JUDAS UND DIE FEINDE JESU

Kap.589

Ich sehe weder Jesus noch Judas des Alphäus, noch Thomas. Aber ich sehe die anderen neun Apostel in Richtung der Vorstadt (von Jerusalem) Ophel wandern.

(...)

Judas ist so ziemlich der Letzte und spricht zu einer Gruppe von Jüngern, die voll guten Willens, aber noch sehr unwissend sind. Zweimal wird er von einigen Judäern gerufen, die der Gruppe folgen, ohne sich jedoch unter sie zu mischen. Ich weiß nicht, welche Absichten oder welche Aufträge sie haben. Zweimal zuckt Judas die Achseln und dreht sich nicht einmal um. Das dritte Mal aber muß er es tun, denn einer der Judäer verläßt seine Gruppe, drängt sich gewalttätig durch den Kreis der Jünger, faßt Judas am Ärmel und zwingt ihn stehenzubleiben mit den Worten: «Komm einen Augenblick zu uns, wir müssen mit dir sprechen.»

«Ich habe keine Zeit. Ich kann jetzt nicht», antwortet Iskariot entschieden.

«Geh nur. Wir warten auf dich. Solange Thomas nicht da ist, können wir die Stadt sowieso nicht verlassen», sagt Andreas, der ihm am nächsten ist.

«In Ordnung. Geht nur weiter, ich bin gleich bei euch», sagt Judas, ohne offenbar große Lust zu haben, der Aufforderung des Judäers nachzukommen.

Allein geblieben, sagt er zu dem Lästigen: «Nun? Was willst du? Was wollt ihr? Habt ihr mich nicht schon genug behelligt?»

«Oh, oh! Was bildest du dir ein! Als wir dich riefen, um dir Geld zu geben, fandest du nicht, daß wir dich belästigten! Du bist übermütig, Mensch! Aber es gibt einen, der dich kleinkriegen kann ... Denk daran!»

«Ich bin ein freier Mann und ...»

«Nein, du bist nicht frei. Frei ist der, den wir in keiner Weise zum Sklaven machen können. Und du kennst seinen Namen. Du! ... Du bist der Sklave von allem und allen, und vor allem der Sklave deines Hochmuts. Machen wir es kurz. Wenn du nicht vor der sechsten Stunde in das Haus des Kaiphas kommst, dann wehe dir!» Ein wirklich drohendes "Wehe"!

«Schon gut! Ich werde kommen. Aber ihr würdet mich besser in Ruhe lassen, wenn ihr wollt...»

«Was? Wie? Du Verkäufer von Versprechungen, du Nichtsnutz!» Judas befreit sich mit einem Stoß von dem, der ihn hält, und läuft davon mit den Worten: «Ich werde euch noch sagen, wann ich dort sein werde.»

Dann schließt er sich wieder seiner Gruppe an. Er ist nachdenklich geworden und schaut etwas finster drein.

Thomas kommt mit einer Börse voll Geld, die Judas energisch beansprucht und in Verwahrung nimmt. Judas trennt sich von den übrigen Aposteln, obwohl ihnen Jesus aufgetragen hat, beisammen zu bleiben. Sie wollen auf die Rückkehr des Judas warten.

Judas läuft wie ein Verfolgter. Er bleibt eine Zeitlang in dem engen Gäßlein, das in westlicher Richtung auf die Höhe des Sion führt; dann biegt er in eine noch schmälere Gasse ein, die nach Süden hinabführt.

(...)

An einem bestimmten Punkt bleibt er stehen, nimmt die Börse aus einer inneren Tasche des Gewandes, betrachtet sie und steckt sie wieder ein, aber erst nachdem er den Inhalt geteilt hat. Einen Teil steckt er in seine eigene Börse, vielleicht damit der Beutel, den er in seinem Gewand verborgen hat, nicht so dick erscheint.

Ein Haus taucht zwischen den Ölbäumen auf, ein schönes Haus, das schönste auf dem Hügel. Judas gelangt auf einer Art mit Sand bestreuter Allee zwischen in Reihen gepflanzten Ölbäumen zu dem Haus, klopft an die Tür, gibt sich zu erkennen und tritt ein. Er geht sicheren Schrittes durch ein Atrium in einen viereckigen inneren Hof, an dessen Seiten viele Türen sind. Er öffnet eine von ihnen und gelangt in einen großen Raum, in dem verschiedene Personen versammelt sind. Ich erkenne das zugleich duckmäuserische und haßerfüllte Gesicht des Kaiphas, das ultrapharisäische des Elchias, das Mardergesicht des Synedristen Felix und das vipernhafte des Simon. Weiter hinten ist Doras, der Sohn des Doras, dessen Züge immer mehr seinem Vater ähneln. Bei ihm sitzen Cornelius und Tholmai. Außerdem sind da die anderen Schriftgelehrten Sadok und Chananias, alt an Jahren und ausgemergelt, aber jung an Bosheit; ferner Collascebona der Ältere, und Nathanael Ben Faba, ein gewisser Doros, ein Simon, ein Joseph und ein Joachim, die ich nicht kenne. Kaiphas nennt die Namen, und ich schreibe sie auf, während er mit den Worten schließt: «... hier versammelt, um dich zu richten.»

Judas macht ein eigenartiges Gesicht: Furcht, Ärger und Wildheit, all das zusammen drückt es aus. Aber er schweigt. Er gibt seinen Hochmut nicht zu erkennen. Die anderen umgeben ihn mit Spott, und keiner hält sich zurück.

«Nun? Was hast du mit unserem Geld gemacht? Was hast du uns zu sagen, du weiser Mann, der du alles so schnell und gut erledigst? Was ist daraus geworden? Du bist ein Lügner, ein Schwätzer, der zu nichts taugt. Wo ist die Frau? Nicht einmal die hast du mehr. So dienst du also ihm und nicht uns, was? Ist das deine Hilfe?»

Eine gehässig anklagende Versammlung, die droht, schreit und schimpft. Viele Worte entgehen mir.

Judas läßt sie zunächst einmal ausgiebig schimpfen. Erst als sie müde und außer Atem sind, sagt er: «Ich habe getan, was ich konnte. Was kann ich dafür, wenn er ein Mensch ist, den niemand zur Sünde verführen kann? Ihr wollt seine Tugend auf die Probe stellen, habt ihr gesagt. Ich habe euch den Beweis verschafft, daß er nicht sündigt. Daher habe ich getan, was ihr wolltet. Ist es euch, euch allen zusammen, etwa gelungen, einen Grund zu finden, um ihn anzuklagen? Aus allen euren Versuchen, ihn als Sünder bloßzustellen, ihn in eine Falle zu locken, ist er größer als zuvor hervorgegangen. Wenn es also euch mit all eurem Haß nicht gelungen ist, wie hätte es dann mir gelingen sollen, der ich ihn nicht hasse, sondern nur enttäuscht bin, weil ich einem armen Unschuldigen gefolgt bin, der viel zu heilig ist, um König sein zu können, ein König, der seine Feinde vernichtet? Was hat er mir angetan, daß ich es ihm mit Bösem vergelten könnte? Ich sage das, denn ich glaube, daß ihr ihn so sehr haßt, daß ihr seinen Tod wollt. Ich kann nicht mehr glauben, daß ihr nur das Volk überzeugen wollt, daß er ein Verrückter ist; daß ihr mich, uns überzeugen wollt zu unserem Besten, und ihn selbst aus Mitleid mit ihm. Ihr seid zu großzügig mir gegenüber und zu zornig darüber, sehen zu müssen, daß er hoch über allem Bösen steht, als daß ich das glauben könnte. Ihr habt mich gefragt, was ich mit eurem Geld getan habe. Der Gebrauch, den ich davon gemacht habe, ist euch bekannt. Um die Frau für eure Sache zu gewinnen, mußte ich zahlen und wieder zahlen... Und es ist mir nicht gelungen, gleich die erste zu überreden ...»

«Aber schweige doch! Nichts davon ist wahr. Sie war verrückt nach ihm und ist gewiß sofort gekommen. Im übrigen hast du es uns ja selbst versichert, als du sagtest, daß sie es dir bekannt hatte. Du bist ein Dieb. Wer weiß, wozu dir dieses Geld gedient hat!»

«Es hat dazu gedient, meine Seele zu verderben, ihr Seelenmörder! Es hat dazu gedient, aus mir einen heimtückischen Betrüger zu machen, der keinen Frieden mehr findet, der bei ihm und seinen Gefährten Mißtrauen erweckt. Denn, das sollt ihr wissen, er hat mich entlarvt... Oh! Wenn er mich doch fortgejagt hätte! Aber er jagt mich nicht fort. Nein, er verjagt mich nicht. Er verteidigt mich, beschützt mich, liebt mich! ... Euer Geld! Warum habe ich den ersten Pfennig angenommen!?»

«Weil du ein Elender bist. Inzwischen hast du unser Geld verpraßt, und jetzt weinst du, weil du es verpraßt hast. Du Betrüger! Und wir haben nichts erreicht, und die Menge um ihn herum wächst an Zahl und ist immer mehr begeistert von ihm. Unser Verderben naht, und das durch deine Schuld!»

«Durch meine Schuld? Und warum habt ihr nicht den Mut, ihn gefangenzunehmen und ihn anzuklagen, daß er sich zum König machen will? Ihr habt mir doch gesagt, daß ihr ihn versuchen wollt, obwohl ich euch gesagt hatte, es sei unnütz, da er durchaus kein Verlangen nach Macht hat. Warum habt ihr ihn nicht dazu verführt, gegen seine Sendung zu fehlen, wenn ihr so tüchtig seid?»

«Weil er uns entkommen ist. Er ist ein Dämon, der sich auflöst wie Rauch, wenn er will. Er ist wie eine Schlange: man steht wie gebannt und kann nichts tun, wenn er einen anschaut.»

«Wenn er seine Feinde, euch anschaut. Denn ich sehe es, wenn er die anschaut, die ihn nicht mit ihrem ganzen Wesen hassen wie ihr, dann macht sein Blick beweglich und regt zu guten Werken an. Oh, sein Blick! Oh! Warum schaut er mich so an und läßt mich gut werden, mich, der ich mir selbst wie ein Ungeheuer vorkomme, und auch euch, die ihr mich zu einem zehnmal schlimmeren Ungeheuer macht.»

«Wie viele Worte! Du hast uns versichert, daß du uns zum Wohl Israels helfen würdest. Aber verstehst du denn nicht, du Unglücksmensch, daß dieser Mann unser Ruin ist?»

«Unser? Wessen?»

«Nun, des ganzen Volkes! Die Römer ...»

«Nein, er ist nur euer Ruin. Ihr fürchtet für euch. Ihr wißt, daß Rom seinetwegen nichts gegen uns unternehmen wird. Ihr wißt das ebenso gut wie ich und das Volk. Aber ihr zittert, da ihr wißt, fürchtet, daß er euch aus dem Tempel, aus dem Reich Israel werfen könnte. Und er würde gut daran tun. Er würde gut daran tun, seine Tenne zu reinigen von euch, ihr unreinen Hyänen und schmutzigen Nattern...» Judas ist außer sich vor Zorn.

Sie packen ihn, schütteln ihn und werfen ihn fast zu Boden, da sie nun ihrerseits ebenfalls rasend vor Zorn sind. Kaiphas schreit ihm ins Gesicht: «Nun gut! So ist es! Aber wenn es so ist, haben wir auch das Recht, uns zu verteidigen. Und da er sich durch kleine Angriffe nicht dazu bewegen läßt, zu fliehen und das Feld zu räumen, werden wir die Sache selbst in die Hand nehmen und dich, feigen Knecht und Maulhelden, aus dem Spiel lassen. Aber nach ihm bist du an der Reihe! Dessen kannst du sicher sein ...»

Elchias fällt Kaiphas ins Wort und sagt mit seiner eisigen Ruhe einer Giftschlange: «Nein, so nicht. Du übertreibst, Kaiphas. Judas hat getan, was er konnte. Du darfst ihm nicht drohen. Hat er nicht im Grunde dieselben Interessen wie wir?»

«Aber bist du denn schwachsinnig, Elchias? Ich sollte dieselben Interessen haben wie er? Ich will, daß der Nazarener vernichtet wird! Und Judas will, daß er triumphiert, um mit ihm zu triumphieren. Und du sagst...» brüllt Simon.

«Friede! Friede! Ihr sagt immer, daß ich zu streng bin. Aber heute bin ich der einzige Gutmütige. Man muß Judas verstehen und mit ihm fühlen. Er hilft uns, so gut er kann. Er ist uns ein guter Freund; aber er ist natürlich auch ein Freund des Meisters. Sein Herz ist bekümmert... Er möchte den Meister, sich selbst und Israel retten... Wie kann man so gegensätzliche Dinge aber versöhnen? Lassen wir ihn sprechen.»

Die Meute beruhigt sich. Judas kann endlich reden, und er sagt: «Elchias hat recht. Ich... Was wollt ihr von mir? Ich weiß es noch gar nicht genau. Ich habe getan, was ich konnte. Mehr kann ich nicht tun. Er ist so viel größer als ich. Er liest in meinem Herzen... Und er behandelt mich nie, wie ich es verdiene. Ich bin ein Sünder, und er weiß es und spricht mich frei. Wenn ich weniger gemein wäre, müßte ich... Umbringen müßte ich mich, um es mir unmöglich zu machen, ihm zu schaden.» Judas setzt sich niedergeschlagen. Das Gesicht zwischen den Händen, die Augen weit aufgerissen und ins Leere gerichtet, leidet er sichtlich im Kampf mit seinen widersprüchlichen Neigungen...

«Märchen! Was soll er denn wissen? Du handelst so, weil du bereust, so weit gegangen zu sein!» ruft jener aus, den sie Cornelius nennen.

«Und wenn es so wäre! Oh, wenn es so wäre! Wenn ich es wirklich bereuen würde und diese Reue von Dauer wäre... !»

«Seht ihr? Habt ihr ihn gehört? Unser armes Geld!» krächzt ChananJas.

«Wir haben es mit einem zu tun, der nicht weiß, was er will. Einen, der schlimmer ist als ein Schwachsinniger, haben wir uns ausgewählt!» fügt Felix hinzu.

«Ein Schwachsinniger? Ein Hampelmann mußt du sagen! Der Galiläer zieht an einem Faden, und er geht zum Galiläer. Wir ziehen an einem Faden, und er kommt zu uns», kreischt Sadok.

«Nun gut, wenn ihr es so viel besser könnt als ich, dann handelt allein. Von heute ab kümmere ich mich nicht mehr um die Angelegenheit. Erwartet keine Nachricht, kein Wort mehr von mir. Außerdem könnte ich euch sowieso nicht mehr informieren, denn er verdächtigt mich nun und überwacht mich...»

«Aber du hast doch gesagt, daß er dich losspricht!»

«Ja, er spricht mich los, aber gerade, weil er alles weiß. Alles weiß er! Alles, alles! Oh!» Judas schlägt die Hände vor sein Gesicht.

«Dann mach, daß du fortkommst, du Weib in Männerkleidern! Du Mißgeburt! Du Krüppel! Geh, geh! Wir werden selbst handeln. Aber hüte dich, ihm etwas davon zu verraten; du würdest es bitter bereuen!»

(...)

Chananias packt ihn mit seiner Klaue: «Und die Frau? Wo ist die Frau? Was hat sie gesagt? Was hat sie getan? Weißt du es?»

«Nichts weiß ich... Laßt mich gehen ...»

«Du lügst! Du bist ein Lügner!» brüllt Chananias.

«Ich weiß es nicht. Ich schwöre es. Sie ist gekommen, das ist sicher. Aber niemand hat sie gesehen. Ich nicht, da ich sofort mit dem Rabbi fortgehen mußte. Auch meine Gefährten haben sie nicht gesehen. Ich habe sie geschickt ausgefragt... Ich habe den zerbrochenen Schmuck gesehen, den Elisa in die Küche gebracht hat... Mehr weiß ich nicht. Ich schwöre es beim Altar und beim Bundeszelt!»

«Und wer kann dir glauben? Du bist ein elender Wicht. So wie du deinen Meister verrätst, kannst du auch uns verraten. Aber hüte dich!»

«Ich verrate euch nicht. Das schwöre ich beim Tempel Gottes!»

«Du bist ein Meineidiger! Dein Gesicht sagt es mir. Du dienst ihm und nicht uns ...»

«Nein! Ich schwöre es auf den Namen Gottes.»

«Nenne ihn, wenn du ihn zur Bekräftigung deines Schwures auszusprechen wagst!»

«Ich schwöre es bei Jahwe!» Judas wird totenblaß, als er so den Namen Gottes nennt. Er zittert, stottert und kann ihn nicht so sagen, wie man ihn gewöhnlich ausspricht. Er scheint ein schleppendes, gehauchtes J-a-w zu sagen, das sich etwa so anhört: Jeocweh. Sonderbar auf jeden Fall.

Eine, ich würde sagen furchterregende Stille entsteht im Saal. Sie weichen sogar vor Judas zurück... Aber dann sagen Doras und ein anderer: «Wiederhole denselben Schwur, um zu bestätigen, daß du uns allein dienen wirst...»

«O nein! Ihr Verfluchten! Das nicht! Ich schwöre euch, daß ich euch nicht verraten habe und daß ich euch nicht beim Meister verklagen werde. Und damit begehe ich schon eine Sünde! Aber meine Zukunft will ich nicht an euch binden. An euch, die ihr mir schon morgen unter Berufung auf meinen Schwur was auch immer auferlegen könntet... sogar ein Verbrechen. Nein! Klagt mich an als Gotteslästerer beim Synedrium, klagt mich an als Mörder bei den Römern. Ich werde mich nicht verteidigen. Ich lasse mich umbringen... und es wird gut sein für mich. Aber mehr schwöre ich nicht... mehr nicht ...» Und er reißt sich gewaltsam los und entflieht schreiend: «Aber ihr sollt wissen, daß Rom euch überwacht, und daß Rom den Meister liebt...» Ein gewaltiger Knall der Tür, der im ganzen Haus widerhallt, besagt, daß Judas diese Wolfshöhle verlassen hat.

Sie schauen sich gegenseitig an... Die Wut und vielleicht auch die Angst läßt sie erbleichen... Und da sie ihren Zorn und ihre Furcht an niemand anderem auslassen können, streiten sie miteinander. Jeder versucht, die Verantwortung für das Geschehene und die möglichen Folgen dem anderen in die Schuhe zu schieben. Einer macht diesen Vorwurf, der andere jenen; einer betreffend die Zukunft, der andere betreffend die Vergangenheit. Der eine schreit: «Du bist es gewesen, der Judas verführen wollte»; der andere sagt: «Es war ein Fehler, ihn schlecht zu behandeln. Ihr habt euch selbst verraten!» Einer schlägt vor: «Laufen wir ihm nach mit Geld und mit Entschuldigungen...»

«Oh, das nicht!» kreischt Elchias, dem die meisten Vorwürfe gegolten haben. «Laßt mich nur machen, und ihr werdet eingestehen müssen, daß ich weise bin. Judas wird ohne Geld ganz klein werden... Oh! sanft wie ein Lamm!» Und er lacht hinterlistig. «Heute wird er fest bleiben, auch morgen, und vielleicht einen Monat lang... Aber dann... Er ist zu lasterhaft, als daß er in der Armut leben könnte, die ihm der Rabbi bietet... Und er wird zu uns kommen... Ha, ha, ha! Laßt mich machen! Laßt mich nur machen! Ich weiß...»

«Ja... Aber inzwischen... Habt ihr gehört? Die Römer spionieren uns nach! Die Römer lieben ihn! Und es ist wahr. Auch heute morgen und gestern und vorgestern haben sie im Vorhof der Heiden auf ihn gewartet. Die Frauen der Antonia sind immer dort... Sie kommen sogar aus Caesarea, um ihn zu hören...»

«Launen von Frauen! Das macht mir keine Sorgen. Der Mann ist schön. Er spricht gut. Sie sind ganz verrückt auf demagogische Schwätzer und Philosophen. Für sie ist der Galiläer einer von diesen, mehr nicht; und er hilft ihnen, die Langeweile in den Mußestunden zu vertreiben. Es braucht Geduld, um zum Ziel zu gelangen, Geduld und Verschlagenheit. Und auch Mut. Aber das habt ihr nicht. Ihr wollt handeln, aber dabei nicht in Erscheinung treten. Ich habe euch gesagt, was ich tun würde. Aber ihr wollt ja nicht...»

«Ich für meinen Teil fürchte das Volk. Es liebt ihn zu sehr. Liebe hier, Liebe dort... Wer kann ihn da angreifen? Wenn wir ihn vertreiben, vertreiben sie uns... Man muß...» sagt Kaiphas.

«Man darf sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Wie viele haben wir schon verloren! Bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet, müssen wir auf die Unentschiedenen unter uns Druck ausüben und dann handeln, auch mit den Römern.»

«Das ist leicht gesagt! Aber wann, wo haben wir Gelegenheit gehabt, es zu tun? Er sündigt nicht, er strebt nicht nach Macht, er ...»

«Wenn sich keine Gelegenheit bietet, schafft man sie... Und jetzt, gehen wir. Vorläufig werden wir ihn morgen überwachen. Der Tempel gehört uns. Draußen befiehlt Rom, draußen ist das Volk, um ihn zu verteidigen. Aber im Tempel ...»

 

 

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