JOHANNES UND JAKOBUS BERICHTEN PETRUS VOM MESSIAS

Kap.81

Dem Text des Johannesevangeliums entsprechend war Andreas "einer der beiden Jünger, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren" (Joh 1,40). Hier mußte der Evangelist seinem im vorigen Kapitel beschriebenen Zeitraffverfahren Tribut zollen. Denn bei der Wiederbegegnung mit Jesus war der zweite Jünger nicht Andreas, sondern Jakobus. Aber Johannes wollte den ursprünglichen Anteil des Andreas an der späteren Berufung der Apostel nicht übergehen und fügte um der Harmonisierung willen die und-Verknüpfung hinzu. Ebenso ehrenhalber läßt er Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus führen (1,40), obwohl Johannes der eigentliche Initiator ist.

Aus den folgenden Dialogen bei Valtorta geht hervor, daß Andreas zuvor kurzen Kontakt zu Johannes und Jakobus hatte. Jesu Kommentar in Kap.80 erhellt die Situation:

Zusammen kehrten wir (Jesus, Johannes, Jakobus) zu den Ufern des Sees Genesareth zurück, wo ich Unterkunft gefunden hatte und von wo aus ich meine Heilsverkündigung beginnen wollte. Die beiden sprachen über mich mit den anderen Fischern – nämlich worüber sie auf dem Weg und nachher im gastlichen Haus eines Freundes mit mir gesprochen hatten.

Die Sonne geht friedvoll über dem galiläischen Meer auf. Himmel und Wasser haben rötliche Reflexe, ähnlich jenen, die sanft auf den Mauern kleiner Gärten eines verborgenen Dörfleins spielen; verborgen unter den reichen Kronen der die Mauern überragenden Obstbäume.

Das Dörflein ist gerade am Erwachen. Ab und zu geht eine Frau zum Brunnen oder mit einem Korb voller Wäsche zum Waschtrog; einige Fischer, ihren Fang in den Körben, feilschen mit von auswärts gekommenen Händlern oder tragen ihre Fische nach Hause. Ich sage Dörflein. Doch so klein ist es gar nicht. Es ist weitläufig und am Ufer dahingestreckt.

Johannes kommt aus einer Seitengasse und geht eilends zum See. Jakobus folgt ihm, doch viel bedächtiger. Johannes betrachtet die bereits am Seeufer angelangten Boote, kann jedoch das gesuchte nicht finden. Schließlich entdeckt er es noch ein paar hundert Meter vom Ufer entfernt auf dem See. Er legt die Hände an den Mund und ruft ein langezogenes «Oh – hee», was anscheinend der gebräuchliche Ruf ist. Und als er sieht, daß er gehört worden ist, gibt er mit den Armen ein Zeichen: «Kommt, kommt!» Die Männer im Boot legen sich in die Ruder, und das Boot fährt schneller; vielleicht auch, weil die Segel eingezogen worden sind. Als es ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt ist, wartet Johannes nicht länger. Er legt den Mantel und das lange Kleid ab und wirft beides auf den kiesigen Strand, zieht die Sandalen aus, hebt das lange Unterkleid bis über die Knie und geht im Wasser den Ankommenden entgegen.

«Warum seid ihr zwei nicht gekommen?» fragt Andreas. Petrus ist schlecht gelaunt und sagt nichts.

«Und du, warum bist du nicht mit mir und Jakobus gegangen?» antwortet Johannes dem Andreas.

«Ich bin zum Fischen gegangen. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Du hingegen bist mit diesem Mann verschwunden.»

«Ich hatte dir doch ein Zeichen gegeben, daß auch du kommen sollst. Er ist es wirklich. Wenn du seine Worte hörst!... Wir waren den ganzen Tag lang bis spät in die Nacht hinein mit ihm zusammen. Nun sind wir hier, um euch zu sagen: "Kommt!"»

«Ist er es wirklich? Bist du sicher? Wir haben ihn kaum gesehen, als der Täufer uns auf ihn aufmerksam machte.»

«Er ist es. Er selbst hat es nicht verneint.»

«Jeder kann sagen, was ihm gefällt, um sich bei den Leichtgläubigen durchzusetzen. Es wäre nicht das erste Mal», murrt Petrus unzufrieden.

«Oh, Simon! Sprich nicht so! Es ist der Messias. Er weiß alles! Er hört dich!»

Johannes ist betroffen und betrübt ob der Worte des Petrus.

«Natürlich! Der Messias! Und er soll sich ausgerechnet dir, Jakobus und Andreas zeigen? Drei armen Unwissenden? Der Messias? Er will doch andere! Hör mich an! Armer Junge! Die erste Frühlingssonne hat dir wohl zugesetzt. Komm, an die Arbeit! Das wird besser sein. Laß die Märchen!»

«Es ist der Messias. Ich sage es dir. Johannes der Täufer sprach von heiligen Dingen; doch dieser spricht als Gott. Wäre er nicht Christus, so könnte er nicht in dieser Weise sprechen.»

«Simon, ich bin kein kleiner Junge mehr. Ich habe mein Alter und bin ruhig und bedächtig. Du weißt es. Wenig habe ich gesprochen, doch viel habe ich hören dürfen in diesen Stunden, in denen ich mit dem Lamm Gottes zusammen war; und ich muß es dir sagen, er kann nur der Messias sein. Warum willst du es nicht glauben? Vielleicht, weil du ihn nicht gehört hast. Aber ich glaube es. Wir sind zwar arme und unwissende Menschen. Aber er sagt, daß er gekommen sei, die Frohe Botschaft vom Reich Gottes den Armen, den Demütigen und den Kleinen, noch vor den Großen, zu verkünden. Er hat gesagt: "Die Großen haben schon ihre Freuden. Sie sind aber nicht beneidenswert im Vergleich zu denen, die ich euch bringe. Die Großen können allein dank ihrer Bildung zur Einsicht gelangen. Ich aber komme zu den Kleinen Israels und der Welt, zu denen, die weinen und hoffen, die das Licht suchen und nach dem wahren Manna hungern. Von den Gelehrten erhalten sie weder Licht noch Nahrung, nur Bürden, Finsternis, Ketten und Verachtung. Ich rufe die 'Kleinen'. Ich bin gekommen, die Welt auf den Kopf zu stellen; denn ich werde erniedrigen, was jetzt hoch steht, und erhöhen, was jetzt verachtet wird. Wer die Wahrheit und den Frieden wünscht, der komme zu mir! Wer das Licht liebt, der komme! Ich bin das Licht der Welt." Hat er nicht so gesagt, Johannes?»Jakobus hat ruhig, aber mit innerer Ergriffenheit gesprochen.

«Ja, und er hat gesagt: "Die Welt wird mich nicht lieben, die vornehme Welt, denn sie ist verdorben und voller Laster und gotteslästerlichem Wandel. Die Welt will mich nicht, da die Finsternis das Licht scheut. Doch die Welt besteht nicht nur aus der Welt der Vornehmen. In ihr gibt es auch andere, die, obwohl sie in der Welt leben, doch nicht von dieser Welt sind. Es gibt solche, die in der Welt wie Fische im Netz gefangen sind." Ja, so hat er gesagt; denn wir befanden uns gerade am Ufer des Sees, und er wies auf die mit Fischen gefüllten Netze, die ans Ufer geschleppt wurden. Er hat noch gesagt: "Schaut, keiner dieser Fische wollte ins Netz geraten. Auch die Menschen haben nicht die Absicht, sich von Satan beherrschen zu lassen. Nicht einmal die schlimmsten Verbrecher; denn sie glauben wegen des Hochmuts, der sie blendet, nicht, daß sie zu ihrem Tun nicht berechtigt seien. Ihre große Sünde ist der Hochmut. Aus dieser Wurzel gedeihen alle anderen Übel. Die aber nicht vollends Schlechten möchten noch weniger von Dämonen beherrscht werden. Doch sie verfallen ihm aus Leichtsinn und durch eine Last, die sie zu Boden drückt und die Adam verschuldet hat. Ich bin gekommen, diese Schuld hinwegzunehmen und in Erwartung der Erlösung allen, die an mich glauben, eine solche Kraft zu schenken, daß sie fähig werden, sich von der Fessel zu befreien und mir, dem Licht der Welt, nachzufolgen."»

«Wenn er wirklich so gesagt hat, dann müssen wir sofort zu ihm gehen!» Petrus, in seiner impulsiven Art, die mir gut gefällt, hat sich sofort entschieden und beeilt sich nun, die Arbeit des Ausladens zu Ende zu bringen; denn das Boot ist inzwischen am Ufer angelangt und die Hilfskräfte haben es aufs Trockene gezogen und entnehmen ihm nun Netze, Seile und Segel.

«Und du, törichter Andreas, warum bist du nicht mit ihnen gegangen?»

«Aber Simon... du hast mich gerügt, weil es mir nicht gelungen war, diese beiden zu überreden, mit mir zu kommen... Die ganze Nacht hast du deswegen gemurrt, und nun tadelst du mich, weil ich nicht mit ihnen gegangen bin ...»

«Du hast recht... Doch ich habe ihn noch nicht gesehen... du schon... und es hätte dir schon auffallen müssen, daß er nicht einer ist wie wir. Irgend etwas Schöneres wird er doch an sich haben! ...»

«O ja!», sagt Johannes. «Sein Antlitz! Seine Augen! Nicht wahr, Jakobus, welche Augen! Und erst die Stimme! Oh, welche Stimme! Wenn er spricht, glaubst du, vom Paradies zu träumen.»

«Macht schnell, schnell! Gehen wir zu ihm! Ihr (Petrus wendet sich an die Gehilfen) bringt alles zu Zebedäus und sagt ihm, er soll sich darum kümmern. Wir werden heute abend zum Fischen wieder da sein.»

Sie kleiden sich an und gehen. Doch Petrus bleibt nach einigen Metern stehen, packt Johannes am Arm und fragt ihn: «Hast du nicht gesagt, daß er alles weiß und alles hört? ...»

«Ja. Denk einmal, als wir den Mond aufgehen sahen, fragten wir uns: "Wer weiß, was Petrus nun macht?" Da sagte er: "Er wirft die Netze aus und ist unzufrieden darüber, daß er alles allein machen muß, weil ihr nicht mit dem zweiten Boot ausgefahren seid an einem Abend mit so gutem Fischfang... Er weiß noch nicht, daß er bald nur noch mit anderen Netzen fischen und andere Beute machen wird."»

«Um Gottes willen! Das ist wahr! Dann wird er auch gehört haben, daß ich ihn fast als einen Lügner bezeichnet habe. Ich kann nicht zu ihm gehen...»

«Oh, er ist so gut. Natürlich weiß er, was du gedacht hast. Er wußte es sofort. Denn als wir ihn verließen und ihm sagten, daß wir zu dir gingen, sagte er: "Geht, doch laßt euch nicht von seinen ersten mißbilligenden Worten einschüchtern! Wer mir nachfolgen will, muß verstehen und darf sich nicht vom Spott der Welt und Verboten der Verwandten zurückhalten lassen. Denn ich stehe über den Banden des Blutes und der Gesellschaft, und ich werde über beide triumphieren! Und wer mit mir ist, wird in Ewigkeit frohlocken." Und dann hat er noch gesagt: "Sprecht ohne Angst! Wenn er euch hört, wird er kommen, denn er ist ein Mensch voll guten Willens."»

«Hat er das gesagt? Dann komme ich. Sprich, erzähle weiter von ihm, während wir gehen! Wo ist er jetzt?»

«In einem armen Haus; es müssen Freunde seiner Familie sein.»

«Ist er denn arm?»

«Ein Arbeiter aus Nazareth. Er sagte es selbst.»

«Wovon lebt er jetzt, wenn er nicht mehr arbeitet?»

«Wir haben nicht gefragt; vielleicht helfen ihm seine Verwandten.»

«Dann wird es gut sein, wenn wir Brot, Fische, Früchte und einige andere Dinge mitbringen. Gehen wir zu einem Rabbi und befragen wir ihn; denn er ist wie ein Rabbi... ja mehr noch..., und mit leeren Händen! Unsere Rabbis lieben dies nicht! ...»

«Aber er will es so. Jakobus und ich hatten nur zwanzig Denare bei uns, und, wie es Brauch ist mit Rabbis, haben wir ihm das Geld angeboten. Doch er hat es nicht angenommen. Als wir ihn drängten, sagte er: "Gott möge es euch vergelten mit dem Segen der Armen! Kommt mit mir!" Und sogleich hat er die Gabe den Ärmsten gebracht; denn er wußte, wo diese wohnen. Und uns hat er auf die Frage, ob er denn für sich selbst nichts behalte, geantwortet: "Die Freude, den Willen Gottes zu tun, und seiner Ehre zu dienen." Wir haben auch gesagt: "Du rufst uns; doch wir sind alle arm. Was sollen wir dir bringen?" Er hat mit einem Lächeln, welches das Paradies ahnen läßt, geantwortet: "Einen großen Schatz verlange ich von euch." Und wir: "Aber wir besitzen doch nichts." Darauf er: "Einen Schatz mit sieben Namen, den auch der Geringste haben und der reichste König nicht haben kann: ihr habt ihn, und ich will ihn. Hört seine Namen: Liebe, Glaube, guter Wille, redliche Absicht, Enthaltsamkeit, Aufrichtigkeit und Opferbereitschaft. Das verlange ich von denen, die mir nachzufolgen bereit sind. Dies allein, und ihr habt es. Es schläft noch wie der Same im Winter in der Erdscholle; doch die Sonne meines Frühlings wird den Samen zur siebenfachen Ähre heranwachsen lassen." So hat er gesprochen.»

«Das ist mir Beweis genug, daß er der wahre Rabbi, der verheißene Messias ist. Er ist nicht hart gegen die Armen, er verlangt kein Geld. Dies genügt, ihn den Heiligen des Herrn zu nennen. Wir haben nichts zu befürchten.»

 

 

 

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