Der Koran - ein Spiegelbild von Mohammeds Rechtfertigung
Für den Christen
stellt der Koran ein schwierige Lektüre dar. Er kommt
schnell zu dem Schluß, daß darin nichts Wesentliches zu finden sei, was das Alte
und Neue Testament nicht geordneter, umfangreicher und verläßlicher biete.
Andererseits nimmt er den tiefen Glauben vieler Muslime wahr,
die im Koran eine direkte und wörtliche Offenbarung sehen, und möchte sich ein
gerechtes Urteil bilden. Je mehr er sich jedoch damit beschäftigt, umso größer
ist die Gefahr, daß die Urteilsmaßstäbe unscharf werden. Denn der Koran führt
auf eine legendarisch wahrgenommene Erzählebene biblischer Geschehnisse, die
gleichwohl den Anspruch erhebt, faktische Realität zu sein.
Ich selbst sehe in dem Begriff Rechtfertigung die Möglichkeit,
die Inhalte des Koran einer religionspsychologischen
Sicht zu unterziehen und so eine geeignete Orientierung zu geben. Besonders ist
hier an Mohammeds Verhältnis zu Maria und Jesus zu denken.
I. Rechtfertigung
III. Das geformte religiöse Bild
I. Rechtfertigung
1. Rechtfertigung ist ein anthropologischer und
theologischer Begriff. Der Mensch ist Subjekt seines Handelns. Als
vernunftbegabtes Wesen ist sein Handeln dem Gebot der Vernunft unterworfen. Aus
seinem innersten Wesen weiß er sich aufgefordert, über den Sinn seines Tuns
rationale Gründe anzuführen bzw. sein Tun von rationalen Günden her zu
entscheiden. Dieses Bedürfnis könnte man Rechtfertigungstrieb nennen.
Man kann
vielleicht drei Weisen der Rechtfertigung unterscheiden: vor sich selbst, vor
den Mitmenschen und vor Gott.
Rechtfertigung
hat mit dem Gewissen
zu tun. Das Gewissen ist die Instanz, die ein Bewußtsein von Gut und Böse
bewirkt. Das Bewußtsein, gut gehandelt zu haben, verschafft Befriedigung und
Ruhe der Seele. Ungerechtes Handeln hinterläßt ein "schlechtes
Gewissen", ein Gefühl der Schuld, das der Mensch gerne zu verdrängen
sucht, indem er sein Handeln vor sich selbst beschönigt oder ganz aus seinem
Bewußtsein verbannt.
Die
Rechtfertigung vor den Mitmenschen ergibt sich aus der Ordnung der Gemeinschaft, zu der jeder etwas
Positives beizutragen hat. Der Einzelne kann einerseits von der Gemeinschaft
zur Rechenschaft gezogen werden für ein vollbrachtes Tun, oder er wirbt um
Anerkennung seiner Person, indem er Gründe des Guten für sein geplantes Handeln
anführt.
Selbstrechtfertigung kann zu Selbstgerechtigkeit führen, wenn man ein Bewußtsein
des Stolzes über sein richtiges Handeln pflegt. Deswegen sagt Jesus:
Wenn wir
alles getan haben, was Gott von uns möchte, sollen wir sprechen: "Wir sind
unnütze Knechte;
wir haben nur getan, was unsere Schuldigkeit war." (Lk 17,10)
2. Die Rechtfertigung vor Gott, so die Lehre der Kirche, können
wir nur durch Jesus Christus erlangen, der durch sein Sühneleiden am Kreuz die
Welt mit Gott versöhnt hat. Durch ihn erlangen wir Verzeihung unserer Sünden
und werden mit Gott versöhnt, er ist der Mittler des ewigen Heils:
Wir bitten an Christi statt: Laßt euch mit Gott versöhnen! (2Kor 5,20)
Einer ist
Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen:
Der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle (1Tim 2,5)
3. Rechtfertigung dient der Selbstbehauptung und dem eigenen Ich. Wer gegenüber sich selbst und
vor Gott nicht aufrichtig ist und die Beweggründe seines Denkens und Handelns
nicht selbstkritisch erforscht und dennoch vor den Mitmenschen bestehen will,
rechtfertigt das, was dem eigenen Geltungstrieb dient, durch hohe Ideale, wie
es etwa der Marxismus getan hat durch den Begriff "Befreiung des
Proletariats", "Gleichheit aller Menschen" oder Hitler durch
"nationale Größe", "Revision von Versailles",
"rassische Überlegenheit", "Vorsehung". Die Folge dieser
unechten Rechtfertigung ist zunehmende Selbsttäuschung, da man das glaubt, was
man sich einbildet.
Wenn
jemand einerseits von einer Schuld durch ein Handeln oder Denken belastet ist,
das er beenden könnte, wenn er nur selbstkritisch und einsichtig genug wäre, es
aber unterläßt, andererseits aber dennoch nach Gerechtigkeit strebt, so ergeben
sich daraus kompensative Denk- und Handelnsweisen. Dies trifft in besonderer Weise auf
Mohammed zu.
(Das Prinzip der Rechtfertigung wird im Folgenden nicht streng
durchgeführt. Es durchzieht jedoch als generelle Grundströmung subjektiver
Heilsbemühung jeden Vers des Koran.)
Mohammeds familiärer Hintergrund und Werdegang bestimmen sein
Selbstverständnis, Denken und Wollen.
a) Biographisches
1. Mohammeds Großvater war Abd al-Muttalib,
angesehener Klanchef der Haschim, einer der 10 Klans des Stammes der Quraisch,
die Mekka im 5. Jahrhundert erobert hatten. Sein Klan war ehrenamtlich für die
Wasserversorgung Mekkas verantwortlich.
Sein
Vater war Abdallah, der jüngste von 10 Söhnen Abd al-Mutalibs. Er starb bereits
vor der Geburt seines Sohnes im Jahr 570 oder 571, dem "Jahr des
Elephanten". Wie es in vielen mekkanischen Familien Brauch war, wurde das
Kind einer beduinischen Mutter als Amme anvertraut, bei deren Angehörigen er 6
Jahre blieb. Danach kehrte er nach Mekka zurück, um von dort mit seiner Mutter Amina nach Medina zu ziehen. Bald nach
der Ankunft starb Amina. Sein inzwischen 80-jähriger Großvater nahm ihn bei
sich auf und sorgte für seine Erziehung und Bildung. Es ist kaum vorstellbar,
daß Mohammed nicht lesen und schreiben lernte. Das Wort ummi, das im Koran sechsmal vorkommt,
bezieht sich offensichtlich auf Leute, die sich nicht mit den Schriften der
Juden beschäftigt haben, wurde aber fälschlicherweise als analphabetisch
gedeutet. Wie hätte er etwa eine Beziehung zur Dichtkunst gewinnen können? In
Sure 96 heißt es ausdrücklich: "Lies im Namen deines Herrn, der alles
erschaffen hat."
Zwei
Jahre später starb Abd al-Muttalib. Klanoberhaupt wurde der leibliche Bruder
von Mohammeds Vater, Abu Talib,
der nun die Sorge für den 8-jährigen Waisenknaben übernahm.
2. Zu einem späteren
Zeitpunkt trat Mohammed in den Dienst der reichen Kauffrau Chadidscha. Er führte in ihrem Auftrag eine Karawane nach Syrien und wurde zum Teilhaber
bei ihren Handelsgeschäften. Schließlich trug sie ihm die Ehe an.
Mohammed war 25, Chadidscha 40 und zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal
verwitwet. Mohammed gehörte nun zu den angesehensten Leuten Mekkas.
Chadidscha
gebar Mohammed vier Töchter, ein oder zwei Söhne starben kurz nach ihrer
Geburt.
Quelle:
Anne-Marie Delcambre, Mohammed, die Stimme Allahs. Ravensburg 1990
b) Charakter und
Religion
1. Als Einzelkind war Mohammed
stärker auf sich selbst zentriert als Kinder mit Geschwistern. Der frühe Tod
von Vater und Mutter erschwerte seine Identitätsfindung. Eine Identität bot
sich in übergreifenden religiösen und moralischen Idealen an. Seine
Ehrenbezeichnung al Amin
– der
Vertrauenswürdige könnte
historisch authentisch sein.
Nach Tilman Nagel, emeritierter
Professor der Islamwissenschaft, gehörte Mohammed zum Bund der
"Strengen", einer Art Männergemeinschaft, die sich darum kümmerte,
daß die Pilger saubere Kleidung trugen (GEO kompakt Nr. 16, S.135).
2. Als Schützling von zwei
Klanoberhäuptern entwickelte Mohammed genealogischen Stolz und Ehrgeiz,
besonders nachdem er durch seine Heirat mit Chadidscha materiell gesichert und
sozial aufgestiegen war.
3. Kein Mensch in früheren Zeiten
wuchs ohne religiöse Vorstellungen und Bindungen auf. Für Mohammed findet man
diesbezüglich keine Überlegungen, so als wäre er in seiner Kindheit und Jugend
eine religiöse tabula rasa gewesen.
Der Wikipedia-Artikel Hanif zeigt, daß es eine monotheistische Tradition in Arabien
gegeben hat. Hanifen als eine religiöse Gruppe führten sich auf Abraham und
seinen Sohn Ismael zurück, die zusammen Mekka und die Kaaba gegründet hätten.
Ein Hanif war jemand, der den mekkanischen Polytheismus ablehnte und sich
zeitweise in die Einsamkeit zurückzog, um göttliche Erleuchtung zu erhalten. Es
ist anzunehmen, daß Mohammed schon vor seinem entscheidenden religiösen
Erlebnis im Jahr 610 jeweils einen Monat im Jahr diese Praxis übte.
Der autochthone
arabische Monotheismus mag verschiedene Elemente von der jüdischen und
christlichen Religion übernommen haben, etwa die Lehre von der Auferstehung der
Toten und des letzten Gerichts, die schon in den chronologisch ersten Suren
genannt wird. Er stellte vielleicht schon die ganze Lehre Mohammeds zur
Verfügung. Mohammed verband dann diesen genuin arabischen Eingottglauben mit
den jüdisch-christlichen Traditionen, um den absoluten Wahrheitsanspruch der
neuen Religion zu stützen.
4. Man kann also annehmen, daß
Mohammeds religiöse Formung ihren Ausgang von einem monotheistischen Glauben
nahm. Seiner idealen religiösen Einstellung entsprach die Suche nach einer
Synthese seiner eigenen Glaubenswurzeln und der jüdischen sowie christlichen
Religion. Das Christentum erschien ihm vermutlich als eine Fortsetzung der
jüdischen Religion. Er mag von einer geeinten Religion unter Anführung eines
Propheten geträumt haben, der die bisherige Prophetenreihe abschloß. In dieser
Hinsicht war Mohammed durch einen utopischen Idealismus geleitet.
5. Seine eingehende Beschäftigung mit
religiösen Fragen führten Mohammed zu beträchtlichen
biblischen Kenntnissen. Auch wenn er wohl lesen konnte, dürfte er sie nur
mündlich in zahlreichen Gesprächsbegegnungen aufgenommen haben. Denn die
Schriften der Juden und Christen standen ja nicht zahlreich und in arabischer
Sprache zur Verfügung und wurden Nicht-Gläubigen kaum zur Lektüre ausgehändigt.
Schon vor seinem
ersten Offenbarungserlebnis standen wahrscheinlich für Mohammed zwei
Überlegungen fest: Erstens, der Monotheismus ist auf den gemeinsamen Stammvater
Abraham zurückzuführen, zweitens, ein weiterer Prophet müßte ihn neu
bekräftigen. Eines Tages wird er der Versuchung nicht widerstehen, selbst
dieser Prophet zu sein.
Mohammeds abstrakte Konstruktion
zeigt sich z.B. darin, daß er als Propheten nach Moses nur Jesus namentlich
nennt: Moses erhielt die Thora, Jesus das Evangelium: einem arabischem
Propheten würde die letztgültige Schrift zuteil werden. Wenngleich Jesus 26-mal
im Koran genannt wird und ihm Ehren erwiesen werden, bleibt seine Person
unkonkret. Worin seine Botschaft besteht, liegt außerhalb von Mohammeds
Interesse.
6. Tilman Nagel vertritt die
Auffassung, daß Mohammed nicht als einziger monotheistische Thesen in Mekka
vortrug, sondern er in Konkurrenz zu anderen "Hanifen" trat. Diese
Tatsache und seine gesellschaftliche Stellung in Mekka dürften es ihm
wesentlich erleichtert haben, sich in Mekka mit seiner neuen Botschaft zu Wort
zu melden.
III.
Das geformte religiöse Bild
a)
Instrumentalisierung
Die religiöse Vorstellungen, die sich Mohammed bildete, sind
zunächst ein Sachverhalt an sich, den er nach seinem ersten übernatürlichen
Erlebnis zunehmend als Mittel zur Rechtfertigung seines Prophetenanspruchs
einsetzt.
1. Auch wenn Jesus im Koran keine konkrete Lehre hinterläßt und sein Wirken
gleichsam im Sande verläuft, ist er für Mohammed eine bedeutende
Identifikationsfigur, an der er regen inneren Anteil nimmt: Jesus ist
Einzelkind wie er selbst und hat viele Anfeindungen zu erdulden, obwohl er sich
durch ein vorbildliches Leben und durch Wunderheilungen auszeichnet. Den Juden wird im Koran die Ungerechtigkeit
gegen Jesus angelastet.
2. Mohammed entwickelt in sich Groll
gegen die Juden, daß sie oft vom rechten Pfad
abwichen und schloß daraus, daß sie wohl nicht den rechten Glauben haben. Im
Koran dient dieser Umstand dazu, seinen Botschaften als der neuen Wahrheit
Glaubwürdigkeit zu verleihen.
3. Ebenso muß Mohammed den Glauben
der Christen an die göttliche Natur Jesu zurückweisen, da er
sich selbst als letzten Gesandten Gottes zur Neuaufrichtung des Eingottlaubens
berufen weiß. Indem er Jesus selbst bekennen läßt, daß es ihm fern liege, sich
eine göttliche Natur zuzuschreiben (19,35), schiebt er den Christen den schwarzen Peter zu, die das
Evangelium Jesu verfälscht hätten.
b)
Kompensierungen: Maria und ihr Sohn Jesus
1. Wenn von kompensativer
Rechtfertigung im Koran die Rede sein kann, bildet MARIA ihre eigentliche Mitte. Sie ist
als Jungfrau und Mutter leuchtendes Hoffnungszeichen für Mohammeds persönliche
Heilssehnsucht. Sie übernimmt die Rolle seiner eigenen Mutter, die er so früh
verloren hat.
2. Der Glaube an die jungfräuliche
Empfängnis ihres Sohnes ist der Preis, den Mohammed zu bezahlen bereit ist, um
seine eigene Prophetenrolle einnehmen zu können.
Von
den vielen Wundergeschichten, die Mohammed gehört hat, muß ihn die von der
Jungfrau Maria besonders beschäftigt haben. Welche Vollkommenheit mußte ein
unverheiratetes Mädchen besitzen, daß Allah beschloß,
ihr "einen reinen Sohn" (19,19) zu schenken!
Mohammed
bewegte tief die Diskrepanz zwischen der einzigartigen Auszeichnung, die Maria
durch Gott erhielt, und der Ehrlosigkeit, die der unehelichen Empfängnis
folgte. In Sure 19 wendet er sich ihr voll Mitleid zu: Nach der ihr
rätselhaften Empfängnis zieht sie sich vor den Menschen zurück (19,22). Unter
einer Palme gebiert sie unter Schmerzen ihren Sohn, sie ist erschöpft und
niedergeschlagen. Da spricht von unten her ihr Sohn und tröstet sie. (19,23-26)
Sie kehrt zu den Ihren zurück und wird wegen ihres unehelichen Kindes zur Rede
gestellt. Die Leute merken, daß Maria von ihrem Sohn Aufklärung erwartet, und
lachen sie deswegen aus, da ein Säugling noch nicht reden könne. Da tritt ein
unerwartetes Wunder ein: Jesus beginnt zu sprechen und verkündet seine
Lebensaufgabe als Prophet. (19,27-36). An anderer Stelle nimmt Mohammed Maria
gegen die Juden in Schutz, die sie wegen der unehelichen Zeugung ihres Sohnes
geschmäht haben (4,156).
In Sure 3
wird die Verkündigung des Engels wiederholt und Maria vor allen Frauen
ausgezeichnet. Dort sagen die Engel: "Maria, Gott hat dich auserwählt und
rein gemacht. Er hat dich vor den Frauen der Menschen in aller Welt
auserwählt." (3,43)
3. Die Rühmung Marias durch Mohammed
ist sicherlich aufrichtig gemeint, doch in einer Hinsicht geht sie zu Lasten
Jesu: Die Propheten vor Jesus und Mohammed selbst hatten alle menschliche
Väter. Warum aber wurde Jesus ohne menschlichen Vater gezeugt? Mohammed kann
keinen Grund zugunsten Jesu angeben, ohne seinen Prophetenanspruch zu
gefährden. Also legt er den Grund in Maria, die eben von so vollkommener
Keuschheit und Tugendhaftigkeit war, daß sie dafür die besondere Belohnung Allahs
auf sich zog. Die Vollkommenheit Marias ist gleichzeitig der Grund für die
Vollkommenheit Jesu. In ihr ist sein prophetisches Wirken begründet.
4. Mohammed ist in ungewöhnlicher
Weise auf den jungfräulichen Status Marias bedacht. Sechszehnmal gebraucht der
Koran die Formel "Jesus, der Sohn Marias". Wenn kein Mann von ihr Besitz nimmt, dann kann
sich ihr jeder mit liebendem Herzen zuwenden. Nicht einmal der Sohn steht dem
entgegen. Denn weder wünscht er von ihr einen Dienst, noch stellt sich Maria in
seinen Dienst. Vielmehr geht Jesus allen Menschen mit gutem Beispiel voran,
indem er seiner Mutter Ehre und Liebe erweist: "Allah…befahl mir…liebevoll
gegen meine Mutter zu sein" (19,31-32).
Durch die
Formel "Jesus,
der Sohn Marias"
schafft Mohammed eine innige menschliche Gemeinschaft. Seine zweite Absicht ist
dabei jedoch, vom Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person,
des vollkommenen Abbildes des Vaters, abzulenken. Durch diese Formel will er
jede Vorstellung von einer Vaterschaft Gottes abhalten, die er nicht versteht.
So rettet er zumindest die irdische Vollkommenheit zweier Menschen und implizit
ihrer Beziehung zueinander.
5. Natürlich sorgt Mohammed beständig
dafür, daß Jesus und Maria gegenüber Allah ihre schuldige Ergebenheit erweisen.
Er läßt Jesus selbst jeden Zweifel beseitigen, daß irgend etwas an der Dreiheit
Gottes wahr ist, wobei er mit der dritten Person seltsamerweise Maria meint
(5,116). Und schließlich macht er Jesus zum Vorausverkünder seiner eigenen
Person:
"O ihr Kinder
Israels, ich bin … Bringer der frohen Botschaft von einem Gesandten, der nach
mir kommen wird. Sein Name wird Ahmad sein." (61,6)
1. Die von Mohammed behaupteten
Offenbarungen stellen ein schwieriges religionspsychologisches Problem dar. Von
christlicher Seite wird man vermuten, daß Mohammed einer Täuschung erlegen war.
Man könnte Vers 157 der 4. Sure über die Kreuzigung Jesu an ihn zurückgeben:
O Mohammed, dir
erschien nicht Gabriel,
ein andrer war's an
seiner Stell'
Das
erste übernatürliche Ereignis, die ersten Verse und die Übernahme einer
monotheistischen Sendung setzten den Rahmen für alle übrigen Texte des Koran.
2. Mohammed überraschte die Mekkaner
zunächst mit einer Neuigkeit: Sein Gott Allah sprach in Versen. Eine solche
Gunst war den Schriftbesitzern, den Juden und Christen, nicht gewährt worden.
Poesie
stand in Mekka in hohem Ansehen. Jedes Jahr fand ein Dichterwettstreit statt.
Die Gedichte der Sieger, Qasidas
genannt, wurden in Goldbuchstaben auf schwarzer Seide niedergeschrieben und ein
Jahr lang innerhalb der Ringmauern der Kaaba ausgehängt.
Es
ist kaum denkbar, daß sich Mohammed in seiner Jugend nicht für solche
kulturelle Ereignisse interessierte. Warum sollte er sich nicht selbst mit der
Magie dichterischer Sprache vertraut gemacht haben? Die dichterische Form
seiner Texte entspricht der thematischen Ebene und der Textsorte: In den Versen
spricht Allah selbst in feierlicher bis beschwörender Ermahnung und in
erhabenem Tonfall, der sich freilich in gleicher Weise auf bedeutende
Lehraussagen wie nebensächliche Erzählelemente erstreckt.
3. Wie kann man sich die Entstehung
der Suren vorstellen? Mohammed war vom Gott Abrahams überzeugt und fand in
Mekka ein dringliches Betätigungsfeld, die dortige Vielgötterei zu bekämpfen.
Für die Ehre und Wahrheit Gottes einzutreten, ist ein mächtiger Antrieb und
vermag Seele und Gemüt in einen hochgemuten Zustand zu versetzen, in welchem
die erhabensten Gefühle und Gedanken den Geist des Menschen erfüllen. In diesem
Zustand war sich Mohammed seiner religiösen Sendung bewußt und verfaßte im
Namen Allahs seine Verse. (Über die genauen Umstände läßt sich nichts Gewisses
aussagen.) Dabei konnte er seine Eingebungen als Offenbarungen bezeichnen. Hier
heiligte der Zweck die Mittel von Täuschung, Verstellung und List. Der
Täuschende unterliegt dabei auch Selbsttäuschungen, d.h. er macht sich Allah
zum Komplizen.
Erhabene
Seelenzustände können von der Größe eines Erkenntnisgegenstandes oder einer
Aufgabe ausgelöst werden. Das Ich, das Selbstgefühl und die Selbstbehauptung
sind daran mehr oder weniger beteiligt. Diese Seelenzustände können entweder
vom Geist gesteuert und beherrscht werden oder der Geist tritt in den Dienst
der aus dem Unterbewußtsein heraufdrängenden Bilder, Vorstellungen, Wünsche und Egoismen, ja kann
von ihnen geradezu überwältigt werden. Ihre rationale Überprüfung unterbleibt
oft bewußt, weil das Ich geneigt ist, sie als eine höhere, über das Verstehen
hinausgehende Wirklichkeit, als Recht seiner Individualität oder als
Angemessenheit des Gegenstandes zu betrachten.
Mohammed
verstand es, sich in diese ekstatischen Zustände und in die Rolle des
ermahnenden und unterweisenden Allah zu versetzen. Er
ließ Allah aus seinem Innern sprechen, mischte aber dabei alles mit hinein, was
seiner eigenen Selbstbehauptung dienlich war. So kam Wahres und Falsches,
Aufrichtiges und Unaufrichtiges zusammen.
Nachdem
man ihm seine gereimten Verse einmal als Offenbarungen abgenommen hatte, konnte
Mohammed seine Kenntnis biblischer Geschichten, seine Vorstellungen und
Anliegen in weiteren Koransuren ungehindert ausbreiten. Sie tragen einen durch
seine Persönlichkeit gefärbten Charakter.
1. Für den Christen, der sich mit dem
Koran beschäftigt, ist es wichtig, im Gewirr der vielen Suren die Übersicht und
den nötigen Abstand zu bewahren. Nicht alles läßt sich hinsichtlich der
Entstehung des Koran rational ergründen, manches muß
man einfach offen lassen.
Einerseits bietet sich der Koran
als ein abgeschlossenes Werk dar, andererseits durchlief seine Entstehung
zusammen mit der Laufbahn seines Urhebers Mohammed gewisse Entwicklungsstufen.
Heute liegen Chronologien der 114 Suren vor, die einander ähnlich sind und von
denen ich eine aus dem Internet angebe. Eine chronologische Lektüre des Koran kann wertvolle Einsichten vermitteln.
2. Die Verse, die Mohammed formte,
richten sich immer an bestimmte Zuhörer. Die Mekkaner wollte er vom Polytheimus
zum Monotheismus bekehren. Deswegen wird die These vertreten, Mohammed habe
sich zuerst nicht als letzten der Propheten verstanden, sondern als Mahner und
Prediger. Erst in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Mekka lehnte er die
Göttlichkeit Jesu ab, und nach seiner Ankunft in Medina wurden Juden und
Christen zu eigentlichen Gegnern seines religiösen Führungsanspruches. Zu
dieser Zeit hatte er seine theologischen Hauptlehren bereits vorgetragen und
der Prophet Jesus war zwar eine bedeutende Prophetengestalt, dessen Lehren
jedoch für sein System nicht mehr relevant war.
3. Der Begriff Kompensatorik bedeutet
Ausgleich von Extremen, da das Maß der Mitte fehlt. Zum Beispiel halten Muslime
extreme Fastenvorschriften ein, sie essen und trinken während des ganzen Tages
nichts, dürfen aber nach Sonnenuntergang soviel zu sich nehmen wie sie wollen.
Die größte Kompensatorik des Islam besteht darin, daß sie keine Schrift besitzen, die aus einer Tradition
von Jahrhunderten erwachsen ist und viele Verfasser hat, während der Koran auf
einen einen einzigen Autor zurückgeht, der zum Ausgleich behauptet, das direkte Wort Gottes zu übermitteln,
das natürlich einen höheren Stellenwert besitzt als jedes von Menschen
formulierte Wort.
Gewiß, Muslime
nehmen die Inhalte des Koran zu wörtlich. Aber ihr ernsthaftes
Festhalten am Wort des Koran ist eine bedenkenswerte Botschaft an die Christen,
die einerseits unter dem Einfluß demokratischer Entwicklungen ihre
individuellen Glaubenvorstellungen entwickeln, andererseits aber auch von der
theologischen Wissenschaft keine verläßlichen Auskünfte erhalten und so
wesentliche Aussagen der Evangelien einfach nicht mehr glauben. Dazu gehört
besonders die kirchliche Lehre über das personal Böse und die Lehre über Marias
jungfräuliche Empfängnis ihres Sohnes Jesus. Hier zeigen sich Perspektiven des
göttlichen Heilsplans in einem globalen Zusammenwirken zwischen Christen und
Muslimen: Christen können durch den Glauben der Muslime die Heiligkeit ihres
eigenen Glaubens zurückgewinnen, Muslime müssen sich den geschichtlichen
Bedingtheiten ihres Glaubensgründers und des Koran stellen.
-----------------
NACHTRAG:
Nach
christlicher Lehre gibt es Rechtfertigung, wie eingangs bereits angesprochen,
nur im Glauben
an Jesus Christus.
Jede andere Form der Rechtfertigung ist Selbstrechtfertigung durch Befolgung von
Gesetzen. Diesen
Zusammenhang hat der Apostel Paulus besonders im Römerbrief erörtert, und
Martin Luther hat ihn zu einem Hauptpunkt seiner Kritik gemacht.
Mohammeds
ständige Koppelung von der Strenge Gottes auf der einen und seiner
Barmherzigkeit auf der anderen Seite dient im tiefsten der Sicherung seines
eigenen Seelenheiles. Seine Selbstrechtfertigung und damit seine Hoffnung auf
ewigen Lohn sucht Mohammed darin, daß er die Menschen unablässig ermahnt: Wenn
ihr euch Allah nicht unterwerft, trifft euch die Strafe der Hölle. Tatsächlich
tritt das Wort Strafe
in 340 Versen auf, die Hölle in 101 Versen, das Verb fürchten in 223 Versen. In 54 Versen ist Allah streng, in 81
barmherzig. Lohn erhalten die Gläubigen immerhin in 141 Versen, wenn sie Allahs
Vorschriften befolgen. Als Beispiel der beiden Seiten der Medaille diene Sure 47 Vers 15:
Ein Gleichnis von dem Paradiese, den
Rechtschaffenen verheißen: Darin sind Ströme von Wasser, das nicht verdirbt,
und Ströme von Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Ströme von Wein,
köstlich für die Trinkenden, und Ströme geläuterten Honigs. Und darin werden
sie Früchte aller Art haben und Vergebung von ihrem Herrn. Können sie wohl denen
gleich sein, die im Feuer weilen und denen siedendes Wasser zu
trinken gegeben wird, das ihre Eingeweide zerreißt?
Die
Schrecken der Hölle sind Spiegelbild von Mohammeds eigenen Ängsten.
Auch
Mohammed weiß, daß er vor den Richterstuhl Gottes treten muß. Er hat sich für
das schreckliche Wagnis zu verantworten, im Namen Gottes sprechen zu wollen. Er
wird sich verantworten müssen für seine vielen Täuschungsmanöver und für die
Verbreitung von halben und trivialisierten Wahrheiten. All dies belastet seine
Seele und zeigt vielfältige Brechungen in seinen Versen. Diese Einschätzung
soll jedoch nicht die Verdienste aufheben, die er durch seinen Eifer für die
Ehre des einen Gottes erworben hat und die sich auch in manchen Textpassagen
von anziehendem Inhalt und Sprachschönheit manifestieren.
s.a. Der
Offenbarungscharakter des Koran
Der Islam – eine Religion der Nachahmung
(2012)
Erstellt: September 2008