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Gematrie und Vernetzung römischer Dichtung (5)

Beispiel LIBERA

D. Die römische Gottesidee in den Metamorphosen und Fasti

1.      Ich muß es als einen Glücksfall ansehen, daß mir die Wortform LIBERA (mit möglicher Flexionserweiterung) so bedeutsam erschien, daß ich danach in den Metamorphosen und in den Fasti suchte – wie ich es schon mit anderen Begriffen und Namen getan hatte. Vor allem die im letzten Kapitel untersuchten 8+8 Zeilen-Zahlenwerte zeigen zweifelsfrei Ovids rechnerische Planung. Die zweimal 8 Verse, die sich wiederum in Vierer- und Zweiergruppen unterteilen, sind so deutlich zu Zahlen- und Verhältnisordnungen verschränkt und verwoben, daß man der Frage nachgehen sollte, ob Ovid nicht von vorneherein beide Werke plante und welchen Sinn er mit der ermittelten Zahlenkonstruktion verband.

2.      Versuchen wir zunächst, eine Antwort darauf zu finden, was Ovid in den Metamorphosen und den Fasten zu einer Einheit verbinden wollte. Erstere sind ein aus vielen Einzelgeschichten zusammengesetztes episches Erzählwerk, letztere ein Lehrgedicht im elegischen Versmaß. Gemeinsam ist beiden literarischen Gattungen neben einem chronologischen Aspekt die Beziehung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre.

3.      Als Ovid, kurz nach der Zeitenwende, die Metamorphosen zu verfassen begann, hatte er die beiden Lehrgedichte Ars amatoria und Remedia amoris veröffentlicht. Er wandte sich also nach dem spielerischen Genre der Liebesdichtung der ernsten Gattung des Epos zu. Den äußeren Rahmen bilden Verwandlungssagen, die, kunstvoll choronologisch geordnet, die Zeit von der Erschaffung der Welt bis zur Gegenwart umfassen.

Was aber war die umfassende Idee des Dichters vor dem Hintergrund, daß er Wort für Wort, Zeile um Zeile in Zahlenwerte (ZW) umsetzte?

4.      Es war die ureigenste römische Leistung, im Dezimalsystem den unsichtbaren dreieinen Gott als zentrale Gottesidee erkannt zu haben. Nicht nur standen die 21 Buchstaben durch Form und Zahl in Übereinstimmung mit dem Zahlensystem, sondern dieses war in der lateinischen Sprache – durch göttliche Lenkung – selbst präsent.

5.      Wenn Gott einerseits unsichtbar, andererseits im Dezimalsystem als trinitarische Gemeinschaft evident ist, sind alle religiösen Namen und Bräuche nur sinnenhafte und erfaßbare Ausprägungen der unsichtbaren Wirklichkeit, auf die alles zu beziehen ist.

In einem ersten Schritt überführt Ovid die gesamte griechische Mythologie in die Zahlenordnung römischer Gotteserkenntnis. Dabei macht er die gematrische Erfahrung, daß griechische Namen genau in das Muster des lateinischen Alphabets passen.

6.      Jedem nachdenklichen und unvoreingenommenes Leser der Metamorphosen muß es auffallen, daß in fast allen Geschichten sich Menschen in Schuld verstricken oder deren Opfer sind. Den Grund hierfür zeigen zwei Ausnahmen, DEUCALION und PYRRHA und PHILEMON und BAUCIS: Beide Ehepaare zeichnen sich durch vorbildliche Frömmigkeit und Gottesfurcht aus.

7.      Die ZW der beiden Namenspaare sind 160+140 = 300 und verweisen so gemeinsam auf ihren Ursprung durch die drei göttlichen Personen. Das Verhältnis der ZW ist 20*(8:7), der duchschnittliche ZW je Name ist demnach 5*15 = 75.

DEUCALION und PYRRHA bilden gematrisch das vollkommene Paar, da sie den gleichen ZW 80 haben. Auch die übrigen Werte zeigen ideale Eigenschaften:

 

ZS

FS

FW1

FW2

Sm.

DEUKALION

80

61

13

61

215

PYRRHA

80

62

13

33

188

 

160

123

120

403

403 = 13*31

Die Faktorensummen (FS) 61 und 62 sind die angrenzenden Konstitutivzahlen der ersten ersten 3 aufeinanderfolgenden Zahlen – wiederum ein Hinweis auf die 3 göttlichen Personen. Die Umkehrfaktoren 13*31 können als Gleichheit und gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau aufgefaßt werden, beide hervorgegangen aus dem dreieinen Schöpfergott.

Die 2 Namenspaare zeigen in den Buchstaben sowohl chiastische als auch parallele Bezogenheit zueinander. Erstere betrifft die Verschiedenheit, letztere die Gleichheit der Geschlechter:

Die 3+2 Buchstaben der chiastischen Paarung haben die ZW 32+23 = 55, die 5+1 Buchstaben der parallelen Stellung die ZW 52+1 = 53. Die doppelte Summe 216 = 6³ verhält sich zur restlichen ZS 384 24*(9:16) = 24*25.

8.      Die gematrischen Zahlen der beiden mythischen Paare stimmen offensichtlich über das lateinische Alphabet mit Ordnungen des Dezimalsystems überein. Für Ovid – und vielleicht ein wenig auch für uns – ist es klar, daß die Römer in allem die authentischen Vollstrecker göttlichen Willens sind. So integriert Ovid durch seine Dichtung einen weiteren Teil des Griechentums in den römischen Kulturkreis.

9.      In den Fasti geschieht Ähnliches wie in den Metamorphosen: Ovid ordnet das gesamte römische Religionssystem der Herrschaft des dreieinen Gottes zu. Indem er dies tut, gibt er dem Antlitz des römischen Götterpantheons ein zugleich erhabenes und freundliches Antlitz. Wie ein einziger Lichtstrahl sich in einem Prisma in viele Farben bricht, so zeigt sich in der Vielgestalt der Götterkulte die Fürsorge des einen Gottes. Das Gottesbild, das Ovid zeichnet, ist nicht von Angst, sondern von Vertrauen geprägt. In seinem fiktiven Interview mit IANUS beispielsweise ermuntert dieser den Dichter, ihm Fragen zu stellen.

10.   Die bedeutenden Vertreter der vorchristlichen Antike, die den menschgewordenen Gott noch nicht empfangen hatten, sahen die Fülle des Menschseins darin, an der Vollkommenheit Gottes soviel Anteil wie möglich zu haben. Die Vollkommenheit Gottes besteht in seiner unbeschränkten Selbterkenntnis und seine Freiheit, seine Schöpfung durch Güte zu lenken. Alle menschliche Erkenntnis und Freiheit ist ein Geschenk des Geistes Gottes. Ohne ihn ist der Dichter, der sich als VATESSeher, als Diener der VESTA bezeichnet, unfähig, etwas Sinnvolles hervorzubringen.

Das Problem des heutigen Menschen besteht im Wesentlichen darin, daß er keinen Sinnbezug zur Menschheitsgeschichte hat. Hätte er sie, würde er nicht nur die Leistungen der Vorfahren achten und sich nach ihnen ausrichten, sondern er würde auch das geschichtliche Ereignis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus annehmen. Ohne heilsgeschichtliches Bewußtsein kann die historische Person Jesu nicht als überzeitliche Identifikationsfigur verstanden werden. Ohne in ihm das individuelle Heil jedes Menschen zu sehen, wird die Menschheit Opfer schlimmster Orientierungslosigkeit.

11.   Die grundlegenden Flächenverhältnisse des Doppelkreises des Tetraktyssterns sind 1:2 und 1:3, also die Zahlen 3 und 4. In fortlaufender Addition ergeben die Zahlen 1-3 und 1-4 die Summen 6+10 = 16. Es sei daran erinnert, daß die FS der 8 Verse der Metamorphosen 610 beträgt. Die Zahlen 6 und 10 sind aufteilbar in 2*3 und 2*5 Radialelemente des inneren und äußeren Kreises des Tetraktyssterns und bezeichnen somit das Flächenverhältnis 1:3.

Indem Ovid 13-mal die Form LIBERA und 3-mal LIBERAT verwendet, gibt er in den Einzelziffern die trinitarischen Grundzahlen 4 und 3 wieder. Wir können in LIBERA einen Bittruf erkennen, den Ovid 13-mal an den einen Gott in drei Personen richtet und im dreimaligen LIBERAT das Vertrauen und die innere Gewißheit, daß jede der 3 Personen dem Menschen die Erkenntnis und Fähigkeit verleiht, die ihn das Glück innerer Freiheit erfahren läßt.

12.   Die ZW/FW-Verrechnung der 13+3 Formen führt zu folgendem Ergebnis:

 

ZW

Hf.

ZS

FW

Sm.

FW

LIBERA

45

13*45

585

24

 

 

LIBERAT

64

3*64

192

15

3*(8:5)

 

Sm.

 

 

777

39

816

28

FW

 

 

47

16

63

13

 

 

 

 

 

 

41

Die FS 39 hat die Faktoren 3*13 und zeigt damit einen Zahlenbezug zu der Häufigkeit der Formen LIBERAT und LIBERA. Er besteht in den 3 sanduhrförmigen Doppeldreiecken des Hexagon aus jeweils 13 Elementen. Das Verhältnis 8:5 bezeichnet 6 Linien + 2 Dreiecke und 5 Punkte.

Die Ergebnisse 47 und 63 sind in ihren Einzelziffern Komplementärzahlen. Als ZW treffen sie am sinnvollsten auf DEVS und VESTA zu. Der Differenzbetrag zwischen FS und ZS ist jeweils 21.

Die FW 28+13 schließlich führen wieder zu einem Doppelrautenkreuz aus 13 Punkten und 28 übrigen Elementen.

 

Erstellt: Mai 2007

 

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