ANIMUS IN SALLUSTS SELBSTBEKENNTNIS UND DER CATILINA CHARAKTERISTIK

 

Sallust

Als Sallust nach Rom geht, um die politische Laufbahn einzuschlagen, hat er sich bereits mit römischer Geschichte befaßt. Er bewundert die großen Leistungen der Vergangenheit und die Männer, die sie vollbrachten. Er ist überzeugt, daß Rom die besten politischen Einrichtungen hervorgebracht hat und daß dies auf der Einsicht und Weisheit vieler Generationen beruhte. Er ist entschlossen, diesen ehrwürdigen Einrichtungen mit selbstlosem Einsatz (pudor, abstinentia, virtus) zu dienen. Seine ideale Gesinnung (animus) orientiert sich am Vorbild der mores maiorum. In diesem Anfangsstadium sind Sallusts ego und animus im Einklang miteinander. Erst als er merkt, daß ehrliches Bemühen in den konkreten politischen Verhältnissen nicht den gewünschten Erfolg bringt, entstehen innere Konflikte. Nun wird ihm bewußt, daß das Ich seiner ehrgeizigen Selbstbehauptung gegen das "bessere Ich" seines animus Entscheidungen fällt. In der Rückschau des gereiften Alters schreibt er sein Abweichen von seinen Prinzipien der Schwäche seines jugendlichen Urteilsvermögens zu. In einer ungewöhnlichen Parallelkonstruktion verdeutlicht Sallust seine seelische Lage:

Quae tametsi animus aspernabatur insolens malarum artium, tamen inter tanta vitia inbecilla aetas ambitione conrupta tenebatur;

ac me, quom ab relicuorum malis moribus dissentirem, nihilo minus honoris cupido eadem qua ceteros fama atque invidia vexabat.

Zuerst sei er von den schlechten Sitten seiner Zeit angesteckt worden, obwohl er sich dagegen sträubte. Im zweiten Satz wiederholt er dieses innere Widerstreben und beschreibt dann den Zustand seiner gespaltenen Seele. Sein personales Ich (me) erhält nämlich keine Befriedigung vom Ehrgeiz seines Ichs (honoris cupido), sondern nur Anfeindungen und Kränkungen. Die Erbitterung hierüber treibt seinen Ehrgeiz nur zu noch größeren Anstrengungen (conrupta tenebatur) an.

Sallusts Bezugnahme auf die Situation der übrigen (relicuorum, ceteros) zeigt einen schwebenden Doppelsinn: Wenn er nicht mit den üblen Sitten der anderen einverstanden ist, dann trifft ihn zu Unrecht derselbe üble Ruf wie diese. Andererseits läßt sein tatsächliches Verhalten die Mitmenschen nicht erkennen, daß er ehrenhafter als die anderen ist. Möglicherweise erregt er durch moralisches Auftreten den Verdacht, etwas Besseres sein zu wollen und ist daher umso größeren Gehässigkeiten ausgesetzt. Desillusioniert muß er das Scheitern seiner moralischen Glaubwürdigkeit eingestehen: der Ehrgeiz scheint alles moralische Bemühen zu entwerten.

Als Parteigänger Cäsars findet Sallust Gelegenheit zur Befriedigung seines Ehrgeizes, ist aber auch eingebunden in Cäsars politisches Programm, mit dem er vielleicht nur teilweise einverstanden ist. Nach Cäsars Ermordung sieht er keine Möglichkeit, eine entscheidende moralische Rolle bei der Neuordnung der politischen Verhältnisse zu spielen. Daher befreit er sich endgültig aus seinem unbefriedigten Seelenzustand, indem er sich aus der aktiven Politik zurückzieht.

Indem seine Seele allmählich frei wird von den Aufregungen der Selbstbehauptung, findet er Zugang zu unverfälschtem Denken und Erkennen. Nun kann er wirklich unabhängige Entscheidungen fällen, sein befreites Bewußtsein dokumentiert sich in drei willensbetonten Prädikaten (decrevi, non fuit consilium, statui). Die gleichzeitige Verwendung von mihi und animus zeigt, daß nun die Seele und das Ich wieder im Einklang miteinander stehen.

Die chiastische Stellung animus ... mihi / mihi ... animus zeigt zwei Bedeutungen von animus. Im ersten Satz kommt Sallust äußerlich und innerlich zur Ruhe. Hier bedeutet animus "Seele" im Sinn des individuellen Seelenzustandes, für den man etwas tun kann, daß er sittlich gerechtfertigt ist. Wenn die Seele die ersehnte Ruhe gefunden hat, ist animus im Sinn geistigen Tätigseins der Seele frei, sich der Wahrheitsfindung zuzuwenden.

Sallust verwendet nicht ohne Grund große Mühe auf die Erforschung seines politischen Schicksals. Vom Hintergrund seines moralischen Scheiterns nämlich versucht er den Hauptakteuren seiner Darstellung gerecht zu werden: Catilina, Cäsar und Cato. In den beiden letzteren findet er Anklänge an seine eigene Konfliktsituation und ermittelt – bei aller Anerkennung – deren jeweilige Schattenseiten. Denn angesichts der allgemeinen moralischen Situation der Gesellschaft ist erfolgreiches politisches Wirken mit gewissen negativen Verhaltensformen verbunden.

Catilina

Im ersten Satz werden Catilinas bedeutende geistigen und körperlichen Kräfte hervorgehoben. Animus bezieht sich hier auf Catilinas hohe Intelligenz und Auffassungskraft, wodurch er sich bestens im bestehenden staatlichen System auskennt. Er besitzt Anziehungskraft auf Menschen sowie Führungsqualitäten, die er mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit teilt.

Aber alle diese positiven Möglichkeiten seiner Veranlagung sind ins moralisch Schlechte pervertiert. Sallust gebraucht hierfür den Begriff ingenium, der alle angelegten Verhaltensformen einer Person umfaßt. Ob Sallust damit meint, Catilinas individuelle Veranlagung habe ihn für eine kriminelle Laufbahn vorherbestimmt, muß offen gelassen werden. Jedenfalls wirken animus und ingenium im moralischen Sinn nicht einheitlich zusammen, sondern fallen auseinander.

Aus der Charakteristik Catilinas können wir ersehen, wie Sallust diesen von sich selbst verschieden sieht. Wie Satz 5 zeigt, besitzt Catilina ein maßloses Geltungsbewußtsein, das sich, wie aus Satz 2 zu entnehmen ist, mit Zügen grausamer Herrschsucht verbindet.

Catilina hat nicht die Anlage wie Sallust, das Streben seines Ichs nach objektiven Normen auszurichten. Seine geistigen Anlagen stellt er ausschließlich in den Dienst persönlicher Geltung und Größe. Dabei orientiert er sich bedenkenlos an den führenden Politikern seiner Zeit, allen voran an Sulla. In seinem Drang nach nimis alta macht er auch vor den moralischen Werten der mores maiorum nicht halt, die er für sich vereinnahmt, seinen Gegnern jedoch, die er als herrschende Klasse diffamiert, abspricht. Seine Heuchelei positiver Werte gegenüber anderen ist nicht nur berechnende Verführung, sondern ebenso Selbsttäuschung, da er ja an seine Größe glaubt.

Der animus Catilinas in den Sätzen 4, 5 und 7 ist seine individuelle geistige Verfassung und als solche instinktgetrieben und in moralischer Hinsicht unreflektiert.

Auf eine objektive Seite der Seele bei Catilina bezieht sich Sallust, wenn er sagt, daß er von conscientia, seinem schlechten Gewissen, getrieben wurde. Die Seele in diesem Sinn zeichnet alles auf, was der Mensch tut, und leidet offensichtlich unter Schuld. Das Ich kann die Regungen der Seele unterdrücken, aber die unter der Oberfläche des Bewußtseins lebende Seele dringt immer wieder durch das Bewußtsein hindurch und beraubt den Menschen seiner Ruhe, wenn er eine schwere Schuld auf sich geladen hat.

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