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DAS GLEICHNIS VON DEN ZEHN JUNGFRAUEN

Kap. 246

Jesus spricht vor vielen Jüngern, den Frauen, unter ihnen Maria, seiner Mutter, und Martha, sowie anderen Leuten von Bethanien. Alle Apostel sind anwesend. Die Predigt muß gerade erst begonnen haben, denn es kommen immer noch Menschen...

Jesus sagt: «... Gerade wegen dieser Angst, die ich so lebhaft in vielen von euch sehe, möchte ich euch heute ein schönes Gleichnis erzählen. Ein Gleichnis, das für die Menschen guten Willens süß und für die anderen bitter ist. Aber diese können sich vom Bitteren befreien. Auch sie können guten Willens werden, und der Vorwurf, der sich durch das Gleichnis im Gewissen regt, wird sich legen. Das Himmelreich ist das Haus, in dem sich die Vermählung Gottes mit den Seelen vollzieht, und der Augenblick des Eintritts ist der Hochzeitstag.

So hört also. Bei uns ist es Sitte, daß Jungfrauen den Bräutigam begleiten, um ihn mit Lichtern und Gesängen mit seiner Braut ins Hochzeitshaus zu geleiten. Wenn der Hochzeitszug das Haus der Braut verläßt, die sich verschleiert und gerührt als Königin zu ihrem Platz begibt, in ein Haus, das nicht das ihrige ist, das aber in dem Augenblick, da sie und der Bräutigam ein Fleisch werden, das ihrige wird, dann eilen die Jungfrauen, meist Freundinnen der Braut, diesen beiden Glücklichen entgegen, um sie mit einem Lichterkranz zu umringen.

Nun geschah es, daß in einem Dorf eine Hochzeit gefeiert wurde. Während die Brautleute sich mit den Verwandten und Freunden im Haus der Braut versammelten, gingen zehn Jungfrauen an ihren Platz, in den Vorraum des Hauses des Bräutigams, bereit, ihm entgegenzueilen, sobald der Klang der Zimbeln und Gesänge ankündigen würden, daß die Brautleute das Haus der Braut verlassen, um zum Haus des Bräutigams zu gehen. Aber das Mahl im Haus der Braut zog sich in die Länge, und die Nacht brach herein. Die Jungfrauen, ihr wißt es, haben immer brennende Lampen, um im rechten Augenblick keine Zeit zu verlieren. Nun waren unter diesen zehn Jungfrauen mit brennenden Lampen fünf kluge und fünf törichte. Die Klugen hatten sich weislich mit kleinen Gefäßen voll Öl eingedeckt, um ihre Lampen damit auffüllen zu können, wenn die Wartezeit länger als vorgesehen sein würde, während die Törichten nur ihre Lampen gut gefüllt hatten.

Eine Stunde verging nach der anderen. Zuerst redeten sie miteinander, erzählten sich gegenseitig Geschichten und machten Späße, um sich die Zeit zu vertreiben. Doch schließlich wußten sie nichts mehr zu sagen und zu tun. Gelangweilt oder auch einfach müde, setzten sich die zehn Mädchen bequem nieder, mit ihren brennenden Lampen in der Nähe, und schliefen langsam alle ein. Es kam die Mitternacht, und man hörte den Ruf: "Auf! Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!" Die zehn Mädchen erhoben sich sofort, nahmen ihre Schleier und ihre Blumenkränze und machten sich bereit; dann liefen sie zum Tisch, auf den sie ihre Lampen gestellt hatten. Fünf von diesen waren bereits am Erlöschen... Der Docht, der nicht mehr von Öl getränkt und daher verbraucht war, rauchte. Die Flammen wurden immer schwächer und drohten beim leisesten Windhauch zu erlöschen. Die fünf anderen Lampen hingegen, die vor dem Schlaf von den Klugen aufgefüllt worden waren, hatten noch helle Flammen und strahlten noch heller, nachdem neues Öl nachgefüllt worden war.

"Oh", baten die Törichten, "gebt uns ein wenig von eurem Öl, sonst erlöschen unsere Lampen, sobald wir sie bewegen. Eure leuchten so schön." Aber die Klugen antworteten: "Draußen bläst der nächtliche Wind, und der Regen fällt mit großen Tropfen. Das Öl wird nicht ausreichen, um eine große Flamme zu machen, die dem Wind und dem Regen standhält. Wenn wir davon abgeben, wird es geschehen, daß auch unsere Lampen nur noch flackern, und der Brautzug wäre jämmerlich ohne das Leuchten der Lampen! Lauft, geht zum nächsten Krämer, bittet, klopft an, damit er aufsteht, um euch Öl zu geben."

Die fünf Törichten folgten dem Rat der Gefährtinnen, wobei sie unterwegs die Kränze verloren, da sie immer wieder in der Dunkelheit zusammenstießen und sich die Schleier zerknitterten und die Kleider beschmutzten.

Doch während sie gingen, Öl zu kaufen, erschien am Ende der Straße der Bräutigam mit der Braut. Die fünf Jungfrauen eilten ihnen mit den brennenden Lampen entgegen und betraten mit dem Bräutigam in ihrer Mitte das Haus, um dort die Feier abzuschließen, indem sie die Braut ins Brautgemach geleiteten. Nach ihrem Eintritt wurde das Haus geschlossen, und wer draußen war, mußte draußen bleiben. So fanden die fünf Törichten, die endlich mit dem Öl angekommen waren, die Tür verschlossen und klopften vergebens, sich die Hände verletzend und klagend: "Herr, Herr, öffne uns! Wir gehören zum Hochzeitszuge. Wir sind die glückbringenden Jungfrauen, dazu auserwählt, deinem Brautgemach Ehre und Glück zu bringen." Aber der Bräutigam rief vom Obergeschoß des Hauses herab, nachdem er für einen Augenblick die intimsten Eingeladenen verlassen hatte, mit denen er sich gerade unterhielt, während die Braut sich in das Brautgemach zurückgezogen hatte: "Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid. Eure Gesichter waren nicht unter den Feiernden, die meine Geliebte umgaben. Ihr seid nicht das, wofür ihr euch ausgebt, und sollt daher aus dem Hochzeitshaus ausgeschlossen bleiben." Die fünf Törichten gingen weinend mit den nun nutzlosen Lampen, den zerknitterten Kleidern, den zerrissenen Schleiern und den aufgelösten oder verlorenen Blumenkränzen auf der finsteren Straße fort.

Und nun hört die im Gleichnis enthaltene Lehre! Ich habe euch anfangs gesagt, daß das Himmelreich das Haus der Vereinigung der Seelen mit Gott ist. Zur himmlischen Hochzeit sind alle Gläubigen geladen, denn Gott liebt alle seine Kinder. Die einen finden sich früher, die anderen später zur Hochzeit ein, und wer dort ankommt hat großes Glück.

Nun hört weiter! Ihr wißt, wie die Mädchen es als Ehre und Glück betrachten, als Mägde der Braut eingeladen zu werden. Wir wollen in unserem Fall die Rollen verteilen, so werdet ihr besser begreifen. Der Bräutigam ist Gott. Die Braut ist die Seele eines Gerechten, die die Zeit der Verlobung im Haus des Vaters, also in dessen Fürsorge und im Gehorsam zu ihm und zur Lehre Gottes, in Gerechtigkeit verbracht hat und nun zur Hochzeit in das Haus des Bräutigams gebracht wird. Die Jungfrauen sind die Seelen der Gläubigen, die dem Beispiel der Braut folgend versuchen, zur selben Ehre zu gelangen, indem sie nach Heiligkeit streben; denn die Tatsache, daß der Bräutigam die Frau wegen ihrer Tugenden gewählt hat, ist ein Zeichen dafür, daß sie ein lebendes Beispiel der Heiligkeit war. Diese Seelen haben ein weißes, reines und frisches Gewand, weiße Schleier und sind mit Blumenkränzen gekrönt. Sie haben brennende Lampen in den Händen. Die Lampen sind gereinigt, der Docht vom feinsten Öl getränkt, damit es nicht übel riecht.

Im weißen Gewand. Die beharrlich geübte Gerechtigkeit verleiht ein weißes Gewand, und bald kommt der Tag, an dem es herrlich sein wird, ohne den leisesten Schimmer eines Makels, mit einem übernatürlichen Glanz und einer engelhaften Reinheit.

In einem reinen Gewand. Es ist nötig, durch die Demut das Kleid immer rein zu halten. Sehr leicht kann die Reinheit des Herzens getrübt werden. Und wer nicht reinen Herzens ist, kann Gott nicht sehen. Die Demut ist wie Wasser, das wäscht. Da sein Auge nicht vom Rauch des Stolzes getrübt ist, wird der Demütige sich sofort bewußt, wenn sein Gewand beschmutzt wird; er eilt zu seinem Herrn und sagt: "Ich habe mein Herz der Reinheit beraubt. Ich weine, um mich zu reinigen; ich weine zu deinen Füßen. Und du, meine Sonne, mache mit deinem gütigen Verzeihen, mit deiner väterlichen Liebe, mein Kleid wieder weiß."

In frischem Gewand. Oh, die Frische des Herzens! Die Kinder haben sie als Gabe Gottes. Die Gerechten haben sie als Gabe Gottes und durch eigenen Willen. Die Heiligen haben diese Frische als Gabe Gottes und aus eigenem, zum Heroismus gesteigerten Willen. Aber die Sünder mit ihrer zerlumpten, angesengten, vergifteten und beschmutzten Seele; werden sie nie mehr ein reines Gewand haben können? Oh doch, sie können es haben! Sie beginnen, es wiederzubekommen in dem Augenblick, da sie sich mit Abscheu betrachten, und es wird um so weißer, je mehr sie sich bemühen, ihr Leben zu ändern. Sie vervollkommnen es, wenn sie sich mit der Buße reinigen und entgiften und ihre arme Seele wieder aufrichten, immer betend um die Hilfe Gottes, der seinen Beistand nie denen versagt, die darum bitten, und auch mit dem eigenen Willen, der zum Heroismus gelangen muß; denn sie haben es nicht nur nötig, das zu hüten, was sie haben, sondern sie müssen wiederaufbauen, was sie abgebrochen haben, also doppelte, dreifache, siebenfache Mühe aufwenden. Schließlich müssen sie mit unermüdlichen, unerbittlichen Bußübungen des eigenen Ich, das gesündigt hat, ihre Seele zu einer neuen Frische der Kindheit führen, die wertvoll wird durch die Erfahrung und sie zu Lehrern macht für die anderen, die Sünder sind, wie sie selbst es zuvor gewesen sind.

Die weißen Schleier. Die Demut! Ich habe gesagt: "Wenn ihr betet oder Buße tut, dann macht es so, daß die Welt nichts davon bemerkt." In den Büchern der Weisheit steht geschrieben: "Es ist nicht gut, das Geheimnis des Königs zu enthüllen." Die Demut ist der weiße Schleier, der als Schutz über das Gute, das man tut, und über das Gute, das Gott gewährt, ausgebreitet wird. Kein Rühmen für das Privileg der Liebe, die Gott gewährt; kein törichter menschlicher Ruhm! Die Gabe würde sofort entzogen. Vielmehr innerlicher Lobgesang des Herzens für seinen Gott: "Hochpreise meine Seele den Herrn, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd gesehen."»

Jesus macht eine kurze Pause und wirft einen Blick auf seine Mutter, die sich fester in ihren Schleier hüllt und sich tief beugt, als wolle sie die Haare des Kindes, das zu ihren Füßen sitzt, in Ordnung bringen, in Wirklichkeit jedoch, um zu verbergen, wie tief die Erinnerung sie bewegt...

Mit Blumen gekrönt. Die Seele muß sich schmücken mit Girlanden täglicher Tugendhaftigkeit, denn vor dem Antlitz des Allerhöchsten kann Fehlerhaftes nicht bestehen; man darf nicht nachlässig werden. Täglich, habe ich gesagt! Denn die Seele weiß nicht, wann Gott-Bräutigam erscheint, um zu sagen: "Komm!" Daher darf sie nie müde werden, den Kranz zu erneuern. Habt keine Angst, wenn die Blumen verwelken. Die Blumen der Tugendhaftigkeit welken nicht. Der Engel Gottes, den jeder Mensch an seiner Seite hat, sammelt diese täglichen Kränze und trägt sie in den Himmel. Dort zieren sie den Thron des neuen Seligen, wenn er als Braut in den Hochzeitssaal eintritt.

Ihre Lampen brennen. Um den Bräutigam zu ehren und für sich selbst den Weg zu beleuchten. Wie strahlend ist der Glaube und welch ein holder Freund ist er! Er ist wie eine strahlende Flamme, wie ein Stern, eine lachende Flamme, sicher ihrer Gewißheit; eine Flamme, die auch das Gefäß, das sie trägt, leuchten läßt. Auch der menschliche Körper, der vom Glauben genährt wird, scheint schon auf dieser Erde strahlender, vergeistigter und immun gegen heftige Leidenschaften; denn wer glaubt, richtet sich nach den Worten und Geboten Gottes, um Gott, sein Ziel, zu besitzen; er flieht daher alles Verderbliche und kennt keine Unruhe, Ängste und Selbstvorwürfe. Er braucht sich nicht anzustrengen, um sich seiner Lügen zu erinnern oder seine bösen Taten zu verbergen, und er bleibt schön und jung in der schönen Unberührtheit des Heiligen. Ein Fleisch und ein Blut, ein Geist und ein Herz, gereinigt von aller Unzucht, um das Öl des Glaubens zu bewahren und rauchfreies Licht zu spenden. Ein beständiger Wille, stets dieses Licht zu nähren. Das tägliche Leben mit seinen Enttäuschungen, Feststellungen, Berührungen, Versuchungen und Angriffen führt leicht zur Verminderung des Glaubens. Das darf nicht geschehen! Geht täglich zu den Quellen des sanften Öles, des weisen Öles, des göttlichen Öles.

Die wenig genährte Lampe kann vom leisesten Windhauch und den schweren Regentropfen der Nacht ausgelöscht werden. Die Nacht, die Stunde der Finsternis, der Sünde, der Versuchung, kommt für alle. Es ist die Nacht der Seele. Aber wenn diese voller Glauben ist, kann die Flamme nicht vom Wind der Welt und vom Nebel der Sinnlichkeit gelöscht werden.

Wachsamkeit, Wachsamkeit, Wachsamkeit! Wer unklug ist, vertraut unklugerweise und sagt: "Oh, Gott kommt rechtzeitig, solange noch Licht in mir ist." Wer schläft statt zu wachen; wer weiterschläft, ohne sich beim ersten Ruf sofort zu erheben; wer sich auf den letzten Augenblick verläßt, um sich das Öl des Glaubens oder den starken Docht des guten Willens zu verschaffen, lebt in der Gefahr, draußen bleiben zu müssen, wenn der Bräutigam kommt. Wacht also mit Klugheit, Ausdauer, Reinheit und Vertrauen, um immer bereit zu sein, wenn Gott euch ruft, denn ihr wißt wirklich nicht, wann er kommen wird.

Meine lieben Jünger, ich will nicht, daß ihr vor Gott zittert; vielmehr sollt ihr Vertrauen in seine Güte haben. Sowohl ihr, die ihr bleibt, als auch ihr, die ihr nun geht, denkt alle daran, daß ihr, wenn ihr es wie die klugen Jungfrauen macht, gerufen werdet, nicht nur, um dem Bräutigam das Geleit zu geben, sondern wie die junge Esther, die anstelle Waschtis Königin wurde, auserwählte Bräute zu sein, da der Bräutigam in euch jede Anmut und Gunst vor jeder anderen gefunden hat. Ich segne euch, die ihr gehen müßt. Tragt in euch und zu den Gefährten dieses mein Wort. Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch!»

 

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