I. Krisenentwicklung in der römischen Republik

Das römische Volk war eine Ständegesellschaft, in der das Schicksal des Staates von den Angehörigen des Adels bestimmt wurde, während der politische Wille des übrigen Volkes auf passive Wahlrechte beschränkt blieb. Wirtschaftliche Grundlage der Adelsfamilien war der Großgrundbesitz, den sie parallel zur Erweiterung des römischen Staatsgebietes ständig vergrößerten.

Mit der Zerstörung Karthagos und Korinths 146 v.Chr. war Rom Herr des gesamten Mittelmeers. Sallust (Cat.10) sieht im Fehlen äußerer Feinde den Beginn des staatlichen Niedergangs. Während der Adel Reichtümer und Kulturgüter ansammelte, waren viele italische Bauern aufgrund ständigen Kriegsdienstes verarmt und nach Rom geströmt. Um einen sozialen Ausgleich zu schaffen, strebten Tiberius Gracchus 133 v.Chr. und 10 Jahre später sein Bruder Gaius als Volkstribunen eine Landreform an, die vorsah, daß die Adeligen gepachtetes Staatsland (ager publicus) über 250 ha hinaus zurückgeben sollten, damit es an kleinbäuerliche Neusiedler verteilt würde. Tiberius setzte zwar sein Reformvorhaben gegen den Widerstand des Senats mittels Volksbeschlüsse (plebis scita) durch, doch wurden er und sein Bruder gewaltsam aus dem Weg geräumt und die Reformen kamen nach anfänglichen Fortschritten zum Stillstand. Denn die Nobilität betrachtete die Gracchen als Revolutionäre und Störenfriede der staatlichen Ordnung.

Die Gracchen hatten einen Dauerkonflikt zwischen den gesetzlichen Möglichkeiten der Volksversammlung – Plebiszite hatten seit 287 Gesetzeskraft – und den Kompetenzen des Senats in Gang gesetzt. In Zukunft traten immer wieder Politiker als Anwälte des Volkes auf, entweder um die Bodenreform wieder aufzugreifen oder durch die Gunst des Volkes in ein Amt gewählt zu werden. Diese Politiker wurden als populares bezeichnet, während sich diejenigen Adeligen, die die Rechte des Senates verteidigten, sich optimates nannten.

Im langjährigen Konflikt (118-105) mit dem numidischen König Jugurtha – von Sallust im bellum Iugurthinum dargestellt – erwies sich der Senat als weitgehend unfähig. Erst unter dem Oberbefehl des C. Marius (158-86) wurde der Krieg beendet. Aus einem Rittergeschlecht stammend, war er als ein homo novus gegen den Widerstand des Senats 107 zum Konsulat gelangt und bekleidete dieses – entgegen den Amtsregeln – von 104-100 in ununterbrochener Reihenfolge. Denn 105 hatten die Römer im südfranzösichen Arausio (Orange) in einer verheerenden Niederlage gegen die germanischen Kimbern und Teutonen 80000 Mann verloren und man traute niemandem außer Marius die Verteidigung Italiens zu. Tatsächlich besiegte er die Germanen 102 bei Acquae Sextiae in Südfrankreich und 101 bei Vercellae in Oberitalien.

Im Jahr 100 war Marius durch Senatsbeschluß gezwungen, gegen den Volkstribunen Saturninus, der sich für die Versorgung seiner Veteranen einsetzte, wegen schwerer Tumulte vorzugehen. Seine unglückliche Handhabung popularer Interessen schadeten seinem Ansehen sehr.

Zum senatorischen Gegenspieler des Marius entwickelte sich L. Cornelius Sulla (138-78). Er hatte sich bereits als Legat im jugurthinischen Krieg hervorgetan. Weitere militärische Erfolge errang er im Bundesgenossenkrieg (91-88). Die mittelitalischen Stämme hatten vergeblich auf die Verleihung des römischen Bürgerrechts gehofft und wollten einen eigenen Staat errichten.

Mittlerweile hatte Mithridates von Pontus seine Macht auf ganz Keinasien ausgeweitet und ließ im Jahr 88 an einem einzigen Tag Tausende von Römern ermorden. Der Senat übertrug Sulla, der Konsul war, die Leitung des Krieges. Marius fühlte sich übergangen und ließ sich im nachhinein durch Volksbeschluß den Oberbefehl übertragen. Daraufhin marschierte Sulla mit seinen Truppen gegen Rom, besiegte die Anhänger des Marius und begab sich auf den kleinasiatischen Kriegsschauplatz. In Rom gewannen die Anhänger des Marius wieder die Oberhand und rächten sich an ihren Gegnern. Nach seiner Rückkehr im Jahr 83 rang Sulla seine Gegner nieder und übte durch Proskripitionen grausame Rache. 90 Senatoren und 2600 Ritter fielen ihr zum Opfer. Als Diktator führte Sulla eine Verfassungsreform durch, die die meisten Rechte des Volkstribunats aufhob.

Nach Marius und Sulla wurde Gnaeus Pompeius (106-48) der führende Machtfaktor. Er hatte wesentlich zu Sullas Sieg beigetragen und sich das Sonderrecht eines Triumphs erstritten. Gestützt auf militärische Erfolge in Spanien und die Gunst des Volkes gelangte er im Jahr 70 gegen den Widerstand des Senats zum Konsulat, obwohl er noch kein ordentliches Amt bekleidet hatte. Wiederum gegen den Willen des Senats erhielt Pompeius 67 auf Volksbeschluß eine außerordentliches Imperium gegen die Seeräuber. Ein Jahr später wurde ihm wieder durch Volksbeschluß der Oberbefehl gegen den immer noch unumschränkt herrschenden Mithridates übertragen. Nach erfolgreicher Beendigung dieses Krieges und Rückkehr nach Italien (62) war Pompeius der mächtigste Mann Roms.

Das Dilemma der römischen Nobilität bestand darin, daß die regulär gewählten Beamten außerordentlichen militärischen Situationen nicht gewachsen waren. Der Oberbefehl wurde daher dem jeweils fähigsten Feldherrn übertragen. Dieser errang durch militärische Erfolge einen Machtzuwachs, der ihn über seine Standesgenossen erhob. Die Verteidiger der Senatsherrschaft sahen darin eine Bedrohung des Gleichheitsgrundsatz ihres Standes und reagierten häufig mit uneinsichtiger Opposition. Eine Folge dieses Verhaltens war das Zustandekommen des Triumvirats zwischen Pompeius, Crassus und Cäsar (60), der damit seine Ausgangsposition für sein Konsulat (59) wesentlich stärkte.

Catilina hatte dank seiner Intelligenz die Machtmechanismen der staatlichen Institutionen durchschaut. Seine Vorbilder waren Marius, Sulla und Pompeius. Er sah in ihnen Machtmenschen, deren moralische Argumente nur ihren eigenen Interessen dienten. Nach Sallust ist Catilina ein skrupelloser Nachahmer seiner Vorbilder.

 

II. Sullas Gesetzgebung und die Folgen für das Selbstverständnis des Senats

Nach siegreich beendetem Bürgerkrieg ließ sich Sulla im Jahre 82 durch Volksbeschluß zum Diktator wählen mit dem allgemeinen Auftrag, eine Verfassung zu geben und den Staat zu ordnen. Sein Ziel war, die Senatsherrschaft wiederherzustellen und für alle Zukunft zu sichern. Dabei traf sein Verdammungsurteil besonders die Institution, auf die sich der politische Gegner gestützt hatte, nämlich das Volkstribunat, ohne Rücksicht darauf, ob es berechtigte politische Funktionen erfüllte oder nicht. In Zukunft durfte kein Volkstribun ohne Genehmigung des Senats einen Gesetzesantrag vor das Volk bringen. Außerdem durften gewesene Volkstribunen sich nicht um die kurulischen Ämter (Prätur, Konsulat) bewerben. Das Volkstribunat erschien damit als Hauptstörenfried der Staatsordnung, der nunmehr ausgeschaltet war. Indem ferner für die Ämterlaufbahn feste Normen der Altersgrenzen und der Intervalle aufgestellt wurden, sollte vermieden werden, daß ein Einzelner durch außerordentlichen Aufstieg die Standesherrschaft gefährdete.

Beide Gesetzesmaßnahmen bewirkten, daß die führenden Senatsmitglieder mit ängstlichem Mißtrauen jeden beobachteten, der über den vorgesteckten Rahmen hinaus nach Einfluß und Macht strebte. Mit einer jeden solchen Möglichkeit verband sich die Furcht, daß eine neue Alleinherrschaft drohte.

Daß die Gefahr eines Staatsstreiches tatsächlich nicht auszuschließen war, zeigte sich bereits ein Jahr nach dem Rücktritt Sullas, als der gewesene Konsul M. Aemilius Lepidus in Oberitalien Truppen sammelte, um gegen Rom zu marschieren. In Spanien leistete Q. Sertorius seit 81 hartnäckigen Widerstand gegen das sullanische Senatsregiment und errichtete sogar einen Gegensenat aus 300 Mitgliedern.

Sullas Erwartungen gingen in zwei Punkten an der Realität vorbei. Zum einer begann die beabsichtigte Form der Senatsherrschaft nicht unter gleichen Voraussetzungen. Denn aufgrund ihrer militärischen Leistungen im Bürgerkrieg hatten zwei Männer, Cn. Pompeius und M. Licinius Crassus, bereits eine herausgehobene Machtstellung erlangt. Pompeius hatte sich, obwohl erst 26 Jahre alt und ohne ordentliches Staatsamt, von Sulla einen Triumph ertrotzt und Crassus sich durch die Proskriptionen so maßlos bereichert, daß er jederzeit ein Privatheer aufstellen konnte und ein allgegenwärtiger Finanzfaktor im Staate wurde.

Der zweite Umstand, den Sulla nicht einkalkulierte, war, daß der Staat immer wieder außergewöhnlichen militärischen Anforderungen gegenüberstand, denen die ordentlich gewählten Magistrate nicht gewachsen waren. Der Senat mußte dann geeigneten Militärführern Sondervollmachten übertragen, die unausweichlich deren persönliche Machtstellung vergrößerte. Pompeius, der seit seinem Triumph den Beinamen 'Magnus' führte und sich nicht ungern mit Alexander dem Großen vergleichen ließ, erhielt schon im Jahre 77 den ersten Sonderauftrag, gegen Aemilius Lepidus vorzugehen. Nach Beendigung dieses militärischen Unternehmens weigerte er sich, sein Heer zu entlassen und forderte "biederen Gesichts und unverfrorenen Gemüts" ein neues Kommando gegen Sertorius in Spanien, wo der dortige Statthalter Q. Metellus nur schleppend vorankam. Als Preis für seinen Sieg (zusammen mit Metellus) über Sertorius erbat Pompeius sich vom Senat – der schon befürchtet hatte, Pompeius werde als Diktator in Rom einmarschieren – neben seinem zweiten Triumph die Bewerbung um das Konsulat im Jahre 70, wofür eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden mußte. Mitbewerber war Crassus, der den Sklavenaufstand siegreich beendet hatte und dem Senat als ein gewisses Gegengewicht zu Pompeius gelten konnte.

Inzwischen waren schon seit einigen Jahren Bestrebungen im Gang, das Volkstribunat zu rehabilitieren. Im Jahre 75 wurden auf Antrag des Consuls C. Aurelius Cotta – eines Neffen von Cäsars Mutter – die gewesenen Tribunen wieder zu den kurulischen Ämtern zugelassen. Weitere Agitationen durch Volkstribunen machten in den folgenden Jahren die Zeit reif für eine völlige Wiederherstellung der tribunizischen Rechte. Als sich Pompeius nach seiner Rückkehr in einer contio in diesem Sinn einsetzte, stieg seine Popularität so an, daß der Senat seinen Widerstand aufgab, seine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber dem Volkstribunat und damit dem Volk in der Folgezeit jedoch beibehielt. So verschaffte sich Pompeius zweimal durch Volksbeschluß gegen den Willen der Senatsoligarchie ein Sonderkommando, 67 gegen die Seeräuber, 66 gegen Mithridates.

Vor allem der Aufstieg des Pompeius zeigte allen, die nicht in der sullanischen Vorstellungswelt von Ruhe und Ordnung befangen waren, daß politischer Erfolg und Fortschritt über den populären Weg ging. Was dem jungen selbstbewußten Pompeius gegenüber dem Senat gelang, diente vielen, vor allem jungen Adligen, als ermunterndes Vorbild. So konnte sich Catilina leicht als Volksführer hinstellen, dessen berechtigten Zielen sich der auf seine politischen und materiellen Privilegien bedachte Senat hochmütig verschloß. Als erfolgreichster derer, die es Pompeius gleichtun wollten, mußte Cäsar erscheinen, als er mit tollkühnem Ehrgeiz die Wahl zum Pontifex Maximus (63) erreichte. Da der Senat auf die Ausnahmeerscheinung des Pompeius fixiert war, glaubte er bei Cäsar, es mit einem minderen Problem zu tun zu haben.

 

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