DAS LETZTE ABENDMAHL
Kap.659, 660
Ich
sehe den Abendmahlsaal, in dem das Passahmahl gehalten werden soll. Es ist ein
nicht ganz quadratischer, aber auch nicht ganz rechteckiger Saal. Es besteht ein
Unterschied von höchstens etwa einem Meter oder etwas mehr zwischen der Längs-
und der Querseite. An den beiden kürzeren Seiten sind zwei breite, niedrige,
einander gegenüberliegende Fenster. Eine der beiden längeren Wände ist ohne
Öffnung. In der anderen ist eine kleine Tür, ganz in der Ecke, zu der man sechs
Stufen ohne Geländer hinaufsteigt. Sie enden in einer kleinen Plattform von
einem Quadratmeter Größe, auf der sich an der Wand eine weitere Stufe in
gleicher Höhe mit der Tür befindet.
In der
Mitte des Saales, parallel zu den längeren Wänden, steht ein großer, rechteckiger, im
Verhältnis
zu seiner Breite sehr langer Tisch aus einfachstem Holz. An den längeren Wänden
stehen die Sitze, an den kürzeren Wänden befindet sich auf einer Seite unter einem Fenster
eine Art Truhe, und darauf Schüsseln und Krüge, und unter dem anderen Fenster eine
niedrige, lange Anrichte, auf der noch nichts steht.
Das
ist die Beschreibung des Saales, in dem das Ostermahl gehalten werden wird.
(...)
Nachdem die Apostel den Saal geschmückt
und die Vorbereitungen zum Mahl getroffen haben, weist Jesus ihnen ihre Plätze
zu:
«Und
nun jeder an seinen Platz. Ich hier, Johannes zu meiner Rechten, auf der
anderen Seite mein getreuer Jakobus – die beiden ersten Jünger. Nach Johannes
mein starker Fels, und nach Jakobus jener, der der Luft gleicht. Man bemerkt
ihn nicht, aber er ist immer da und spendet Trost: Andreas. Neben ihm mein
Vetter Jakobus. Du bist nicht betrübt, mein lieber Bruder, wenn ich die ersten
Plätze den ersten Jüngern gebe? Du bist der Neffe des Gerechten, dessen Geist
über mir schwebt und der mir in dieser Stunde näher ist denn je. Sei im
Frieden, du Vater des schwachen Kindes, du Eiche, in deren Schatten Mutter und
Sohn Erquickung fanden! Sei im Frieden... ! Nach Petrus, Simon... Simon, komm
einen Augenblick hierher. Ich will dein treues Gesicht betrachten. Später werde
ich dich nur schlecht sehen können, denn andere werden mir dein ehrliches
Gesicht verdecken. Danke, Simon, für alles», und Jesus küßt ihn.
Als er
ihn losläßt, geht Simon an seinen Platz und schlägt einen Augenblick, von
Trauer überwältigt, die Hände vors Gesicht.
«Simon
gegenüber, mein Bartholomäus. Zwei Rechtschaffene und zwei Weise, die sich
ineinander spiegeln. Sie passen gut zusammen. Daneben du, mein Bruder Judas. So
kann ich dich sehen... und glaube, in Nazareth zu sein... als die Feste uns
alle an einem Tisch vereinten... Auch zu Kana... Erinnerst du dich? Wir waren
beisammen. Ein Fest... ein Hochzeitsfest... das erste Wunder... das in Wein
verwandelte Wasser... Auch heute ein Fest... Und auch heute wird es ein Wunder
geben... Der Wein wird sich verwandeln... und wird zu...»
Jesus
versinkt in Gedanken. Mit seinem gebeugten Haupt scheint er allein zu sein in
seiner verborgenen Welt. Die anderen sehen ihn an und sagen nichts.
Dann
erhebt er das Haupt wieder und sieht Judas Iskariot fest an und sagt: «Du wirst
mir gegenüber sitzen.»
«So
sehr liebst du mich? Mehr als Simon, da du mich immer vor Augen haben willst?»
«So
sehr, du hast es gesagt.»
«Warum,
Meister?»
«Weil
du derjenige bist, der mehr als alle anderen zu dieser Stunde beigetragen hat.»
Judas
schaut den Meister und die Gefährten mit Blicken sehr verschiedener Art an. Den
Meister mit etwas ironischem Mitleid, die anderen mit sieghafter Miene.
«Und neben
dir auf der einen Seite Matthäus und auf der anderen Thomas.»
«Also
dann Matthäus zu meiner Linken und Thomas zu meiner Rechten.» (sagt Judas)
«Wie
du willst, wie du willst», sagt Matthäus. «Es genügt mir, wenn ich meinen
Erlöser vor mir habe.»
«Zuletzt
Philippus. So, seht ihr? Wer nicht die Ehre hat, an meiner Seite zu sitzen, der
hat die Ehre, mir gegenüber zu sitzen.»
Jesus,
der sehr gerade an seinem Platz sitzt, gießt Wein in den großen Kelch, der vor
ihm steht. Alle haben hohe Kelche vor sich, aber der Kelch Jesu ist sehr viel
größer als die übrigen: es muß wohl der rituelle Kelch sein. Er erhebt den
Kelch, opfert ihn und stellt ihn wieder auf den Tisch.
Alle
fragen nun miteinander in psalmodierendem Ton: «Warum diese Zeremonie?» Eine
formelle Frage, die zum Ritus gehört.
Worauf
Jesus als Familienoberhaupt antwortet: «Dieser Tag erinnert uns an die
Befreiung aus Ägypten. Jahwe sei gepriesen, der die Früchte des Weinstocks
geschaffen hat.» Er trinkt einen Schluck von diesem aufgeopferten Wein und reicht
den Kelch den anderen. Dann opfert er das Brot, bricht es und verteilt es,
ebenso die Kräuter, die er in eine rötliche Sauce taucht, die sich in vier
Schüsselchen befindet.
Nach
Beendigung dieses Teils des Mahles singen alle im Chor Psalmen. Dann bringt man
von der Anrichte die große Platte mit dem gebratenen Lamm und stellt sie vor
Jesus.
Petrus,
der... sozusagen die Hauptrolle im Chor spielt, fragt nun: «Warum dieses Lamm?»
«Zum
Andenken daran, daß Israel durch das geschlachtete Lamm gerettet wurde. Kein
Erstgeborener wurde getötet, wo das Blut an Türpfosten und Türsturz glänzte.
Und danach, als ganz Ägypten, vom Palast bis in die elendste Hütte, die tote
Erstgeburt beweinte, zogen die Hebräer, geführt von Moses, zum Land der
Freiheit und der Verheißung. Die Lenden gegürtet, Schuhe an den Füßen und den
Wanderstab in den Händen, machte sich das Volk Abrahams unter Hymnen der Freude
auf den Weg.»
Alle
erheben sich nun und stimmen an: «Als Israel zog aus Ägypten, Jakobs Stamm aus dem
fremden Volk: Zum Heiligtum ward Juda» usw. usw.
Nun
zerlegt Jesus das Lamm, füllt nochmals den Kelch und reicht ihn, nachdem er
getrunken hat, weiter. Sie singen jetzt: «Ihr Diener des Herrn, lobsinget dem
Namen des Herrn! Der Name des Herrn sei gepriesen, jetzt und in Ewigkeit. Vom
Aufgang der Sonne bis zum Niedergang: der Name des Herrn sei gepriesen» usw.
Jesus
teilt aus und achtet darauf, daß jeder seinen Teil erhält; wie ein
Familienvater unter seinen Kindern, die er alle liebt. Er ist feierlich, ein
wenig traurig, während er sagt: «Sehnlichst habe ich danach verlangt, dieses
Ostermahl mit euch zu essen. Es war mein größter Wunsch seit aller Ewigkeit, da
ich "der Erlöser" war. Ich wußte, daß diese Stunde der anderen
vorausgehen würde, und die Freude, mich hinzugeben, bedeutete schon im voraus
Linderung meiner Leiden... Sehnlichst habe ich danach verlangt, mit euch dieses
Ostermahl zu essen, denn nie mehr werde ich von der Frucht des Rebstocks
kosten, bis das Reich Gottes gekommen ist. Dann werde ich mich erneut mit den
Auserwählten zum Mahl des Lammes setzen, bei der Hochzeit der Lebenden mit dem
Lebenden. Aber daran werden nur teilnehmen, die demütig und reinen Herzens
gewesen sind, wie ich es bin.»
«Meister,
vor kurzem hast du gesagt, wer nicht die Ehre hat, an deiner Seite zu sitzen,
der hat die Ehre, dir gegenüber zu sitzen. Wie können wir also wissen, wer der
erste unter uns ist?» fragt Bartholomäus.
Jesus erinnert die Apostel an seine
früheren Worte: "Wer der erste sein will, soll der letzte Diener aller
sein." Er spricht von der Belohnung, die alle Apostel in der Herrlichkeit
Gottes erhalten werden. Zuletzt sagt er:
Wer
mir im Leid treu ist, wird wie ihr, meine Erwählten, selig werden und euch
gleich.»
«Wir
haben bis zum Ende ausgeharrt.»
«Glaubst
du, Petrus? Ich sage dir, die Stunde der Prüfung steht noch bevor. Simon, Simon
des Jonas, siehe, Satan hat verlangt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber
habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht wanke. Du aber, stärke deine
Brüder nach deiner Umkehr.»
«Ich
weiß, daß ich ein Sünder bin. Aber ich werde dir bis zum Tod treu bleiben.
Diese Sünde habe ich nicht begangen. Nie werde ich sie begehen.»
«Sei
nicht überheblich, mein Petrus. Diese Stunde wird viele Dinge ändern, die zuvor
so waren und nun anders sein werden. Wie viele! ... Sie bringen neue
Notwendigkeiten und ziehen sie nach sich. Ihr wißt es. Ich habe euch immer
gesagt, auch wenn wir durch einsame Gegenden gingen, wo es Räuber gab:
"Fürchtet euch nicht. Es wird euch nichts Böses geschehen, denn die Engel
des Herrn sind bei uns. Bekümmert euch um nichts." Erinnert ihr euch noch
daran, als ich zu euch sagte: "Sorgt euch nicht, was ihr essen oder womit
ihr euch bekleiden sollt. Der Vater kennt unsere Bedürfnisse?" Ich habe euch
auch gesagt: "Der Mensch ist viel mehr als ein Sperling oder eine Blume,
die heute Gras und morgen Heu ist. Und doch sorgt der Vater auch für die Blume
und den Vogel. Könnt ihr also daran zweifeln, daß er für euch sorgt?" Ich
habe gesagt: "Gebt allen, die euch um etwas bitten, und dem, der euch
schlägt, haltet auch die andere Wange hin." Ich habe gesagt: "Nehmt
weder Tasche noch Stab." Denn ich habe euch Liebe und Vertrauen gelehrt.
Aber nun... Nun ist eine andere Zeit. Nun frage ich euch: "Hat euch bis
jetzt jemals etwas gefehlt? Seid ihr je beleidigt worden?"»
«Nichts,
Meister. Und nur du bist beleidigt worden.»
«Seht
ihr also, daß mein Wort Wahrheit ist? Aber nun hat der Herr alle seine Engel
zurückgerufen. Nun ist die Stunde der Dämonen... Die Engel des Herrn bedecken
ihre Augen mit ihren goldenen Flügeln. Sie verhüllen sich und bedauern, daß
ihre Flügel nicht die Farbe der Trauer haben, denn dies ist die Stunde der
Trauer, der grausamen Trauer, des Sakrilegs... Heute abend sind keine Engel auf
der Erde. Sie sind am Thron Gottes, um mit ihren Gesängen die Flüche der
gottesmörderischen Welt und die Klagen der Unschuldigen zu übertönen. Wir sind
allein... Ich und ihr: allein. Und die Dämonen sind die Herren der Stunde. Wer
nun eine Tasche hat, der nehme noch einen Sack, und wer kein Schwert hat,
verkaufe seinen Mantel und kaufe eines. Denn auch dies steht in der Schrift
über mich geschrieben und muß sich erfüllen: "Unter die Übeltäter ward er
gezählt." Wahrlich, ich sage euch, alles was mir bestimmt ist, kommt jetzt
zu Ende.»
Simon,
der sich erhoben hat und zu der Truhe gegangen ist, auf der er seinen
prächtigen Mantel abgelegt hat – denn heute abend tragen sie alle ihre besten
Kleider und auch Dolche, verzierte, sehr kurze Dolche, eher Messer als Dolche,
an den schönen Gürteln – nimmt zwei Schwerter, zwei wirkliche, lange, leicht
gekrümmte Schwerter, und bringt sie Jesus: «Ich und Petrus, wir haben uns heute
abend bewaffnet. Wir haben dies hier. Aber die anderen haben nur ihre kurzen
Dolche.»
Jesus
nimmt die Schwerter und betrachtet sie, zieht eines aus der Scheide und prüft
die Klinge mit dem Fingernagel. Es ist ein sonderbarer Anblick und ein noch
sonderbarerer Eindruck, diese grausame Waffe in den Händen Jesu zu sehen.
«Wer
hat sie euch gegeben?» fragt Iskariot, während Jesus ihn betrachtet und
schweigt. Judas scheint auf glühenden Kohlen zu sitzen...
«Wer?
Erinnere dich, daß mein Vater vornehm und mächtig war.»
Jesus
hebt das Haupt, nachdem er die Waffe wieder in die Scheide gesteckt hat. Er
gibt sie dem Zeloten zurück.
«Es
ist gut. Sie genügen. Du hast gut daran getan, sie mitzubringen. Aber nun,
bevor wir den dritten Kelch trinken, wartet einen Augenblick. Ich habe euch
gesagt, daß der Größte dem Geringsten gleich ist, und daß ich an diesem Tisch
das Gewand des Dieners trage und euch noch mehr dienen werde. Bisher habe ich
euch Speise gegeben und damit dem Leib gedient. Nun will ich euch eine Nahrung
für die Seele geben. Es ist kein Gericht des alten Ritus. Es gehört zum neuen
Ritus. Ich wollte mich taufen lassen, bevor ich der "Meister" wurde.
Um das Wort zu verkünden, genügte diese Taufe. Nun wird das Blut vergossen
werden. Und auch für euch ist noch eine Waschung nötig, obwohl ihr euch schon
seinerzeit beim Täufer und auch heute im Tempel gereinigt habt. Aber das genügt
nicht. Unterbrecht das Mahl. Es gibt etwas Höheres und Notwendigeres als die
Speise, die nur den Bauch füllt, auch wenn es eine heilige Speise ist wie das
Ostermahl. Und es ist ein reiner Geist, der bereit ist, die Gabe des Himmels zu
empfangen, die schon herniedersteigt, um ihren Thron in euch zu errichten und
euch das Leben zu geben; um den Reinen das Leben zu geben.»
Jesus
steht auf, heißt auch Johannes aufstehen, um besser seinen Platz verlassen zu
können, geht zu einer Truhe, zieht das rote Gewand aus und legt es auf den
schon zusammengefalteten Mantel, bindet sich ein großes Handtuch um die Lenden
und geht dann zu einem leeren und noch unbenutzten Becken. Er gießt Wasser
hinein, trägt es in die Mitte des Saales und stellt es auf einen Schemel. Die Apostel
schauen verwundert zu.
«Ihr
fragt mich nicht, was ich tue?»
«Wir
wissen es nicht. Aber ich sage dir, wir sind schon gereinigt», antwortet
Petrus.
«Und
ich wiederhole dir, das spielt keine Rolle. Meine Reinigung wird jene, die
schon rein sind, noch reiner machen.»
Er
kniet nieder, löst Iskariot die Sandalen und wäscht ihm die Füße, einen nach
dem anderen. Das ist nicht schwierig, denn die Liegen stehen so, daß die Füße
nach außen zeigen. Judas ist erstaunt, sagt aber nichts. Nur als Jesus, bevor
er die linke Sandale wieder anlegt und aufsteht, den rechten, schon bekleideten
Fuß küssen will, zieht Judas ihn so heftig zurück, daß er mit der Sohle den
göttlichen Mund trifft. Er tut es, ohne es zu wollen, und es ist kein starker
Stoß. Aber er schmerzt mich sehr. Jesus lächelt und zu dem Apostel, der ihn
fragt: «Habe ich dir wehgetan? Das habe ich nicht gewollt... Verzeih!», sagt
er: «Nein, Freund, du hast es ohne böse Absicht getan, und das tut nicht weh.»
Judas sieht ihn an. Es ist ein unruhiger, ausweichender Blick...
Jesus
geht nun zu Thomas, dann zu Philippus... Nun geht er um die Schmalseite des
Tisches herum und kommt zu seinem Vetter Jakobus. Er wäscht ihn und küßt ihn
dann beim Aufstehen auf die Stirn. Er kommt zu Andreas, der rot vor Scham ist
und gegen die Tränen ankämpft. Er wäscht und liebkost ihn wie ein Kind. Dann
ist Jakobus des Zebedäus an der Reihe, der nur ständig murmelt: «Oh, Meister!
Meister! Meister! So demütigt sich mein höchster Meister!» Johannes hat schon
seine Sandalen gelöst, und während Jesus sich bückt, um seine Füße
abzutrocknen, küßt Johannes ihn auf den Scheitel. Aber Petrus! ... Es ist nicht
leicht, ihn von der Notwendigkeit dieses Ritus zu überzeugen.
«Du
mir die Füße waschen? Gar nicht daran zu denken! Solange ich lebe, werde ich
dies nie erlauben! Ich bin ein Wurm, und du bist Gott. Jeder an seinem Platz.»
«Was
ich jetzt tue, kannst du noch nicht verstehen. Aber später wirst du es
verstehen. Laß mich nur gewähren.»
«Alles,
was du willst. Meister. Willst du mir den Hals abschneiden, dann tue es. Aber
die Füße wäschst du mir nicht.»
«Oh,
mein Simon, weißt du nicht, daß du keinen Anteil an meinem Reich haben wirst,
wenn ich dich nicht wasche?! Simon, Simon! Du hast dieses Wasser nötig für
deine Seele und den weiten Weg, den du gehen mußt. Willst du nicht mit mir
kommen? Wenn ich dich nicht wasche, kommst du nicht in mein Reich.»
«Oh,
mein gepriesener Herr! Dann wasche mich nur ganz! Füße, Hände und Haupt!»
«Wer,
wie ihr, ein Bad genommen hat, braucht nur noch die Füße zu waschen. Dann ist
er vollkommen rein. Die Füße... Der Mensch geht mit den Füßen durch den
Schmutz. Aber das wäre noch wenig, denn ich habe euch bereits gesagt: nicht
das, was mit der Nahrung hinein- und herauskommt, verunreinigt, und nicht der
Staub der Straße an den Füßen befleckt den Menschen, sondern was in seinem
Herzen gärt und reift und dort herauskommt verunreinigt seine Werke und seine
Glieder. Die Füße des Menschen mit unreinem Herzen gehen zur Prasserei, zur
Unzucht, zu unerlaubten Geschäften, zum Verbrechen... Daher sind es von allen
Gliedern des Leibes die Füße, die am meisten der Reinigung bedürfen... zusammen
mit den Augen, dem Mund... Oh, Mensch! Mensch! Einst ein vollkommenes Geschöpf!
Am ersten Tag. Und dann durch den Verführer so verdorben! Keine Bosheit war in
dir, o Mensch, und keine Sünde! ... Und nun? Du bist ganz Bosheit und Sünde,
und es ist kein Teil an dir, der nicht sündigt!»
Jesus
hat Petrus die Füße gewaschen und geküßt, und der Apostel weint und ergreift
mit seinen großen Händen die beiden Hände Jesu, legt sie auf seine Augen und
küßt sie dann.
Auch
Simon hat seine Sandalen ausgezogen und läßt sich wortlos die Füße waschen.
Aber dann, als Jesus zu Bartholomäus gehen will, kniet Simon nieder und küßt
seine Füße mit den Worten: «Reinige mich vom Aussatz der Sünde, wie du mich vom
Aussatz des Leibes gereinigt hast, damit ich in der Stunde des Gerichtes nicht
beschämt werde, mein Erlöser!»
«Fürchte
nicht, Simon. Du wirst in die himmlische Stadt eingehen, so rein und weiß wie
der Schnee der Berge.»
«Und
ich, Herr? Was sagst du deinem alten Bartholomäus? Du hast mich im Schatten des
Feigenbaumes gesehen und in meinem Herzen gelesen. Und nun, was siehst du, und
wo siehst du mich? Beruhige einen armen Greis, der fürchtet, keine Kraft und
Zeit mehr zu haben, um so zu werden, wie du uns haben willst!» Bartholomäus ist
zutiefst erschüttert.
«Auch
du, fürchte nicht. Ich habe damals gesagt: "Siehe, ein wahrer Israelit, an
dem kein Falsch ist." Nun sage ich: "Siehe, ein wahrer Christ, der
Christi würdig ist." Wo ich dich sehe? Auf einem ewigen Thron, mit Purpur
bekleidet. Ich werde immer mit dir sein.»
Nun
ist Judas Thaddäus an der Reihe. Als er Jesus zu seinen Füßen sieht, kann er
sich nicht mehr beherrschen. Er neigt das Haupt auf seinen auf den Tisch
gestützten Arm und weint.
«Weine
nicht, mein lieber Bruder. Nun gleichst du einem, der die Abtrennung eines
Gliedes erleiden muß und glaubt, es nicht ertragen zu können. Aber es wird nur
ein kurzer Schmerz sein. Dann... oh, dann wirst du glücklich sein, denn du
liebst mich. Du heißt Judas und du bist wie unser großer Judas: ein Riese. Du
bist der, der beschützt. Deine Taten sind die eines brüllenden Löwen und
Löwenjungen. Du wirst die Gottlosen beschämen, die vor dir zurückweichen
werden, und die Ungerechten werden vor dir zuschanden werden. Ich weiß es. Sei
stark! Eine ewige Vereinigung wird unsere Verwandtschaft im Himmel noch enger
und vollkommener werden lassen.» Jesus küßt ihn, wie den anderen Vetter, auf
die Stirn.
«Ich
bin ein Sünder, Meister. Mir nicht...»
«Du
warst ein Sünder, Matthäus. Nun bist du der Apostel. Du bist eine meiner
"Stimmen". Ich segne dich. Diese Füße, welch weiten Weg sind sie
gegangen, vorwärts, zu Gott... Die Seele hat sie geführt, und sie haben
jeglichen Weg verlassen, der nicht mein Weg war. Gehe weiter. Weißt du, wo der
Weg endet? Am Herzen meines und deines Vaters.»
Jesus
ist fertig. Er nimmt das Handtuch ab, wäscht sich in sauberem Wasser die Hände,
legt das Oberkleid wieder an, kehrt an seinen Platz zurück, setzt sich und
sagt:
«Nun
seid ihr rein. Aber nicht alle. Nur die, die den Willen haben, es zu sein.»
Jesus
schaut Judas Iskariot fest an, der vorgibt, nichts zu hören, und gerade
Matthäus erklärt, wie sein Vater beschloß, ihn nach Jerusalem zu schicken. Ein
unnützes Gespräch, mit dem Judas nur bezweckt, sich Haltung zu geben, denn er
muß sich sehr unwohl fühlen, trotz aller Frechheit.
Jesus
füllt zum dritten Mal den gemeinsamen Kelch. Er trinkt daraus und gibt ihn
weiter. Dann stimmt er den Psalm an und die anderen fallen ein: «Ich liebe den
Herrn, denn er hörte die Stimme meines Flehens. Er neigte sein Ohr mir zu. Alle
Tage meines Lebens rufe ich ihn an. Mich umwanden die Stricke des Todes», usw.
Ein Augenblick Pause. Dann fängt Jesus wieder zu singen an: «Ich war voll
Vertrauen, auch wenn ich sagte: Gar tief bin ich niedergebeugt. Ich sprach in
meiner Bestürzung: Die Menschen alle, sie trügen!» Er schaut Judas fest an. Die
heute abend müde Stimme meines Jesus wird kräftiger, als er nun ausruft: «Gar
kostbar in den Augen des Herrn ist der Tod seiner Heiligen. Du hast gelöst
meine Fessel. Dir will ich weihen das Opfer des Lobes, und anrufen will ich den
Namen des Herrn» usw. usw. Nach einer weiteren kurzen Pause fährt er fort: «Lobet
den Herrn, ihr Nationen, ihr Völker alle, lobpreiset ihn! Denn mächtig waltet
über uns seine Gnade, und seine Wahrheit währet ewiglich.» Noch eine kurze
Pause, dann ein langer Lobgesang: «Danket dem Herrn, denn er ist gut und ewig
währet sein Erbarmen ...»
Judas
Iskariot singt so falsch, daß Thomas ihm zweimal mit seinem mächtigen Bariton
den Ton angibt und ihn dabei fest anschaut. Auch die anderen schauen ihn an,
denn im allgemeinen singt er immer richtig, und ich habe bemerkt, daß er sich
ebenso etwas auf seine Stimme zugute tut wie auf vieles andere. Aber heute
abend! Manche Sätze bringen ihn so aus der Fassung, daß er völlig falsch singt,
und ebenso einige Blicke Jesu, die diese Sätze noch unterstreichen. Einer davon
ist: «Besser, seine Zuflucht nehmen zum Herrn, als zu bauen auf Menschen.» Ein
anderer ist: «Gestoßen ward ich, ich sollte fallen; der Herr aber stand mir
bei.» Noch ein anderer ist: «Ich werde nicht sterben, ich lebe, und künden will
ich die Taten des Herrn.» Und endlich die beiden, bei denen dem Verräter die
Stimme gänzlich im Hals steckenbleibt: «Der Stein, den die Bauleute verworfen
haben, er ist zum Eckstein geworden» und «Gelobt sei, der da kommt im Namen des
Herrn.»
Als
der Psalm zu Ende ist, schneidet Jesus noch einmal Stücke von dem Lamm ab und
verteilt sie.
(...)
Das
Lamm ist beinahe aufgegessen. Jesus, der nur sehr wenig gegessen und von jedem
Kelch nur einen Schluck Wein genommen hat, stattdessen aber viel Wasser trinkt,
als ob er Fieber hätte, beginnt nun wieder zu reden: «Ich will, daß ihr meine
Geste von zuvor versteht. Ich habe euch gesagt, daß der Erste wie der Letzte
ist, und daß ich euch eine Speise geben werde, die nicht für den Leib ist. Eine
Speise der Demut habe ich euch gegeben. Für eure Seele. Ihr nennt mich: Meister
und Herr. Ihr habt recht, denn ich bin es. Wenn ich euch nun die Füße gewaschen
habe, so müßt auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel
gegeben, damit auch ihr tut wie ich. Wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist
nicht mehr als sein Herr und der Apostel nicht mehr als der, der ihn zum
Apostel gemacht hat. Versucht, diese Dinge zu verstehen. Wenn ihr sie versteht
und danach handelt, werdet ihr selig sein. Aber nicht alle werdet ihr selig
sein. Ich kenne euch. Ich weiß, wen ich erwählt habe. Nicht von euch allen
spreche ich. Aber ich sage die Wahrheit. Andererseits muß sich erfüllen, was
über mich geschrieben steht: "Der mein Brot ißt, hat seine Ferse wider
mich erhoben." Alles sage ich euch, ehe es eintritt, damit ihr nicht an
mir zweifelt. Wenn alles erfüllt ist, wird euer Glaube, daß ich bin, der ich
bin, noch stärker sein. Wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat:
den heiligen Vater, der im Himmel ist. Wer einen aufnimmt, den ich sende, der
nimmt mich auf. Denn ich bin im Vater, und ihr seid in mir... Aber nun wollen
wir den Ritus beenden.»
Er
gießt wieder Wein in den großen Kelch. Bevor er aber trinkt und den anderen den
Kelch reicht, steht er auf – alle folgen seinem Beispiel -und singt noch einmal
einen der Psalmen von zuvor: «Ich war voll Vertrauen, auch wenn ich sagte ...»
und dann einen, der endlos zu sein scheint. Er ist schön, aber endlos! Ich
glaube ihn als den Psalm 118 zu erkennen, wegen seiner Anfangsworte und seiner
Länge. Einen Teil singen sie alle zusammen. Dann singt einer ein Distichon und
die anderen ein Stück im Wechsel, und so bis zum Ende. Ich wundere mich nicht,
daß sie am Ende Durst haben!
Jesus
setzt sich. Er streckt sich nicht aus, sondern setzt sich so wie wir und sagt:
«Nun, da der alte Ritus beendet ist, feiere ich den neuen Ritus. Ich habe euch
ein Wunder der Liebe versprochen. Nun ist die Stunde, es zu wirken. Deshalb
habe ich dieses Passahfest herbeigesehnt. Von nun an ist dies die Opfergabe,
die in einem ewigen Ritus der Liebe dargebracht werden wird. Ich habe euch mein
ganzes irdisches Leben lang geliebt, meine Freunde. Ich habe euch seit aller
Ewigkeit geliebt, meine Kinder. Ich will euch lieben bis ans Ende. Es gibt
nichts Größeres als dies. Denkt daran. Ich gehe von euch. Doch durch das Wunder,
das ich nun wirke, werden wir für immer vereint bleiben.»
Jesus
nimmt ein noch ganzes Brot und legt es auf den vollen Kelch. Er segnet und
opfert beides, bricht dann das Brot in dreizehn Stücke, gibt jedem Apostel
eines und sagt: «Nehmet und esset. Das ist mein Leib. Tut dies zu meinem
Gedächtnis, denn ich verlasse euch.»
Dann
reicht er ihnen den Kelch und sagt: «Nehmet und trinket. Das ist mein Blut. Das
ist der Kelch des neuen Bundes in meinem Blut und durch mein Blut, das für euch
zur Vergebung eurer Sünden vergossen wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis.»
Jesus
ist todtraurig. Jegliche Spur eines Lächelns, aller Glanz und alle Farbe sind
aus seinem Gesicht gewichen. Es ist schon von Todesangst gezeichnet. Die
Apostel betrachten ihn bange.
Jesus erhebt
sich und sagt: «Bleibt sitzen. Ich komme sofort zurück.» Er nimmt das
dreizehnte Brotstückchen und den Kelch und verläßt den Saal.
(Jesus geht zu seiner
Mutter.)
Jesus
kommt wieder herein. Er hat den leeren Kelch in der Hand. Auf seinem Grund ist
noch eine Spur Wein zurückgeblieben und im Schein der Lampe sieht er wirklich
wie Blut aus.
(...)
«Alles
habe ich euch gesagt, und alles habe ich euch gegeben. Ich wiederhole euch, der
neue Ritus ist erfüllt. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ich habe euch die Füße
gewaschen, um euch zu lehren, rein und demütig zu sein wie euer Meister. Denn
wahrlich, ich sage euch, wie der Meister ist, so sollen auch die Jünger sein.
Denkt daran, denkt daran. Auch wenn ihr oben sein werdet, denkt daran. Kein
Jünger ist mehr als der Meister. Wie ich euch gewaschen habe, so tut es auch
gegenseitig. Das heißt, liebt einander wie Brüder, helft einander, achtet euch
gegenseitig und gebt einander ein gutes Beispiel. Seid rein. Um würdig das
lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist, zu essen, damit ihr durch dieses
Brot die Kraft erhaltet, meine Jünger zu sein in einer feindlichen Welt, die
euch um meines Namens willen hassen wird. Aber einer von euch ist nicht rein.
Einer von euch wird mich verraten. Daher ist meine Seele erschüttert... Die
Hand meines Verräters ist mit mir auf dem Tisch, und weder meine Liebe, noch
mein Fleisch und Blut, noch mein Wort können ihn ändern und zur Reue bewegen.
Ich würde ihm verzeihen und auch für ihn in den Tod gehen.»
Die
Jünger sehen sich entsetzt an. Sie prüfen sich gegenseitig mißtrauisch. Petrus
durchbohrt Judas mit Blicken und erinnert sich an alle seine Zweifel. Judas
Thaddäus springt auf die Füße und schaut Iskariot über Matthäus hinweg an.
Aber
Judas gibt sich so sicher. Er sieht nun seinerseits Matthäus an, so als würde
er ihn verdächtigen. Dann schaut er Jesus lächelnd an und fragt: «Bin ich es
etwa?» Es scheint, daß er seiner eigenen Redlichkeit am allersichersten ist und
dies nur sagt, damit die Unterhaltung nicht ins Stocken gerät.
Jesus
wiederholt seine Geste von zuvor und sagt: «Du sagst es, Judas des Simon. Nicht
ich. Du sagst es. Ich habe dich nicht genannt. Warum klagst du dich an? Frage
deinen inneren Warner, dein Gewissen als Mensch, das Gott der Vater dir gegeben
hat, damit du dich wie ein Mensch benimmst, und höre, ob es dich anklagt. Du
wirst es vor allen anderen wissen. Aber wenn es dich beruhigt, warum sagst du
dann ein Wort und denkst an eine Tatsache, die auszusprechen oder zu denken
selbst im Scherz schon Gotteslästerung ist?»
Jesus
spricht ganz ruhig. Er scheint die aufgestellte These auszuführen, wie es etwa
ein Gelehrter vor seinen Schülern tut. Die Aufregung ist groß. Doch durch die
Ruhe Jesu legt sie sich.
Aber
Petrus, der Judas am meisten mißtraut zieht Johannes, der sich an Jesus
geschmiegt hat, als von Verrat die Rede war, am Ärmel. Und als Johannes sich
umdreht, flüstert er ihm zu: «Frage ihn, wer es ist.»
Johannes
nimmt seine vorige Stellung wieder ein, hebt nur leicht das Haupt, als wolle er
Jesus küssen, und flüstert ihm dabei ins Ohr: «Meister, wer ist es?»
Jesus
antwortet ganz leise: «Der ist es, dem ich den Bissen Brot eintauchen und
reichen werde.»
Er
nimmt ein noch ganzes Brot, nicht den Rest des für die Eucharistie Verwendeten,
und bricht einen großen Bissen ab, taucht ihn in den Saft des Lammes in der
Schüssel, streckt seinen Arm über den Tisch und sagt: «Nimm, Judas. Du magst
dies gern.»
«Danke,
Meister. Ja, ich mag das gern.» In Unkenntnis darüber, was dieser Bissen
bedeutet, ißt er ihn. Johannes schließt entsetzt die Augen, um das gräßliche
Lachen des Iskariot nicht sehen zu müssen, während dieser mit seinen kräftigen
Zähnen in das anklagende Brot beißt.
«Gut.
Nun, da du zufrieden bist, geh», sagt Jesus zu Judas. «Alles ist hier (er
betont dieses Wort ganz besonders) vollbracht. Was anderswo noch zu tun ist,
das tue bald, Judas des Simon.»
«Ich
gehorche dir sofort, Meister. Später treffe ich dich in Gethsemane. Du gehst
doch dorthin, nicht wahr? Wie immer?»
«Ich
gehe dorthin... wie immer... ja.»
«Was
hast du zu tun?» fragt Petrus. «Gehst du allein?»
«Ich
bin doch kein Kind», spöttelt Judas, der bereits seinen Mantel anlegt.
«Laß
ihn gehen. Er und ich wissen, was zu tun ist», sagt Jesus.
«Ja,
Meister.» Petrus schweigt. Vielleicht glaubt er, daß er mit seinem Verdacht
gegen den Gefährten gesündigt hat. Er legt die Hand an die Stirn und denkt
nach.
Jesus
drückt Johannes ans Herz und flüstert ihm nochmals ins Haar: «Sage Petrus noch
nichts. Es wäre ein unnötiges Ärgernis.»
«Leb
wohl, Meister. Lebt wohl, Freunde.» Judas verabschiedet sich.
«Leb
wohl», sagt Jesus.
Und
Petrus: «Leb wohl, Junge.»
Es folgen Worte Jesu, die als Abschiedsreden im
Johannesevangelium ab 13, 31; 14 – 17 bekannt sind.