischen beiden versuchte beispielsweise Dietrich Bonhoeffer zu bestimmen:

"Es gibt kein Vorletztes an sich, so also, daß sich irgendetwas an sich als Vorletztes rechtfertigen könnte, sondern zum Vorletzten wird etwas erst durch das Letzte. Das Vorletzte ist also nicht Bedingung des Letzten, sondern das Letzte bedingt das Vorletzte." (Quelle)

Ich weiß nicht, wie weit christliche Politiker ihr politisches Denken auf die Lehre Christi als das Letzte beziehen. Es zu tun, kostet Mut, großen Mut. Wenn ein Politiker aber einmal das Letzte als Bezugspunkt aus dem Blick verloren hat, wird für ihn die geltende Verfassung zur letzten Norm seines Denkens und gleichsam ein säkularer Glaubenssatz. Von da ist es nur ein kleiner Schritt, daß der Freiheit der Kunst höhere Ehre erwiesen wird als Jesus Christus, dem Herrn der Menschheitsgeschichte.

 

Erstellt: Oktober 2006

 

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