Der Koran - ein Spiegelbild von Mohammeds Rechtfertigung

Für den Christen stellt der Koran ein schwierige Lektüre dar. Er kommt schnell zu dem Schluß, daß darin nichts Wesentliches zu finden sei, was das Alte und Neue Testament nicht geordneter, umfangreicher und verläßlicher biete.

Andererseits nimmt er den tiefen Glauben vieler Muslime wahr, die im Koran eine direkte und wörtliche Offenbarung sehen, und möchte sich ein gerechtes Urteil bilden. Je mehr er sich jedoch damit beschäftigt, umso größer ist die Gefahr, daß die Urteilsmaßstäbe unscharf werden. Denn der Koran führt auf eine legendarisch wahrgenommene Erzählebene biblischer Geschehnisse, die gleichwohl den Anspruch erhebt, faktische Realität zu sein.

Ich selbst sehe in dem Begriff Rechtfertigung die Möglichkeit, die Inhalte des Koran einer religionspsychologischen Sicht zu unterziehen und so eine geeignete Orientierung zu geben. Besonders ist hier an Mohammeds Verhältnis zu Maria und Jesus zu denken.

I. Rechtfertigung

II. Mohammeds Werdegang

III. Das geformte religiöse Bild

IV. Prophetische Rede

V. Schlußgedanken

I. Rechtfertigung

1.       Rechtfertigung ist ein anthropologischer und theologischer Begriff. Der Mensch ist Subjekt seines Handelns. Als vernunftbegabtes Wesen ist sein Handeln dem Gebot der Vernunft unterworfen. Aus seinem innersten Wesen weiß er sich aufgefordert, über den Sinn seines Tuns rationale Gründe anzuführen bzw. sein Tun von rationalen Günden her zu entscheiden. Dieses Bedürfnis könnte man Rechtfertigungstrieb nennen.

Man kann vielleicht drei Weisen der Rechtfertigung unterscheiden: vor sich selbst, vor den Mitmenschen und vor Gott.

Rechtfertigung hat mit dem Gewissen zu tun. Das Gewissen ist die Instanz, die ein Bewußtsein von Gut und Böse bewirkt. Das Bewußtsein, gut gehandelt zu haben, verschafft Befriedigung und Ruhe der Seele. Ungerechtes Handeln hinterläßt ein "schlechtes Gewissen", ein Gefühl der Schuld, das der Mensch gerne zu verdrängen sucht, indem er sein Handeln vor sich selbst beschönigt oder ganz aus seinem Bewußtsein verbannt.

Die Rechtfertigung vor den Mitmenschen ergibt sich aus der Ordnung der Gemeinschaft, zu der jeder etwas Positives beizutragen hat. Der Einzelne kann einerseits von der Gemeinschaft zur Rechenschaft gezogen werden für ein vollbrachtes Tun, oder er wirbt um Anerkennung seiner Person, indem er Gründe des Guten für sein geplantes Handeln anführt.

Selbstrechtfertigung kann zu Selbstgerechtigkeit führen, wenn man ein Bewußtsein des Stolzes über sein richtiges Handeln pflegt. Deswegen sagt Jesus:

Wenn wir alles getan haben, was Gott von uns möchte, sollen wir sprechen: "Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur getan, was unsere Schuldigkeit war." (Lk 17,10)

2.       Die Rechtfertigung vor Gott, so die Lehre der Kirche, können wir nur durch Jesus Christus erlangen, der durch sein Sühneleiden am Kreuz die Welt mit Gott versöhnt hat. Durch ihn erlangen wir Verzeihung unserer Sünden und werden mit Gott versöhnt, er ist der Mittler des ewigen Heils:

Wir bitten an Christi statt: Laßt euch mit Gott versöhnen! (2Kor 5,20)

Einer ist Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen:

Der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle (1Tim 2,5)

3.       Rechtfertigung dient der Selbstbehauptung und dem eigenen Ich. Wer gegenüber sich selbst und vor Gott nicht aufrichtig ist und die Beweggründe seines Denkens und Handelns nicht selbstkritisch erforscht und dennoch vor den Mitmenschen bestehen will, rechtfertigt das, was dem eigenen Geltungstrieb dient, durch hohe Ideale, wie es etwa der Marxismus getan hat durch den Begriff "Befreiung des Proletariats", "Gleichheit aller Menschen" oder Hitler durch "nationale Größe", "Revision von Versailles", "rassische Überlegenheit", "Vorsehung". Die Folge dieser unechten Rechtfertigung ist zunehmende Selbsttäuschung, da man das glaubt, was man sich einbildet.

Wenn jemand einerseits von einer Schuld durch ein Handeln oder Denken belastet ist, das er beenden könnte, wenn er nur selbstkritisch und einsichtig genug wäre, es aber unterläßt, andererseits aber dennoch nach Gerechtigkeit strebt, so ergeben sich daraus kompensative Denk- und Handelnsweisen. Dies trifft in besonderer Weise auf Mohammed zu.

(Das Prinzip der Rechtfertigung wird im Folgenden nicht streng durchgeführt. Es durchzieht jedoch als generelle Grundströmung subjektiver Heilsbemühung jeden Vers des Koran.)

II. Mohammeds Werdegang

Mohammeds familiärer Hintergrund und Werdegang bestimmen sein Selbstverständnis, Denken und Wollen.

a) Biographisches

1.       Mohammeds Großvater war Abd al-Muttalib, angesehener Klanchef der Haschim, einer der 10 Klans des Stammes der Quraisch, die Mekka im 5. Jahrhundert erobert hatten. Sein Klan war ehrenamtlich für die Wasserversorgung Mekkas verantwortlich.

Sein Vater war Abdallah, der jüngste von 10 Söhnen Abd al-Mutalibs. Er starb bereits vor der Geburt seines Sohnes im Jahr 570 oder 571, dem "Jahr des Elephanten". Wie es in vielen mekkanischen Familien Brauch war, wurde das Kind einer beduinischen Mutter als Amme anvertraut, bei deren Angehörigen er 6 Jahre blieb. Danach kehrte er nach Mekka zurück, um von dort mit seiner Mutter Amina nach Medina zu ziehen. Bald nach der Ankunft starb Amina. Sein inzwischen 80-jähriger Großvater nahm ihn bei sich auf und sorgte für seine Erziehung und Bildung. Es ist kaum vorstellbar, daß Mohammed nicht lesen und schreiben lernte. Das Wort ummi, das im Koran sechsmal vorkommt, bezieht sich offensichtlich auf Leute, die sich nicht mit den Schriften der Juden beschäftigt haben, wurde aber fälschlicherweise als analphabetisch gedeutet. Wie hätte er etwa eine Beziehung zur Dichtkunst gewinnen können? In Sure 96 heißt es ausdrücklich: "Lies im Namen deines Herrn, der alles erschaffen hat."

Zwei Jahre später starb Abd al-Muttalib. Klanoberhaupt wurde der leibliche Bruder von Mohammeds Vater, Abu Talib, der nun die Sorge für den 8-jährigen Waisenknaben übernahm.

2.       Zu einem späteren Zeitpunkt trat Mohammed in den Dienst der reichen Kauffrau Chadidscha. Er führte in ihrem Auftrag eine Karawane nach Syrien und wurde zum Teilhaber bei ihren Handelsgeschäften. Schließlich trug sie ihm die Ehe an. Mohammed war 25, Chadidscha 40 und zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal verwitwet. Mohammed gehörte nun zu den angesehensten Leuten Mekkas.

Chadidscha gebar Mohammed vier Töchter, ein oder zwei Söhne starben kurz nach ihrer Geburt.

Quelle: Anne-Marie Delcambre, Mohammed, die Stimme Allahs. Ravensburg 1990

b) Charakter und Religion

1.       Als Einzelkind war Mohammed stärker auf sich selbst zentriert als Kinder mit Geschwistern. Der frühe Tod von Vater und Mutter erschwerte seine Identitätsfindung. Eine Identität bot sich in übergreifenden religiösen und moralischen Idealen an. Seine Ehrenbezeichnung al Aminder Vertrauenswürdige könnte historisch authentisch sein.

Nach Tilman Nagel, emeritierter Professor der Islamwissenschaft, gehörte Mohammed zum Bund der "Strengen", einer Art Männergemeinschaft, die sich darum kümmerte, daß die Pilger saubere Kleidung trugen (GEO kompakt Nr. 16, S.135).

2.       Als Schützling von zwei Klanoberhäuptern entwickelte Mohammed genealogischen Stolz und Ehrgeiz, besonders nachdem er durch seine Heirat mit Chadidscha materiell gesichert und sozial aufgestiegen war.

3.       Kein Mensch in früheren Zeiten wuchs ohne religiöse Vorstellungen und Bindungen auf. Für Mohammed findet man diesbezüglich keine Überlegungen, so als wäre er in seiner Kindheit und Jugend eine religiöse tabula rasa gewesen. Der Wikipedia-Artikel Hanif zeigt, daß es eine monotheistische Tradition in Arabien gegeben hat. Hanifen als eine religiöse Gruppe führten sich auf Abraham und seinen Sohn Ismael zurück, die zusammen Mekka und die Kaaba gegründet hätten. Ein Hanif war jemand, der den mekkanischen Polytheismus ablehnte und sich zeitweise in die Einsamkeit zurückzog, um göttliche Erleuchtung zu erhalten. Es ist anzunehmen, daß Mohammed schon vor seinem entscheidenden religiösen Erlebnis im Jahr 610 jeweils einen Monat im Jahr diese Praxis übte.

Der autochthone arabische Monotheismus mag verschiedene Elemente von der jüdischen und christlichen Religion übernommen haben, etwa die Lehre von der Auferstehung der Toten und des letzten Gerichts, die schon in den chronologisch ersten Suren genannt wird. Er stellte vielleicht schon die ganze Lehre Mohammeds zur Verfügung. Mohammed verband dann diesen genuin arabischen Eingottglauben mit den jüdisch-christlichen Traditionen, um den absoluten Wahrheitsanspruch der neuen Religion zu stützen.

4.       Man kann also annehmen, daß Mohammeds religiöse Formung ihren Ausgang von einem monotheistischen Glauben nahm. Seiner idealen religiösen Einstellung entsprach die Suche nach einer Synthese seiner eigenen Glaubenswurzeln und der jüdischen sowie christlichen Religion. Das Christentum erschien ihm vermutlich als eine Fortsetzung der jüdischen Religion. Er mag von einer geeinten Religion unter Anführung eines Propheten geträumt haben, der die bisherige Prophetenreihe abschloß. In dieser Hinsicht war Mohammed durch einen utopischen Idealismus geleitet.

5.       Seine eingehende Beschäftigung mit religiösen Fragen führten Mohammed zu beträchtlichen biblischen Kenntnissen. Auch wenn er wohl lesen konnte, dürfte er sie nur mündlich in zahlreichen Gesprächsbegegnungen aufgenommen haben. Denn die Schriften der Juden und Christen standen ja nicht zahlreich und in arabischer Sprache zur Verfügung und wurden Nicht-Gläubigen kaum zur Lektüre ausgehändigt.

Schon vor seinem ersten Offenbarungserlebnis standen wahrscheinlich für Mohammed zwei Überlegungen fest: Erstens, der Monotheismus ist auf den gemeinsamen Stammvater Abraham zurückzuführen, zweitens, ein weiterer Prophet müßte ihn neu bekräftigen. Eines Tages wird er der Versuchung nicht widerstehen, selbst dieser Prophet zu sein.

Mohammeds abstrakte Konstruktion zeigt sich z.B. darin, daß er als Propheten nach Moses nur Jesus namentlich nennt: Moses erhielt die Thora, Jesus das Evangelium: einem arabischem Propheten würde die letztgültige Schrift zuteil werden. Wenngleich Jesus 26-mal im Koran genannt wird und ihm Ehren erwiesen werden, bleibt seine Person unkonkret. Worin seine Botschaft besteht, liegt außerhalb von Mohammeds Interesse.

6.       Tilman Nagel vertritt die Auffassung, daß Mohammed nicht als einziger monotheistische Thesen in Mekka vortrug, sondern er in Konkurrenz zu anderen "Hanifen" trat. Diese Tatsache und seine gesellschaftliche Stellung in Mekka dürften es ihm wesentlich erleichtert haben, sich in Mekka mit seiner neuen Botschaft zu Wort zu melden.

III. Das geformte religiöse Bild

a) Instrumentalisierung

Die religiöse Vorstellungen, die sich Mohammed bildete, sind zunächst ein Sachverhalt an sich, den er nach seinem ersten übernatürlichen Erlebnis zunehmend als Mittel zur Rechtfertigung seines Prophetenanspruchs einsetzt.

1.       Auch wenn Jesus im Koran keine konkrete Lehre hinterläßt und sein Wirken gleichsam im Sande verläuft, ist er für Mohammed eine bedeutende Identifikationsfigur, an der er regen inneren Anteil nimmt: Jesus ist Einzelkind wie er selbst und hat viele Anfeindungen zu erdulden, obwohl er sich durch ein vorbildliches Leben und durch Wunderheilungen auszeichnet. Den Juden wird im Koran die Ungerechtigkeit gegen Jesus angelastet.

2.       Mohammed entwickelt in sich Groll gegen die Juden, daß sie oft vom rechten Pfad abwichen und schloß daraus, daß sie wohl nicht den rechten Glauben haben. Im Koran dient dieser Umstand dazu, seinen Botschaften als der neuen Wahrheit Glaubwürdigkeit zu verleihen.

3.       Ebenso muß Mohammed den Glauben der Christen an die göttliche Natur Jesu zurückweisen, da er sich selbst als letzten Gesandten Gottes zur Neuaufrichtung des Eingottlaubens berufen weiß. Indem er Jesus selbst bekennen läßt, daß es ihm fern liege, sich eine göttliche Natur zuzuschreiben (19,35), schiebt er den Christen den schwarzen Peter zu, die das Evangelium Jesu verfälscht hätten.

b) Kompensierungen: Maria und ihr Sohn Jesus

1.       Wenn von kompensativer Rechtfertigung im Koran die Rede sein kann, bildet MARIA ihre eigentliche Mitte. Sie ist als Jungfrau und Mutter leuchtendes Hoffnungszeichen für Mohammeds persönliche Heilssehnsucht. Sie übernimmt die Rolle seiner eigenen Mutter, die er so früh verloren hat.

2.       Der Glaube an die jungfräuliche Empfängnis ihres Sohnes ist der Preis, den Mohammed zu bezahlen bereit ist, um seine eigene Prophetenrolle einnehmen zu können.

Von den vielen Wundergeschichten, die Mohammed gehört hat, muß ihn die von der Jungfrau Maria besonders beschäftigt haben. Welche Vollkommenheit mußte ein unverheiratetes Mädchen besitzen, daß Allah beschloß, ihr "einen reinen Sohn" (19,19) zu schenken!

Mohammed bewegte tief die Diskrepanz zwischen der einzigartigen Auszeichnung, die Maria durch Gott erhielt, und der Ehrlosigkeit, die der unehelichen Empfängnis folgte. In Sure 19 wendet er sich ihr voll Mitleid zu: Nach der ihr rätselhaften Empfängnis zieht sie sich vor den Menschen zurück (19,22). Unter einer Palme gebiert sie unter Schmerzen ihren Sohn, sie ist erschöpft und niedergeschlagen. Da spricht von unten her ihr Sohn und tröstet sie. (19,23-26) Sie kehrt zu den Ihren zurück und wird wegen ihres unehelichen Kindes zur Rede gestellt. Die Leute merken, daß Maria von ihrem Sohn Aufklärung erwartet, und lachen sie deswegen aus, da ein Säugling noch nicht reden könne. Da tritt ein unerwartetes Wunder ein: Jesus beginnt zu sprechen und verkündet seine Lebensaufgabe als Prophet. (19,27-36). An anderer Stelle nimmt Mohammed Maria gegen die Juden in Schutz, die sie wegen der unehelichen Zeugung ihres Sohnes geschmäht haben (4,156).

In Sure 3 wird die Verkündigung des Engels wiederholt und Maria vor allen Frauen ausgezeichnet. Dort sagen die Engel: "Maria, Gott hat dich auserwählt und rein gemacht. Er hat dich vor den Frauen der Menschen in aller Welt auserwählt." (3,43)

3.       Die Rühmung Marias durch Mohammed ist sicherlich aufrichtig gemeint, doch in einer Hinsicht geht sie zu Lasten Jesu: Die Propheten vor Jesus und Mohammed selbst hatten alle menschliche Väter. Warum aber wurde Jesus ohne menschlichen Vater gezeugt? Mohammed kann keinen Grund zugunsten Jesu angeben, ohne seinen Prophetenanspruch zu gefährden. Also legt er den Grund in Maria, die eben von so vollkommener Keuschheit und Tugendhaftigkeit war, daß sie dafür die besondere Belohnung Allahs auf sich zog. Die Vollkommenheit Marias ist gleichzeitig der Grund für die Vollkommenheit Jesu. In ihr ist sein prophetisches Wirken begründet.

4.       Mohammed ist in ungewöhnlicher Weise auf den jungfräulichen Status Marias bedacht. Sechszehnmal gebraucht der Koran die Formel "Jesus, der Sohn Marias". Wenn kein Mann von ihr Besitz nimmt, dann kann sich ihr jeder mit liebendem Herzen zuwenden. Nicht einmal der Sohn steht dem entgegen. Denn weder wünscht er von ihr einen Dienst, noch stellt sich Maria in seinen Dienst. Vielmehr geht Jesus allen Menschen mit gutem Beispiel voran, indem er seiner Mutter Ehre und Liebe erweist: "Allah…befahl mir…liebevoll gegen meine Mutter zu sein" (19,31-32).

Durch die Formel "Jesus, der Sohn Marias" schafft Mohammed eine innige menschliche Gemeinschaft. Seine zweite Absicht ist dabei jedoch, vom Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person, des vollkommenen Abbildes des Vaters, abzulenken. Durch diese Formel will er jede Vorstellung von einer Vaterschaft Gottes abhalten, die er nicht versteht. So rettet er zumindest die irdische Vollkommenheit zweier Menschen und implizit ihrer Beziehung zueinander.

5.       Natürlich sorgt Mohammed beständig dafür, daß Jesus und Maria gegenüber Allah ihre schuldige Ergebenheit erweisen. Er läßt Jesus selbst jeden Zweifel beseitigen, daß irgend etwas an der Dreiheit Gottes wahr ist, wobei er mit der dritten Person seltsamerweise Maria meint (5,116). Und schließlich macht er Jesus zum Vorausverkünder seiner eigenen Person:

"O ihr Kinder Israels, ich bin … Bringer der frohen Botschaft von einem Gesandten, der nach mir kommen wird. Sein Name wird Ahmad sein." (61,6)

IV. Prophetische Rede

1.       Die von Mohammed behaupteten Offenbarungen stellen ein schwieriges religionspsychologisches Problem dar. Von christlicher Seite wird man vermuten, daß Mohammed einer Täuschung erlegen war. Man könnte Vers 157 der 4. Sure über die Kreuzigung Jesu an ihn zurückgeben:

O Mohammed, dir erschien nicht Gabriel,

ein andrer war's an seiner Stell'

Das erste übernatürliche Ereignis, die ersten Verse und die Übernahme einer monotheistischen Sendung setzten den Rahmen für alle übrigen Texte des Koran.

2.       Mohammed überraschte die Mekkaner zunächst mit einer Neuigkeit: Sein Gott Allah sprach in Versen. Eine solche Gunst war den Schriftbesitzern, den Juden und Christen, nicht gewährt worden.

Poesie stand in Mekka in hohem Ansehen. Jedes Jahr fand ein Dichterwettstreit statt. Die Gedichte der Sieger, Qasidas genannt, wurden in Goldbuchstaben auf schwarzer Seide niedergeschrieben und ein Jahr lang innerhalb der Ringmauern der Kaaba ausgehängt.

Es ist kaum denkbar, daß sich Mohammed in seiner Jugend nicht für solche kulturelle Ereignisse interessierte. Warum sollte er sich nicht selbst mit der Magie dichterischer Sprache vertraut gemacht haben? Die dichterische Form seiner Texte entspricht der thematischen Ebene und der Textsorte: In den Versen spricht Allah selbst in feierlicher bis beschwörender Ermahnung und in erhabenem Tonfall, der sich freilich in gleicher Weise auf bedeutende Lehraussagen wie nebensächliche Erzählelemente erstreckt.

3.       Wie kann man sich die Entstehung der Suren vorstellen? Mohammed war vom Gott Abrahams überzeugt und fand in Mekka ein dringliches Betätigungsfeld, die dortige Vielgötterei zu bekämpfen. Für die Ehre und Wahrheit Gottes einzutreten, ist ein mächtiger Antrieb und vermag Seele und Gemüt in einen hochgemuten Zustand zu versetzen, in welchem die erhabensten Gefühle und Gedanken den Geist des Menschen erfüllen. In diesem Zustand war sich Mohammed seiner religiösen Sendung bewußt und verfaßte im Namen Allahs seine Verse. (Über die genauen Umstände läßt sich nichts Gewisses aussagen.) Dabei konnte er seine Eingebungen als Offenbarungen bezeichnen. Hier heiligte der Zweck die Mittel von Täuschung, Verstellung und List. Der Täuschende unterliegt dabei auch Selbsttäuschungen, d.h. er macht sich Allah zum Komplizen.

Erhabene Seelenzustände können von der Größe eines Erkenntnisgegenstandes oder einer Aufgabe ausgelöst werden. Das Ich, das Selbstgefühl und die Selbstbehauptung sind daran mehr oder weniger beteiligt. Diese Seelenzustände können entweder vom Geist gesteuert und beherrscht werden oder der Geist tritt in den Dienst der aus dem Unterbewußtsein heraufdrängenden Bilder, Vorstellungen, Wünsche und Egoismen, ja kann von ihnen geradezu überwältigt werden. Ihre rationale Überprüfung unterbleibt oft bewußt, weil das Ich geneigt ist, sie als eine höhere, über das Verstehen hinausgehende Wirklichkeit, als Recht seiner Individualität oder als Angemessenheit des Gegenstandes zu betrachten.

Mohammed verstand es, sich in diese ekstatischen Zustände und in die Rolle des ermahnenden und unterweisenden Allah zu versetzen. Er ließ Allah aus seinem Innern sprechen, mischte aber dabei alles mit hinein, was seiner eigenen Selbstbehauptung dienlich war. So kam Wahres und Falsches, Aufrichtiges und Unaufrichtiges zusammen.

Nachdem man ihm seine gereimten Verse einmal als Offenbarungen abgenommen hatte, konnte Mohammed seine Kenntnis biblischer Geschichten, seine Vorstellungen und Anliegen in weiteren Koransuren ungehindert ausbreiten. Sie tragen einen durch seine Persönlichkeit gefärbten Charakter.

V. Schlußgedanken

1.       Für den Christen, der sich mit dem Koran beschäftigt, ist es wichtig, im Gewirr der vielen Suren die Übersicht und den nötigen Abstand zu bewahren. Nicht alles läßt sich hinsichtlich der Entstehung des Koran rational ergründen, manches muß man einfach offen lassen.

Einerseits bietet sich der Koran als ein abgeschlossenes Werk dar, andererseits durchlief seine Entstehung zusammen mit der Laufbahn seines Urhebers Mohammed gewisse Entwicklungsstufen. Heute liegen Chronologien der 114 Suren vor, die einander ähnlich sind und von denen ich eine aus dem Internet angebe. Eine chronologische Lektüre des Koran kann wertvolle Einsichten vermitteln.

2.       Die Verse, die Mohammed formte, richten sich immer an bestimmte Zuhörer. Die Mekkaner wollte er vom Polytheimus zum Monotheismus bekehren. Deswegen wird die These vertreten, Mohammed habe sich zuerst nicht als letzten der Propheten verstanden, sondern als Mahner und Prediger. Erst in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Mekka lehnte er die Göttlichkeit Jesu ab, und nach seiner Ankunft in Medina wurden Juden und Christen zu eigentlichen Gegnern seines religiösen Führungsanspruches. Zu dieser Zeit hatte er seine theologischen Hauptlehren bereits vorgetragen und der Prophet Jesus war zwar eine bedeutende Prophetengestalt, dessen Lehren jedoch für sein System nicht mehr relevant war.

3.       Der Begriff Kompensatorik bedeutet Ausgleich von Extremen, da das Maß der Mitte fehlt. Zum Beispiel halten Muslime extreme Fastenvorschriften ein, sie essen und trinken während des ganzen Tages nichts, dürfen aber nach Sonnenuntergang soviel zu sich nehmen wie sie wollen. Die größte Kompensatorik des Islam besteht darin, daß sie keine Schrift besitzen, die aus einer Tradition von Jahrhunderten erwachsen ist und viele Verfasser hat, während der Koran auf einen einen einzigen Autor zurückgeht, der zum Ausgleich behauptet, das direkte Wort Gottes zu übermitteln, das natürlich einen höheren Stellenwert besitzt als jedes von Menschen formulierte Wort.

Gewiß, Muslime nehmen die Inhalte des Koran zu wörtlich. Aber ihr ernsthaftes Festhalten am Wort des Koran ist eine bedenkenswerte Botschaft an die Christen, die einerseits unter dem Einfluß demokratischer Entwicklungen ihre individuellen Glaubenvorstellungen entwickeln, andererseits aber auch von der theologischen Wissenschaft keine verläßlichen Auskünfte erhalten und so wesentliche Aussagen der Evangelien einfach nicht mehr glauben. Dazu gehört besonders die kirchliche Lehre über das personal Böse und die Lehre über Marias jungfräuliche Empfängnis ihres Sohnes Jesus. Hier zeigen sich Perspektiven des göttlichen Heilsplans in einem globalen Zusammenwirken zwischen Christen und Muslimen: Christen können durch den Glauben der Muslime die Heiligkeit ihres eigenen Glaubens zurückgewinnen, Muslime müssen sich den geschichtlichen Bedingtheiten ihres Glaubensgründers und des Koran stellen.

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NACHTRAG:

Nach christlicher Lehre gibt es Rechtfertigung, wie eingangs bereits angesprochen, nur im Glauben an Jesus Christus. Jede andere Form der Rechtfertigung ist Selbstrechtfertigung durch Befolgung von Gesetzen. Diesen Zusammenhang hat der Apostel Paulus besonders im Römerbrief erörtert, und Martin Luther hat ihn zu einem Hauptpunkt seiner Kritik gemacht.

Mohammeds ständige Koppelung von der Strenge Gottes auf der einen und seiner Barmherzigkeit auf der anderen Seite dient im tiefsten der Sicherung seines eigenen Seelenheiles. Seine Selbstrechtfertigung und damit seine Hoffnung auf ewigen Lohn sucht Mohammed darin, daß er die Menschen unablässig ermahnt: Wenn ihr euch Allah nicht unterwerft, trifft euch die Strafe der Hölle. Tatsächlich tritt das Wort Strafe in 340 Versen auf, die Hölle in 101 Versen, das Verb fürchten in 223 Versen. In 54 Versen ist Allah streng, in 81 barmherzig. Lohn erhalten die Gläubigen immerhin in 141 Versen, wenn sie Allahs Vorschriften befolgen. Als Beispiel der beiden Seiten der Medaille diene Sure 47 Vers 15:

Ein Gleichnis von dem Paradiese, den Rechtschaffenen verheißen: Darin sind Ströme von Wasser, das nicht verdirbt, und Ströme von Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Ströme von Wein, köstlich für die Trinkenden, und Ströme geläuterten Honigs. Und darin werden sie Früchte aller Art haben und Vergebung von ihrem Herrn. Können sie wohl denen gleich sein, die im Feuer weilen und denen siedendes Wasser zu trinken gegeben wird, das ihre Eingeweide zerreißt?

Die Schrecken der Hölle sind Spiegelbild von Mohammeds eigenen Ängsten.

Auch Mohammed weiß, daß er vor den Richterstuhl Gottes treten muß. Er hat sich für das schreckliche Wagnis zu verantworten, im Namen Gottes sprechen zu wollen. Er wird sich verantworten müssen für seine vielen Täuschungsmanöver und für die Verbreitung von halben und trivialisierten Wahrheiten. All dies belastet seine Seele und zeigt vielfältige Brechungen in seinen Versen. Diese Einschätzung soll jedoch nicht die Verdienste aufheben, die er durch seinen Eifer für die Ehre des einen Gottes erworben hat und die sich auch in manchen Textpassagen von anziehendem Inhalt und Sprachschönheit manifestieren.

s.a. Der Offenbarungscharakter des Koran

Der Islam – eine Religion der Nachahmung (2012)

Erstellt: September 2008

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