NET OPERA SATOR
I. Palindrome; Struktur
des SATOR-Quadrats
1. Ein
Palindrom ist laut Definition eine Zeichenkette, die von vorn und von hinten
gelesen gleich bleibt. Dies trifft formal auch auf das SATOR-Quadrat (SQ) zu. Dennoch weist
dieses einige wesentliche Unterschiede auf, die durch weitere begriffliche
Klärungen faßbar werden.
2. Jedem
Palindrom liegt eine spiegelsymmetrische Achse zugrunde, von der aus nach
beiden Seiten dieselben Zeichen aneinandergereiht werden. Die Symmetriemitte besteht entweder aus
einem einzelnen Zeichen oder zwei gleichen Zeichen, wie die Wortpalindrome NEBEN und ANNA erkennen lassen.
3. Das
Substantiv NEBEL ergibt von rückwärts gelesen ein anderes Substantiv LEBEN. Will man daraus ein
Palindrom machen, muß man von der Symmetriemitte aus nach links und rechts entweder NEBEL oder LEBEN schreiben: LEBENEBEL, NEBELEBEN. Von der Symmetriemitte
her ist nur ein Mittelbuchstabe sinnvoll. Um beide Substantive LEBEN NEBEL und LEBEN NEBEL zu erkennen, muß der Mittelbuchstabe wiederum doppelt
gelesen werden.
4. Ein
ideales Palindrom besteht aus Wörtern, deren Gestalt auf beiden Seiten der Symmetriemitte
gleich bleibt, also aus Einzelwörtern, die von rückwärts gelesen jeweils eine
eigene Bedeutung haben, wie in dem Satz EIN ESEL|LESE NIE: EIN – NIE, ESEL – LESE. Solche
Einzelwörter sind jedoch selten. Daher stimmen die Wortgrenzen der linken und
rechten Seite in den meisten Palindromen nicht überein, etwa im folgenden BEI LIESE SEI LIEB, das streng
symmetrisch geschrieben werden müßte: BEI LIES-E-SEIL IEB: Die Buchstabefolge IEB ist kein Bestandteil des deutschen Wortschatzes.
Jedes
Palindrom hat zwar als Bauprinzip eine spiegelsymmetrische Achse, aber es
erhält Sinn in der Regel nur für seine Leseweise von einer Seite zur anderen,
nicht aber Sinn von der Mitte selbst her. Die Buchstabengruppe ESEILIEB ergibt also keinen
Sinn und ist natürlich auch nicht beabsichtigt.
5. Numeriert
man die Bestandteile eines Durchmessers (Mittelpunkt, Kreislinienpunkte,
Radiallinien) von der Mitte her mit 1 3 2, erhält man bei der Lesung von links zwei
Zahlenpalindrome oder Umkehrzahlen, 231 und 132 bzw. ein einziges Zahlenpalindrom 23132:
6. Nun kann
die Besonderheit des SQ näher bestimmt werden:
–
Es besteht aus 5 Wörtern von je 5 Buchstaben. Es handelt
sich dabei um reine Wortumkehrungen. Die ungewöhnliche Anordnung der 5 Wörter in Quadratform
ist als Grundintention der Palindromkonstruktion anzunehmen.
–
Der Buchstabe N ist die
Symmetriemitte, die nach rechts und nach links um die Buchstaben ET und die Wörer OPERA SATOR erweitert wird.
Modell für die 5 Wörter sind die
Durchmesserelemente des Kreises:
|
Im
Unterschied zu den meisten anderen Palindromen hat die Silbe NET eine eigene
Bedeutung: er
webt.
Daher kann nach beiden Seiten hin der Satz gebildet werden:
NET OPERA SATOR – Es webt die Werke der Schöpfer.
7. Wenn man
nun die Wörter OPERA ROTAS nach oben und unten in jeweils zwei Zeilen anordnen will,
kann die Spiegelsymmetrie nur aufrecht erhalten werden, wenn man in Vor- und
Rückwärtsschleifen die Buchstaben anreiht. Die Linksbewegung ist blau, die Rechtsbewegung grün gekennzeichnet:
R |
O |
T |
A |
S |
O |
P |
E |
R |
A |
T |
E |
N |
E |
T |
A |
R |
E |
P |
O |
S |
A |
T |
O |
R |
8. Durch
die nach zwei Seiten erfolgende Anordnung der drei Wörter kommen zur
Mittelachse die Buchstaben ET/ET hinzu. Wenn man nun
von rechts oben – wiederum S-förmig – die ersten drei Zeilen liest, erhält man
ein weiteres Wort:
SATOR OPERA TE NET.
Das ET ist nun zu TE geworden. Damit der
Satz einen Sinn ergibt, wandelt sich auch OPERA vom Akkusativ Plural zum Ablativ Singular:
Der Schöpfer webt dich mit Sorgfalt.
9. Die
Silbe NET wird durch die spiegelsymmetrische Anordnung zu TENET. Das Prädikat, das
zunächst als NET den Beginn der Bewegung vom Zentrum her bildete, tritt nun als TENET ans Ende des Satzes.
Nun kann die spiegelsymmetrische Konstruktion von außen her gelesen werden und
erhält die typische Palindromform, d.h., die rechte Seite erscheint
spiegelverkehrt: aus OPERA wird AREPO, aus SATOR wird ROTAS. Um die spiegelsymmetrische Ursprungskonstruktion zu wahren,
werden die 5 Wörter
schleifenförmig abgerollt, hier von rechts oben nach links unten:
SATOR OPERA TENET AREPO ROTAS
Es gibt hierzu 4 Möglichkeiten, zwei
vertikale und zwei horizontale. Die (im Zusammenhang mit den beiden
Catullgedichten) bereits behandelte spiegelsymmetrische Numerierung legt die linke
vertikale Lösung nahe. Die Aufwärtsbewegung ist blau, die Abwärtsbewegung grün gekennzeichnet:
R |
O |
T |
A |
S |
O |
P |
E |
R |
A |
T |
E |
N |
E |
T |
A |
R |
E |
P |
O |
S |
A |
T |
O |
R |
10. Wie die
Verbform NET mit den beiden weiteren Wörtern vom Mittelpunkt aus zweimal zu
lesen ist, so auch das Verb TENET, das einmal von unten nach oben und das zweite Mal von
oben nach unten verläuft. Auf diese Weise geschieht mit dem mittleren Wort eine
spiegelverkehrte Umkehrung, indem das zweite TENET den Anfang des zweiten Satzes bildet:
R |
O |
T |
T |
A |
S |
O |
P |
E |
E |
R |
A |
T |
E |
N |
N |
E |
T |
A |
R |
E |
E |
P |
O |
S |
A |
T |
T |
O |
R |
N |
U |
I |
Der formale
Palindromablauf des SQ steht zwar fest, dennoch verpflichtet er nicht zu einer
entsprechenden Lesung, um zum richtigen Verständnis zu gelangen. Vielmehr
ermöglicht die gewonnene Figuration eine zusätzlich erforderliche
Interpretation. Dazu leistet das Wort OPERA den wesentlichen Beitrag, da es einmal als
Akk.Pl. WERKE und das zweite Mal
als Abl.Sg. mit SORGFALT verstanden werden kann. Nachdem OPERA als schleifenförmige
Fortsetzung von TENET von unten nach oben verlaufen ist, ist ROTAS noch einmal von unten
nach oben zu lesen. Aus der so bedingten Leserichtung der 6 Wörter lassen sich,
wie an anderer Stelle bereits behandelt, die Wortformen NUI und SUI bilden. Die
Übersetzung lautet daher:
SATOR OPERA TENET
TENET OPERA ROTAS
Der Schöpfer erhält seine Werke;
er
hält mit Sorgfalt die Räder.
11. Nicht
berücksichtigt wurden bisher die Wortformen OPERA SATOR. Die
Buchstabengestaltung der beiden Wörter ist nicht zufällig: Die Urheber des SQ gingen von der
spiegelsymmetrischen Eigenschaft eines Quadrats aus, hier eines 5*5 Quadrats,
und wollten ein Buchstabengebilde schaffen, das dieser Bedingung genügte. Eine
solche Schöpfung ist notwendigerweise ein Palindrom.
Wenn man
angefangen hat, ein Palindrom von seiner Symmetriemitte aus zu sehen, besteht
die spiegelsymmetrische Fortsetzung des SQ in der Errichtung einer zweiten TENET-Achse:
|
|
T |
|
S |
|
|
E |
|
|
T |
E |
N |
E |
T |
|
|
E |
|
|
S |
|
T |
|
|
Damit sind
für die beiden Wörter OPERA und SATOR zwei Buchstaben bereits vorgegeben. Soll das Wort SATOR unten links beginnen,
ist der spiegelsymmetrische Gegenpunkt die obere rechte Ecke. Sind die beiden
Vertikalleisten ausgefüllt und sind jeweils zwei Zwischenpunkte besetzt, ist
der Quadratrahmen zu einem eigenen Palindrom geworden:
SATOROTASATOROTA(S)
Für die zwischen den
ungeraden Zeilen befindlichen geraden Zeilen sind nun drei Vokale vorgegeben, O-E-A:
R |
O |
T |
A |
S |
O |
|
E |
|
A |
T |
E |
N |
E |
T |
A |
|
E |
|
O |
S |
A |
T |
O |
R |
Die
beiden Buchstaben P und R sind noch einzufügen, dann ist nicht nur das Wort OPERA vollendet, sondern
auch ein Palindrom des inneren Quadratrahmens (gegen den Uhrzeigersinn):
PEREPERE(P)
P |
E |
R |
E |
N |
E |
R |
E |
P |
12. Die
Konstruktion des SQ von der Symmetriemitte aus ist einer seiner möglichen
Entstehungsfaktoren. In Wirklichkeit werden mehrere zusammengewirkt haben.
Erstellt: Oktober
2009
letzte Änderung: Dezember 2022