Überlegungen zur wissenschaftlichen Methode
Trennst du die Erde vom Himmel,
verlierst du die Wahrheit.
– Das ontologische Prinzip
– Die
religiöse Bedeutung der Zahlen im römischen Staatsbewußtsein
– Religiöses
und ethisches Bewußtsein der Römer
– Das
religiöse Bewußtsein des Judentums
Vorbemerkung: Die folgenden Darlegungen erheben keinen
Anspruch auf Systematik und Vollständigkeit, sie sind aber entstanden aus der
Überzeugung, daß es Wahrheit gibt und daß Wahrheit gültig formuliert werden
kann. Es gilt "summa ope" eine Ebene des Denkens zu gewinnen, die
eine absolute Dimension des Erkennens ermöglicht.
Das ontologische Prinzip
Während sich
die Naturwissenschaften die Aufgabe stellen, die Gesetzmäßigkeiten des Endlichen
zu erforschen und durch Experimente nachweisbar zu machen, besteht keine
eindeutige Übereinstimmung in Ausgangspunkt und Zielsetzungen der heutigen
Geisteswissenschaften. Es sei hier die Verdachtshypothese ausgesprochen, daß
sich viele Geisteswissenschaftler nicht die Mühe machen, die grundlegenden
wissenschaftlichen Prinzipien zu definieren, an die sie ihr Denken und Forschen
zu binden gedenken. Wissenschaftliche Bemühungen bestehen vielfach darin, sich
mit früheren Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung auseinanderzusetzen und
ein wenig mehr recht zu haben. Mehr oder weniger bewußt herrscht die Haltung
des homo-mensura Satzes der Sophisten vor, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, der seienden, daß sie sind, der nicht seienden,
daß sie nicht sind.
Es wäre also
Pflicht eines jeden Geisteswissenschaftlers, den methodischen Horizont
abzustecken, innerhalb dessen er seine Wissenschaft betreiben will und
beansprucht, gültige Aussagen zu machen. Er müßte also bereit sein, sowohl die
Gültigkeit seiner Prinzipien als auch die Konsequenz ihrer Anwendung einer
kritischen Prüfung unterziehen zu lassen.
Wenn ich
behaupte, es gebe ein sinngefügtes System der Zahlen, das im Zentrum des
römischen Staates erforscht wurde und in seinem gereiften Endstadium zur
Objektivierung lateinischer Literatur angewendet wurde, dann muß ich ebenfalls
meine eigenen wissenschaftlichen Prinzipien aufzeigen. Auf die kürzeste Formel
gebracht, ist meine Richtschnur das ontologische Prinzip. Dieser
Begriff besagt, daß es zwei Seinsebenen gibt, die
des Endlichen und des Unendlichen.
Die
Endlichkeit ist aus der Unendlichkeit hervorgegangen und in ihr verwurzelt.
Weiterhin ist Endlichkeit Abbild von
Unendlichkeit. Unendlichkeit aber ist Vollkommenheit, Vollkommenheit
aber einzigartig. Es gibt also keine Alternative zur Vollkommenheit. Daher gibt es auch keine
Alternativen zu den geschaffenen Abbildern der Vollkommenheit.
Wenn Seiendes
(Endlichkeit) im Sein (in der Unendlichkeit) verwurzelt ist, dann ist das Leben
von Seiendem wesenhaft auf Teilhabe am Sein
gegründet. Das Seiende empfängt also sein Leben durch abbildhafte Teilhabe am
Sein.
Wenn es keine
Alternative zur Vollkommenheit gibt, dann ist Sein Wahrheit. Jedes Seiende ist wahr, insofern es Abbild von Wahrheit
ist.
Endlichkeit
ist Materie, Unendlichkeit Geist. Der
menschliche Geist ist immateriell, er empfängt sein Leben, seine Fähigkeit und
Kraft durch Teilhabe am unendlichen Geist.
Der Mensch
erkennt sich als Seiender durch den Geist. Seine Erkenntnis richtet sich auf Gegen-Stände, auf Seiendes, das ihm als selb-ständig gegenübersteht. Insofern Seiendes im Sein wurzelt,
verwurzelt sich auch der Mensch im Sein durch Erkennen von Seiendem. Da der
menschliche Geist Abbild des unendlichen Geistes ist, kann er diesem auch
selbst begegnen und so aus der Endlichkeit von Raum und Zeit hinausgehoben
werden.
Abbild von
Unendlichem ist Form und Inhalt. Form ist
naturgesetzliche Zahl, Inhalt ist Bedeutung und Symbol.
Im Bereich der Zahlenbeziehungen ist nichts zufällig. Sinnvolles ist erkennbar, aber im
Letzten nicht begründbar, sondern systemimmanent. Das System selbst ist
Schöpfung und Geschenk des dreifaltigen Gottes und in dessen Wesen selbst
begründet. Die Annahme dieses Geschenkes gewährt dem Menschen Anteil an der
unergründlichen Weisheit Gottes.
Sobald der
Mensch erkannt hat, daß er aus der Unendlichkeit hervorgegangen ist, muß er das
Endliche vom Unendlichen her sehen. Endliches Denken wird weder dem Endlichen
noch Unendlichen gerecht. Jede Wissenschaft muß sich letztlich
vom Unendlichen her erhellen.
Der
vollkommene Geist, der Materie hervorgebracht hat, ist Macht und Ordnung. Also ist der menschliche Geist als Abbild des
unendlichen Geistes zu Macht und Ordnung berufen. Er erfüllt diesen Auftrag,
indem er sich der Teilhabe an der ewigen Macht und Ordnung vergewissert. Diese
menschliche Haltung nennt man Religion.
Der
vollkommene unendliche Geist wird Gott genannt.
Welche Bedeutung hat dieser Gott für den Menschen? Warum hat er die materielle
Welt erschaffen? Der auf sich selbst gestellte Geist des Menschen kann keine
oder nur Teilantworten geben. Es ist die im Menschen angelegte Sehnsucht nach
Wahrheit und Vollkommenheit, die ihn geneigt machen, Gottes Selbstoffenbarung anzunehmen.
Die
wissenschaftliche Haltung, die der vorliegende Gegenstand erfordert, muß also
den Rubico des Glaubens an die Selbstoffenbarung Gottes
überschreiten. Sie ereignete sich in der Geschichte des jüdischen Volkes und
der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person.
Wer diesen
Rubico nicht überschritten hat oder nicht überschreiten kann, wird dennoch viel
Staunenswertes im System der Zahlen entdecken.
Im Licht
dieses Glaubens sind die nächsten Kapitel geschrieben.
Die religiöse Bedeutung der Zahlen im römischen
Staatsbewußtsein
Wissenschaft,
die sich mit den Geheimnissen der Schöpfung befaßt, bedarf eines lebendigen
Glaubens an Gott, dem Schöpfer aller Dinge und dem Herrn der Geschichte. Die
wunderbaren Fügungen seiner Vorsehung sind erkennbar, aber in ihrem
Zustandekommen unerklärbar und unergründlich für menschliche Weisheit. Auch die
Entwicklungen römischer Geschichte müssen in heilsgeschichtlichem Geiste
betrachtet werden. Die Menschen, die an diesen Entwicklungen beteiligt waren,
dürfen nicht einfach nur als Persönlichkeiten eines geschichtlichen Prozesses
verstanden werden, sondern jeder von ihnen war darüber hinaus zum ewigen Heil
berufen. Das heißt, ihr Leben stand, wie jedes menschliche Leben, in der
Spannung zwischen Gelingen und Scheitern. Jede sittliche Kraft stammt vom
Schöpfer alles Guten. Daß sie durch Formen römischer Religion vermittelt wurde,
ist religiösem Denken einsichtig. Die folgenden Überlegungen beschränken sich
auf das Notwendigste.
Die Erforschung des Dezimalsystems gemäß seiner zyklischen Struktur und
den Bedingungen des Kreises führte die Menschen zu Erkenntnissen, die als Kraft
göttlicher Weisheit erfahren wurde. Geschieht diese Erforschung im Zentrum des
römischen Staatskultes, so verbindet sich mit den gewonnenen Erkenntnissen ein
Bewußtsein geistiger Überlegenheit und Größe, die der Gemeinschaft Kraft der
Selbstbehauptung und Vertrauen auf göttliche Auserwählung verleiht. Aus dem
Sinngefüge der Zahlen schöpften die Eingeweihten die Kraft göttlicher Weisheit.
Zu den Fügungen göttlicher Weisheit gehört, daß tragende Begriffe der
lateinischen Sprache engste Beziehungen zur Sinnstruktur von Zahlen aufweisen.
Es ist weiterhin mit Sicherheit anzunehmen, daß die in die Zahlengeheimnisse
eingeweihten Personen diesen Begriffen die Relevanz von Zahlenbedeutungen
zuordnen konnten. Es konnte somit die Überzeugung entstehen, die lateinische
Sprache sei durch die Fügung und Führung der Götter geheiligt.
Wenn nun nachweislich die klassischen Dichter alle Wörter in
Zahlenwerte umgesetzt und ihre Werke nach Sinnstrukturen von Zahlen angeordnet
haben, ergeben sich daraus viele Fragen. Was hat sie bewogen, sich solch
unglaublicher Mühe zu unterziehen? Machten sie bei der Initiation in die
Geheimnisse der Zahlen eine überwältigende religiöse Erfahrung? Wer wurde in die
Geheimnisse eingeführt? Stand sie dem gesamten Adel offen? Wann und von wem
wurde das SATOR-Quadrat hervorgebracht? Wie und von wem wurden die Kenntnisse
von einer Generation zur anderen weitergegeben?
Wegen des Geheimnischarakters des Kults, der sich mit den göttlichen
Geheimnissen der Zahlen befaßte, sind nur spekulative Antworten möglich. Die
Einsicht, dass wir keine sichere Antworten finden
können, darf aber nicht von dem Nachweis grundsätzlicher Zusammenhänge zwischen
Zahlenbedeutung und lateinischer Sprache abhalten.
Der scholastische Satz, daß der Glauben dem Erkennen vorausgeht, soll
auch bei der Festlegung der wissenschaftlichen Methode gelten. Statt aus den
Eigenschaften des Kreises mühsam zu mutmaßen, daß die christliche
Dreifaltigkeitslehre darin eine Stütze finden könne, soll der umgekehrte Weg
beschritten werden. Es soll also der Satz aufgestellt werden, die Zahlen seien
eine Entfaltung des Geheimnisses der göttlichen Dreifaltigkeit. Diese
Voraussetzung bildet eine Arbeitshypothese, die die wissenschaftliche Arbeit
zwar erleichtert, sie aber nicht von der Anstrengung wissenschaftlicher Logik
befreit.
Wie weit sich die römische Geheimlehre der christlichen Lehre von dem
einen Gott in drei Personen annähert, wird wohl schwer nachzuweisen sein. Es
darf aber darauf verwiesen werden, daß der oberste Staatskult aus einer
Dreiheit von Gottheiten bestand, Iuppiter, Iuno und Minerva. Die Bedeutung
dieser Gottheiten wird durch Zahlenzusammenhänge gestützt.
Im eigentlichen Sinne gibt es in dem Aufweis von Zahlenbedeutungen
keine Symbolik. Wenn der Begriff Zahlensymbolik dennoch auftauchen
sollte, dann immer unter der methodischen Voraussetzung, daß die Bedeutung
einer Zahl in logischem Zusammenhang mit allen übrigen Zahlen steht und dieser
Zusammenhang zu erhellen ist.
Die Zahlen also, die den einen Gott in drei Personen am deutlichsten
und unmittelbarsten darstellen, sind 13 und 31. Diese beiden Zahlen sind
konstitutiv für RO-MA (17+14=31 – 12+1=13), wenn man das Wort in zwei
gleiche Hälften teilt. ROMA selbst also ist spekulativ-religiöses Programm.
Hinweise auf eine Dreizahl von Gottheiten finden sich schon zwei
Jahrhunderte früher auf etruskischen Spiegeln und ebenso auf der berühmten
CISTA FICORONI (Bild) mit der Darstellung des
Kampfes des Polydeukes gegen den Bebrykerkönig Amykos. Um seinen Bruder Kastor
legt ein dritter Jüngling freundschaftlich einen Arm. Da es sich um eine rund
umlaufende Darstellung mit 21 Personen handelt, liegt die Vermutung sehr nahe,
daß die Komposition wesentliche Erkenntnisse der zyklischen Struktur des
Dezimalsystems enthält.
Römisches Selbstverständnis ist
sowohl auf individuelles Bewußtsein (Personalität) als auch auf Gemeinschaft
hin angelegt. Verdienste um die Gemeinschaft verleihen AUCTORITAS, GRAVITAS und
DIGNITAS.
Seine individuelle Würde sieht der
Römer begründet im naturgegebenen Recht eines jeden Geschöpfes auf Leben und
Entfaltung seiner Existenz. Als Bezeichnung hierfür sei der Ausdruck IVS SVI – Recht auf sich selbst/auf das Eigene verwendet. Er ist in der
lateinischen Literatur zwar nicht belegt, aber SVI als semantisch und grammatikalisch sinnvolle
Umkehrform zu IVS kann
als zweite spiegelbildliche Kreishälfte und damit als Ergänzung,
Vervollkommnung und tiefere Bedeutung des Ausgangsbegriffes verstanden werden.
Zu beachten ist ferner, daß VIS – Kraft, Macht eine Buchstabenumstellung von IVS darstellt. Vgl. auch Leserichtung des SATOR-Quadrats.
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Wie das je Eigene zu
verstehen ist, läßt sich aus dem Rechtsgrundsatz SVVM CVIQVE ersehen: Das Eigene einer Person
steht in Spannung zum Eigenen der Anderen. Insofern jemand Eigenes für sich
beanspruchen kann, muß er dies auch dem Mitmenschen zugestehen. Daraus ergibt
sich eine Ordnung gegenseitiger Beziehungen. Sie werden geregelt durch den
ethischen Begriff der FIDES.
Ciceros Definition (off.1,22) lautet: Fundamentum autem est iustitiae fides, id est
dictorum conventionumque constantia et veritas. – Fundament der
Gerechtigkeit ist FIDES, das heißt das aufrichtige Festhalten an jeder durch
Worte oder Übereinkunft eingegangenen Verpflichtung.
Die FIDES bildet den Kern römischer Ethik. Sie besteht in der
Anerkennung und Erfüllung gegenseitiger Verpflichtungen. In der FIDES gründet
die sittliche Rechtfertigung der Person.
Ausübung von Freiheit bedeutet für den Römer das Recht, den ihm
zustehenden Lebensbereich zu ordnen. Der Wille zur Ordnung (ORDO) ist
Herrschaft (IMPERIVM). Der Begriff Herrschaft
begründet eine Rangordnung von Überordnung und Unterordnung.
Die Anerkennung des Herrschaftsprinzips erhält ihre Sanktion durch die
Haltung der Menschen gegenüber den göttlichen Mächten. Ihnen ordnet sich der
Mensch in freiwilliger Selbstverpflichtung unter.
Die göttlichen
Mächte beherrschen und ordnen die Welt durch Kraft (VIS). Sie wirkt in den Dingen,
weswegen VIS zur Bezeichnung des WESENS einer Sache verwendet wird. Kraft wird
auch dem Menschen zugeteilt. Dafür ist der Mensch den Göttern gegenüber zu
Anerkennung und Dank (GRATIA)
verpflichtet.
Durch die Verehrung (CVLTVS) der Götter versichert
sich der Mensch nicht nur seiner individuellen Kräfte, sondern erhält Teilhabe
an der geistigen Größe und Heiligkeit der Götter: Animus nobis cum dis commune est. – Den Geist haben wir mit den Göttern gemeinsam (Sallust,
Coniuratio 1,3). Von der Erhabenheit der Götter leitet der Mensch seine eigene
Größe und Würde ab. Von ihnen erhält das ganze menschliche Leben Gültigkeit und
Weihe. So entwickelt sich auch staatliche Rechtsordnung immer in Rückbindung an
die göttliche Ordnung.
Die Gültigkeit und Sicherheit menschlicher Gemeinschaft wird durch
sakrale Einrichtungen gewährleistet. Dafür sorgen die Priesterkollegien der pontifices und augures. Eine
ihrer Aufgaben ist es, den Willen der Götter durch sichtbare Zeichen zu
erforschen, z.B. bei der Vogelschau und Eingeweideschau. Das setzt die
Überzeugung voraus, daß nichts in der sichtbaren Welt vom Zufall, sondern vom
Willen der Götter gelenkt wird. Die sichtbare Welt ist Abbild göttlicher
Ordnung. Die einzelnen Dinge stehen nicht einfach für sich, sondern haben
zeichenhafte Bedeutung, indem in ihnen die Weisheit der göttlichen Ordnung
aufscheint. Diese gilt es kennen zu lernen.
Das vornehmste Mittel, um die Verbindung zu den Göttern herzustellen,
ist die Sprache. In der Wahl der geeigneten Worte wird Sprache selbst geheiligt
als das von den Göttern angenommene Kommunikationsmittel. Wörter aber sind wie
die Dinge selbst zeichenhaft und bedeutsam, indem sie diese durch eine Abfolge
von Lauten abbilden und sie so dem Bewußtsein zugänglich und verfügbar machen.
Die verschiedenen Laute lassen sich durch ein System von Zeichen festhalten,
deren Zahl und Gestalt als normative Grundelemente alles Wirklichen aufgefaßt
werden können.
Römische Götterverehrung hatte von Beginn an einen
Absolutheitscharakter. Das heißt, Rom band seine politische Selbstbehauptung an
eine besonders sorgfältige Beachtung religiöser Vorschriften. Im Laufe der
Jahrhunderte wuchs die Überzeugung, daß Rom einen göttlichen Herrschaftsauftrag
erfülle, der ihm aufgrund seiner religiösen Gewissenhaftigkeit zugefallen war.
Cicero drückt diese Überzeugung in Kap.19 seiner Rede de haruspicum responso – Über das Gutachten der Opferschauer (56 v.Chr.)
aus:
Quis
est tam vaecors qui aut, cum suspexit in caelum, deos esse non sentiat, et ea,
quae tanta mente fiunt, ut vix quisquam arte ulla ordinem rerum ac
necessitudinem persequi possit, casu fieri putet, aut, cum deos esse
intellexerit, non intellegat eorum numine hoc tantum imperium esse natum et
auctum et retentum? ... nec numero Hispanos nec robore Gallos nec
calliditate Poenos nec artibus Graecos ... , sed pietate ac religione atque
hac una sapientia, quod deorum numine omnia regi gubernarique perspeximus,
omnis gentis nationesque superavimus.
Wer wäre
so verblendet, bei einem Blick zum Himmel nicht zu spüren, daß es Götter gibt,
und zu glauben, was mit so großer Durchdachtheit geschieht, daß kaum jemand die
Ordnung und Notwendigkeit der Dinge wissenschaftlich zu erfassen vermag,
geschehe durch Zufall, oder zwar einzusehen, daß es Götter gibt, nicht aber,
daß durch deren Wille unser mächtiges Reich entstand, wuchs und sich
behauptete. ... Wir waren weder den Spaniern an Zahl noch den Galliern an
Kraft noch den Puniern an Schlauheit noch den Griechen in den Wissenschaften
... überlegen, aber in der gewissenhaften Erfüllung unserer religiösen
Verpflichtungen und in der einen Erkenntnis und Weisheit, daß durch den Willen
der Götter alles gelenkt und gesteuert wird, haben wir alle Völker und Stämme
übertroffen.
Das wachsende Sendungsbewußtsein wurde gefördert durch eine vertiefte
Erforschung der Zeichenhaftigkeit von Sprache und Schrift. Die Ordnung der
geschaffenen Dinge durch Maß und Zahl entdeckte man analog und konsequent in
ihrer lautlichen und zeichenhaft fixierten Abbildhaftigkeit.
Die Römer
entwickelten zwar Herrschaftsvorstellungen in Analogie zu den göttlichen
Mächten, doch stellten sie ich die Götter nicht
anthropomorph vor. Daß die Welt durch göttliche Kräfte regiert werde, war eine
abstrakte Grundüberzeugung, die nicht eingeengt wurde durch eine Festlegung auf
eine bestimmte Zahl von Gottheiten. Die verschiedenen Bereiche der Wirklichkeit
wurden Gottheiten zugeordnet, die in keinem System geordnet wurden. Dies ließ
Raum für eine spekulative Theologie, die sich der verfügbaren Zeichen bediente,
um nicht nur den Willen der Götter zu erforschen, sondern Näheres über ihr
Wesen und ihre Zahl zu erkennen. Der Kreis als Idee der Unendlichkeit und
Vollkommenheit bot sich hierfür in besonderer Weise an, da ja der gesamte
Kosmos in Kreisläufen geordnet ist. Der staatliche Kult der Vesta hat einen
sehr frühen Ursprung und war insofern einzigartig, als in ihrem Rundtempel kein
Kultbild aufgestellt war. Geheimes sakrales Wissen um die Heiligkeit des
Kreises, seiner göttlichen Deutbarkeit und des darin darstellbaren
Dezimalsystems könnten der Ausgangspunkt eines Kultes gewesen sein, mit dem
sich das religiöse Selbstverständnis des römischen Staates mehr verband als mit
jeder anderen Staatsgottheit.
Im Gegensatz zur mühsamen Suche der
Römer nach Maßstäben der Selbstbehauptung, nach Gerechtigkeit und sittlicher
Rechtfertigung, ist jüdisches Bewußtsein geprägt von einer frohen
Glaubensgewißheit an einen persönlichen Gott, der sich dem jüdischen Volk
offenbarte und ihm eine besondere Erwählung zusprach. Jüdische Religiosität
kommt besonders in den Psalmen zum Ausdruck. Viele Psalmen sind erfüllt von
jubelndem Lob und Dank an den allmächtigen und gütigen Schöpfer und Erhalter
aller Dinge. Seine unermeßliche Macht und Weisheit bringt den Psalmisten immer
von neuem zum Staunen. Gott ist Heil für alle Geschöpfe und alle Menschen. Der
jüdische Mensch ist erfüllt von Vertrauen zu Gott und zu seinem eigenen Tun, da
er in allem Gottes Gesetz und Weisheit erkennt. Die Weisheit und Güte seines
Gottes treibt ihn an, Gottes Gesetz zu erfüllen.
Exemplarisch sei Psalm 145 zitiert:
PSALM
145
1 [Ein
Loblied Davids.] Ich will dich rühmen, mein Gott und König, und deinen Namen
preisen immer und ewig;
2 ich
will dich preisen Tag für Tag und deinen Namen loben immer und ewig.
3 Groß
ist der Herr und hoch zu loben, seine Größe ist unerforschlich.
4 Ein
Geschlecht verkünde dem andern den Ruhm deiner Werke und erzähle von deinen
gewaltigen Taten.
5 Sie
sollen vom herrlichen Glanz deiner Hoheit reden; ich will deine Wunder
besingen.
6 Sie
sollen sprechen von der Gewalt deiner erschreckenden Taten; ich will von deinen
großen Taten berichten.
7 Sie
sollen die Erinnerung an deine große Güte wecken und über deine Gerechtigkeit
jubeln.
8 Der
Herr ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Gnade.
9 Der
Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken.
10 Danken
sollen dir, Herr, all deine Werke und deine Frommen dich preisen.
11 Sie
sollen von der Herrlichkeit deines Königtums reden, sollen sprechen von deiner
Macht,
12 den
Menschen deine machtvollen Taten verkünden und den herrlichen Glanz deines
Königtums.
13 Dein
Königtum ist ein Königtum für ewige Zeiten, deine Herrschaft währt von
Geschlecht zu Geschlecht. [Der Herr ist treu in all seinen Worten, voll Huld in
all seinen Taten]
14 Der
Herr stützt alle, die fallen, und richtet alle Gebeugten auf.
15 Aller
Augen warten auf dich, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit.
16 Du
öffnest deine Hand und sättigst alles, was lebt, nach deinem Gefallen.
17 Gerecht
ist der Herr in allem, was er tut, voll Huld in all seinen Werken.
18 Der
Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zu ihm aufrichtig rufen.
19 Die
Wünsche derer, die ihn fürchten, erfüllt er, er hört ihr Schreien und rettet
sie.
20 Alle,
die ihn lieben, behütet der Herr, doch alle Frevler vernichtet er.
21 Mein
Mund verkünde das Lob des Herrn. Alles, was lebt, preise seinen heiligen Namen
immer und ewig!
Nach christlicher Lehre wird die
Menschheitsgeschichte von einem göttlichen Heilsplan gelenkt. Das jüdische Volk
wurde von Gott auserwählt, damit aus ihm der Retter der ganzen Menschheit,
Jesus Christus, die zweite göttliche Person, hervorgehen sollte. Im vierten
Hochgebet der katholischen Meßfeier heißt es:
Et cum amicitiam
tuam, non oboediens, amisisset, non eum dereliquisti in mortis imperio. Omnibus
enim misericorditer subvenisti, ut te quaerentes invenirent.
Als er (der Mensch)
im Ungehorsam deine Freundschaft verlor und der Macht des Todes verfiel, hast du
ihn dennoch nicht verlassen, sondern voll Erbarmen allen geholfen, dich zu
suchen und zu finden.
Gottes
heilsgeschichtlicher Plan wird von Paulus an zwei Stellen so formuliert:
Er (Gott) hat beschlossen, die
Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, was im Himmel
und auf Erden ist (Eph 1:10).
Als aber die Zeit erfüllt war,
sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt (Gal
4:4).
Gott hat also das
Kommen seines Sohnes durch vielfältige Weise vorbereitet. Darin spielte die
griechische und römische Kultur eine herausragende Rolle.
Erstellt: August 2001
Letzte Änderung: Januar 2005