DIE GEBURT JESU, UNSERES HERRN
Kap.47
Ich sehe wieder
das Innere dieser armen, steinigen Zufluchtsstätte, wo Maria und Joseph, das
Los der Tiere teilend, Unterkunft gefunden haben.
Das Feuerchen
schlummert zusammen mit seinem Wächter. Maria hebt leise ihr Haupt vom Lager
und schaut sich um. Sie sieht Joseph, der mit dem bis auf die Brust gesunkenen
Haupt dasitzt, als ob er nachdenke. Sie erkennt, daß die Müdigkeit stärker war
als sein guter Wille, und lächelt gütig. Nun setzt sie sich auf, darum bemüht,
so wenig Geräusche als möglich zu verursachen – selbst ein Falter könnte sich
nicht lautloser auf einer Rose niederlassen – und geht dann von der sitzenden
Stellung in die kniende über, um mit einem glücklichen Lächeln auf dem Antlitz
zu beten. Sie betet mit offenen Armen; nicht in Kreuzesform, sondern die Arme
erhoben und nach vorne gerichtet, und die Handflächen nach oben geöffnet. Sie
scheint nicht müde zu werden in dieser unbequemen Haltung. Dann beugt sie sich
ganz tief nach vorne, bis sie mit ihrem Gesicht das Heu berührt, und verharrt
so in einem innigen, sehr langen Gebet.
Joseph schüttelt
sich. Er sieht, daß das Feuer fast erstorben und der Stall fast dunkel ist. Er
wirft eine Handvoll feinen Heidekrauts hinein, und die Flamme flackert wieder
auf; nun legt er größere Zweige hinzu, dann noch größere, denn es beginnt,
empfindlich kalt zu werden. Die Kälte dieser heiteren Winternacht dringt von
allen Seiten in die Ruine ein. Der arme Joseph, so nahe an der Tür – nennen wir
so das Loch, über dem sein Mantel hängt – muß vor Kälte fast erstarrt sein. Er
hält die Hände an die Flamme, löst die Sandalen und streckt auch die Füße zum
Feuer hin. So erwärmt er sich. Sobald das Feuer gut brennt und sein Licht
verbreitet, dreht er sich um. Aber er sieht nichts; nicht einmal den hellen
Schleier von Maria, der sich erst wie ein heller Streifen vom dunklen Heu
abhob. Er richtet sich auf und nähert sich der Lagerstätte.
«Schläfst du,
Maria?» fragt er. Dreimal muß er fragen, bis sie sich bewegt und antwortet:
«Ich bete.»
«Benötigst du
nichts?»
«Nein, Joseph.»
«Versuche etwas zu
schlafen; wenigstens etwas auszuruhen!»
«Ich werde es
versuchen. Aber beten ermüdet mich nicht.»
«Gott sei mit dir,
Maria!»
«Und auch mit dir,
Joseph!»
Maria nimmt wieder
ihre frühere Stellung ein. Joseph wirft sich neben dem Feuer auf die Knie, um
nicht wieder dem Schlaf zu verfallen, und betet. Er betet mit den Händen vor
dem Gesicht. Bisweilen entfernt er sie, um das Feuer zu schüren; dann kehrt er
wieder zu seinem inständigen Gebet zurück. Abgesehen von dem Geräusch der
Holzstücke, die im Feuer prasseln, und dem des Esels, der dann und wann mit
einem Huf auf den Boden schlägt, hört man nichts.
Ein feiner
Mondstrahl dringt durch einen Spalt in der Decke und scheint wie eine
körperlose, silberne Klinge Maria zu suchen. Sie wird mit dem Höhersteigen des
Mondes immer größer, so daß sie schließlich das Haupt der Betenden erreicht und
es mit einem strahlenden Glanz umgibt.
Maria hebt das
Haupt, wie einer himmlischen Stimme folgend, und wirft sich von neuem auf die
Knie. Ihr Haupt scheint im weißen Licht des Mondes zu strahlen, und ein
übernatürliches Lächeln verklärt sie. Was sieht sie? Was hört sie? Was
empfindet sie? Nur sie allein könnte sagen, was sie sieht, hört und empfindet
in der leuchtenden Stunde ihrer Mutterschaft. Ich sehe nur, daß um sie herum
das Licht stärker und immer stärker wird. Es scheint vom Himmel zu kommen; es
scheint von den ärmlichen Dingen rings um sie herum auszugehen; es scheint vor
allem, daß sie selbst es ist, die es ausstrahlt.
Ihr dunkelblaues
Gewand erscheint jetzt im milden Himmelsblau des Vergißmeinnichts. Die Hände
und das Gesicht werden bläulich, wie unter dem Licht eines riesigen,
bleichglühenden Saphirs. Diese Farbe erinnert mich, auch wenn sie zarter ist,
an jene, die ich in den Visionen des heiligen Paradieses und auch bei der
Ankunft der Weisen gesehen habe. Immer mehr breitet sie sich aus über die
Gegenstände und Kleider und läutert sie und gibt ihnen ihren Glanz.
Immer mehr strömt dieses
Licht vom Körper Marias aus. Es scheint, daß sie alles Licht anzieht, das vom
Himmel kommt. Nunmehr ist sie selbst die Verwalterin des "Lichtes".
Sie, die dieses Licht der Welt geben soll. Es ist das beseligende,
unbezwingbare, unermeßliche, ewige, göttliche Licht, das jetzt gegeben wird und
das sich ankündet durch eine Morgendämmerung, einen Morgenstern, einen Chor von
Lichtatomen, die anwachsen, wachsen wie eine Meeresflut, die steigen,
aufsteigen wie Weihrauch, die herniederfallen wie ein Strom und sich ausbreiten
wie ein Schleier...
Die Decke voller
Risse, Spinngewebe, hervorspringender Trümmer, die in der Schwebe hängen wie
ein statisches Wunder, rauchgeschwärzt und abstoßend, erscheint nun wie das
Gewölbe eines königlichen Saals. Jeder Stein wirkt wie ein silberner Block,
jeder Riß wie das Schimmern eines Opals, jedes Spinngewebe wie ein kostbarer
Baldachin, durchwirkt mit Silber und Diamanten. Eine große Eidechse, die sich
zwischen zwei Felsstücken im Winterschlaf befindet, scheint ein Smaragd zu
sein, der dort von einer Königin vergessen wurde, und eine Traube von
schlafenden Fledermäusen sieht aus wie ein kostbarer Leuchter von Onyx. Das
Heu, das von der höheren Krippe herabhängt, ist kein Gras mehr: es sind Fäden
aus reinem Silber, die in der Luft mit der Anmut aufgelöster Haare zittern.
Die
darunterliegende Krippe in ihrem groben Holz ist ein Block von gebräuntem
Silber geworden. Die Wände sind bedeckt mit einem Brokat, in dem der Glanz der
weißen Seide unter den perlfarbigen Verzierungen verschwindet. Und der Boden?
... Was ist aus dem Boden geworden? Ein von weißem Licht erhellter Kristall.
Die Buckel sind wie Lichtrosen, die als Ehrenbezeigung auf den Boden gestreut
wurden, und die Löcher wie kostbare Kelche, aus denen Wohlgerüche aufsteigen.
Das Licht wird
stärker und stärker. Es wird für das Auge unerträglich. In ihm verschwindet,
wie von einem weißglühenden Lichtschleier verhüllt, die Jungfrau... und kommt
aus ihm hervor als die Mutter.
Ja, als das Licht
für meine Augen wieder erträglich wird, sehe ich Maria mit ihrem neugeborenen
Sohn auf den Armen. Ein Kindlein, rosig und mollig, das sich bewegt und mit
seinen Händchen – groß wie Rosenknospen – herumfuchtelt und mit seinen Füßlein
zappelt, die im Herzen einer Rose Platz hätten. Es wimmert mit einem zitternden
Stimmlein, gerade wie ein eben geborenes Lämmlein, und zeigt beim Öffnen des
Mündleins, das klein wie eine Walderdbeere ist, ein gegen den Gaumen zitterndes
Zünglein. Ein Kindlein, das sein Köpfchen bewegt, das die Mutter in ihrer hohlen
Hand hält, während sie ihr Kindlein betrachtet und anbetet, weinend und freudig
zugleich. Sie neigt sich, um es zu küssen, nicht auf das unschuldige Haupt,
sondern tiefer, mitten auf die Brust, dort, wo das Herzchen schlägt... ja, für
uns schlägt... dort, wo eines Tages die Wunde sein wird. Sie heilt sie schon im
voraus, die Wunde; sie, die Mutter, mit ihrem unbefleckten Kuß.
Der vom Lichtglanz
geweckte Ochse erhebt sich mit großem Lärm der Hufe und einem lauten Muhen. Der
Esel wendet seinen Kopf und schreit sein «Iah!». Das Licht, das sie verwundert,
hat sie geweckt; aber ich denke lieber, daß sie ihren Schöpfer haben grüßen
wollen, in ihrem Namen und in dem aller Tiere.
Auch Joseph, der
wie verzückt innig betet, so daß er all dem entzogen schien, was ihn umgab,
kommt nun zu sich und sieht durch die vor das Gesicht gehaltenen Finger das
eigenartige Licht durchscheinen, hebt den Kopf und dreht sich um. Der stehende
Ochse verbirgt Maria. Aber sie ruft: «Joseph, komm!» Joseph eilt hin... aber,
als er sieht, was geschehen ist, hält er von Ehrfurcht überwältigt inne und
will auf die Knie fallen. Aber Maria wiederholt: «Komm, Joseph!» und stützt
sich mit der Linken auf das Heu, während sie mit der Rechten das Kind an ihr
Herz drückt; sie erhebt sich und geht Joseph entgegen, der sich verlegen
nähert, hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen hinzugehen und der Furcht,
unehrerbietig zu sein.
An der Lagerstätte
begegnen sich die beiden Verlobten und blicken sich an in seligem Weinen.
«Komm, wir wollen
Jesus dem Vater aufopfern!» sagt Maria.
Und während Joseph
niederkniet, hält Maria, die aufrecht zwischen den beiden das Gewölbe tragenden
Pfosten steht, ihr Kind in die Höhe und spricht: «Hier bin ich. Für ihn, o
Gott, sage ich dir diese Worte: "Sieh, hier bin ich, deinen Willen zu tun.
Und mit ihm, ich, Maria, und Joseph, mein Bräutigam. Sieh, o Herr, deine
Diener! Möge an uns immer und in jeder Stunde dein Wille geschehen zu deiner
Ehre und aus Liebe zu dir."» Dann neigt sich Maria und sagt: «Nimm,
Joseph!» und bietet ihm das Kind an.
«Ich? Mir? O nein!
Ich bin nicht würdig!» Joseph ist verwirrt, vernichtet bei dem Gedanken, Gott
zu berühren.
Maria aber besteht
lächelnd auf ihrem Wort: «Du bist dessen wohl würdig. Niemand mehr als du, und
deswegen hat der Allerhöchste dich erwählt. Nimm, Joseph, und halte es, während
ich die Windeln hole!»
Joseph, rot wie
Purpur, streckt die Hände aus, nimmt das Bündelchen Fleisch, das vor Kälte
schreit, und nachdem er es einmal in den Armen hat, verharrt er nicht weiter in
seiner Absicht, es aus Ehrfurcht weit von sich zu halten; er drückt es an sein
Herz und sagt unter reichlichen Tränen: «Oh! Herr! Mein Gott!» Und er beugt
sich, um die Beinchen zu küssen. Er fühlt ihre Kälte und setzt sich daher zu
Boden, nimmt das Kind in seinen Schoß und sucht es mit seinem braunen Gewand
und seinen Händen zu bedecken, zu erwärmen und zu schützen vor der bitteren
Kälte der Nacht. Er möchte zum Feuer gehen, aber da ist die Zugluft, die durch
die Tür eindringt. Lieber hier bleiben. Besser noch ist es, zwischen die beiden
Tiere zu gehen, die einen Schild bilden gegen die Zugluft und Wärme
ausstrahlen. So begibt er sich zwischen Ochs und Esel und stellt sich mit dem
Rücken gegen die Türöffnung, über den Neugeborenen gebeugt, um aus seiner Brust
eine Muschel zu machen, deren Seitenwände ein grauer Kopf mit langen Ohren und
ein großes weißes Maul mit dampfenden Nüstern und feuchten, gutmütigen Augen
sind. Maria hat die Truhe geöffnet und ihr Tücher und Windeln entnommen. Sie
ist ans Feuer gegangen und hat sie erwärmt. Nun kommt sie zu Joseph und wickelt
das Kind in die gewärmte Leinwand und dann in ihren Schleier, um sein Köpfchen
gegen die Kälte zu schützen.
«Wo legen wir es
jetzt hin?» fragt sie.
Joseph schaut
umher und denkt nach... «Warte!» sagt er. «Treiben wir die beiden Tiere samt
ihrem Heu hinüber, und nehmen wir das Heu von oben herunter, und legen wir es
da hinein! Das Holz der Krippenwand wird es vor der Zugluft schützen; das Heu
kann ihm als Kissen dienen; und der Ochse wird es mit seinem Atem etwas
erwärmen... besser der Ochse, er ist geduldiger und ruhiger.» Joseph macht sich
an die Arbeit, während Maria ihr Kindlein in den Schlaf wiegt, indem sie es
fest an ihr Herz drückt und ihre Wange an sein Köpfchen hält, um ihm Wärme zu
spenden.
Joseph schürt das
Feuer; ohne zu sparen legt er auf, um eine schöne Flamme zu haben; er erwärmt
das Heu und legt es unter seinen Mantel, damit es nicht wieder erkälte, und als
er soviel beisammen hat, daß er ein Maträtzchen für das Kindlein daraus bilden
kann, geht er zur Krippe und legt es wie in einer Wiege zurecht. «Fertig», sagt
er. «Jetzt brauchen wir noch eine Decke, denn das Heu sticht, und auch, um es
zuzudecken...»
«Nimm meinen
Mantel», sagt Maria.
«Du wirst kalt
haben!»
«Oh! Das macht
nichts! Die Decke ist zu rauh. Der Mantel ist warm und weich. Ich fühle
durchaus keine Kälte. Nur daß Er nicht mehr darunter leide!»
Joseph nimmt den
weiten Mantel aus dunkelblauer, weicher Wolle, legt ihn doppelt genommen über
das Heu und läßt einen Zipfel über die Krippe herunterhängen. Das erste
Bettlein für den Erlöser ist bereit.
Die Mutter bringt
ihn mit ihrem anmutigen, wiegenden Schritt herbei legt ihn nieder, bedeckt ihn
mit den Zipfeln des Mantels und hüllt auch das nackte Köpfchen ein. Nur das
Gesichtchen bleibt unbedeckt. Die beiden beugen sich über die Krippe und
betrachten selig das Kindlein, wie es seinen ersten Schlaf schläft; die sanfte
Wärme der Windeln und des Heus haben die Tränen versiegen und den süßen Jesus
einschlafen lassen.