Jesus
erzählt in Emmaus auf Bitten eines Kindes ein Gleichnis, das den Unterschied
zwischen weltlicher und göttlicher Weisheit klar machen soll.
aus
Kap.567: Oktober, 3. Lehrjahr
Ein Mann wurde eines Tages von einem großen König zu sich gerufen, der zu ihm
sagte: "Ich habe erfahren, daß du eine Belohnung verdienst, denn du bist
weise und gereichst der ganzen Stadt zur Ehre mit deiner Arbeit und deinem
Wissen. Nun, ich werde dir nicht irgendetwas geben, sondern dich in meine
Schatzkammer führen; dort wirst du dir auswählen, was du haben willst, und ich
werde es dir geben. Auf diese Weise kann ich auch beurteilen, ob du wirklich so
bist, wie man sagt."
Hierbei begab sich der König auf die Terrasse seiner Vorhalle. Er warf
einen Blick auf den Platz vor seinem Palast und sah einen kleinen Knaben in
ärmlichen Kleidern vorübergehen, gewiß das Kind einer sehr armen Familie,
vielleicht auch eine Waise oder ein Bettelkind. Er wandte sich an seine Diener
und sprach: "Geht zu diesem Knaben und bringt ihn zu mir."
Die Diener gingen hinaus und kehrten mit dem Knäblein zurück, das
erzitterte, als es sich vor dem König stehen sah. Die Würdenträger des Hofes
forderten es auf: "Verneige dich und begrüße den König, sage: Ehre und
Herrlichkeit sei dir, o mein König. Ich beuge mein Knie vor dir, du Mächtiger,
den die Erde erhöht hat als ein Wesen, das seinesgleichen nicht hat." Aber
der Knabe wollte sich weder verneigen noch diese Worte nachsagen. Darüber waren
die Würdenträger verärgert, tadelten ihn heftig und sprachen: "0 König,
dieser Knabe ist ungezogen und schmutzig, er ist
eine Schande für deinen Palast. Erlaube, daß wir ihn hinauswerfen auf die
Straße. Wenn du an deiner Seite einen Knaben zu haben wünschst und wenn dich
die unsrigen langweilen, werden wir dir einen auswählen unter den Reichen der
Stadt und ihn dir bringen. Aber verjage diesen Schmutzfink, der nicht einmal
imstande ist zu grüßen..."
Der reiche, weise Mann, der sich zuvor in unzähligen tiefen Verbeugungen
gedemütigt hatte, als ob er vor einem Altar stünde, sagte: "Deine
Würdenträger haben recht. Die Erhabenheit deiner Krone läßt es nicht zu, daß
man deiner geheiligten Person die Ehre verweigert, die dir zusteht", und
während er dies sagte, warf er sich wiederum zu Boden und küßte sogar einen Fuß
des Königs.
Doch der König erwiderte: "Nein. Ich will diesen Knaben bei mir haben.
Und nicht nur das. Ich will auch ihn in meine Schatzkammer führen, damit er
sich aussucht, was er will, und ich werde es ihm geben. Ist es mir etwa nicht
erlaubt, einen armen Knaben glücklich zu machen, da ich doch König bin? Ist er
nicht einer meiner Untertanen wie ihr alle? Ist es etwa seine Schuld, daß er
unglücklich ist? Nein. Bei Gott, ich will, daß er wenigstens einmal in seinem
Leben glücklich sei. Komm, Junge. Fürchte dich nicht vor mir." Und er
reichte ihm die Hand, die der Knabe unbefangen ergriff und küßte. Der König
lächelte. Zwischen zwei Reihen seiner Würdenträger, die sich ehrfurchtsvoll
verneigten, schritt er auf Teppichen von Purpur und mit goldenen Blumen zur
Schatzkammer, zu seiner Rechten den reichen, weisen Mann und zu seiner Linken
den unwissenden, armen Knaben. Der königliche Mantel bildete einen krassen
Gegensatz zu dem ausgefransten Kleidchen und den nackten Füßen des armen
Kindes.
Sie traten in die Schatzkammer, deren Tür zwei Große des Hofes geöffnet
hatten, und erblickten einen hohen, runden Saal ohne Fenster. Doch viel Licht
fiel durch die Decke, die aus einer einzigen großen Glimmerscheibe bestand. Ein
mildes Licht, das aber dennoch die Goldbeschläge der Schatztruhen und die
Purpurbänder der zahlreichen Buchrollen auf den hohen, geschmückten Pulten
aufleuchten ließ. Es waren prunkvolle Rollen mit kostbaren Stäben und
Verschlüssen, geschmückt mit strahlenden Edelsteinen: seltene Dinge, die nur
ein König besitzen kann. Achtlos auf einem schmucklosen, dunklen, niedrigen
Pult lag eine kleine Rolle. Sie war um ein weißes Hölzchen gerollt, mit einer
groben Schnur zusammengebunden und verstaubt, als hätte man sie vergessen.
Der König sprach, während er auf die Wände wies: "Seht, hier findet
ihr alle Schätze der Erde und andere, die noch größer als die irdischen sind.
Denn hier sind alle Werke des menschlichen Geistes und auch solche, die aus
übermenschlichen Quellen stammen. Geht und nehmt, was ihr wollt." Dann
stellte er sich mit verschränkten Armen in die Mitte des Raumes und
beobachtete.
Der reiche, gelehrte Mann ging zuerst zu den Schatztruhen. Er hob die
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Deckel mit immer wachsender Erregung. Gold in Stäben und goldene
Geschmeide, Silber, Perlen, Saphire, Rubine, Smaragde, Opale... es funkelte aus
allen Truhen... Rufe der Bewunderung bei jedem geöffneten Schrein... Dann begab
er sich zu den Pulten. Beim Lesen der Titel auf den Buchrollen, erneute Rufe
der Bewunderung... und schließlich wandte sich der Mann glühend vor
Begeisterung an den König und sagte: "Du hast ja einen Schatz
ohnegleichen. Die Edelsteine sind so wertvoll wie die Buchrollen, und die einen
so wertvoll wie die anderen! Darf ich wirklich frei wählen?"
"Ich habe es dir gesagt. Tue, als ob alles dir gehörte."
Der Mann warf sich mit dem Antlitz zu Boden und sprach: "Ich bete dich
an, o großer König!" Dann erhob er sich und lief zuerst zu den Truhen und
danach zu den Pulten, und nahm vom einen und vom anderen das Beste, was er
fand.
Der König, der ein erstes Mal in seinen Bart hineingelächelt hatte, als er
sah, mit welch fieberhafter Aufregung der Mann von Truhe zu Truhe lief, und ein
zweites Mal, als er sah, wie er sich huldigend zu Boden warf, lächelte nun zum
dritten Mal, als er beobachten konnte, mit weicher Gier und mit welchem
Kennerblick er Juwelen und Schriftrollen aussuchte. Dann wandte er sich dem
Kind zu, das an seiner Seite stand, und sagte zu ihm: "Willst nicht auch
du hingehen und dir schöne Steine und wertvolle Schriftrollen aussuchen?"
Das Kind schüttelte den Kopf.
"Und warum nicht?"
"Die Schriftrollen kann ich nicht lesen... und den Wert der Steine
kenne ich nicht. Für mich sind sie nicht mehr als die Steinchen auf der
Straße."
"Aber sie würden dich reich machen..."
"Ich habe weder Vater noch Mutter noch Brüder. Was würde es mir nützen
in meinem Schlupfwinkel, wenn ich einen Schatz im Schoß hätte?"
"Aber du könntest dir damit ein Haus kaufen."
"Dann würde ich ganz allein darin wohnen."
"Oder Kleider."
"Ich würde trotzdem immer frieren, da mir die Liebe der Eltern
fehlt."
"Nahrung."
"Ich könnte mich nicht an den Küssen der Mutter sättigen, noch sie um
irgendeinen Preis kaufen."
"Du könntest dir Lehrer nehmen und lesen lernen..."
"Das würde mir besser gefallen. Aber was soll ich dann lesen?"
"Die Werke der Dichter, der Philosophen, der Weisen... und alte
Sprüche und die Geschichte der Völker."
"Unnütze, eitle und vergangene Dinge... Ist nicht der Mühe wert."
"Was für ein dummer Junge!" rief der Mann aus, der seine Arme mit
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Schriftrollen beladen und den Gürtel und die Tunika über der Brust mit
Edelsteinen vollgestopft hatte.
Der König lächelte wieder in seinen Bart. Dann nahm er den Knaben auf den
Arm und trug ihn zu den Schatztruhen. Er griff mit der Hand in die Perlen,
Rubine, Topase und Amethyste und ließ sie wie einen glitzernden Regen fallen,
um ihn zu versuchen.
"Nein, o König! Davon will ich nichts. Ich möchte etwas
anderes..."
Der König brachte ihn zu den Pulten und las ihm Gedichte, Szenen aus
Heldenepen und Beschreibungen von Ländern vor.
"Oh! Lesen ist viel schöner. Aber es ist nicht das, was ich gern
hätte..."
"Was willst du also? Sprich, und ich werde es dir geben, Kind."
"Oh! Ich glaube nicht, o König, daß du das kannst, trotz deiner Macht.
Es ist nicht etwas von dieser Erde..."
"Ach, du willst Werke, die nicht von dieser Erde sind! Dann schau.
Hier sind die Werke, die Gott seinen Knechten diktiert hat. Höre." Und er
las vom Herrn eingegebene Schriften vor.
"Das ist viel schöner! Aber um das zu verstehen, muß man zuvor gut die
Sprache Gottes lernen. Gibt es kein Buch, das sie lehrt, das uns begreifen
läßt, was Gott ist?"
Der König machte eine Gebärde des Staunens und lachte nicht mehr, sondern
drückte den Knaben an sein Herz.
Der Mann hingegen lachte spöttisch und sagte: "Nicht einmal die
Weisesten wissen, was Gott ist, und du, unwissender Junge, willst es wissen?
Willst du etwa damit reich werden ... ?"
Der König schaute ihn streng an, während der Kleine antwortete: "Ich
suche keine Reichtümer. Ich suche Liebe, und man sagte mir einmal, daß Gott die
Liebe ist."
Nun trug ihn der König zu dem schmucklosen Pult, auf dem die kleine
Schriftrolle lag, die mit einer einfachen Schnur zusammengebunden und ganz
verstaubt war. Er nahm sie, öffnete sie und las die ersten Zeilen: "Wer
klein ist, der komme zu mir, und ich, Gott, werde ihn die Wissenschaft der
Liebe lehren... In diesem Buch ist sie, und ich..."
"Oh! Das will ich! So werde ich Gott kennenlernen, und wenn ich ihn
habe, werde ich alles haben. Gib mir diese Buchrolle, o König, und ich werde
glücklich sein."
"Aber sie hat doch keinen Geldwert! Dieser Knabe ist wirklich töricht!
Er kann nicht lesen und nimmt sich ein Buch! Er ist nicht gebildet und will
sich nicht unterrichten lassen. Er ist arm und nimmt keine Schätze."
"Ich werde mich bemühen, die Liebe zu besitzen, und dieses Buch wird
mich darin unterweisen. Sei gesegnet, o König, denn du gibst mir etwas, womit
ich mich nicht mehr als arme Waise fühle!"
"Dann bete den König wenigstens an, wie ich es getan habe, wenn du
glaubst, daß du durch seine Hilfe glücklich geworden bist!"
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"Ich bete keinen Menschen an, nur Gott, der ihn so gut gemacht
hat." "Dieser Knabe ist der wahre Weise in meinem Reich. Du, Mann,
der du zu Unrecht den Ruf eines Weisen erworben hast, bist trunken vor Hochmut und
Habgier bis zu dem Punkt, daß du das Geschöpf statt den Schöpfer anbetest. Und
dies, nur weil dir das Geschöpf Edelsteine und menschliche Werke angeboten hat.
Du hast nie daran gedacht, daß die Edelsteine, die du nun hast und die ich
hatte, von Gott erschaffen wurden, und daß die seltenen Bücher große Gedanken
beinhalten, weil Gott dem Menschen den Verstand gegeben hat. Dieser Kleine, der
Hunger und Kälte leidet, der verlassen ist und alles Leid dieser Welt kennt, er
hätte einen entschuldbaren Grund gehabt, vor so vielen Reichtümern den Kopf zu
verlieren. Doch siehe, er hat es verstanden, Gott gerechten Dank zu zollen
dafür, daß er mein Herz gut gemacht hat, und er sucht nur das einzig
Notwendige: Gott zu lieben und die Liebe kennenzulernen, um hier und im
Jenseits die wahren Reichtümer zu besitzen. Mann, ich habe dir versprochen, daß
ich dir geben würde, was du ausgewählt hast. Das Wort des Königs ist heilig.
Geh nun mit deinen Steinen und Schriftrollen, den bunten Kieseln und dem Stroh
menschlicher Gedanken. Und lebe in Angst vor Dieben und Motten, den Feinden der
Edelsteine und des Pergaments. Laß dich blenden vom täuschenden Glanz dieser
Splitter und anwidern vom süßlichen Geschmack menschlicher Weisheit, die nur
den Gaumen kitzelt, aber nicht nährt. Geh! Dieser Knabe bleibt an meiner Seite,
und zusammen werden wir uns bemühen, das Buch zu lesen, das Liebe ist, also
Gott. Wir werden uns weder mit dem täuschenden Glanz kalter Steine, noch mit
dem süßlichen Strohgeschmack der Werke menschlichen Wissens begnügen, sondern
das Feuer des ewigen Geistes wird uns schon hier auf Erden das Entzücken des
Paradieses schenken, und wir werden die Weisheit besitzen, die stärkender als
Wein und nahrhafter als Honig ist. Komm, Knabe, der dir die Weisheit ihr wahres
Antlitz gezeigt hat, auf daß du sie zu deiner Braut erwählst."
Nachdem er den Mann weggeschickt hatte, nahm er den Knaben zu sich und
unterrichtete ihn in der göttlichen Weisheit, auf daß er sowohl ein Gerechter
als auch ein der heiligen Salbung auf Erden würdiger König werde, und ein
Bürger des Reiches Gottes im anderen Leben.
Das ist das Gleichnis, das ich den Kindern versprochen und den Erwachsenen
angeboten habe.
Erinnert ihr euch an Baruch? Er sagt: "Wie kommt es, Israel, daß du im
Feindeslande weilst, daß du dahinsiechst in fremdem Land und daß du, wie
Leichen, als unrein giltst? Denen beigezählt wirst, die ins Grab
gesunken?" Und antwortet: "Den Quell der Weisheit hast du verlassen.
Wärst du gewandelt auf Gottes Wegen, du weiltest daheim in Frieden für
immer."
Oh, hört, ihr, die ihr euch zu oft beklagt, im Exil zu leben, obwohl ihr
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doch in eurem Vaterland seid, weil das Vaterland nicht mehr uns, sondern
dem fremden Herrscher gehört. Ihr beklagt euch darüber und wißt nicht, daß dies
im Vergleich zu dem, was euch in der Zukunft erwartet, wie ein Tropfen Galle im
Vergleich zu dem betäubenden Kelch ist, den man den Verurteilten reicht und
der, wie ihr wißt, bitter wie kein anderer Trank auf Erden ist. Das Volk Gottes
leidet, weil es die Weisheit verlassen hat. Wie könnt ihr Klugheit, Stärke und
Einsicht besitzen, wie könnt ihr überhaupt wissen, wo sie zu finden sind, um
dann wenigstens die geringeren Dinge zu erfahren, wenn ihr euch nicht bemüht,
an den Quellen der Weisheit zu schöpfen?
Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Aber die Barmherzigkeit Gottes
gewährt euch die Quelle. Sie ist in Gott. Sie ist Gott selbst. Aber Gott öffnet
seinen Schoß, damit sie zu euch hinabsteige. Nun, hat Israel etwa noch seinen
Schatz, den es besitzt oder besessen hat? In seinem törichten Hochmut über die
Wunder, die es vergeudet hat, glaubt es ihn noch zu besitzen. Es hält sich noch
für reich und verlangt daher Ehren, während es doch nur Mitleid und Spott
erntet. Noch einmal: Besitzt Israel, das Reichtümer, Eroberungen und Ehren
besitzt oder besessen hat, wenigstens noch seinen einzigen Schatz? Nein. Und es
verliert auch die anderen, denn, wer die Weisheit verliert, verliert auch die
Fähigkeit, groß zu sein. Wer die Weisheit nicht kennt, fällt von einem Irrtum
in den anderen. Israel kennt gar viele Dinge, allzu viele, aber die Weisheit
nicht mehr.
Mit Recht sagt daher Baruch: "Die Jungen dieses Volkes sahen das
Licht, und wohnten auf Erden, doch auch sie erkannten nicht den Weg zur
Weisheit, und wußten nichts von ihren Pfaden. Auch ihre Söhne nahmen sie nicht
an, dem Weg zu ihr blieben sie fern."
Weit weg von ihr! Die Söhne nahmen sie nicht an! Prophetische Worte! Ich
bin die Weisheit, die zu euch spricht, und drei Viertel von Israel nimmt mich
nicht auf. Die Weisheit entfernt sich und wird sich immer weiter entfernen, und
Israel wird allein sein... Was werden dann jene tun, die sich für Riesen halten
und daher glauben, den Herrn zwingen zu können, ihnen zu helfen und ihnen zu
dienen? Sind diese Riesen Gott denn von Nutzen bei der Errichtung seines
Reiches? Nein. Mit Baruch sage ich: "Um das wahre Reich Gottes zu gründen,
wird sich Gott nicht die Stolzen erwählen. Er wird sie vielmehr umkommen lassen
in ihrer Torheit", da sie seine Wege verfehlt haben. Denn um mit dem Geist
zum Himmel aufzusteigen und die Lehren der Weisheit zu verstehen, braucht man
einen demütigen und gehorsamen Geist und vor allem Liebe. Denn die Weisheit
spricht ihre eigene Sprache, die Sprache der Liebe, da sie selbst Liebe ist. Um
ihre Wege zu erkennen, ist ein klarer, ein demütiger Blick erforderlich, der
frei ist von der dreifachen Begierlichkeit. Um die Weisheit zu besitzen, muß
man sie mit lebenden Münzen erkaufen: den Tugenden.
Dies fehlt Israel, und ich bin gekommen, um die Weisheit zu lehren,
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euch ihre Wege zu weisen und in eure Herzen die Tugenden zu säen. Denn ich
kenne alles, weiß alles, und bin gekommen, um es Jakob, meinen Knecht, und
Israel, meine Geliebte, zu lehren. Ich bin auf die Welt gekommen, um mit den
Menschen zu reden, ich, das Wort des Vaters, um die Menschensöhne an der Hand
zu nehmen, ich, der Sohn Gottes und der Menschensohn, der Weg des Lebens. Ich
bin gekommen, um euch in die Kammer der ewigen Schätze zu führen, ich, dem
alles von meinem Vater übergeben wurde. Ich bin gekommen, ich, der ewig
Liebende, um meine Braut zu holen, die Menschheit, die ich auf meinen Thron
erheben und in mein Brautgemach führen will, damit sie bei mir sei im Himmel.
Ich will sie in meinen Weinkeller führen, auf daß sie trunken werde vom wahren
Weinstock, von dem die Reben ihr Leben empfangen. Aber Israel ist die träge
Braut, die sich nicht vom Lager erhebt, um dem zu öffnen, der zu ihr kommt. Und
so geht der Bräutigam fort. Er wird vorübergehen. Er ist schon im Begriff
vorüberzugehen. Später wird Israel ihn vergebens suchen, und es wird nicht die
barmherzige Liebe seines Erlösers finden, sondern die Streitwagen seiner
Beherrscher; und es wird zerschmettert werden und Hochmut und Leben verlieren,
nachdem es versucht hat, sich sogar den barmherzigen Willen Gottes zu
unterwerfen.
O Israel, Israel! Du verlierst das wahre Leben, um dir eine trügerische
Illusion von Macht zu bewahren! O Israel, du glaubst dich zu retten und willst
dich retten abseits von den Wegen der Weisheit und gehst zugrunde, da du dich
der Lüge und dem Verbrechen verkaufst. Schiffbrüchiges Israel, du willst dich
nicht am sicheren Ankertau festhalten, das dir zu deiner Rettung zugeworfen
wird, und klammerst dich an das Wrack deiner Vergangenheit. So trägt dich der
Sturm fort, auf das weite, furchterregende, lichtlose Meer hinaus. O Israel,
was nützt es dir, dein Leben zu retten oder es retten zu wollen für eine
Stunde, ein Jahr, ein, zwei oder drei Jahrzehnte auf Kosten eines Verbrechens,
wenn du dann für alle Ewigkeit zugrundegehst? Das Leben, der Ruhm, die Macht,
was sind sie? Eine schmutzige Wasserblase an der Oberfläche eines Tümpels, der
zum Wäschewaschen benützt wird und irisiert, nicht von Edelsteinen, sondern vom
fettigen Schmutz, der mit dem Salpeter hohle Blasen bildet, die bald
zerplatzen, so daß nichts mehr bleibt als ein Ring in dem von menschlichem
Schweiß verschmutzten Wasser. Nur eines ist notwendig, o Israel: der Besitz der
Weisheit. Sogar um den Preis des Lebens. Denn das Leben ist nicht das
Kostbarste auf Erden. Und besser ist es, hundert Leben zu verlieren als die
eigene Seele.»
Jesus hat in einem bewundernden Schweigen geendet. Er versucht, sich einen
Weg zu bahnen und fortzugehen... Aber die Kinder wollen noch einen Kuß von
seinen Lippen, und die Erwachsenen seinen Segen. Erst danach, nachdem er noch
Kleophas und Hermas von Emmaus gegrüßt hat, kann er gehen.